Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 16.10.2007

LSG Nsb: serbien und montenegro, ausreise, ausländer, kosovo, treu und glauben, anerkennung, einreise, beeinflussung, abschiebung, niedersachsen

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 16.10.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 51 AY 39/05
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 11 AY 28/05
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten. Die
Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Kläger begehren die Gewährung von Leistungen nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der am M. in N. (Nord-Kosovo) geborene Kläger zu 1.) reiste am 29. März 1993 zusammen mit seiner am 23.
September 1962 in O. (Kosovo) geborenen Ehefrau, der Klägerin zu 2.), und den gemeinsamen vier Kindern, den am
P. und Q. geborenen Klägern zu 3.) und 4.) sowie dem am R. geborenen Kläger im Verfahren L 11 AY 50/06 und dem
am S. geborenen Kläger im Verfahren L 11 AY 55/07 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Der Kläger zu 5.) wurde
am T. in U. geboren. Der Personalausweis des Klägers zu 1.) wurde am 18. September 1996 hinterlegt. Seit ihrer
Einreise werden die Kläger geduldet, soweit sie nicht zwischenzeitlich eine Aufenthaltsgestattung nach dem AsylVfG
erhalten hatten. Am 11. Juni 1996 wurden die Kläger durch die Hansestadt U. aufgefordert, sich bei der zuständigen
Botschaft um die Ausstellung von Nationalpässen zu bemühen.
Am 19. Juni 1996 beantragten sie ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Dabei gaben sie an, albanische
Volkszugehörige zu sein und nur albanisch sprechen zu können. Anträge auf Ausstellung von Passersatzpapieren
wurden schon frühzeitig von den Klägern unterschrieben. Bei der Anhörung am 3. Juli 1996 gaben die Kläger zu 1.)
und 2.) an, einen Reisepass nie besessen zu haben. Personalausweise, Geburtsurkunde und Heiratsurkunde hätten
sie in U. abgegeben. Das Asylbegehren stützen die Kläger zu 1.) und 2.) auf Übergriffe und Benachteiligungen durch
die Serben sowie den Erhalt eines Einberufungsbescheides. Die Asylanträge wurden durch Bescheid des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12. Juli 1996 abgelehnt und die Kläger unter
Abschiebungsandrohung zur Ausreise aufgefordert. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die damalige Lage im
Kosovo die Annahme einer Gruppenverfolgung der Kosovo-Albaner nicht rechtfertige. Die hiergegen eingereichte
Klage wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts V. vom 21. April 1997 –W. – abgewiesen. Der Antrag auf Zulassung
der Berufung wurde durch Beschluss des OVG X. vom 21. Mai 1997 –Y. – abgelehnt.
Nach einem Schreiben des Z. AA. vom 13. Mai 1993 sollen die Kläger "albanische Roma" sein. Im Antrag auf
Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen vom 4. Juni 1997 betone der Prozessbevollmächtigte der Kläger, dass diese
Kosovo-Albaner seien. Am 10. September 1997 erklärten die Kläger, nicht bereit zu sein, freiwillig in ihr Heimatland
auszureisen. Eine von den Klägern eingereichte Bescheinigung des jugoslawischen Generalkonsulats vom 25. August
1997, wonach Reisedokumente aus politischen Gründen nicht ausgegeben werden, erwies sich als Fälschung (vgl.
Auskunft vom 28. Oktober 1997). Unter dem 11. September 1997 beantragte der nunmehr zuständig gewordene
Landkreis AB. beim jugoslawischen Bundesministerium der Innere Angelegenheiten die Rückübernahme für alle
Kläger. Durch Schreiben vom 2. April 1998 wurde die Rückübernahme des Klägers zu 1.) bestätigt. Ein
entsprechendes Antwortschreiben bezogen auf die übrigen Familienmitglieder ist nicht aktenkundig.
Am 6. Oktober 1997 beantragten sie erneut gestützt auf das Schreiben des jugoslawischen Generalkonsulats vom 25.
August 1997 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens wurde durch
Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 28. Oktober 1997 abgelehnt. Das
hiergegen eingeleitete Klageverfahren wurde durch Beschluss des Verwaltungsgerichts AB. vom 8. Januar 1998 –AC.
– eingestellt.
