Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 30.06.2004

LSG NRW: krankenpflege, subjektives recht, leistungserbringer, verordnung, versorgung, erlass, vertragsarzt, form, vorrang, kompetenz

Landessozialgericht NRW, L 11 KA 160/03
Datum:
30.06.2004
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
L 11 KA 160/03
Vorinstanz:
Sozialgericht Köln, S 19 KA 23/01
Sachgebiet:
Vertragsarztrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln
vom 27.03.2002 werden zurückgewiesen. Die Kläger haben die
außergerichtlichen Kosten des Beklagten im Berufungsverfahren zu
erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten (nach Abtrennung weiterer Streitgegenstände) im
Berufungsverfahren noch um die Rechtmäßigkeit der Richtlinien des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher
Krankenpflege (Krankenpflegerichtlinien), soweit darin ein abschließendes
Leistungsverzeichnis erstellt worden ist.
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Die Kläger zu 1) - 9) sind Verbände von Pflegediensten und teilweise auch Träger von
Pflegediensten. Darüber hinaus gehören sie zu den für die Wahrnehmung der
Interessen von Pflegedienste maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene
im Sinne von § 132 a SGB V.
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Die Kläger zu 10) - 13) betreiben Pflegedienste und sind zur häuslichen Krankenpflege
als Leistungserbringer zugelassen. Hinsichtlich Art und Umfang der
Leistungserbringung haben sie mit den Krankenkassen(verbänden) Verträge
geschlossen.
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Der Beklagte beschloss am 16.02.2000 die Krankenpflegerichtlinien, die am 13.05.2000
im Bundesanzeiger veröffentlich wurden. Sie regeln die Verordnung häuslicher
Krankenpflege durch Vertragsärzte, die Art, Umfang und Dauer der Krankenpflege, die
Genehmigung der Krankenpflege durch die Krankenkassen und die Zusammenarbeit
der Vertragsärzte mit den Pflegediensten und den Krankenhäusern. Verordnungsfähige
Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege sind in einem als Anlage der Richtlinien
beigefügten Leistungsverzeichnis zusammengestellt.
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Mit ihrer Klage haben sich die Kläger gegen die Rechtmäßigkeit der
Krankenpflegerichtlinien insgesamt sowie - hilfsweise - gegen die Rechtmäßigkeit
einzelner Bestimmungen gewandt.
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Dazu haben sie hinsichtlich des im Berufungsverfahrens noch streitigen Begehrens
vorgetragen, der Beklagte habe die ihnen durch § 132 a Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 SGB V
eingeräumte Kompetenz nahezu umfassend besetzt; dies habe zur Folge, dass die
Spitzenverbände der Krankenkassen als Partner der Rahmenempfehlungen nun nicht
mehr abweichend handeln dürften, wodurch die Gestaltungsmöglichkeiten der Kläger
vollständig ausgehöhlt seien; die Inhalte der häuslichen Krankenpflege festzulegen und
abzugrenzen sei gemäß § 132 a Abs. 1 S. 4 Nr. SGB V dagegen allein Gegenstand der
Rahmenempfehlung; Hintergrund sei, dass die Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht scharf abgegrenzt seien; zahlreiche Streitigkeiten und die
umfangreiche Rechtsprechung in diesem Bereich würden zeigen, dass der Beklagte zur
Regelung dieser Materie nicht zuständig sei, erst recht könne der Beklagte nicht den
Vorrang seiner Richtlinien gegenüber den Rahmenempfehlungen beanspruchen; sie
würden nicht einmal konkurrieren; so sei die mit § 132 a Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 SGB V
eingeräumte Kompetenz nahezu überflüssig, wenn sie nur soweit reiche, wie der
Richtliniengeber nicht tätig geworden sei; sollten die Kompetenzen tatsächlich
konkurrieren, hätten es die Spitzenverbände der Krankenkassen in der Hand, Standort
und Rechtsinstrument der Regelung nach ihrem Gutdünken zu bestimmen; vielmehr sei
der Beklagte (nur) für die Verordnung der häuslichen Krankenpflege und deren ärztliche
Zielsetzung zuständig, während (unter anderem) die Kläger von 1) bis 9) die Inhalte der
häuslichen Krankenpflege und deren Abgrenzung gemeinsam mit den Krankenkassen
zu regeln hätten; die Richtlinie setze zwar immer an der vertragsärztlichen Verordnung
an, vom Inhalt der verordneten Maßnahme sei aber in § 92 SGB V anders als im § 132 a
Abs. 1 S. 4 Nr. 1 SGB V nicht die Rede; insbesondere hätten die Partner der
Rahmenempfehlung die Aufgabe, einen Leistungskatalog zu errichten; gleiches gelte für
die Genehmigung von häuslicher Krankenpflege nach Abschnitt V der Richtlinien; aus
