Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 08.07.2008

LSG NRW: unterkunftskosten, anspruch auf bewilligung, erlass, hauptsache, sozialhilfe, unterbringung, umzug, wahrscheinlichkeit, form, vermietung

Landessozialgericht NRW, L 20 B 49/08 SO ER
Datum:
08.07.2008
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
20. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 20 B 49/08 SO ER
Vorinstanz:
Sozialgericht Aachen, S 20 SO 7/08 ER
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des
Sozialgerichts Aachen vom 14.03.2008 abgeändert. Die
Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet,
dem Antragsteller zu 1) und der Antragstellerin zu 2) die Zustimmung zur
Anmietung der Wohnung H-straße 00 in B zu erteilen. Im Übrigen wird
die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt die
außergerichtlichen Kosten der Antragsteller. Den Antragstellern wird für
das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von
Frau Rechtsanwältin T bewilligt.
Gründe:
1
I.
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Die Antragsteller begehren, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, ihnen die Zustimmung zur Anmietung einer Privatwohnung zu erteilen
und die laufenden Kosten für die Unterkunft zu übernehmen.
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Der am 00.00.2007 geborene Antragsteller zu 1) ist deutscher Staatsangehöriger und
der Sohn der Antragstellerin zu 2).
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Die Antragstellerin zu 2) ist ghanaische Staatsangehörige und im Jahre 2006 ins
Bundesgebiet eingereist. Sie verfügt über eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 25 Abs. 5
Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Seit Dezember 2006 erhält sie Leistungen von der
Antragsgegnerin nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Sie hat das alleinige
Sorgerecht für den Antragsteller zu 1). Bis Mitte April wohnten beide Antragsteller
zusammen mit dem Kindsvater in einer Privatwohnung. Die Antragsgegnerin trug die für
die Antragsteller anfallenden anteiligen Unterkunftskosten und gewährte der
Antragstellerin zu 2) zudem Zusatzleistungen gemäß § 3 II AsylbLG. Nach tätlichen
Auseinandersetzungen mit dem Kindsvater hielt sich die Antragstellerin zu 2)
vorübergehend in einem Frauenhaus auf und wurde anschließend ab dem 01.05.2007
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zusammen mit dem Antragsteller zu 2) von der Antragsgegnerin in dem städtischen
Übergangswohnheim T-straße 00 in B untergebracht. Seit Juli 2007 wohnt sie mit dem
Antragsteller zu 1) in dem städtischen Übergangswohnheim M-straße 0 in B. Dort
verfügen beide Antragsteller über einen 22 qm großen Wohnbereich, bestehend aus
zwei abgetrennten Räumen (Wohnküche und Schlafraum).
Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller zu 1) ab dem 01.05.07 Hilfe zum
Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch - Zwölftes Buch - (SGB XII) unter
Berücksichtigung der hälftigen Unterkunftskosten in Höhe von 75,38 EUR. Mit Bescheid
vom 24.05.2007 stellte die Antragsgegnerin die laufenden Leistungen mit Wirkung ab
dem 01.06.2007 ein, weil der Antragsteller zu 1) unter Berücksichtigung seines
Einkommens (Kindergeld und Unterhaltsvorschuss) nicht bedürftig sei. Wegen der
Begründung im Einzelnen und der Berechnung der Antragsgegnerin wird auf den
Bescheid vom 24.05.2007 Bezug genommen.
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Am 16.01.2008 beantragte der Antragsteller zu 1) Leistungen der Sozialhilfe nach dem
SGB XII einschließlich der Übernahme anteiliger Unterkunftskosten für die Wohnung H-
straße 00 in B. Unter demselben Datum beantragte die Antragstellerin zu 2) für sich die
anteilige Übernahme der Unterkunftskosten für die Wohnung H-straße 00. Zur
Begründung führte sie aus, dass ihr Sohn einen Anspruch auf Übernahme der
Unterkunftskosten habe und nicht alleine dort leben könne. Er sei deutscher
Staatsangehöriger und es könne ihm nicht zugemutet werden, in einem
Übergangswohnheim für Asylsuchende zu leben. Die derzeitigen Lebensbedingungen
wirkten sich nachteilig auf die Gesundheit des Kindes aus. Vom 09.01.2008 bis zum
14.01.2008 habe er sich wegen einer ausgeprägten obstruktiven Bronchitis zur
stationären Behandlung in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in der Uniklinik B
aufhalten müssen.
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Mit Bescheid vom 17.01.2008 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Genehmigung
des Umzugs ab. Zur Begründung führte sie aus, dass der notwendige Unterkunftsbedarf
für Leistungsberechtigte nach § 1 AsylbLG gemäß § 3 Abs. 1 AsylbLG durch
Sachleistungen gedeckt werde. Unter Berücksichtigung des Einzelfalls sei diese Form
der Hilfegewährung auch nicht zu beanstanden. Auch für den Antragsteller zu 1) könne
sie durch die Unterbringung in einem Übergangswohnheim keinerlei Nachteile
erkennen. Die Übernahme der Kosten für eine eigene Privatunterkunft und der damit
verbundenen Wohnungsbeschaffungskosten sei daher nicht gerechtfertigt. Bezüglich
der vorgetragenen möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen stehe noch eine
Entscheidung des Gesundheitsamtes aus.
