Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 27.05.2010

LSG NRW (wirtschaftliches interesse, gebühr, aufwand, bieter, beschwerde, zuschlag, angebot, interesse, ermittlung, gabe)

Landessozialgericht NRW, L 21 KR 65/09 SFB
Datum:
27.05.2010
Gericht:
Landessozialgericht NRW
Spruchkörper:
21. Senat
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
L 21 KR 65/09 SFB
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss
der 3. Vergabekammer des Bundes vom 07.10.2009 geändert. Die
Gebühr wird auf 4.800,- Euro festgesetzt. Die Entscheidung ergeht
gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
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I.
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Die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (AG) wendet sich gegen die Festsetzung
der Gebühren der Vergabekammer (VK).
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Die AG, eine gesetzliche Krankenkasse, schrieb im Supplement zum Amtsblatt der
Europäischen Gemeinschaften Arzneimittelrabattvereinbarungen in sieben Fachlosen
aus (ABl. EG 2009/S 71-102928 v. 11.04.2009, berichtigt durch Bekanntmachung ABl.
EG 2009/S 81-116769 v. 28.04.2009). Für den Zuschlag waren jeweils drei Bieter pro
Fachlos vorgesehen. Die Rabattverträge (RV) sollten gemäß § 7 Abs. 1 und 2 RV für
eine Laufzeit von zwei Jahren geschlossen werden und sich - für den Fall, dass keine
Kündigungen erfolgen - bei einer maximalen Vertragslaufzeit von insgesamt vier Jahren
um jeweils ein Jahr verlängern.
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Die Antragstellerin (AS) - ein pharmazeutischer Unternehmer i.S.d. § 4 Abs. 18
Arzneimittelgesetz (AMG) - gab zu den Fachlosen 1 sowie 3 bis 7 Angebote ab. Nach
Angebotswertung setzte die AG die AS darüber in Kenntnis, dass sie im Hinblick auf die
Fachlose 1 und 3 für den Zuschlag vorgesehen sei, im Übrigen jedoch nicht mit einer
Zuschlagserteilung rechnen könne.
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In ihren daraufhin gestellten Nachprüfungsantrag hat die AS ausdrücklich auch die Lose
1 und 3 einbezogen. Sie hat vorgetragen, dass sie den Zuschlag lediglich unter
Bedingungen erhalte, die sie als vergaberechtswidrig erachte. Für Los 2 habe sie nur
deshalb kein Angebot abgegeben, weil die AG trotz Rüge an der Vorgabe, Angebote zu
sämtlichen Wirkstärken und Packungsgrößen abzugeben, festgehalten habe. Sie hat
ferner geltend gemacht, dass der Abschluss von Rahmenvereinbarungen mit drei
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Unternehmen ohne Regelung der "Einzelabrufe" gegen Vergaberecht verstoße und
dass die von der AG vorgesehene Verlängerung der Bindesfrist für den Fall eines
Nachprüfungsverfahrens ein ungewöhnliches Wagnis darstelle.
Durch - bestandskräftigen - Beschluss vom 22.07.2009 hat die VK der AG untersagt,
Zuschläge zu erteilen und der AG bei fortbestehender Beschaffungsabsicht aufgegeben,
das Verfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der VK hinsichtlich des
Einzelabrufs unter mehreren Rabattvertragspartnern sowie der automatischen
Bindefristverlängerung zu wiederholen. Im Übrigen hat sie den Nachprüfungsantrag
zurückgewiesen und die Kosten des Verfahrens der AG zu 9/10 und der AS zu 1/10
auferlegt.
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Mit Beschluss vom 07.10.2009 hat die VK die Gebühr für das Nachprüfungsverfahren
auf 11.800,00 Euro festgesetzt und zur Begründung ausgeführt: Die wirtschaftliche
Bedeutung des Gegenstandes des Nachprüfungsverfahrens ergebe sich stets aus dem
Bruttowert des Auftrags, um dessen Erhalt sich ein Antragsteller bemüht habe. Dieser
sei hier unter Berücksichtigung der aus den Nettopreisen der von der AS abgegeben
Angebote zzgl. USt. und der Gesamtlaufzeit des Rabattvertrages von vier Jahren mit
einem Wert von über 35.000.000,00 Euro zu beziffern. Im Hinblick auf das Fachlos 2
habe - da die AS kein Angebot abgegeben habe - auf den Durchschnittspreis sämtlicher
unterbreiteter Angebote abgestellt werden müssen. Der auf diese Weise ermittelte
Gesamtbetrag habe der AS vollständig zugerechnet werden müssen, da sie mit dem
Nachprüfungsantrag die Wirksamkeit der Rahmenvereinbarungen an sich bzw. deren
rechtliche Ausgestaltung in Frage gestellt habe. Nach Maßgabe der aufgrund von
Erfahrungswerten gebildeten Gebührenstaffel resultiere daraus eine Gebühr von
13.875,00 Euro. Angesichts des Umstandes, dass das Nachprüfungsverfahren rechtlich
mit weiteren Parallelverfahren gleichgelagert gewesen sei, habe der personelle und
sachliche Aufwand unter dem Durchschnitt gelegen, so dass sich eine Reduzierung auf
11.800,00 Euro als angemessen darstelle.