Am 7. Juni 1999 stellten sie einen weiteren Asylfolgeantrag. In diesem Verfahren legten sie eine Bescheinigung der
AD. Deutschland e.V. vom 8. September 2000 vor, wonach die Kläger Roma seien, die sich als Schutzbehauptung
als Albaner ausgegeben hätten. Dieser Antrag wurde durch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 6. Juni 2002 abgelehnt. Die hiergegen eingereichte Klage wurde durch Urteil des
Verwaltungsgerichts AB. vom 9. Dezember 2002 –AE. – abgewiesen.
Am 11. April 2007 wurde zwischen den Klägern zu 1.) und 2.) und ihren minderjährigen Kindern, den Klägern zu 4.)
und 5.), der inzwischen volljährigen Klägerin zu 3.), dem Kläger im Verfahren L 11 AY 50/06, dem Kläger im Verfahren
L 11 AY 55/07 und dem Landkreis AB. in Umsetzung des Runderlasses des Niedersächsischen Ministeriums für
Inneres und Sport vom 6. Dezember 2006 eine Integrationsvereinbarung geschlossen.
Die Kläger beziehen seit Jahren Leistungen nach AsylbLG. Bis zum 1. Oktober 2004 wurden ihnen Leistungen in
Anwendung des § 2 Abs. 1 AsylbLG gewährt. Durch Bescheid vom 27. Dezember 2004, der den Zeitraum vom 1.
Januar 2005 bis 31. Januar 2005 regelte, wurden den Klägern des vorliegenden Verfahrens nur noch Leistungen nach
§§ 1, 3 AsylbLG bewilligt. Der hiergegen eingelegte Widerspruch vom 14. Januar 2005 wurde durch den
Widerspruchsbescheid vom 22. März 2005 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Kläger im
Sinne der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 AsylbLG die Dauer ihres Aufenthaltes
rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst hätten. Es lägen keine Gründe vor, die eine freiwillige Ausreise als
unzumutbar erscheinen lassen würden. Selbst wenn die Kläger eine Ausreise in das Kosovo vermeiden wollten, bliebe
es ihnen unbenommen, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, in das "restliche" Staatsgebiet von Serbien und
Montenegro auszureisen, so dass hier Rückkehralternativen bestünden.
Auf die hiergegen am 4. April 2005 eingelegte Klage hat das Sozialgericht Hannover durch Gerichtsbescheid vom 23.
Mai 2005 die Beklagte verpflichtet, den Klägern ab dem 1. Januar 2005 bis zum 22. März 2005 Leistungen nach § 2
Abs. 1 AsylbLG zu gewähren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass den Klägern auch als Roma aus dem Kosovo
eine freiwillige Ausreise möglich und zumutbar sei. Nach der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung des § 2 Abs.
1 AsylbLG, wonach nur eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes der Gewährung höherer
Leistungen entgegenstehe, könne jedoch ein Rechtsmissbrauch nicht schon dann angenommen werden, wenn der
Ausländer seiner bestehenden Ausreisepflicht nicht nachkomme. Von einem Rechtsmissbrauch könne erst dann
ausgegangen werden, wenn Ausländer versuchten, eine Rechtsposition unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu
erlangen und auszunutzen. Dieses sei vorliegend nicht der Fall. Gegenstand des Klageverfahrens sei nur der Zeitraum
bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides.
Gegen diesen am 26. Mai 2005 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 24. Juni 2005 Berufung eingelegt.
Die zur Volksgruppe der Roma gehörenden Kläger könnten freiwillig in das Kosovo aber auch nach Serbien und
Montenegro zurückkehren. Dieses zeige auch der Erl. des MI vom 25. Juni 2004. Eine solche freiwillige Ausreise
werde jedoch von den Klägern abgelehnt. Die Kläger könnten jederzeit freiwillig in das Kosovo zurückkehren, die
notwendigen Papiere (EU-Lassier-Passe) würden seitens der Ausländerbehörde ausgestellt werden. Dem
Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 1 AsylbLG in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung und auch der
Gesetzesbegründung lasse sich nicht entnehmen, dass Ausländer privilegiert werden sollen, die sich weigern,
freiwillig auszureisen, obwohl ihnen dieses möglich und zumutbar sei. Ausländer könnten sich nicht darauf berufen,
dass die Bundesrepublik zur zeit von einer zwangsweisen Rückführung absehe. Der Tatbestand des
Rechtsmissbrauches sei im Übrigen dadurch erfüllt, dass die Kläger falsche Angaben zur Volkszugehörigkeit gemacht
hätten. Bei ihrer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland hätten sie nämlich angegeben, albanische
Volkszugehörige zu sein, während sie seit dem Jahr 2000 angeben, Volkszugehörige der Roma zu sein. Auch sei von
den Klägern eine gefälschte Bescheinigung des jugoslawischen Generalkonsulats vorgelegt worden, wonach sie von
dort keinen Nationalpass bekommen könnten. Deshalb komme es auf die Zumutbarkeit der freiwilligen Ausreise nicht
mehr an.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 23. Mai 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie betonen, dass ihnen die Rückkehr in das Kosovo aufgrund der dortigen Lage nicht zumutbar sei. Auch aus
sonstigen Gründen sei eine Rückkehr unzumutbar. Sie lebten bezogen auf den streitigen Zeitraum bereits seit ca 12
Jahren in der Bundesrepublik. Die Kinder seien hier aufgewachsen und zur Schule gegangen. Die Familie erfülle die
Stichtagsvoraussetzungen der Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge (RdErl. des MI vom 6.