dem Gesetz folge ein Bewilligungsvorbehalt gerade nicht, auch sei es keine
Angelegenheit der Vertragsärzte zu entscheiden, inwieweit die Krankenkassen bis zur
Genehmigungsentscheidung Kosten für die vom Vertragsarzt verordneten und vom
Pflegedienst erbrachten Leistungen zu tragen hätten; im Übrigen sei diese Frage bereits
in Verträgen nach § 132 SGB V a. F. bzw. § 132 a Abs. 2 SGB V n. F. geregelt; durch
seine Kompetenzüberschreitung habe der Beklagte subjektives Recht der Kläger
jedenfalls verletzt, soweit sie selbst Träger von Einrichtungen seien; im Übrigen hätten
die klagenden Verbände eine Sachwalterstellung für die Leistungserbringer; schließlich
aber sei auch ihr Recht auf Verfahrensteilhabe verletzt; die Stellungnahmen der
Spitzenorganisationen seien bezüglich der Einwände gegen ein abschließendes
Leistungsverzeichnis komplett ausgefallen, der Beklagte habe nicht einmal auf die
Einwände erwidert; auch sei ihnen eine Einsicht in die Verwaltungsvorgänge verwehrt
worden.
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Die Kläger haben beantragt,
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festzustellen, dass die Richtlinien über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege"
nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V vom 16. Februar 2000, veröffentlicht im
Bundesanzeiger am 13. Mai 2000, unwirksam sind;
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hilfsweise festzustellen,
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dass die Ziffer 23 der Richtlinie sowie das Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen
der häuslichen Krankenpflege als Anlage der Richtlinien nichtig sind;
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äußerst hilfsweise festzustellen, dass
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- die Regelung über die pflegerischen Prophylaxen gemäß der Vorbemerkung zum
Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen "Pflegerische Prophylaxen, Lagern und
Hilfen bei der Mobilität sind Bestandteil der verordneten Leistung in dem Umfang, wie
sie zur Wirksamkeit notwendig sind, auch wenn die Häufigkeit, in der sie nach Maßgabe
der individuelle Pflegesituation erbracht werden müssen, von der Frequenz der
verordneten Pflegeleistungen abweichen,"
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- sowie die Leistungsbeschreibungen der Ziffern 16 und 18 des
Leistungsverzeichnisses unwirksam sind.
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Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bezweifelt zunächst die Zulässigkeit der Klage: Die Kläger zu 1) bis 9) stünden in
keinerlei Rechtsverhältnis zum Beklagten; zwar seien sie durch § 132 a SGB V mit den
Krankenkassen verknüpft; die Frage, ob durch die angegriffenen Richtlinien
Kompetenzregelungen verletzt seien, könne jedoch nur im Verhältnis zwischen den
Rahmenvertragspartnern geklärt werden; auch die Kläger zu 10) bis 13) würden
allenfalls in einem Rechtsverhältnis mit den die Pflegeleistungen bei Vorliegen einer
vertragsärztlichen Verordnung vergütenden Krankenkassen stehen; der Sache nach
hätten die Kläger einen abstrakten Normenkontrollantrag gestellt, der im
sozialgerichtlichen Verfahren unzulässig sei. Jedenfalls aber seien die Klagen
unbegründet: Um den gesetzlichen Auftrag zur Konkretisierung des Leistungsanspruchs
zu erfüllen, hätten die Richtlinien die verordnungsfähigen Pflegeleistungen festlegen
müssen; die dahingehende Ermächtigung des Beklagten bezüglich Inhalt und Umfang
der ärztlichen Behandlung beruhe auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage und
verletze die Verfassung nicht (BSG, Urteil vom 20.03.1996 - 6 RKa 62/94 - in: USK 96
116; Urteil vom 16.09.1997 - 1 RK 32/95 - in: USK 97 108); nur auf diesem Wege
könnten die Vertragsärzte ihrer Verpflichtung nachkommen, eine ausreichende,
notwendige und wirtschaftliche Versorgung der gesetzlich Krankenversicherten mit
verordnungsfähigen Pflegeleistungen sicher zu stellen; das Konkretisieren einer
gesetzlichen Aufgabe aber könne nicht zugleich Rechte Dritter verletzen; wenn die
Rahmenvereinbarungen nach § 132 a SGB V (nur) Empfehlungen seien und sie
darüber hinaus die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V zu berücksichtigen
hätten, folge daraus ein Richtlinienvorrang; insoweit könnten die Richtlinien die den
Klägern zu 1) bis 9) eingeräumten Kompetenzen nicht beeinträchtigen; auch durch die
Einzelregelungen seien die Kläger von 10) bis 13) nicht in ihren Rechten verletzt.