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Hiergegen legten die Antragsteller unter Beifügung weiterer ärztlicher Bescheinigungen
über den Gesundheitszustand des Antragstellers zu 1) fristgerecht Widerspruch ein.
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Über den Widerspruch hat die Antragsgegnerin bisher nicht entschieden.
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Am 23.01.2008 haben die Antragsteller bei dem Sozialgericht Aachen einen Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.
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Unter Hinweis auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes für das Land
Nordrhein-Westfalen vom 28.02.2003 - 16 B 2363/02 - haben die Antragsteller
ausgeführt, dass der Antragsteller zu 1) unstreitig einen Anspruch auf Übernahme der
Kosten der Unterkunft nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch habe. Aufgrund
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dessen sei das gemäß § 3 AsylbLG auszuübende Ermessen hinsichtlich der
Übernahme von Unterkunftskosten für die Antragstellerin zu 2) auf Null reduziert.
Darüber hinaus bedinge auch der Gesundheitszustand des Antragstellers zu 1) den
kurzfristigen Umzug in eine Privatwohnung. Als deutscher Staatsangehöriger könne der
Antragsteller zu 1) nicht darauf verwiesen werden, in einer Gemeinschaftsunterkunft zu
wohnen. Die Eilbedürftigkeit ergebe sich daraus, dass das Mietangebot nicht für die
Dauer des Widerspruchs- und ggf. des Hauptsacheverfahrens aufrecht erhalten bleibe
sowie vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Verfassung des Antragstellers zu 1).
Die Antragsteller haben beantragt,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die
Notwendigkeit für den Auszug aus dem Übergangswohnheim und die Notwendigkeit
des Umzugs anzuerkennen, sowie die Zustimmung zur Anmietung des Wohnraumes zu
erteilen und die Kosten für die Wohnung H-straße 00 (B) zu übernehmen, hilfsweise die
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, angemessene
Kosten der Unterkunft zu übernehmen für den Fall, dass die Wohnung im laufenden
Verfahren nicht mehr zur Verfügung stehe.
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Die Antragsgegnerin hat beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung hat die Antragsgegnerin vorgetragen, dass für die Antragstellerin zu 2)
vorrangig Sachleistungen gemäß § 3 AsylbLG zu gewähren seien und die
ausnahmsweise Übernahme von Unterkunftskosten für eine Privatwohnung gemäß § 2
AsylbLG nicht in Betracht komme. Auch für den Antragsteller zu 1) seien nicht zwingend
die Kosten einer Privatwohnung zu übernehmen. Vielmehr ergebe sich aus §§ 17 Abs. 2
und 9 Abs. 1 SGB XII, dass im Wege einer Ermessensentscheidung im vorliegenden
Einzelfall Leistungen für die Unterkunft als Sachleistung zu erbringen seien.
Diesbezüglich hat die Antragsgegnerin auf eine Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts vom 28.09.2001 - 5 B 94/00 - verwiesen. Die vorliegende
"Gemengelage", bei der einer der Antragsteller Leistungen nach dem SGB XII
beanspruchen könne, der andere Antragsteller jedoch auf Leistungen nach § 3 AsylbLG
verwiesen sei, sei so zu lösen, dass für den minderjährigen Antragsteller zu 1) in
zumutbarer Weise ebenfalls nur Sachleistungen in Form der gemeinsamen
Unterbringung mit seiner Mutter in einem städtischen Übergangswohnheim gewährt
werden könnten.
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Im Rahmen des sozialgerichtlichen Eilverfahrens hat die Antragsgegnerin den
Antragstellern den sofortigen Umzug in die städtische Gemeinschaftsunterkunft W
Straße 00 in B angeboten, nachdem die Amtsärztin der Antragsgegnerin nach dem
Ergebnis der am 07.03.2008 durchgeführten amtsärztlichen Untersuchung des
Antragstellers zu 1) die aktuelle Wohnsituation im Übergangswohnheim M-straße 0 aus
gesundheitlicher Sicht als möglicherweise problematisch angesehen und den Umzug in
eine abgeschlossene Wohneinheit, die sowohl den eigentlichen Wohnbereich als auch
den Sanitärbereich umfasse, empfohlen hatte.
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Mit Beschluss vom 14.03.2008 hat das Sozialgericht Aachen den Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
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Zur Begründung hat es ausgeführt, dass bereits zweifelhaft sei, ob die Antragsteller
einen Anordnungsanspruch hätten. Dagegen spreche, dass die angemietete Wohnung
H-straße 00 mit 73,22 qm Wohnfläche für zwei Personen, von denen eine ein Säugling
sei, möglicherweise unangemessen wäre. Zur Frage, ob der relativ geringe Mietpreis
angemessen sei, bedürfe es weiterer Ermittlungen. Ungeklärt sei auch die Frage, ob ein
minderjähriges Kind deutscher Staatsangehörigkeit einen Anspruch auf eine privat
angemietete Wohnung habe, wenn seine Mutter Leistungsberechtigte nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz sei. Die von den Antragstellern angeführte Entscheidung
des OVG Münster sei vorliegend nicht einschlägig. Nachdem die Antragsgegnerin den
Antragstellern eine frisch renovierte Wohnung mit abgeschlossenem Sanitärbereich in
einem anderen Übergangswohnheim zur Verfügung gestellt habe, fehle es an einem
Anordnungsgrund. Den von den Antragstellern vorgetragenen gesundheitlichen
Bedenken werde durch die neue Wohnung ersichtlich Rechnung getragen. Ob die
Wohnverhältnisse in der bisherigen Wohnung überhaupt ursächlich für die
Infektanfälligkeit des Antragstellers zu 1) gewesen seien, sei nicht gesichert. Bei der
gebotenen Güter- und Folgenabwägung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
sei zu berücksichtigen, dass die von den Antragstellern begehrte gerichtliche
Verpflichtung der Antragsgegnerin die Hauptsache nicht nur vorläufig regele, sondern
vollständig und endgültig vorweg nehme. Dies sei aber nur zulässig, wenn anderenfalls
ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und nicht
wiedergutzumachende Nachteile drohten, was jedoch vorliegend nicht der Fall sei.