Dezember 2006). Ihr Lebensweg sei derart mit der Bundesrepublik Deutschland verbunden, dass eine Rückkehr
bereits gegen Art 8 EMRK verstoßen würde.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die
Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese sind ihrem wesentlichen Inhalt nach
Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist gemäß §§ 143 f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Insbesondere wird der Wert des
Beschwerdegegenstandes von 500,00 EUR (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) überschritten. Nach der Auflistung
der Beklagten im Schriftsatz vom 28. Juli 2005 beträgt die monatliche Differenz zwischen den vom Sozialgericht
zugesprochenen und den bewilligten Leistungen 434,13 EUR. Da das Sozialgericht nicht nur Leistungen für einen
Monat, sondern für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 22. März 2005 zugesprochen hat, wird die Grenze von
500,00 EUR deutlich überschritten.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
Streitgegenstand ist nur der Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 22. März 2005, da nur die Beklagte den
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts angefochten hat.
Das Sozialgericht Hannover hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Die Kläger haben einen Anspruch auf
erhöhte Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG.
Gemäß § 2 AsylbLG (in der bis zum 27. August 2007 geltenden Fassung) ist das SGB XII abweichend von den §§ 3
bis 7 AsylbLG auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 36
Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst
beeinflusst haben. Minderjährige Kinder, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft
leben, erhalten Leistungen nach Abs 1 nur, wenn mindestens ein Elternteil in der Haushaltsgemeinschaft Leistungen
nach Abs 1 erhält (§ 2 Abs 3 AsylbLG).
Diese Anspruchsvoraussetzungen liegen bei den Klägern vor. Die Kläger haben Leistungen nach § 3 AsylbLG über
eine Dauer von 36 Monaten bezogen. Sie haben die Dauer des Aufenthaltes im hier streitigen Zeitraum auch nicht
rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst. Die Beweislast für das Vorliegen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens
liegt bei der Leistungsbehörde. Die Kläger haben zwar die in ihren Verhältnissen liegenden Bleibegründe darzulegen,
der Beklagten fällt jedoch die Nichterweislichkeit von Rechtsmissbrauch zur Last, weil es sich dabei materiell um eine
anspruchsausschließende Einwendung handelt (vgl. auch BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 – B 9b AY 1/06 R –
m.w.N.).
Die Kläger haben bei ihrer Asylantragstellung im Jahr 1996 zwar fehlerhaft angegeben, albanische Volkszugehörige zu
sein, seit dem Jahr 2000 geht jedoch sowohl das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge als auch
die Beklagte davon aus, dass die Kläger zur Volksgruppe der Roma gehören. Somit wirkt sich diese fehlerhafte
Angabe aktuell nicht mehr aus. Die Identität der Kläger als solche war nie im Streit. Vielmehr war aufgrund der
hinterlegten Personalausweise stets klar, um welche Personen es sich bei den Klägern handelt. Deshalb kann für den
hier zu beurteilenden Zeitraum aus der falschen Angabe im Asylverfahren kein rechtsmissbräuchliches Verhalten
mehr hergeleitet werden. Gleiches gilt für die gefälschte Auskunft des jugoslawischen Generalkonsulats in Hamburg
vom 25. August 1997, wonach Reisedokumente aus politischen Gründen nicht ausgegeben werden. Die Fälschung
wurde bereits zeitnah durch eine weitere Auskunft des jugoslawischen Generalkonsulats im Hamburg vom 28.
Oktober 1997 aufgeklärt.
Dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG, wonach der Ausländer die Dauer des Aufenthalts nicht
rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben darf, ist zwingend zu entnehmen, dass nur rechtsmissbräuchliches
Verhalten relevant sein kann, das sich auf die Dauer des Aufenthaltes kausal ausgewirkt hat. Hierbei ist das
Verhalten des Ausländers während der gesamten Dauer des Aufenthalts in der Bundesrepublik - also ab Einreise - zu
betrachten, nicht etwa nur der streitgegenständliche Zeitraum oder nur der Zeitpunkt ab rechtskräftigem Abschluss
des Asylverfahrens. Nach Auffassung des erkennenden Senates kommt es mithin darauf an, ob sich das
rechtsmissbräuchliche Verhalten des Asylbewerbers im Einzelfall konkret und kausal verlängernd auf die Dauer des
Aufenthalts in der Bundesrepublik ausgewirkt hat. Nur wenn ein solcher Zusammenhang mit der notwendigen
richterlichen Überzeugungsbildung im Einzelfall festgestellt werden kann, kann sich das aufenthaltsverlängernde,
rechtsmissbräuchliche Verhalten auch leistungseinschränkend auswirken. Das kausale, vorwerfbare Verhalten muss
im streitgegenständlichen Leistungszeitraum noch fortwirken.
Der erkennende Senat vermag sich insofern der Auffassung des für das AsylbLG nicht mehr zuständigen 7.Senats
(vgl. dessen Urteil vom 20. Dezember 2005, Az: L 7 AY 40/05) nicht anzuschließen, wonach es für die Beurteilung der
rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes darauf ankommen soll, ob das
rechtsmissbräuchliche Verhalten generell geeignet ist, die Dauer des Aufenthalts zu beeinfllussen, und zwar
unabhängig davon, ob sich die Verlängerung des Aufenthalts bereits realisiert hat oder der kausale Zusammenhang
dadurch weggefallen ist, dass zwischen dem rechtsmissbräuchlichen Verhalten und dem Leistungsantrag die
Abschiebung vorübergehend ausgesetzt worden ist (sog. "abstrakte Betrachtungsweise").
Dieser vom 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vertretenen Auffassung hat sich das
Bayerische Landessozialgericht (Beschluss vom 28. Juni 2005 – L 11 B 2121/05 AY – recherchiert in juris Rn. 32)
und das Landessozialgericht Baden-Württemberg (Beschluss vom 28. März 2007 – L 7 AY 1386/07 ER – B,
recherchiert in juris Rn. 19) angeschlossen. Beide Gerichte räumen jedoch ein, dass unter Berücksichtigung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Ausnahmen von der abstrakten Betrachtungsweise zu machen sind. Das
Bayerische Landessozialgericht bezieht sich insoweit auf Art 16 Abs. 4 RL 2003/9/EG, wonach die besondere
Situation des Leistungsberechtigten unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu würdigen ist
(aaO Rn. 33; in diesem Sinne auch SG Aurich, Beschluss vom 29. Juli 2005 – S 23 AY 3/05 – GK-AsylbLG, VII - § 2
Abs. 1 (SG – Nr.6); SG Stade, Beschluss vom 7. März 2005 – S 19 AY 4/05 ER – recherchiert in juris, Rn. 27). Das
Landessozialgericht Baden-Württemberg ist der Meinung, dass in diesen Ausnahmefällen die für die
leistungsrechtliche Besserstellung erforderliche Wartezeit eines 36-monatigen Leistungsbezuges erneut zu laufen
beginnt (aaO Rn. 20). Dagegen spricht sich das Thüringer Landessozialgericht (Beschluss vom 11. Juli 2005 – L 8 AY
379/05 ER – recherchiert in juris Rn. 21) dafür aus, dass Leistungen gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG nur für die Zeit
versagt werden können, für die der Leistungsberechtigte die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst
beeinflusst hat; einschränkend ist es jedoch der Meinung, dass der Ausländer neben der Zeit der
rechtsmissbräuchlichen Beeinflussung der Dauer des Aufenthaltes weitere 36 Monate von den Leistungen in
entsprechender Anwendung des SGB XII ausgeschlossen ist. Das SG Hannover (Urteil vom 12. Dezember 2005 – S
51 AY 66/05 – GK-AsylbLG, VII - § 2 Abs. 1 (SG – Nr. 10) vertritt die Rechtsauffassung, dass in der Vergangenheit
liegendes rechtsmissbräuchliches Verhalten nur dann leistungseinschränkend beachtlich ist, wenn es in den
Streitzeitraum fortwirkt.