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Die AG macht mit der sofortigen Beschwerde geltend, dass die wirtschaftliche
Bedeutung eines Nachprüfungsverfahrens objektiv nach allgemeinen, typisierenden
Gesichtspunkten zu bestimmen sei. Auf die spezielle Bedeutung gerade für die
Beteiligten des jeweiligen Nachprüfungsverfahrens könne demgegenüber nicht
abgestellt werden. Die AS habe allenfalls einen Zuschlag gemeinsam mit zwei weiteren
Bietern erhalten können. Daher habe sich ihr wirtschaftliches Interesse höchstens auf
ein Drittel des Gegenstandswertes belaufen können. Das Argument der VK, dass die AS
den gesamten Rahmenvertrag als solchen angegriffen habe, verfange nicht, weil die
spezielle Bedeutung des Nachprüfungsantrages für eine Partei gerade keine Relevanz
entfalten dürfe. Überdies habe die VK übersehen, dass aufgrund des nicht
voraussehbaren Verordnungsverhaltens der Vertragsärzte allenfalls mit einer
Umsetzungsquote von 70 % zu rechnen sei.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Beschluss der 3. Vergabekammer des Bundes vom 07.10.2009 zu ändern und die
Gebühr auf höchstens 6.000,00 Euro festzusetzen.
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Die AS und die Beigeladenen (BG) stellen keine Anträge.
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Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und
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Vergabekammerakten.
II.
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Die sofortige Beschwerde erweist sich als begründet. Die Gebühr für das
Nachprüfungsverfahren ist auf einen Betrag von 4.800,00 Euro festzusetzen.
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Auf das vorliegende Verfahren sind, wie bereits die VK zutreffend ausgeführt hat, nicht
die Regelungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der
Fassung des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.04.2009 (BGBl. I
S. 790) anwendbar, weil das Vergabeverfahren vor Inkrafttreten dieses Gesetzes
(24.04.2009) begonnen hat (vgl. § 131 Abs. 8 GWB).
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Gemäß § 128 Abs. 1 GWB in der hier anwendbaren Fassung werden für die
Amtshandlungen der VK Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des
Verwaltungsaufwandes erhoben. § 128 Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB sieht dabei einen
Gebührenrahmen zwischen 2.500,00 Euro und 25.000,00 Euro vor. Innerhalb dieses
Gebührenrahmens bestimmt sich die im Einzelfall angemessene Gebühr nach dem
personellen und sachlichen Aufwand der VK unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen
Bedeutung des Gegenstandes des Nachprüfungsverfahrens (§ 128 Abs. 2 Satz 1 GWB).
Die Gebühr kann von der VK aus Billigkeitsgründen bis auf ein Zehntel ermäßigt oder -
sofern der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit
außergewöhnlich hoch sind - auf bis zu 50.000,00 Euro erhöht werden (§ 128 Abs. 2
Satz 2 und 3 GWB).
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Zur Bemessung ihrer Gebühren wendet die VK in ständiger Praxis eine Gebührenstaffel
an, wonach die in § 128 Abs. 2 GWB normierte Mindestgebühr von 2.500,00 Euro bei
Auftragswerten bis zu 80.000,00 Euro anfällt, die gesetzliche Höchstgebühr von
25.000,00 Euro bei Auftragswerten von 70 Mio. Euro und mehr entsteht und bei der für
die dazwischen liegenden Auftragswerte die jeweilige Gebühr durch Interpolation zu
ermitteln ist. Gegen diesen Berechnungsansatz bestehen keine Bedenken. Durch die
Anwendung der Gebührenstaffel wird eine einheitliche Handhabung und Transparenz
bei der Gebührenbemessung sichergestellt (Lausen, NZBau 2005, 495, 495). Mit der
Anknüpfung an die jeweilige Auftragssumme wird zudem nicht nur der wirtschaftlichen
Bedeutung der im Nachprüfungsverfahren zu kontrollierenden Auftragsvergabe
Rechnung getragen, sondern zugleich auch dem personellen und sachlichen Aufwand,
den die VK zur Erledigung des Nachprüfungsbegehrens aufzuwenden hat. Denn in der
Regel steigt mit der Höhe der Auftragsumme auch die Komplexität und Schwierigkeit
des Streitfalls in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht und mithin auch der zur
Bewältigung des Nachprüfungsverfahrens erforderliche Aufwand. Sofern im Einzelfall
jedoch der Sach- und Personalaufwand aus dem Rahmen dessen fällt, was ein
Nachprüfungsantrag der betreffenden wirtschaftlichen Größenordnung und Bedeutung
üblicherweise mit sich bringt, muss diesem Umstand durch eine angemessene
Erhöhung oder Herabsetzung der in der Gebührenstaffel ausgewiesenen Basisgebühr
Rechnung getragen werden (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 12.05.2004 - VII-Verg 27/04
m.w.N.).
