Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 04.02.2003
LSG Nsb: versorgung, niedersachsen, akte, minderung, zustand, befund, unfall, gonarthrose, empfehlung, erwerbsfähigkeit
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 04.02.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 2 VS 51/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 5 VS 13/01
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit steht der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Versorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG).
Der 1973 geborene Kläger diente von April 1993 bis März 1997 als Stabsunteroffizier bei der Panzerbattaillon in
Altenwalde. Am 6. September 1995 erlitt er auf der Rückfahrt vom Truppenübungsplatz zum Standort einen Unfall.
Beim Überfahren einer Bodenwelle mit dem Panzer rutschte er vom Kommandantensitz und prallte mit dem linken
Knie auf die Bodenplatte. Dabei zog er sich eine Tibialkopffraktur links mit abgesunkener lateraler Gelenkfläche zu.
Die Erstversorgung fand im Stadtkrankenhaus I. statt. Die stationäre Weiterbehandlung erfolgte mit Osteosynthese
und Rekonstruktion der tibialen Gelenkfläche sowie Spongiosaplastik vom 7. bis 27. September und 29. September
bis 2. Oktober 1995 im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg.
Das Wehrbereichsgebührnisamt III zog die Krankenunterlagen des Klägers einschließlich der Behandlungsunterlagen
über den Unfall vom 6. September 1995 bei und beauftragte Oberstabsarzt (OSA) J. mit der Erstattung eines
truppenärztlichen Gutachtens. In seinem Gutachten vom 17. Juli 1996 stellte der Truppenarzt als wehrdienstbedingte
Gesundheitsstörung fest:
Zustand nach osteosynthetisch versorgter Tibialkopfimpressionsfraktur links fibulare Ansatztendinose/
Ansatzligamentose linkes Kniegelenk.
Die MdE beurteilte er für die ersten 6 Monate mit 50 vH und danach mit 25 vH. In ihrem versorgungsärztlichen
Gutachten vom 7. Dezember 1996 kam die Fachärztin für Chirurgie Dr. K. zur selben Diagnose, allerdings zu einer
abweichenden Beurteilung der MdE. Die MdE bewertete sie für den Zeitraum vom 5. September 1995 bis Ende
Februar 1996 mit 50 vH und danach mit 20 vH.
Mit Bescheid vom 27. Dezember 1997 bewilligte das Wehrbereichsgebührnisamt III einen Ausgleich nach § 85 SVG
und erkannte als Folge einer Wehrdienstbeschädigung an:
”Operativ versorgter Schienbeinkopfstauchungsbruch links mit Bewegungseinschränkung und Reizzuständen.”
Gleichzeitig wurde mitgeteilt, dass die MdE 50 vH ab 5. September 1995 betrage. Die Zahlung des Ausgleichs
beginne am 1. September 1995 und ende am 31. März 1996, weil danach eine rentenberechtigende MdE nicht mehr
vorliege. Dagegen erhob der Kläger Beschwerde. Mit Schreiben vom 10. April 1997 teilte das
Wehrbereichsgebührnisamt III dem Kläger mit, dass es das anhängige Beschwerdeverfahren aussetze, bis das
Versorgungsamt über den vom Kläger gestellten Antrag auf Versorgung nach § 80 SVG entschieden habe.
Unter dem 21. Januar 1997 stellte der Kläger beim Versorgungsamt einen Antrag auf Gewährung von
Beschädigtenversorgung. Nach Auswertung der beigezogenen Befundberichte und Gutachten erkannte der Beklagte
mit Bescheid vom 22. Juli 1998 als Schädigungsfolge an:
”Geringfügig ausgeprägte Verschleißerscheinungen im äußeren (lateralen) Bereich des linken Kniegelenkes nach
operativ behandeltem Schienbeinkopfbruch.”
Zugleich wurde festgestellt, dass die anerkannten Schädigungsfolgen eine rentenberechtigende MdE nicht bedingen.
Gegen diesen Bescheid wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch vom 27. Juli 1998. Nach Auswertung des
Befundberichtes des Hausarztes und Allgemeinmediziners Dr. L. durch Medizinaldirektor Dr. M. in seiner
versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 12. Januar 1999 erließ der Beklagte den Teilabhilfebescheid vom 22.
Januar 1999. Darin half er dem Widerspruch des Klägers insoweit ab, als er die anerkannten
Wehrdienstbeschädigungsfolgen wie folgt neu bezeichnete und ergänzte:
”Geringfügig ausgeprägte Verschleißerscheinungen im äußeren (lateralen) Bereich des linken Kniegelenkes und
Lockerung des äußeren (lateralen) Seitenbandapparates des linken Kniegelenkes sowie reizlose Hautnarbe in diesem
Bereich nach operativem Schienbeinkopfbruch.”
