Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 07.07.1999

LSG NRW: mangelnde sorgfalt, bandscheibenvorfall, entschädigung, gutachter, erdreich, direktor, personalakte, poliklinik, oberarzt, universität

Landessozialgericht NRW, L 17 U 38/98
Datum:
07.07.1999
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
17. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 17 U 38/98
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 18 U 149/93
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom
12. September 1997 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten
sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehegatten U. J ... (J.)
die Entschädigung eines bei diesem festgestellten Bandscheibenprolapses als Folge
eines Arbeitsunfalls durch Gewährung von Verletztenrente.
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Der 1936 geborene und am 05.02.1999 verstorbene J., der gelernter
Maschinenschlosser war, wurde zum 01.04.1965 als technischer Angestellter beim
militärgeographischen Amt B ... B ...- G ... eingestellt. Durch deren Dienststellenleiter
sowie den Beauftragten für den Betriebsschutz und den Vorsitzenden des Personalrats
wurde unter dem 30.12.1965 eine Unfallanzeige bei der Beklagten über einen Vorfall
vom 26.05.1965 erstattet, über den J. angegeben hatte, beim Herausziehen einer 2 m
langen Erd-Bohrstange habe es einen Knacks gegeben und er habe heftige Schmerzen
verspürt, die sich zur Unerträglichkeit gesteigert hätten. Eine Dienstunfähigkeit war nicht
bescheinigt worden. J. hatte zum 31.05.1965 seine Tätigkeit fortgesetzt und war am
23.12.1965 stationär im V ... Hospital in B ... aufgenommen worden. In der
Orthopädischen Universitätsklinik B ... wurde anläßlich einer stationären Aufnahme vom
18.08. bis 08.09.1969 die Diagnose eines Bandscheibenprolapses bei L5/S1 links
gestellt und am 21.08.1969 die Bandscheibe in diesem Bereich entfernt.
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Mit Schreiben vom 22.09.1977 teilte die Beklagte J. mit, daß ihr keine weiteren
Unterlagen außer der Unfallanzeige bezüglich des Ereignisses vom 26.05.1975
(gemeint war 1965) vorlägen und daher davon auszugehen sei, daß es sich bei diesem
lediglich um eine Gelegenheitsursache für das Bemerkbarwerden einer bereits
vorliegenden Erkrankung gehandelt habe.
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Am 15.07.1981 erfolgte bei J. in der Neurochirurgischen Universitätsklinik B ... nach
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Feststellung eines frei perforierten Bandscheibenvorfalls in Höhe L4/L5 eine Revision
bei L5/S1 links, Neurolyse der Nervenwurzel S1 links und Hemilaminektomie L5 links.
Im Juni 1990 beantragte J. u.a. die Entschädigung des Ereignisses vom 26.05.1965, auf
welche er den später diagnostizierten Bandscheibenvorfall zurückführte. Die Beklagte
zog Unterlagen des Versorgungsamts K ..., Berichte der Neurochirurgischen
Universitätsklinik B ..., des Radiologen Dr. J ... sowie die Vorerkrankungsverzeichnisse
bei und veranlaßte eine Begutachtung durch PD Dr. H ..., Oberarzt der Chirurgischen
Universitätsklinik und Poliklinik B ... Dieser verneinte unter dem 06.02.1991 einen
Zusammenhang zwischen der Bandscheibenschädigung und dem Ereignis vom
26.05.1965, weil letzterem allen falls die Bedeutung einer Gelegenheitsursache
zukomme. PD Dr. H ... hielt allerdings eine Zusatzbegutachtung durch den Neurologen
Prof. Dr. S ... von der Neurochirurgischen Universitätsklinik B ... für angezeigt.
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Mit Bescheid vom 24.06.1991 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Entschädigung
aus Anlaß des Ereignisses vom 26.05.1965 ab, weil dieses nicht die rechtlich
wesentliche Ursache für das später diagnostizierte Bandscheibenleiden gewesen sei.
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J. legte am 06.08.1991 Widerspruch ein und machte geltend, er sei am 29.01.1957 auf
der Zeche S ... auf seine Untertagetauglichkeit untersucht und diese sei ohne
Einschränkung bestätigt worden. Ein Bandscheibenvorschaden habe damals nicht über
sehen werden können. Allein das angeschuldigte Ereignis komme daher als Ursache in
Betracht.