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Gegen den Beschluss vom 14.03.2008 haben die Antragsteller am 09.04.2008
Beschwerde eingelegt. Zur Begründung führen die Antragsteller aus, das Sozialgericht
lasse die Rechtstellung des Antragstellers zu 1) als einer nach dem SGB XII unmittelbar
leistungsberechtigten Person sowie die daraus folgenden weitergehenden
Grundrechtsbeeinträchtigungen im Falle eines Verweises der Antragsteller auf ein
Wohnen in einer Asylbewerberunterkunft gänzlich außer Acht. Die vom Sozialgericht in
diesem Zusammenhang in den Vordergrund gestellten gesundheitlichen Belange des
Antragstellers zu 1) seien nicht entscheidungserheblich. Die nach der Zielsetzung des
Asylbewerberleistungsgesetzes hinzunehmenden Einschränkungen müssten von
unmittelbar nach dem SGB XII leistungsberechtigten Personen - wie vorliegend dem
Antragsteller zu 1) - nicht hingenommen werden. Es gäbe keinerlei Rechtfertigung dafür,
dass ein unmittelbar nach dem SGB XII leistungsberechtigtes deutsches Kind den
genannten Einschränkungen zu unterwerfen sei. Ein Anordnungsanspruch für den
Antragsteller zu 1) ergebe sich aus § 29 SGB XII. Die "Gemengelage" der
verschiedenen Leistungsberechtigungen der Antragsteller ändere daran nichts. Insoweit
stelle sich die Frage, ob der Antragsteller zu 1) einen alleinigen, die gesamten
Mietkosten umfassenden und nicht nur einen kopfanteiligen Anspruch auf Übernahme
der Mietkosten habe, wenn der Antrag auf Übernahme des Kopfanteils der
Antragstellerin zu 2) aufgrund des im Asylbewerberleistungsgesetz vorrangigen
Sachleistungsprinzips abgelehnt würde. In diesem Zusammenhang wäre zu
berücksichtigen, dass der Antragsteller zu 1) wegen seines Alters nicht alleine wohnen
könne. Hierzu verweisen die Antragsteller auf eine Entscheidung des
Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) vom 20.03.2008 - L
20 B 11/08 AY -. Die Antragsteller vertreten die Auffassung, dass die Antragstellerin zu
2) aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null einen Anspruch auf Übernahme der
kopfanteiligen Kosten der privaten Unterkunft vor dem Hintergrund des
Schutzgedankens des Art. 6 Grundgesetz (GG) habe. Zwar sei die Antragstellerin zu 2)
vorrangig, aber nicht ausnahmslos, auf die Unterbringung in einer
Gemeinschaftsunterkunft als Sachleistung zu verweisen. Angesichts der besonderen
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Umstände bestehe jedoch vorliegend ein atypischer Fall, der ein Abweichen von dem
Vorrang der Sachleistungen ohne weiteres rechtfertige. Der Aufenthalt der
Antragstellerin zu 2) als Mutter eines einjährigen deutschen Kindes sei naturgemäß
nicht als nur vorübergehend zu bezeichnen. Die Ausländerbehörde der Antragsgegnerin
habe dem insoweit Rechnung getragen, als sie entgegen § 26 Abs. 1 S. 2 AufenthG der
Antragstellerin zu 2) die Aufenthaltserlaubnis für zwölf Monate erteilt habe. Angesichts
des bereits feststehenden Daueraufenhaltes und des Umstandes, dass die
Antragstellerin zu 2) für die Dauer von 48 Monaten auf Leistungen nach § 3 AsylbLG
angewiesen sei, sei die Verweisung auf die Unterbringung in einem
Übergangswohnheim nicht zumutbar. Die Wohnung H-straße 00 sei angemessen. Die
Überschreitung der angemessenen Wohnfläche um 12 qm sei unerheblich. Nach der
Produkttheorie seien ausgehend von einem Quadratmeterpreis von 5,92 EUR, den die
ARGE der Stadt B als angemessen betrachte, und einer Wohnfläche von 60 qm
Mietkosten bis zu 355,- EUR inkl. Nebenkosten als angemessen zu betrachten.