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1999 wies der Beklagte den Widerspruch im übrigen zurück. Zur
Begründung führte er im wesentlichen aus, dass für die Bewertung eines Gelenkschadens der Zustand der Muskulatur
bedeutsam sei. Ein wesentlicher Unterschied zwischen der muskulären Situation im rechten und linken Bein sei nicht
festgestellt worden. Dies lasse darauf schließen, dass das linke Bein trotz des anerkannten Kniegelenkschadens
weitgehend uneingeschränkt benutzt werde.
Dagegen hat der Kläger am 11. März 1999 Klage erhoben, mit der er seinen Versorgungsanspruch weiterverfolgt. Zum
Beweis hat er sich auf das Privatgutachten des Arztes für Chirugie und Orthopädie Dr. N. vom 9. März 1999 sowie die
Befundberichte seines Hausarztes Dr. L. berufen.
Das Sozialgericht (SG) Stade hat auf Antrag des Klägers gemäß Beweisbeschluss vom 4. Juli 2000 das
fachorthopädische Gutachten von Dr. O. (Chefarzt der Orthopädischen Klinik, P.) vom 15. September 2000 eingeholt.
Daraufhin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 26. März 2001 die Bezeichnung der anerkannten Schädigungsfolgen
dahin geändert:
”Verschleißerscheinungen im äußeren Bereich des linken Kniegelenks und Lockerung des äußeren
Seitenbandapparates des linken Kniegelenks mit Bewegungseinschränkung sowie reizlose Hautnarbe in diesem
Bereich nach operativ behandeltem Schienbeinkopfbruch.”
Mit Urteil vom 20. April 2001 - zugestellt am 30. Mai 2001 - hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat auf die
Begründungen der angefochtenen Bescheide, insbesondere des Widerspruchsbescheides verwiesen. Entscheidend
für die Beurteilung der MdE sei das Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung. Da beim Kläger eine Schonatrophie nicht
habe festgestellt werden können, könne die Funktionseinschränkung nicht signifikant sein.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner am 19. Juni 2001 eingegangenen Berufung. Im wesentlichen macht er
geltend, das SG stütze sein Urteil zwar auf das fachorthopädische Gutachten von Dr. O ... Es übersehe dabei
allerdings, dass der Gutachter wohl davon ausgegangen sei, die empfohlene MdE von 20 vH begründe einen
Versorgungsanspruch. Als Beweis für seinen Versorgungsanspruch verweist der Kläger auf die gutachterliche
Beurteilung von OSA J. vom 17.07.96. OSA J. habe die nach den ersten 6 Monaten verbliebene MdE mit mindestens
25 vH angesetzt. Seit der damaligen Beurteilung sei eine Besserung nicht eingetreten. Darüber hinaus bezieht sich
der Kläger auf das Privatgutachten von Dr. N. sowie die Bescheinigungen seines Hausarztes Dr. L. vom 4. September
1998, 1. März 2000 und 17. Juli 2000.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des SG Stade vom 20. April 2001, den Bescheid vom 22. Juli 1998, den Teilabhilfebescheid vom 22.
Januar 1999 sowie den Widerspruchsbescheid vom 15. Februar 1999 zu ändern,
2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger ab Januar 1997 wegen der neu bezeichneten Schädigungsfolgen, wie sie
sich aus dem Schriftsatz des Beklagten vom 26. März 2001 ergeben, Beschädigtenversorgung nach einer MdE von
mindestens 25 vH zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Entscheidungen für rechtmäßig. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Akte des
Versorgungsamts und die WDB Akte sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind nicht zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Versorgung nach einer MdE um mindestens 50 vH.
Nach § 80 Abs. 1 SVG setzt der Anspruch des Klägers auf Beschädigtenversorgung voraus, dass eine
Wehrdienstbeschädigung im Sinne des § 81 Abse. 1 und 6 SVG anerkannt ist, die eine rentenberechtigende MdE um
mindestens 25 vH nach § 9 Nr. 3, §§ 30 Abs. 1, 31 Abs. 2 2. Halbsatz BVG bedingt.
Unstreitig besteht beim Kläger infolge des Unfalls vom 6. September 1995 eine Wehrdienstbeschädigung im linken
Knie im Sinne des § 81 SVG. Die Schädigungsfolgen sind nach dem Vorschlag des Sachverständigen Dr. O. zu
bezeichnen, wie der Beklagte im Schriftsatz vom 26. 03. 2001 anerkannt hat.