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Mit Urteil vom 27.03.2002 hat das Sozialgericht (SG) Köln die Klagen abgewiesen und
hinsichtlich der im Berufungsverfahren noch streitigen Teile zur Begründung ausgeführt,
dass die Klage insoweit zulässig seien, da die Kläger insgesamt geltend machten, in
ihrem durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Grundrecht auf freie Berufsausübung
durch die streitigen Vorschriften beeinträchtigt zu sein und nur im Wege der
Feststellungsklage gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG Rechtsschutz gegen untergesetzliche
Normsetzungen, die sich unmittelbar auf Rechtspositionen des Betroffenen auswirken,
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gewährt werden könne.
Die Klagen seien jedoch unbegründet, da die angegriffenen Richtlinien Rechte der
Kläger nicht beeinträchtigten und deshalb rechtmäßig seien. Die Kläger zu 1) bis 9)
werden nicht rechtswidrig in ihrem Recht aus Art. 12 GG eingeschränkt. Zwar wirken
sich die streitigen Bestimmungen mittelbar auf die Möglichkeiten der Kläger zu 1) bis 9)
aus, die Interessen der von ihnen vertretenen Leistungserbringer wahrzunehmen,
jedoch erfolge diese gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zulässige
Grundrechtseinschränkung durch § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V. Diese Einschränkung
sei auch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da lediglich die Berufsausübungsfreiheit
betroffen sei und insoweit als Gesetzeszweck der Schutz eines Gemeinschaftsgutes
genüge. Der Beklagte habe auch nicht die ihm grundsätzlich rechtmäßig eingeräumten
Befugnisse aus § 92 SGB V überschritten. Der Beklagte sei demokratisch legitimiert,
auch über die Leistungsrechte der Versicherten zu entscheiden. Die Regelung des
Abschnitts V sei geeignet und angemessen, um das Wirtschaftlichkeitsgebot im
Leistungsgeschehen der häuslichen Krankenpflege zu fördern. Zwar würden die
Vereinbarungsmöglichkeiten der Kläger zu 1) bis 9) im Rahmen des § 132 a Abs. 2 SGB
V eingeschränkt, jedoch sei dies wegen des Regelungsvorranges unerheblich.
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Die Kläger zu 1) bis 9) würden auch nicht durch das Verzeichnis verordnungsfähiger
Maßnahmen rechtswidrig beeinträchtigt; es sei gerade ureigen Angelegenheit der
Vertragsärzte, den Inhalt jener Leistungen zu bestimmen, die sie mit ihrer Verordnung
erbracht sehen wollten.
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Aus den gleichen Überlegungen folge, dass auch die Klagen der Kläger zu 10) bis 13)
unbegründet seien.
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Dagegen haben die Kläger Berufung eingelegt. Sie wiederholen und vertiefen im
Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Darüber hinaus weisen sie darauf hin,
dass sich die Zulässigkeit der Klage auch bereits aus § 132 a SGB V ergebe, da in die
Kompetenzen der Kläger zu 1) bis 9) zur Mitwirkung an untergesetzlicher Rechtsetzung
in Form von Rahmenempfehlungen eingegriffen werde. Ihnen sei der gesetzliche
Auftrag gegeben worden, die Interessen der Leistungserbringer zu vertreten.
Beeinträchtigungen dieses Auftrages könnten sie deshalb als eigene
Rechtsbeeinträchtigungen gerichtlich überprüfen lassen. Die Zulässigkeit der Klage der
Kläger zu 10 - 13) ergeben sich auch aus § 91 Abs. 9 SGB V. Denn danach seien die
Beschlüsse des Beklagten für die an der ambulanten Versorgung teilnehmenden
Leistungserbringer verbindlich. Es bestehe keine Normenhierarchie hinsichtlich der
Möglichkeiten des Beklagten zum Erlass von Richtlinien und der Rechte der Kläger zu
1) bis 9) bezüglich der Mitwirkung am Erlass von Rahmenempfehlungen. Es bestünden
auch keine konkurrierenden Richtlinien- und Empfehlungskompetenzen mit der
Konsequenz, dass für die Partner der Rahmenempfehlung nur dann ein
Handlungsspielraum bleibe, soweit und solange der Beklagte von seiner Kompetenz
noch keinen Gebrauch gemacht habe.