Vorliegend betrage die Brutto-Kaltmiete 346,- EUR. Der Einwand der Antragsgegnerin,
bei der Wohnungsgröße von über 73 qm seien unangemessen hohe Nebenkosten zu
erwarten, sei nicht gerechtfertigt. Diesbezüglich verweisen die Antragsteller auf eine
Bescheinigung der Vermieterin vom 06.04.2008, nach der die Höhe der
Nebenkostenvorauszahlungen auf der Grundlage der Betriebskostenabrechnung aus
dem Jahre 2006 angepasst worden seien. Auch unter
Gleichbehandlungsgesichtspunkten ergebe sich ein Anordnungsanspruch. Die
Antragsgegnerin übernehme nämlich die Kosten einer Privatunterkunft in den Fällen, in
denen beispielsweise der Vater oder die Mutter nach dem SGB XII bzw. SGB II
leistungsberechtigt seien, jedoch das Kind oder aber auch die Ehefrau bzw. der
Ehemann oder Lebensgefährte lediglich einen Leistungsanspruch nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz habe. So seien auch im vorliegenden Fall die Kosten
einer Privatwohnung übernommen worden, solange die Antragstellerin zu 2) noch mit
dem Kindesvater zusammen gelebt habe.
Ein Anordnungsgrund sei ebenfalls gegeben. Das Alternativangebot der
Antragsgegnerin, in die W Straße umzuziehen, sei nicht akzeptabel. Auch hierbei
handele es sich um eine Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. Es sei jedoch
erklärtes Ziel des SGB XII, dem Einzelnen das Führen eines Lebens zu ermöglichen,
das der Würde des Menschen entspreche. Das Angebot einer Gemeinschaftsunterkunft
laufe dieser Zielsetzung zuwider.
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Die Antragsteller beantragen,
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den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 14.03.07 aufzuheben und die
Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die
Notwendigkeit des Umzugs anzuerkennen, sowie die Zustimmung zur Anmietung der
Wohnung H-straße 00 in B zu erteilen und die hierdurch anfallenden tatsächlichen,
hilfsweise die angemessenen Kosten, zu übernehmen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, das Sozialgericht Aachen habe den Antrag der
Antragsteller auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Durch die
Zurverfügungstellung einer Wohnung im Übergangswohnheim W Straße 00 bestehe
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kein Anordnungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung. Durch
das Abwarten einer gerichtlichen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren entstehe
für die Antragsteller kein unzumutbarer Nachteil.
Auch ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Der Antragsteller zu 1) habe nicht
zwingend einen Anspruch auf Unterkunft in einer frei angemieteten Wohnung. Gemäß
§§ 17 Abs. 2, 9 Abs. 2 SGB XII könnten vorliegend wegen der Besonderheiten des
Einzelfalles Leistungen für die Unterkunft auch als Sachleistungen erbracht werden.
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Die Antragstellerin zu 2) könne nicht im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null
einen Anspruch auf Übernahme der auf sie entfallenden Kosten einer privaten
Unterkunft beanspruchen. Ein solcher Anspruch ergebe sich auch nicht aus dem
Schutzgedanken des Art. 6 GG. Die Wohnung H-straße 00 könne auch nicht als
angemessen bezeichnet werden. Zwar sei die Brutto-Kaltmiete als eher niedrig
einzustufen. Es werde jedoch nicht berücksichtigt, dass gerade im Hinblick auf die
ständig steigenden Energiekosten die Heizkostenvorauszahlung von 60,- EUR
monatlich für die Beheizung einer 72 qm großen Wohnung unter Umständen zu gering
angesetzt sein könnte. Auch sei mit höheren Kosten für die Versorgung mit Strom als bei
einer 60-qm-Wohnung zu rechnen. Die den Antragstellern angebotene Wohnung im
Übergangsheim W Straße 00 in B sei nach wie vor verfügbar und könne jederzeit von
den Antragstellern bezogen werden.
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Die Antragsteller haben mit Schriftsatz vom 03.06.2008 eine Bescheinigung der
Vermieterin der Wohnung H-straße 00 vorgelegt, worin diese mitteilt, dass, sollte die
Übernahme zum 01.07.2008 nicht geklärt sein, sie sich eine anderweitige Vermietung
vorbehalte.
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Mit Schriftsatz vom 02.07.2008 haben die Antragsteller vorgetragen, dass die
Vermieterin - wie angekündigt - das Wohnungsangebot nur noch bis Freitag,
04.07.2008, aufrecht halte.
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Die Vermieterin hat sich auf telefonische Anfrage des Gerichts bereit erklärt, noch bis
zum 08.07.2008 mit der Vermietung zu warten, zugleich aber deutlich gemacht, dass
dies der letzte Termin sei und sie ansonsten die Wohnung an andere vorhandene
Interessenten vergeben werde.
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II.
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Die zulässige Beschwerde der Antragsteller vom 09.04.2008 gegen den Beschluss des
Sozialgerichts vom 14.03.2008 ist in dem erkannten Umfange begründet. Entgegen der
Auffassung des Sozialgerichts liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer
einstweiligen (Regelungs-) Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) vor. Nach 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der
Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für
den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist das Bestehen eines
Anordnungsanspruches, d.h. des materiell-rechtlichen Leistungsanspruches, sowie das
Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. der Eilbedürftigkeit der Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile und die damit verbundene Unzumutbarkeit, die
Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass
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Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander stehen,
sondern dass eine Wechselwirkung derart besteht, dass die Anforderungen an den
Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden
Nachteiles (des Anordnungsgrundes) zu verringern sind und umgekehrt. Ist die Klage
bzw. der Widerspruch in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist
der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund
grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die
Klage bzw. der Widerspruch in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so
vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann
dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in
diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei
offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung
der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer
Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen
Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG
Beschluss vom 12.05.2005 Az 1 BvR 569/05). Anordnungsanspruch und
Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs.