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Unter dem 04.11.1991 erstattete Prof. Dr. S ... von der Neurochirurgischen
Universitätsklinik B ... ein weiteres Gutachten und kam zu dem Ergebnis, es fehle ein
geeignetes Unfallereignis, auch sei das sofortige Auftreten einer Ischialgie für die
Anerkennung eines Bandscheibenvorfalls als Traumafolge nicht gegeben.
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Dem trat J. mit der Behauptung entgegen, er habe unverzüglich nach dem Vorfall vom
26.05.1965 erhebliche Beschwerden gehabt und habe deswegen laufend in
Behandlung gestanden. Er legte ferner eine Bescheinigung der TKK B ... vor, wonach in
der Zeit vom 01.01.1961 bis 25.05.1965 keine Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund einer
Lendenwirbelerkrankung (Bandscheibe) vorgelegen hätten.
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Die Beklagte zog daraufhin das Vorerkrankungsverzeichnis der TKK bei, in welchem
eine Arbeitsunfähigkeitszeit wegen Cervikal-Syndroms aus den 60-er Jahren
(unleserlich) verzeichnet ist. Auf Anfrage der Beklagten verneinten die Ärztin für
Allgemeinmedizin G ..., die Orthopäden Dr. M ... und Dr. S ..., daß ihnen noch
Unterlagen über frühere Behandlungen des J. vorlägen. Der Orthopäde Dr. M ... teilte
mit, daß er erst von September 1971 an als Orthopäde in B ... B ...-G ... niedergelassen
gewesen sei und J. daher nicht bei ihm in den 60-er Jahren in Behandlung gestanden
haben könne; in seinen Unterlagen sei J. auch nicht verzeichnet. Die Ärztekammer
Nordrhein berichtete der Beklagten unter dem 25.08.1992, daß das V ... Krankenhaus in
B ... B ...-G ... seit längerer Zeit geschlossen und die Gebäude abgerissen seien. Über
den Verbleib der Unterlagen sei nichts bekannt.
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Die Beklagte veranlaßte sodann eine weitere Begutachtung durch Prof. Dr. R ...,
Direktor der Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Universitätsklinik K ...
Dieser kam unter dem 01.02.1993 zu dem Ergebnis, daß nach wissenschaftlichen
Untersuchungen über die mechanische Belastbarkeit der Wirbelkörper und
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Bandscheiben letztere wesentlich höhere mechanische Belastungen als die jeweils
angrenzenden Wirbel tolerierten, für die Schädigung letzterer aber kein Anhalt bestehe.
Ferner müsse für einen ursächlichen Zusammenhang ein enger zeitlicher
Zusammenhang zwischen der Schmerzsymptomatik und dem Unfallereignis vorliegen.
J. habe aber anläßlich der Anamneseerhebung im August 1969 in der Orthopädischen
Klinik der Universität B ... angegeben, erstmals vor etwa einem Jahr eine
Schmerzausstrahlung in das linke Bein verspürt zu haben und daher erst 1968
entsprechende Beschwerdeangaben vorgebracht. Unter diesen Umständen lasse sich
ein Unfallzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, die radiologisch
dokumentierten degenerativen Veränderungen im Bereich L5/S1 stellten vielmehr eine
chronische Erkrankung dar. In seinem röntgenologischen Gutachten vom 07.04.1993
befand Prof. Dr. L ..., Direktor des Instituts und Poliklinik für Radiologische Diagnostik
der Universität zu K ... keine knöcherne Verletzungsfolgen im Bereich L5/1 bei Vorliegen
einer Spondylosis deformans der oberen und mittleren Brustwirbelsäule und einer
Osteochondrose im Segment L5/S1. Prof. Dr. H ..., Direktor der Klinik und Poliklinik für
Neurologie und Psychiatrie der Universität zu K ..., kam in seinem Gutachten vom
20.04.1993 zu dem Ergebnis, daß neurologischerseits nicht entschieden werden könne,
ob zwischen dem Ereignis vom 26.05.1965 und dem Bandscheibenvorfall ein
ursächlicher Zusammenhang bestehe. Überzeugende Hinweise für eine
Wurzelschädigung ergäben sich aus den vorliegenden Unterlagen erst für das Jahr
1968. Daraufhin verblieb Prof. Dr. R ... in seiner abschließenden Stellungnahme vom
11.05.1993 bei seiner Beurteilung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.1993 wies die Beklagte den Widerspruch, gestützt
auf letztere Gutachten, als unbegründet zurück.