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Die Kläger beantragen,
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das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 27.03.2002 abzuändern und festzustellen, dass
die Richtlinien des Beklagten über die Verordnung häuslicher Krankenpflege nach § 92
Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 und Abs. 7 SGB V vom 16.02.2000 unwirksam sind, soweit gemäß
Ziffer 3 ein abschließendes Leistungsverzeichnis erstellt worden ist.
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Der Beklagte und der Beigeladene zu 2) beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Beklagte und die Beigeladenen halten das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
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Die Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Akten des SG Köln - S 19 KA 113/00
ER und S 19 KA 108/00 ER - haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird -
insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten - ergänzend Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufungen der Kläger sind zulässig, aber unbegründet. Die
Krankenpflegerichtlinien sind rechtmäßig, soweit gemäß Ziffer 3 ein abschließendes
Leistungsverzeichnis erstellt worden ist.
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Die Klagen der Kläger zu 1) bis 9) sind zulässig. Die Richtlinien des Beklagten stellen
eine Form der Rechtssetzung durch die Exekutive dar (BSGE 78, 70, 75 m.w.N.). Damit
ist das Klagebegehren auf Normgebung bzw. deren Modifizierung gerichtet. Da die
Kläger kein vollständiges Untätigbleiben des Beklagten rügen, sondern die Art und die
Form seines Tätigwerden beanstanden, scheidet eine Untätigkeitsklage (§ 88 SGG)
aus. Die höchstrichterliche sozialgerichtliche Rechtsprechung hat für
Rechtsschutzbegehren, die auf die Nichtanwendung vorhandener untergesetzlicher
Rechtsnorm abzielen, wegen Fehlens einer § 47 VwGO entsprechenden Regelung auf
die Feststellungsklage (§ 55 SGG) zurückgegriffen, um den Anforderungen des Art. 19
Abs. 4 GG gerecht zu werden (BSGE 71, 42, 52). Die Klägern zu 1) bis 9) können auch
geltend machen, durch das von ihnen gerügte Tätigwerden des Beklagten in eigenen
Rechten unmittelbar verletzt zu sein. Neben der bereits vom SG dargelegten möglichen
Beeinträchtigung der Kläger zu 1) bis 9) in ihrem Recht aus Art. 12 GG kommt vorrangig
eine mögliche Verletzung der den Kläger zu 1) bis 9) eingeräumten Rechte aus § 132 a
SGB V in Betracht. Denn durch den Erlass der streitigen Richtlinien einschließlich eines
abschließenden Leistungsverzeichnisses können die Mitwirkungs- und
Gestaltungsrechte der Kläger zu 1) bis 9) bei einem Erlass der gemeinsamen
Rahmenempfehlungen gemäß § 132 a SGB V verletzt sein, weil durch die
Ausgestaltung der streitigen Richtlinien und insbesondere des abschließenden
Leistungsverzeichnisses der entsprechende Gestaltungsspielraum gegen Null reduziert
ist.
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Die Klagen der Kläger zu 10) bis 13) sind unzulässig. Zwar hat das BSG in seinem
Urteil vom 28.06.2000 - B 6 KA 26/99 R - unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung
die Auffassung vertreten, dass in Bezug auf die Rechte von Leistungserbringern, die
bestimmte, im Einzelnen näher darzulegende Voraussetzungen erfüllen, durch
Richtlinien des Beklagten und andere abstrakt - generell normative Regelungen im
Bereich des SGB V durchaus auch Leistungserbringer in ihren Grundrechten aus Art. 12
Abs. 1 GG tangiert sein können, selbst wenn sie nicht Adressaten der Vorschriften sind.