2 Zivilprozessordnung). Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Antragsteller
einen Anordnungsanspruch auf Erteilung einer Zustimmung zur Anmietung der
Wohnung H-straße 00 in B glaubhaft gemacht. Der Anspruch des Antragstellers zu 1)
ergibt sich aus §§ 19 Abs. 1, 29 Abs.1 SGB XII.
Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ist Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten
Kapitel dieses Buches Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt
nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem
Einkommen und Vermögen, beschaffen können.
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Der Antragsteller zu 1) erfüllt dem Grunde nach die Leistungsvoraussetzungen für einen
Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel SGB XII, da er unter
Berücksichtigung der zu erwartenden und auf ihn zumindest anteilig (zu ½) entfallenden
angemessenen Unterkunftskosten für die Wohnung H-straße 00 seinen notwendigen
Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln,
insbesondere aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann.
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Dies ist im Grundsatz zwischen den Beteiligten unstreitig und gilt auch dann, wenn das
Kindergeld als Einkommen des Antragstellers zu 1) berücksichtigt wird.
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Für die Anmietung einer Wohnung benötigt ein Leistungsberechtigter zwar
grundsätzlich keine Genehmigung oder Zustimmung des Trägers der Sozialhilfe (ganz
h.M., vgl. etwa Grube in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 2. Auflage 2008, § 29 Rdnr. 42),
zur Anmietung einer neuen Unterkunft soll der Träger der Sozialhilfe nach § 29 Abs. 1
Satz 8 SGB XII jedoch seine Zustimmung erteilen, wenn der Umzug durch den Träger
der Sozialhilfe veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die
Zustimmung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden
kann.
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Nach § 10 Abs. 1 SGB XII werden Leistungen der Sozialhilfe als Dienstleistung,
Geldleistung oder Sachleistung erbracht. Gemäß § 9 Abs. 2 SGB XII soll Wünschen der
Leistungsberechtigten, die sich auf die Gestaltung der Leistung richten, entsprochen
werden, soweit sie angemessen sind.
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Nach der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte (BVerwG 5.
Senat Urteil vom 19.05.1994 - 5 C 33/91 m.w.N.) kann ein Hilfesuchender, der zur
Deckung seines notwendigen Unterkunftsbedarfs eine Wohnung anmieten möchte,
grundsätzlich eine sogenannte Mietübernahmeerklärung des Trägers der Sozialhilfe als
persönliche Hilfe im Sinne des § 10 Abs. 1 SGB XII beanspruchen. In diesem Rahmen
kann zwar nicht verlangt werden, dass der Träger der Sozialhilfe eine pauschale
Mietübernahmeerklärung ausstellt. Der Hilfesuchende muss vielmehr die ihm nach § 9
Abs. 2 SGB XII zustehende Gestaltungsfreiheit aus eigenen Kräften wahrnehmen (st.
Rspr.; vgl. zu den inhaltsgleichen Normen der §§ 8 Abs. 1 und 3 Abs. 2 BSHG etwa
OVG Hamburg, Beschluss vom 16. Januar 1990, FEVS 39, 356).
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Besteht jedoch – wie vorliegend – ein konkretes Mietangebot und macht der Vermieter -
wie hier - die Vermietung ersichtlich von der Zustimmung des Sozialhilfeträgers
abhängig, so kann der Hilfesuchende eine Zustimmungserklärung zur Anmietung einer
angemessenen Wohnung beanspruchen.
41
Bei der Wohnung H-straße 00 handelt es sich um eine angemessene Wohnung.
42
Nach § 29 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 SGB XII werden Leistungen für die
Unterkunft und für Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bzw. in
tatsächlicher Höhe erbracht, soweit sie einen angemessenen Umfang nicht
überschreiten bzw. soweit sie angemessen sind.
43
Die Angemessenheit der Wohnungskosten hängt von mehreren Faktoren ab (vgl. dazu
LSG NRW, Beschluss vom 24.08.2005 - L 19 B 28/05 AS ER; BSG, Urteile vom
07.11.2006 - B 7b AS 2/05 R und B 7b AS 18/06 R).