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J. hat am 14.07.1993 Klage vor dem Sozialgericht - SG - Köln erhoben. Er hat geltend
gemacht, die Gutachten beinhalteten den Fehler, daß sie sich zu sehr auf nicht
vorliegende medizinische Unterlagen aus der Zeit unmittelbar nach dem Unfall stützten.
Beachtet werden müsse der Unfallhergang, bei dem er während einer Zuganstrengung
unvorhergesehen mit dem linken Fuß in das Erdreich eingebrochen sei, welches
oberflächlich einen festen Eindruck gemacht habe, unter der Oberfläche aber morastig
und auch ausgehöhlt gewesen sei. Hierbei handele es sich um ein von außen
einwirkendes Ereignis, das geeignet gewesen sei, den Bandscheibenschaden
herbeizuführen. Im übrigen habe, soweit die Gutachter eine Wirbelkörperfraktur
forderten, Prof. Dr. H ... einen vom übrigen Wirbelkörper abgesetzten Knochenschatten
festgestellt, der am ehesten als alte Abrißfraktur zu qualifizieren sei.
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Auf Antrag des J. hat das SG nach § 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ein Gutachten
von dem Arzt für Orthopädie, Sportmedizin/Chirotherapie Dr. H ..., Oberarzt am
Bundeswehrkrankenhaus K ..., eingeholt. Dr. H ... hat unter dem 25.04.1994 dargelegt,
die Zusammenhangsbeurteilung hänge davon ab, ob man den jetzigen Angaben des J.
über den Hergang des Unfallereignisses sowie die im Anschluß bestehende
Beschwerdesymptomatik Glauben schenke oder ob man den in der Unfallanzeige
beschriebenen Unfallhergang sowie die aktenkundigen Befunde zugrundelege. Letztere
ließen die Annahme eines geeigneten Unfallhergangs für die Schädigung der
Bandscheibe nicht zu, auch spreche ein dann dreijähriges symptomfreies Intervall
gegen einen Unfallzusammenhang. Gehe man jedoch von der Unfallschilderung des J.
aus, wonach er den 10 bis 20 cm über dem Boden befindlichen Ausziehgriff des
Bohrgestänges erfaßt habe und beim Versuch, den Bohrer aus dem Erdboden zu
ziehen, mit dem linken Fuß plötzlich weggerutscht und in das Erdreich eingebrochen
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sei, so sei es zu einer Rotationsbelastung bei gleichzeitiger maximaler
Muskelanspannung gekommen, welche geeignet sei, eine Bandscheibenschädigung
herbeizuführen. Unterstelle man die von J. geschilderte sofortige ischialgieforme
Symptomatik, die in den Folgejahren zu einer dauerhaften Behandlung geführt habe, so
lägen auch hinreichende Brückensymptome für die 1969 erforderlich gewordene
Bandscheibenoperation als Folgeursache des Ereignisses vom 26.05.1965 vor. Nicht
auf den Unfall zurückzuführen sei jedoch der 1981 erfolgte weitere Eingriff. Die
Beschwerden im Bereich der unteren Extremität im Bereich L3 bis L5 seien insoweit
nicht unfallursächlich. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - sei ab
dem 01.06.1990 mit 10 v.H. einzuschätzen.
Auf die Einwendungen der Beklagten gegen dieses Gutachten, wo nach sich Dr. H ...
nicht hinreichend mit der Belastungsfähigkeit der Bandscheibe, dem tatsächlichen
Unfallhergang und den röntgenologischen Befunden auseinandergesetzt habe, ist
dieser Sachverständige in einer ergänzenden Stellungnahme vom 24.06.1994 bei
seiner Auffassung verblieben und hat ausgeführt, die wesentlichen Kriterien, die Lob für
eine traumatische Schädigung der Bandscheibe verlange, seien erfüllt, weil eine
Vorschädigung der Bandscheibe bei J. nicht belegt sei, ein geeigneter Unfallhergang
gegeben und im unmittelbaren Anschluß an das Ereignis ischialgieforme Beschwerden
aufgetreten seien.
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Das SG hat sodann ein weiteres Gutachten von dem Leitenden Arzt der Orthopädisch-
Chirurgischen Abteilung des St. Josef-Kranken hauses B ..., Prof. Dr. G ..., eingeholt.