Die Kläger zu 10) bis 13) sind nicht Adressaten der streitigen Regelung. Denn die
Krankenpflegerichtlinien richten sich allein an die Versicherten, Vertragsärzte und
gesetzlichen Krankenkassen. Entgegen der Ansicht der Kläger zu 10) bis 13) ergibt sich
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auch nicht aus § 91 Abs. 9 SGB V, dass die Beschlüsse des Beklagten - also hier die
streitigen Krankenpflegerichtlinien - für die Kläger zu 10) bis 13), die Pflegedienste
betreiben, verbindlich sind. Zwar wird in § 91 Abs. 9 SGB V eine Verbindlichkeit der
Beschlüsse des Beklagten u.a. für die an der ambulanten ärztlichen Versorgung
teilnehmenden Leistungserbringer bestimmt. Zu diesen Leistungserbringern im Sinne
von § 91 Abs. 9 SGB V zählen jedoch die Kläger zu 10) bis 13) nicht, da sie nicht an der
ambulanten ärztlichen Versorgung teilnehmen. Die Vorschrift des § 91 Abs. 9 SGB V
entspricht vielmehr der bis zum 31.12.2003 geltenden und in verschiedenen
Bestimmungen festgelegten Regelung.
Normative Bestimmungen wie die Richtlinien des Beklagten können jedoch auch dann
in die Berufsfreiheit des Art. 12 GG eingreifen, wenn sie zwar die Berufstätigkeit von
Dritten nicht unmittelbar berühren, jedoch sie selbst oder die auf ihrer Grundlage
ergangenen Maßnahmen in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung eines
Berufes stehen und objektiv eine berufsregelnde Tendenz haben. Dies ist bezüglich der
Kläger zu 10) bis 13) nicht der Fall. Denn die streitige Richtlinie des Beklagten berüht
die Kläger zu 10) bis 13) lediglich in Randbereichen ihrer beruflichen Betätigung, weil
die zum Kernbereich der beruflichen Betätigung der Kläger zu 10) bis 13) gehörende
inhaltliche Ausgestaltung der ihnen obliegende Pflegeleistungen von den streitigen
Richtlinien nicht berührt wird. In Kernbereiche ihrer beruflichen Betätigung wird - anders
als bei Diätassistenten (vgl. BSG a.a.O) - nicht eingegriffen. Darüberhinaus sind sie
auch was die Gewährung des Rechtsschutzes im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG
anbelangt ausreichend abgesichert. Sie haben einerseits die Möglichkeit im Rahmen
der Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen gemäß § 132 a Abs. 2 SGB V ihre
Ansichten - ggf. unter Zuhilfenahme der Gerichte - durchsetzen. Darüberhinaus wird ein
Gesamtvertrag auf Landesebene zwischen den Pflegedienstverbänden und den
Krankenkassen (Verbänden) geschlossen. Letztlich besteht noch die Möglichkeit durch
die Rahmenempfehlung gemäß § 132 a Abs. 1 SGB V über die Spitzenverbände der
Pflegedienste Einfluss zu nehmen.
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Die Klagen der Kläger zu 1) bis 9) sind unbegründet, soweit sie sich (im
Berufungsverfahren nur noch) gegen das gemäß Ziffer 3 abschließende
Leistungsverzeichnis richten.
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Die streitigen Richtlinien des Beklagten sind insoweit rechtmäßig und verstoßen nicht
gegen höherrangiges Recht. Ein Verstoß gegen die in § 132 a Abs. 1 SGB V normierten
Rechte der Kläger zu 1) bis 9) lässt sich nicht feststellen. Dies ergibt sich einerseits
bereits aus dem Wortlaut von § 132 a Abs. 1 SGB V, denn das Recht der für die
Wahrnehmung der Interessen von Pflegedienste maßgebliche Spitzenorganisationen
auf Bundesebene besteht nur "unter Berücksichtigung der Richtlinie nach § 92 Abs. 1
Satz 2 Nr. 6 SGB V". Bereits damit wird deutlich, dass die vom Beklagten zu
erlassenden Richtlinien Vorrang gegenüber den von den Klägern zu 1) bis 9) und
anderen zu vereinbarenden gemeinsamen Rahmenempfehlungen gemäß § 132 a Abs.
1 SGB V haben. Zwar wird für die vom Beklagten zu erlassenden Richtlinien in § 92
Abs. 7 SGB V anders als für die gemeinsamen Rahmenempfehlungen in § 132 Abs. 1
Satz 4 Nr. 1 SGB V nicht bestimmt, dass der Inhalt der häuslichen Krankenpflege
festgelegt werden soll. Dies steht jedoch dem Vorrang der Richtlinien des Beklagten
gegenüber den gemeinsamen Rahmenempfehlungen im Sinne von § 132 a Abs. 1 SGB
V nicht entgegen, denn die den für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten
maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene übertragenen Rechten zur
Bestimmung des Inhaltes der häuslichen Krankenpflege bestehen - wie Abs. 1 Satz 1
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deutlich macht - auch nur "unter Berücksichtigung der Richtlinien des Beklagten" und
damit lediglich soweit der Beklagte keine (entgegenstehenden) Bestimmungen getroffen
hat.