44
Ihre Bestimmung hat die reale Lage auf dem maßgeblichen örtlichen Wohnungsmarkt
ebenso zu berücksichtigen wie Größe und Zusammensetzung der die Unterkunft
nutzenden Bedarfsgemeinschaft. Außerdem wird die Angemessenheit auch bestimmt
durch den "Wohnstandard", der Leistungsberechtigten nach dem SGB XII zuzubilligen
ist (BSG 07.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - FEVS 58,271; Berlit in LPK-SGB XII, 8. Auflage
2008, § 29 Rdnr. 27). Bei dieser Angemessenheitsprüfung ist nicht isoliert auf die
einzelnen Faktoren wie Wohnungsgröße, Ausstattungsstandard oder Quadratmeterpreis
abzustellen. Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten bestimmt sich vielmehr aus
dem Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen
Wohnungsgröße und dem nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Mietzins
pro Quadratmeter (so auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. Januar 2006 -
L 8 AS 4296/05 ER-B; Hessisches LSG, Beschlüsse vom 8. März 2006 - L 9 AS 59/05
ER - info also 2006, 125 und vom 28. März 2006 - L 7 AS 121 und 122/05 ER; LSG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. August 2005 - L 19 B 28/05 AS ER). Diese
sogenannte Produkttheorie (BVerwG, Urteile vom 17. November 1994 - 5 C 11/93 -
BVerwGE 97, 110, vom 30. Mai 1996 - 5 C 14/95 - BVerwGE 101, 149 und vom 28. April
2005 - 5 C 15/04 - , NVwZ 2005, 1197; Berlit, a.a.O. § 29 Rdnr. 34 m.w.N.) ist auch hier
anzuwenden. Ausgehend von dem für die Stadt B von den Antragstellern als
angemessen genannten und von der Antragsgegnerin nicht bestrittenen
Quadratmeterpreis von 5,92 EUR (inklusive Nebenkosten) sind die zu erwartenden
Kosten für die Wohnung H-straße 00 in Höhe von 406,09 EUR (Grundmiete = 235,09
EUR, Betriebskosten = 111,- EUR, Heizkostenabschläge = 60,- EUR: 2) nicht
unangemessen. Darüber hinaus haben die Antragsteller in ihrem Hilfsantrag selbst die
begehrte Kostenübernahme auf die angemessenen Unterkunftskosten beschränkt, so
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dass die Frage, in welcher Höhe letztlich Kosten von der Antragsgegnerin zu tragen und
wie diese auf die Antragsteller aufzuteilen sind (siehe dazu unten) im vorliegenden
Eilverfahren offen gelassen werden kann.
Dem Einwand der Antragsgegnerin, bei einer Wohnungsgröße von mehr als 60 qm
seien mit hoher Wahrscheinlichkeit unangemessen hohe Heiz- und Stromkosten zu
erwarten, so dass die Wohnung als solche unangemessen sei, folgt der Senat nicht. Die
Höhe der Heizkosten ist von vielen Faktoren (v.a. dem Heizverhalten der
Wohnungsinhaber, Bauzustand, technischem Standard der Heizungsanlage, etc.)
abhängig. Die von den Antragstellern aufgrund der Heizkostenabrechnung des Jahres
2006 zu zahlenden Abschläge in Höhe von 60,- EUR monatlich wären jedenfalls auch
für eine 60-qm-Wohnung noch als angemessen anzusehen. Zudem würde es der zur
Beurteilung der Angemessenheit von Unterkunftskosten maßgeblichen Produkttheorie
entgegenlaufen, wenn dem Berechnungsfaktor Wohnungsgröße auf diesem Wege eine
maßgeblich begrenzende Ausschlusswirkung beigemessen würde.
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Der Anspruch des Antragstellers zu 1) auf Leistungen kann nicht durch die
Zuverfügungstellung einer Wohnmöglichkeit in einem Übergangswohnheim für
Asylbewerber erfüllt werden. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist ihr kein
Ermessen hinsichtlich der an den Antragsteller zu 1) konkret zu erbringenden
Leistungen für die Unterkunft eingeräumt. Der Leistungsanspruch nach § 29 SGB XII ist
auf eine Geldleistung gerichtet (Berlit, a.a.O. § 29 Rn. 7). Dies anerkennt die in der
Menschenwürde gründende Handlungsautonomie. Die Leistungsberechtigten sollen
durch Bereitstellung hinreichender finanzieller Mittel in die Lage versetzt werden, auf
dem Wohnungsmarkt selbst ihren Unterkunftsbedarf zu decken (Berlit, a.a.O.). Auch in §
10 Abs. 3 SGB XII ist die Frage des Verhältnisses von Geld- und Sachleistungen
zugunsten des prinzipiellen Vorranges der Geldleistung gelöst worden. Der
Gesetzgeber folgt hier der Auffassung, dass zum normalen Leben in unserer
Gesellschaft, an dem teilzunehmen den Leistungsberechtigten durch die Hilfe
ermöglicht werden soll, die Bedürfnisbefriedigung über den Markt und mit dem
Tauschmittel Geld gehört (Roscher in LPK-SGB XII, § 10 Rn. 22). Aus dem
Würdeprinzip des § 1 SGB XII folgt, dass dem Hilfeempfänger die Möglichkeit gelassen
wird, im Rahmen der ihm nach dem Gesetz zustehenden Mittel seine Bedarfsdeckung
frei zu gestalten. Deshalb hat er grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass ihm die
laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von Geld gewährt wird (so auch schon
Bundesverwaltungsgericht – info also 1986, S. 84 - zu § 1 Abs. 2 S. 2 BSHG). Der
Umstand, dass der Antragsteller zu 1) noch im Kleinkindalter ist und seine Mutter
lediglich leistungsberechtigt nach § 3 AsylbLG ist, rechtfertigt nicht, von diesem
Grundsatz abzuweichen. Die Antragsgegnerin setzt sich auch ohne nachvollziehbare
Gründe in Widerspruch zu ihrer Entscheidung, den Antragstellern Leistungen für eine
private Wohnung zu gewähren, solange sie noch mit dem Kindesvater zusammen
wohnten. Eine derartige Differenzierung, erst ab einer bestimmten Anzahl oder einem
bestimmten Alter von nach dem SGB XII leistungsberechtigten Personen einen
entsprechenden Unterkunftsbedarf anzuerkennen, entbehrt jeder gesetzlichen
Grundlage. Vielmehr ist es gerechtfertigt, zum Schutz der bei jedem Hilfeempfänger zu
beachtenden sozialen Würde (§ 1 SGB XII, Art. 1 Abs. 1 GG) die von der
Antragsgegnerin beschriebene "Gemengelage" im Sinne einer möglichst umfassenden
Gewährleistung sozialer Rechte (§ 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I))
sicherzustellen. Es würde auch den grundgesetzlich gewährleisteten Schutz von Ehe
und Familie (Art. 6 GG) konterkarieren, wenn aus der Notwendigkeit der elterlichen
Fürsorge für den Antragsteller zu 1) eine Einschränkung seiner sozialen Rechte folgen
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würde. Die beschriebene "Gemengelage" ist vielmehr derart aufzulösen, dass auch der
Antragstellerin zu 2) ausnahmsweise ein Anspruch auf Gewährung von Geldleistungen
für die Unterkunft zu gewähren ist.