Dieser ist unter dem 27.07.1995 in Übereinstimmung mit Dr. H ... zu dem Ergebnis
gelangt, daß bei Zugrundelegung der Unfallschilderung des J. das Ereignis geeignet
gewesen sei, auch eine nicht wesentlich vorgeschädigte Bandscheibe zu verletzen, da
nach neusten Untersuchungen die Bandscheibe weniger belastungsfähig sei als die
Wirbel. Eine relevante Vorschädigung der Bandscheibe sei nicht feststellbar und nach
Aktenlage sowie den Angaben des J. scheine eine Brückensymptomatik hinreichend
belegt. Die MdE hat Prof. Dr. G ... mit 20 v.H. eingeschätzt, weil als Folgen des
unfallbedingten Bandscheibenvorfalls L5/S1 chronisch rezidivierende
lumboischialgieforme Reizbeschwerden am linken Bein mit Sensibilitätsstörungen und
einer funktionell sich kaum auswirkenden Fußsenkerschwäche bestünden.
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Das SG hat schließlich ein drittes Gutachten von Prof. Dr. P ..., Chefarzt des
Knappschafts-Krankenhauses B ... B ... eingeholt, das dieser in Zusammenarbeit mit
seinem Oberarzt Dr. P ... unter dem 25.10.1996 erstattet hat. Darin ist ausgeführt, der
Unfallmechanismus sei für eine Bandscheibenschädigung adäquat, weil ein tief im
Boden verankertes Probenbohrrohr zu extrahieren gewesen sei, was mit großem
Kraftaufwand geschehen sei und wobei J. in den Untergrund eingebrochen sei, wodurch
es zu einer unvorhersehbaren und von außen unbeeinflußbaren Richtungsänderung
des vorgesehenen Kraftflusses mit Umlenkung der ursprünglich vorgesehenen
Extraktionskraft in eine Distorsionskraft auf die Lendenwirbelsäule mit seitlicher
Verbiegung und rotatorischer Komponente gekommen sei. Darüber hinaus müsse
berücksichtigt werden, daß diese Kraftumlenkung unter Maximalanspannung der
Muskulatur im Rahmen des Extraktionsvorganges stattgefunden habe. Im Anschluß
daran hätten sofort akute Lumbalbeschwerden mit völliger Bewegungseinschränkung
der Wirbelsäule und sich allmählich innerhalb von Stunden entwickelndem
lumboradikulärem Syndrom vorgelegen. Das Ergebnis der Operation vom 21.08.1969
zeige eindeutige Hinweise auf eine traumatische Zerreißung der Bandscheibe, weil die
Nervenwurzel S1 laut Operationsbericht narbig fixiert gewesen sei, was als Hinweis
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darauf zu sehen sei, daß nach Jahre zurückliegendem Unfallereignis narbige
Umbauprozesse abgelaufen seien. Ein wesentlicher degenerativer Vorschaden habe
nicht vorgelegen. Selbst Röntgenbilder aus dem Jahre 1985 hätten nur relativ
geringfügige degenerative Veränderungen gezeigt. Nicht auf das Unfallereignis seien
die späteren 1981 erhobenen Befunde zu beziehen, da insoweit ein längeres
beschwerdefreies Intervall seit der Operation von 1969 bestanden habe. Der
Gesamtschaden der Lendenwirbelsäule sei mit einer MdE um 40 v.H. zu bewerten, der
unfallbedingte Anteil mit 20 v.H ...
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 11.04.1997 sind Prof. Dr. P ... und Dr. P ... bei
ihrer Beurteilung geblieben und haben u.a. ausgeführt, es könne einem Versicherten
nicht zum Nachteil gereichen, wenn er am fünften Tage nach dem Unfallereignis seiner
Tätigkeit wieder nachgehe und die Arbeitsunfähigkeitszeit möglichst kurz halte. Dabei
müsse berücksichtigt werden, daß sich J. noch in der Probearbeitszeit befunden habe.