Allerdings resultiert aus dieser Knieverletzung, wie das SG rechtsfehlerfrei festgestellt hat, keine rentenberechtigende
Minderung der Erwerbsfähigkeit. Nach § 31 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 BVG wird eine Beschädigten- Grundrente
erst ab einer MdE um 25 vH gezahlt. Die Beurteilung der MdE ihrerseits richtet sich nach § 30 Abs. 1 BVG. Nach
Satz 2 dieser Vorschrift ist maßgebend, um wieviel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und
deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten
Gesundheitsstörungen beeinträchtigt ist. Für diese Beurteilung ist auf die Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP 1996) abzustellen.
Im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung sind diese ”antizipierten Sachverständigengutachten” wie
untergesetzliche Normen von der Verwaltung und den Gerichten anzuwenden.
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe erreicht die als Wehrdienstbeschädigung anerkannte Funktionseinschränkung
des linken Knies des Klägers keine MdE um mindestens 25 vH. Dabei ist in Rechnung zu stellen, dass für die
Bemessung der MdE die Funktionseinschränkung des Gelenks maßgeblich ist, also die tatsächlichen Auswirkungen
der in bildgebenden Verfahren festgestellten Befunde. Deshalb vermag der von Dr. L., dem Hausarzt des Klägers, in
seiner ärztlichen Bescheinigung vom 17. Juli 2000 angeführte Befund des Radiologen Dr. Q. vom 18. Juni 1998
”geringfügige laterale sekundäre Gonarthrose” keine höhere Bewertung der MdE zu begründen. Gleiches gilt für den
von Dr. R. in seinem Privatgutachten vom 9. März 1999 genannten röntgenologischen Befund einer diskreten
Wulstung der lateralen Schienbeinkopfgelenkflächenkante, die er als Zeichen einer posttraumatischen arthrotischen
Veränderung wertet.
Nach Nr. 26.18, S. 152 der AHP 1996 wird eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk mittleren Grades nur mit
einer MdE um 20 bewertet. Eine Bewegungseinschränkung mittleren Grades wird z. B. angenommen, wenn die
Streckung nach der Neutral-0-Methode 0/10/90 beträgt. Die Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. O. ergab
jedoch eine Streckung/Beugung links von 0/0/110, was in Relation zu den Normalwerten (0/0/120-150) auf eine nur
gering gradige Einschränkung hinweist. So werden Messwerte bei Streckung/Beugung bis 0/0/90 in den AHP auch nur
als gering gradig eingestuft und mit einer MdE von 0 - 10 bewertet. Auch die Untersuchung durch den
Medizinaldirektor Dr. M. im Rahmen seines versorgungsärztlichen Gutachten vom 16. August 1998 ergab für
Streckung/Beugung nach der Neutral-0-Methode mit 5/0/120 günstige Werte. Entsprechend wurde die
Schädigungsfolge im linken Knie auch nur mit einer MdE um 10 bemessen. Die Umfangdifferenz zwischen rechtem
und linkem Oberschenkel von 1 cm sowie zwischen den Unterschenkeln von 1,5 cm hat der fachorthopädische
Sachverständige Dr. O. als nur leichte Verschmächtigung eingeordnet. Die nur leichte Minderung der Muskelmasse ist
mithin kein Hinweis auf eine signifikante Schonathrophie. Im Gegenteil deutet sie eher auf eine kaum eingeschränkte
Gebrauchsfähigkeit des linken Beines hin. Größere Umfangdifferenzen hat auch der Dr. R. in seinem Privatgutachten
nicht befundet. Danach muss die Bewertung der MdE von 20 vH bereits als günstig angesehen werden.
Ob der fachorthopädische Sachverständige Dr. O. davon ausgegangen ist, bereits bei einer MdE um 20 vH bestehe
Anspruch auf Beschädigtenrente - wie der Kläger meint -, ist unerheblich. Abgesehen davon, das sich kein objektiver
Anhaltspunkt für diese Vermutung findet, hat die vom Sachverständigen benannte MdE lediglich den Charakter einer
Empfehlung. Das Gericht ist an diese Einschätzung nicht gebunden. Die Festsetzung der MdE ist eine Rechtsfrage
und damit Aufgabe des Gerichts. Der Senat teilt die Ansicht des Sachverständigen, dass die MdE nicht höher als 20
vH einzustufen ist. Die Einschätzung von OSA J., sie betrage 25 vH, ist demgegenüber nicht nachvollziehbar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein Grund die Revision zuzulassen, besteht nicht ( § 160 Abs.2 SGG ).