Der Anspruch der Antragstellerin zu 2) auf Zustimmung zur Anmietung der Wohnung H-
straße 00 folgt insofern aus § 3 Abs. 2 AsylbLG. Dabei bedarf die Antragstellerin zu 2)
aus denselben o. g. Gründen, aus denen der Antragsteller zu 1) der Erteilung einer
Zustimmung bedarf, ihrerseits einer Zustimmung der Antragsgegnerin. Diese ist zu
erteilen, weil die Antragstellerin zu 2) gemäß § 3 Abs. 2 AsylbLG einen Anspruch auf
zumindest anteilige Übernahme der zukünftig anfallenden Unterkunftskosten für die
Wohnung H-straße 00 hat. Gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 AsylbLG können bei einer
Unterbringung außerhalb von Aufnahmeeinrichtungen im Sinne des § 44
Asylverfahrensgesetz anstelle von vorrangig zu gewährenden Sachleistungen nach § 3
Abs. 1 S. 1 AsylbLG Leistungen in Form von Wertgutscheinen, von anderen
vergleichbaren unbaren Abrechnungen oder von Geldleistungen im gleichen Wert
gewährt werden, soweit es nach den Umständen erforderlich ist. Hiernach stehen
Sachleistungen im Verhältnis zu Geldleistungen zwar in einem Regel-Ausnahme-
Verhältnis, was bedeutet, dass die Gewährung von Geldleistungen, wozu auch die
Zahlung von Miete an einen privaten Vermieter zur Deckung des notwendigen Bedarfs
an Unterkunft zählt (§ 3 Abs 2 Satz 2, 2. Halbsatz AsylbLG), nur zulässig ist, wenn
besondere Gründe hierfür vorliegen. Die Antragsgegnerin hat die Entscheidung, ob
ausnahmsweise Geldleistungen anstelle von Sachleistungen zu gewähren sind, nach
pflichtgemäßem Ermessen nach den Grundsätzen des SGB XII und des AsylbLG zu
treffen (LSG NRW, Beschluss vom 07.11.2006 - L 20 B 51/06 AY ER). Vorliegend ist
das Ermessen der Antragsgegnerin dahingehend reduziert, dass nur eine
Entscheidung, die beiden Antragstellern die Anmietung der Wohnung H-straße 00
ermöglicht, ermessensfehlerfrei ist. Zur Verwirklichung der dem Antragsteller zu 1)
zustehenden sozialen Rechte (Art. 1 Abs. 1 GG, § 1 SGB XII) und unter Beachtung des
grundgesetzlichen Schutzes von Ehe von Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) ist die Gewährung
von Geldleistungen an die Antragstellerin zu 2) in einer Höhe bis zu höchstens 1/2 der
Kosten der Unterkunft H-straße 00 gerechtfertigt. Art. 6 Abs 1 GG lautet: "Ehe und
Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung". In Art. 6 Abs 2
GG heißt es: "Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und
die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht". Um die Beeinträchtigung der beiden
Antragstellern zustehenden Grundrechte zu vermeiden, ist das Ermessen der
Antragsgegnerin dahingehend reduziert, dass nur eine Entscheidung, die beiden
Antragstellern die Anmietung der Wohnung H-straße 00 ermöglicht, ermessensfehlerfrei
ist.
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Dabei ist es der Antragsgegnerin freigestellt, ob sie die Unterkunftskosten nach
Kopfteilen zu gleichen Anteilen zwischen den Antragstellern aufteilt oder im Hinblick
darauf, dass nur der Antragsteller zu 1) einen Anspruch auf Sozialhilfeleistungen nach
dem SGB XII hat, für diesen einen höheren Bedarfsanteil an den Unterkunftskosten
berücksichtigt. Dafür, dass Letzteres möglich ist, spricht u.a. die bisher nur als
Pressemitteilung vorliegende Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 18.06.2008 -
B 14/11b AS 61/06 R.
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Zudem hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 07.11.2006 - L 20 B 51/06 AY
ER - ausgeführt, dass ein Anspruch auf Bewilligung von Mietkosten für eine privat
angemietete Wohnung unter Berücksichtigung besonderer Umstände des Einzelfalles,
die im Rahmen der Ermessensausübung Beachtung finden müssen, in Betracht komme
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(vgl. auch den Beschluss vom 11.04.2008 - L 20 B 1/08 AY).
Entgegen der Einschätzung des Sozialgerichts ist vorliegend auch ein
Anordnungsgrund gegeben, der den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung
rechtfertigt.