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Mit Urteil vom 12.09.1997 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die
Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
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Gegen das ihm am 13.01.1998 zugestellte Urteil hat J. am 10.02.1998 Berufung
eingelegt. Er hat geltend gemacht, das SG habe einseitig zu seinen Lasten das
lückenhafte Material gewürdigt. Insoweit sei der Beklagten anzulasten, daß sie
relevante Unterlagen vernichtet habe. Unter Berücksichtigung des Umstandes, daß er
unter dem 16.08.1977 einen ersten Antrag auf Verletztenrente gestellt habe, werde die
Verletzung der Aufbewahrungspflicht deutlich, weil sich lediglich ein
Ablehnungsschreiben vom 22.09.1977, nicht jedoch sein entsprechender Antrag bei
den Akten befinde. Völlig unberechtigt sei der Vorwurf des SG, daß er seine Angaben
im Laufe des Verfahrens zu seinen Gunsten präzisiert habe. Er selbst habe als Laie
keine hinreichenden Kenntnisse bezüglich der Frage traumatischer
Bandscheibenschäden und erst die immer differenzierteren Fragestellungen der
Gutachter hätten zur detailgenaueren Schilderung des Unfallhergangs geführt.
Schließlich seien auch alle gehörten Sachverständigen zu einer für ihn positiven
Zusammenhangsbeurteilung gelangt.
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Die Klägerin, die als Rechtsnachfolgerin des J. das Verfahren aufgenommen hat,
beantragt,
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das Urteil des SG Köln vom 12.09.1997 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung
des Bescheides vom 24.06.1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
16.06.1993 zu verurteilen, ihr als Rechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten U
... J ... wegen der Folgen des vom Versicherten am 26.05.1965 erlittenen Arbeitsunfalls
Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab dem 01.01.1986 nach Maßgabe der
gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie macht geltend, ein geeignetes Unfallereignis sei nicht nachgewiesen. Auch die
gehörten Sachverständigen seien nur unter Zugrundelegung der letzten Angaben des J.
zu einer positiven Zusammenhangsbeurteilung gelangt. Die Darstellung des J. könne
jedoch nicht als bewiesen angesehen werden. Daß der Bandscheibenvorfall
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anlagebedingt entstanden sein könne, werde auch dadurch belegt, daß es 1981 zu
einem weiteren Bandscheibenvorfall ohne Trauma gekommen sei. Sie habe auch
entgegen der Behauptung des J. ihrer zehnjährigen Aktenaufbewahrungspflicht Genüge
getan. Es habe kein Anlaß bestanden, die Akten aus dem Antragsverfahren vor 1977
länger als bis zum Jahre 1987 aufzubewahren.
Der Senat hat die Klägerin vor Aufnahme des Verfahrens als Zeugin gehört und die
Personalakte des J. von der Wehrbereichsverwaltung III beigezogen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie der über J. bei
der Wehrbereichsverwaltung III geführten Personalakte Bezug genommen, die
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil sich die Voraussetzungen für den
geltend gemachten Anspruch auf Verletztenrente nicht feststellen lassen.
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Der von J. erhobene und von der Klägerin weiterhin geltend gemachte Anspruch richtet
sich noch nach den Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung - RVO -, weil das
Ereignis, dessen Entschädigung begehrt wird, vor Inkrafttreten des die RVO ablösenden
Siebten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VII - eingetreten ist (Art. 36 des
Unfallversicherungs- Einordnungsgesetzes - UVEG - i. V. m. § 212 SGB VII).
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Nach § 580 Abs. 1, 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO erhält der Verletzte eine Rente, wenn die zu
entschädigende MdE über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert und
seine Erwerbsfähigkeit infolge des Arbeitsunfalls um wenigstens 1/5 gemindert ist.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da sich nicht feststellen läßt, daß
das Ereignis vom 26.05.1965 seit dem 01.01.1986 relevante Gesundheitsschäden
bedingt hat.
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Zutreffend hat das SG erkannt, daß das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom
22.09.1977 der Geltendmachung des Anspruchs nicht entgegensteht. Selbst wenn es
sich hierbei um einen bindend (§ 77 SGG) gewordenen Verwaltungsakt über die
Ablehnung der Anerkennung und Entschädigung des streitigen Ereignisses handeln
sollte, war die Beklagte nicht gehindert und nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB X - sogar verpflichtet, in eine erneute Prüfung einzutreten, da J. unter Hinweis auf
fortschreitende Gesundheitsstörungen die erneute Prüfung des Sachverhaltes beantragt
hatte. Ob die Entscheidung der Beklagten insoweit als Überprüfungsbescheid im Sinne
des § 44 Abs. 1 SGB X oder als eine hiervon unabhängige Neubescheidung unter
Verzicht auf die Berufung auf die Bindungswirkung anzusehen ist, kann dahinstehen.