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Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen ist die Gebühr für das Nachprüfungsverfahren
auf 4.800,00 Euro festzusetzen.
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Ausschlaggebend für die Ermittlung der Auftragssumme ist das wirtschaftliche Interesse
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eines Antragstellers an dem Verfahrensergebnis, letztlich also seine Gewinnerwartung
bei Erteilung des Zuschlags (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss v. 06.04.2005 - 1
Verg 2/05, NZBau 2005, 486). Zwar existiert aufgrund der Besonderheiten der
Rabattvertragskonstruktion im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
eine konkret bezifferte, in Geld ausgedrückte und von dem öffentlichen Auftraggeber zu
zahlende Bruttoauftragssumme nicht (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss v.
20.07.2005 - VII-Verg 102/04, NZBau 2005, 654). Zur Ermittlung der Bruttoauftragssume
ist hier jedoch auf den näherungsweise ermittelten Angebotswert abzustellen. Dabei
unterliegt es keinen Bedenken, dass die VK vor dem Hintergrund, dass die AS für das
Fachlos 2 kein eigenes Angebot abgegeben hat, auf den Durchschnittspreis aller
vorliegenden Angebote abgestellt hat.
Demnach war zunächst gemäß § 3 Abs. 6 VgV unter Berücksichtigung der in § 7 Abs. 2
RV vorgesehenen Verlängerungsoption um insgesamt zwei Jahre von einer
Gesamtlaufzeit des RV von vier Jahren und einer Auftragssumme i.H.v. 35.622.814,70
Euro auszugehen. Diese muss jedoch für die Bemessung der Gebühren der VK
angesichts einer durchschnittlichen Umsetzungsquote der RV von ca. 70 %
entsprechend reduziert werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss v. 17.02.2009
- L 11 WB 381/09, ZMGR 2009, 94, juris Rdn. 130).
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Des weiteren ist bei Vergabeverfahren, bei denen mehrere Bieter als
Zuschlagsempfänger vorgesehen sind, die Auftragssumme grundsätzlich entsprechend
der Anzahl der in Betracht kommenden Zuschlagsempfänger zu teilen, so dass auf die
AS lediglich ein Drittel der Auftragssumme entfällt. Jedenfalls in der hier vorliegenden
Konstellation ist nicht davon auszugehen, dass die AS mit ihrem Nachprüfungsantrag
vom 06.07.2009 eine Änderung der Vergabekonzeption dahingehend geltend gemacht
hat, dass im Hinblick auf die einzelnen Fachlose Zuschläge lediglich an einen Bieter
erteilt werden dürften. Vielmehr hat sie gerügt, dass die Voraussetzungen für die - nach
Erteilung der Zuschläge vorzunehmenden - Einzelabrufe nicht geregelt worden seien,
im Übrigen jedoch nicht in Zweifel gezogen, dass Zuschläge grundsätzlich an drei
Bieter erteilt werden dürfen. Angesichts dessen war ihr wirtschaftliches Interesse bei
gebotener typisierender Betrachtung auf lediglich ein Drittel der Gesamtauftragssume
beschränkt.
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Vor dem Hintergrund, dass der personelle und sachliche Aufwand aufgrund von
rechtlich und tatsächlich im Wesentlichen gleichgelagerten Parallelverfahren unter dem
Durchschnitt lag, war die sich aus der Gebührenstaffel ergebende Basisgebühr von
5.150,00 Euro um 350,00 Euro auf 4.800,00 Euro zu reduzieren.
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Nach alledem ergibt sich die folgende Gebührenberechnung:
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Auftragswert 35.622.814,70 Euro Umsetzungsqouote: 70% 24.935.970,29 Euro Drei
RV-Partner: 1/3 8.311.990,10 Euro Abzugsbetrag: 80.000,00 Euro 8.231.990,10 Euro
Faktor: 0,00032 2.634,24 Euro Gebühr (= gerundet auf 25,00 Euro) 2.625,00 Euro zzgl.
Basisgebühr: 2.500,00 Euro 5.125,00 Euro Abzug gem. § 128 Abs. 2 Satz 2 GWB
325,00 Euro Gebühr 4.800,00 Euro
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 142a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 120 Abs. 2, 78 GWB.
Im Rahmen der in § 78 Satz 1 GWB vorgesehenen Billigkeitsentscheidung war der
Rechtsgedanke des § 66 Abs. 8 GKG zu berücksichtigen (vgl. auch OLG Düsseldorf;
Beschluss v. 10.11.2008 - VII-Verg 45/08).
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Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§§ 142a, 177 SGG).
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