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Dem Erlass einer einstweiligen Anordnung steht vorliegend das grundsätzliche Verbot
der Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung nicht entgegen. Dieses Verbot endet
dann, wenn dem Antragsteller ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache
wegen der damit verbundenen Nachteile nicht zugemutet werden kann und ein hoher
Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht. Da
vorliegend ein Obsiegen der Antragsteller in der Hauptsache sehr wahrscheinlich ist, ist
es gerechtfertigt, die Hauptsache in dem erfolgten Umfang vorweg zu nehmen.
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Außerdem besteht die Rechtsbeeinträchtigung des Antragstellers zu 1) bereits seit rund
einem halben Jahr und wird bei unveränderter Sachlage womöglich noch bis Dezember
2010 andauern, da die Antragstellerin zu 2) erst dann die Anspruchsvoraussetzungen
des § 2 Abs. 1 AsylbLG erfüllen wird. Der Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses
eines späteren Hauptsacheverfahrens ist völlig ungewiß, zumal nach der
gegenwärtigen Sicht der Dinge wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
(§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) auch ein Revisionsverfahren vor dem Bundessozialgericht
nicht auszuschließen ist. Im Hinblick darauf, dass das Widerspruchsverfahren noch
nicht abgeschlossen ist, kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet
werden, dass innerhalb des voraussichtlich bis Dezember 2010 andauernden
Leistungsbezugs der Antragstellerin zu 2) nach § 3 AsylbLG eine rechtskräftige
Hauptsacheentscheidung ergehen wird.
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Auch unter Berücksichtigung des beeinträchtigten Gesundheitszustandes des
Antragstellers zu 1), der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit u.a. auf die
Wohnverhältnisse in dem bis jetzt bewohnten Übergangswohnheim zurückzuführen ist,
kann ihm das Abwarten eines Hauptsacheverfahrens nicht zugemutet werden. In
diesem Zusammenhang erscheint es sehr fraglich, ob die von der Antragsgegnerin
angebotene Unterbringung in dem Übergangswohnheim W Straße 00 hieran
grundlegend etwas ändern wird. Denn auch insofern handelt es sich um ein Zwei-
Raum-Appartement in einer Größenordnung von rund 22 qm. Der Unterschied zu der
bisherigen Unterkunft besteht lediglich darin, dass die Antragsteller dort über eine
Wohneinheit mit eigenem Bad/WC verfügen würden. Dass hierdurch eine derart
grundlegende Verbesserung der Wohnsituation eintreten wird, die es dem Antragsteller
zu 2) zumutbar machen würde, noch weitere 2 1/2 Jahre dort zu wohnen, ist zweifelhaft.
Schließlich besteht für die Antragsteller die Möglichkeit der Anmietung einer
angemessenen Wohnung in einer Größenordnung, die auch langfristig ihren
Unterkunftsbedarf sicherstellt. Es erscheint zumindest zweifelhaft, dass es den
Antragstellern kurzfristig möglich sein wird, eine ähnlich preisgünstige Wohnung in der
Stadt B zu erlangen. Vor dem Hintergrund, dass die Vermieterin bereits am 30.05.2008
bestätigt hat, sie werde die Wohnung anderweitig vermieten, sollte die Übernahme nicht
zum 01.07.2008 geklärt sein, war der mit Schriftsatz vom 24.06.2008 erfolgte Vortrag der
Antragsteller, die Wohnung stehe nur noch bis zum 04.07.2008 zur Verfügung,
glaubhaft. Die Vermieterin hat sich auf telefonische Anfrage des Gerichts bereit erklärt,
noch bis zum 08.07.2008 mit der Vermietung zu warten, zugleich aber deutlich gemacht,
dass dies der letzte Termin sei und sie ansonsten die Wohnung an andere vorhandene
Interessenten vergeben werde.
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Soweit die Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Übernahme der
(angemessenen) Kosten der Unterkunft begehren, ist der Antrag unbegründet. Einem
Anordnungsanspruch steht insoweit schon entgegen, dass der Mietvertrag noch nicht
abgeschlossen ist und insofern derzeit noch keine Unterkunftskosten anfallen. Darüber
hinaus handelt es sich um dem jeweiligen Antragsteller zustehende
Individualansprüche einerseits aufgrund des SGB XII und andererseits aufgrund des
AsylbLG, die eine konkrete Quotelung nicht zwingend vorgeben, sondern vielmehr der
Antragsgegnerin überlassen. Schließlich ist eine derartige Verpflichtung der
Antragsgegnerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erforderlich, weil die Antragsteller
aufgrund der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung der Zustimmung die
Wohnung ohne Weiteres anmieten können. Hieraus folgt dann zwanglos die Pflicht der
Antragsgegnerin zur Leistung von (angemessenen) Unterkunftskosten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Obwohl die Antragsteller mit den gestellten Anträgen formal nicht vollumfänglich
durchgedrungen sind, ist es gerechtfertigt, dass die Antragsgegnerin die
außergerichtlichen Kosten der Antragsteller vollumfänglich zu tragen hat, weil der Erfolg
der Antragsteller im Ergebnis einem vollumfänglichen Obsiegen gleich kommt.
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Den Antragstellern war für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen,
weil der Antrag Aussicht auf Erfolg hatte und auch erfolgreich war.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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