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Ob J. am 26.05.1965 überhaupt einen Arbeitsunfall erlitten hat, der einen von außen auf
den Körper einwirkenden Vorgang voraussetzt (vgl. Ricke, Kasseler Kommentar, § 548
RVO Rdnr. 9 m.w.N.) oder ob sich nicht lediglich eine körpereigene innere Ursache
manifestiert hat, kann ebenfalls dahinstehen, denn auch wenn man unterstellt, daß die
Kraftentfaltung zwecks Herausziehen des Bohrers eine entsprechende
Gewalteinwirkung bedeutet, läßt sich doch nicht wahrscheinlich machen, daß hierdurch
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der später diagnostizierte Bandscheibenschaden bei L 5/S 1 verursacht worden ist.
Wie letztlich alle gehörten Sachverständigen, insbesondere aber der als Gutachter des
Vertrauens des J. gehörte Dr. H ..., dargelegt haben, wäre letzteres nur der Fall, wenn
sich feststellen ließe, daß der Unfallhergang derart war, daß J. den knapp - 10 bis 20 cm
- über dem Boden befindlichen Ausziehgriff des Vorgestänges erfaßte und beim
Versuch, den Bohrer aus dem Erdboden zu ziehen, plötzlich mit dem linken Fuß
wegrutschte und in das Erdreich einbrach, wobei es dann zu einer Rotationsbelastung
der Wirbelsäule bei gleichzeitiger maximaler Muskelanspannung gekommen wäre.
Ferner wäre der Nachweis erforderlich, daß bis zur Diagnose des
Bandscheibenprolapses 1969 Brückensymptome im Sinne einer unmittelbar nach dem
Unfall auf tretenden ischialgieformen Symptomatik mit dauerhafter
Behandlungsbedürftigkeit vorgelegen haben. Dabei ist zu beachten, daß nur bezüglich
des Nachweises des Kausalzusammenhangs zwischen einem Arbeitsunfall und dem
Eintritt eines Gesundheitsschadens die hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend
ist, die übrigen anspruchsbegründenden Tatsachen - hier also Hergang des Unfalls
sowie Vorliegen von Gesundheitsschäden im Sinne der erforderlichen
Brückensymptomatik - aber im Sinne des Vollbeweises mit einem der Gewißheit
nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit feststehen müssen (BSG SozR 3 - 2200
§ 548 Nr. 19; SozR 2200 § 548 Nrn. 38, 80, 84; 555 a Nr. 1; Krasney/ Udsching
Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl., Rdnr. 156). Eine Tatsache ist
aber erst dann bewiesen, wenn sie in einem so hohen Grade wahrscheinlich ist, daß
alle Umstände nach entsprechender Abwägung und nach der allgemeinen
Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung hiervon zu
begründen (BSGE 8, 59, 61; 48, 285; 58, 80, 83). Diese Überzeugung vermochte sich
der Senat bezüglich des von J. und der Klägerin behaupteten Unfallhergangs sowie des
Vorliegens dauerhafter Beschwerden zwischen 1965 und 1969 nicht zu verschaffen.
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Dem stehen, wie schon das SG zu Recht ausgeführt hat, die Erstangaben über den
Unfall entgegen. Auch wenn der entsprechende Bericht nicht von J. selbst, sondern von
dem Beauftragten für den Betriebsschutz, dem Amtschef und dem Vorsitzenden des
Personalrats unterzeichnet worden ist und die Klägerin in ihrer Aussage bekundet hat,
ihr gegenüber sei ein ganz anderer Unfallhergang geschildert worden, so bleibt es für
den Senat unerfindlich, warum entsprechend anderslautende Angaben erst in den 90er
Jahren gemacht worden sind. Da der Unfall ohnehin nicht unverzüglich, sondern erst
mehr als ein halbes Jahr später gemeldet worden ist, bestand für J. auch kein Anlaß
mehr, das Ereignis zu bagatellisieren, zumal er zu diesem Zeitpunkt ohnehin in
Krankenhausbehandlung stand und Gründe für die von der Klägerin vermutete
Eilbedürftigkeit und daraus resultierende mangelnde Sorgfalt bezüglich der
Unfallmeldung nicht ersichtlich sind. Hinzu kommt, daß im Anschluß an das Ereignis
keine Arbeitsunfähigkeitszeit dokumentiert und auch keinerlei Hinweis auf die von der
Klägerin behaupteten erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigung des J. in der Folgezeit
vorhanden ist.