Diese sich bereits aus den Wortlaut aufdrängende Auslegung erweist sich als
zwingend, wenn man sie im Gesamtsystem der Versorgung der gesetzlich
Krankenversicherten betrachtet. Der Versicherte hat gemäß § 37 SGB V gegen die
Krankenkasse einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege als Sachleistung. Dieser
Anspruch wird hinsichtlich Art und Umfang durch die Richtlinien des Beklagten
konkretisiert. Denn für den Versicherten muss - gerichtlich nachprüfbar - feststehen,
welchen Inhalt sein Anspruch aus § 37 SGB V konkret hat. Gleichzeitig muss der vom
Versicherten aufgesuchte Vertragsarzt verbindlich wissen, welche Leistungen er
erbringen und insbesondere verordnen darf. Diese notwendige und systemimmanente
Rechtsklarheit kann aber nur durch Richtlinien des Beklagten erreicht werden. Denn die
Richtlinien des Beklagten haben Normqualität, sind Bestandteil des BMV-Ä, entfalten
unmittelbare Rechtswirkung, konkretisieren den Anspruch des Versicherten in der
Gestalt, dass sie einen entsprechenden Leistungskatalog aufweisen, und grenzen die
Leistungen der häuslichen Krankenpflege von den Pflegeleistungen des SGB XI ab.
Demgegenüber haben die gemeinsamen Rahmenempfehlungen gemäß § 132 a SGB V
keinerlei rechtliche Bindung für den Versicherten, den Vertragsarzt, die Krankenkassen
und die nichtärztlichen Leistungserbringer. Denn sie sollen lediglich ein Verhalten
Dritter (Pflegedienst- und Krankenkassenverbände) beeinflussen.
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Den Klägern zu 1) bis 9) kann auch nicht dahingehend gefolgt werden, dass durch die
streitigen Richtlinien des Beklagten ihre Rechte aus § 132 a SGB V sinnentleert
werden. Zwar hat der Beklagte in einem zur Konkretisierung des
Versichertenanspruches gemäß § 37 SGB V notwendigem Maße mit der Erstellung
eines abschließenden Leistungsverzeichnisses das Recht der Kläger zu 1) bis 9) aus §
132 a Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 SGB V zur Regelung der Inhalte der häuslichen
Krankenpflege begrenzt, jedoch ist dieses Recht der Kläger zu 1) bis 9) nicht zur leeren
Hülse geworden. Es bleibt vielmehr den für die gemeinsamen Rahmenempfehlungen
zuständigen Organisationen auch weiterhin das Recht und die faktische Möglichkeit,
Inhalte der häuslichen Krankenpflege, die der Beklagte in den streitigen Richtlinien
festgelegt hat, zu konkretisieren. Denn es ist ihnen unbenommen, in den gemeinsamen
Rahmenempfehlungen z.B. Art und Weise der Durchführung der vom Beklagten in den
Richtlinien festgelegten Pflegeleistungen zu erarbeiten und vorzuschlagen.
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Ein Verstoß der streitigen Richtlinien gegen Art. 12 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht
erkennbar. Insoweit schließt sich der Senat der Rechtsauffassung des SG an, dass
durch streitigen Richtlinien eine gemäß Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zulässige
Grundrechtseinschränkung seitens des Beklagten vorgenommen worden ist, die auch
gerechtfertigt ist, da lediglich die Berufsausübungsfreiheit in Randbereichen betroffen ist
und insoweit als Gesetzeszweck der Schutz eines Gemeinschaftsgutes genügt. Der
Beklagte ist demokratisch legitimiert, über die Leistungsrechte der Versicherten zu
entscheiden. Die streitigen Richtlinien sind geeignet und angemessen, das
Wirtschaftlichkeitsgebot im Leistungsgeschehen der häuslichen Krankenpflege zu
realisieren.
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Die Kostenentscheidung erfolgt gemäß § 193 SGG in der Fassung bis zum 01.01.2002.
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Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen
40
(§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).