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Selbst wenn man zu ihren Gunsten unterstellt, daß, weil sich der Unfall an einem
Mittwoch vor einem Feiertag ereignet hat, von einer formalen
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Freitag durch den Dienstherrn Abstand
genommen worden ist und J. wegen des bestehenden Probearbeitsverhältnisses am
darauf folgenden Montag die Arbeit wieder aufgenommen hat, so spricht gerade der
Umstand, daß ihm diese Arbeitsaufnahme möglich war, gegen den Eintritt einer
erheblichen Beschwerdesymptomatik. Dem steht auch entgegen, daß für die Folgezeit
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bis 1969 mit Ausnahme der Krankenhausbehandlung Ende 1965 keine relevanten
Fehlzeiten, insbesondere aber auch keine medizinischen Befunde im Sinne einer
behandlungsbedürftigen Lendenwirbelsäulen- Erkrankung vorliegen und sich auch
ansonsten keine Hinweise in der Personalakte des J. auf ein eingeschränktes
Leistungsvermögen finden lassen. Dies steht auch wiederum im Einklang mit der in der
Orthopädischen Universitätsklinik B ... 1969 erstellten Anamnese, in der keine Angaben
über ein entsprechend schweres Trauma aus dem Jahre 1965 mit nachfolgenden
dauerhaften Beschwerden und Behandlungsbedürftigkeit verzeichnet sind. Viel mehr
wurde danach von J. Beschwerden seit ca. einem Jahr - also erst ab 1968 - angegeben.
Warum J. diese Angaben in unzutreffender Weise gemacht haben oder warum er auch
hier wieder falsch verstanden worden sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Zum Zeitpunkt
der Operation im Jahre 1969 gab es auch weder dienstliche noch persönliche Gründe
für J., das hier streitige Ereignis zu bagatellisieren oder seine Beschwerden
herunterzuspielen. Unter diesen Umständen vermögen die gegenteiligen Bekundungen
der Klägerin den Senat nicht zu überzeugen, da es durchaus naheliegend ist, daß sich
bei ihr angesichts der zeitlichen Differenz zu dem Vorfall nach mehr als 30 Jahren die
Vorstellungen über einen bestimmten Geschehensablauf entwickelt haben. Unter
diesen Umstände kann auch der von J. unverschuldete Beweisnotstand infolge der
zwischenzeitlich vernichteten Unterlagen nicht zu einer Beweiserleichterung (vgl.
Krasney/ Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl., III Rdnr. 159)
dergestalt führen, daß allein gestützt auf die Bekundungen der Klägerin und Angaben
des J. die hier entscheidungserheblichen Tatsachen als bewiesen angesehen werden
könnten. Denn angesichts der aufgezeigten Widersprüche und Zweifelsfragen käme
dies einer in der Regel unzulässigen Beweislastumkehr gleich (vgl. dazu Keller, SGb
1995, 474 ff.). Die objektive Beweislast der anspruchsbegründeten Tatsachen obliegt
aber der Klägerin (BSG SozR 2200 § 548 Nrn. 4, 11, 14).
Schließlich muß auch beachtet werden, daß J. offensichtlich für die Entstehung
entsprechender Bandscheibenvorfälle prädisponiert war. Nach übereinstimmender
Ansicht aller gehörten Ärzte ist der 1981 diagnostizierte Bandscheibenvorfall bei L 4/5
nicht traumatischer Natur, sondern schicksalhaft entstanden. Unter diesen Umständen
sind auch die Hinweise des Sachverständigen Prof. Dr. P ... auf die seiner Ansicht nach
1985 noch nicht wesentlich vorgeschädigte Wirbelsäule und der daraus gezogene
Schluß auf einen traumatischen Ursachenzusammenhang bezüglich des ersten
Bandscheibenvorfalls unergiebig, weil sich insoweit nicht erklären läßt, warum es 1981
trotz mangelnder Vorschädigung zu einem weiteren Bandscheibenvorfall ohne äußeres
Ereignis gekommen ist. Dasselbe gilt für die Darlegungen des Sachverständigen
bezüglich der beschriebenen narbigen Umbauprozesse, da sich insoweit keine
konkreten Beziehungen zu dem 4 Jahre zuvor stattgefundenen Ereignis herstellen
lassen.
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Der Senat sieht keine Möglichkeit zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung, so daß die
Folgen der objektiven Beweislosigkeit von der Klägerin zu tragen sind und Klage sowie
Berufung erfolglos bleiben mußten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht
erfüllt.
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