Der gesetzlichen Formulierung "die Dauer des Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben" kann
nicht entnommen werden, dass es genügt, abstrakt auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in der Vergangenheit
abzustellen, ohne dass die Dauer des Aufenthaltes hiervon beeinflusst worden wäre. Vielmehr lässt sich der
Verwendung des Perfekts eher entnehmen, das sich ein Verhalten in der Vergangenheit auch noch aktuell auswirken
muss. Der Wortlaut der Norm ist insoweit aber nicht eindeutig. Deshalb wird ergänzend auf die historische
Entwicklung der Norm abgestellt. In der bis zum 31. Dezember 2004 gültig gewesenen Fassung des § 2 Abs. 1
AsylbLG war formuliert, dass erhöhte Leistungen zu gewähren sind, "wenn die Ausreise nicht erfolgen kann und
aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, weil humanitäre, rechtliche oder persönliche
Gründe oder das öffentliche Interesse entgegenstehen". In Anwendung dieser Fassung war eindeutig, dass allein auf
die aktuelle Situation abzustellen ist. Aus der Gesetzesbegründung ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber von
dieser allein gegenwartsbezogenen Sichtweise abweichen wollte. Für eine gegenwartsbezogene Sichtweise spricht
zudem, dass der Gesetzgeber mit der Neufassung des AsylbLG zum 1. Januar 2005 auch die EU-Richtlinie
2003/9/EG umsetzen wollte. Diese Richtlinie sieht in Art. 16 Abs. 1a zweiter Halbsatz vor, dass bei Änderung der
Verhältnisse über die erneute Gewährung von Leistungen zu entscheiden ist, wobei gemäß Art. 16 Abs. 4 die
Entscheidungen aufgrund der besonderen Situation der betreffenden Personen unter Berücksichtigung des
Verhältnismäßigkeitsprinzip zu treffen sind. Einer solchen aktuellen Einzelfallentscheidung stünde es entgegen, wenn
ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Ausländers in der Vergangenheit dem Ausländer in jedem Fall bis zu seiner
Ausreise vorgehalten werden könnte. Zudem würde eine solche Handhabung es aus Sicht eines Ausländers auch
nicht als sinnvoll erscheinen lassen, z.B. falsche Angabe zu korrigieren oder sich nunmehr hinreichend um die
notwendigen Papiere zu bemühen. Die teilweise gewählte Lösung, nach Beendigung eines rechtsmissbräuchlichen
Verhaltens erneut eine 36-Monats-Frist beginnen zu lassen, findet nach Ansicht des Senats keine hinreichende
Stütze im Gesetz.
Diese Interpretation trägt schließlich auch dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden
Regelungszweck Rechnung, wonach nur jene Ausländer Leistungen nach § 2 AsylblG erhalten, "die unverschuldet
nicht ausreisen können" (vgl BT- Drucks 15/420, S 121; vgl auch BSG a.a.O.). Auch dieser Intention ist eine
abstrakte oder generelle Betrachtungsweise nicht zu entnehmen. Eine solche Sichtweise lässt eine
Tatsachenfeststellung des individuellen Verhaltens des Asylbewerbers kaum zu und führt daher zu Problemen bei der
Beurteilung des Einzelfalls. Im Ergebnis führt eine abstrakte Betrachtungsweise auch zu einem Ausschluss der
leistungsrechtlichen Besserstellung auf Dauer, wofür § 2 Abs. 1 AsylbLG keine Anhaltspunkte enthält. Dieser
Vorschrift ist vielmehr zu entnehmen, dass der Bezug von Leistungen auf Sozialhilfeniveau nach Ablauf der zeitlichen
Voraussetzungen die Regel sein soll, sofern nicht die anspuchsausschließende Einwendung der
Rechtmissbräuchlichkeit vorliegt. Damit soll einer stärkeren Angleichung an die hiesigen Lebensverhältnisse und einer
verbesserten sozialen Integration nach längerem Aufenthalt in der Bundesrepublik Rechnung getragen werden (vgl.
Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl, § 2 AsylblG RdNr 1). Ein dauerhafter Ausschluss von
Leistungen auf Sozialhilfeniveau führt gerade dann zu unbilligen Ergebnissen, wenn es bei langjährigem Aufenthalt in
der Bundesrepublik zu Veränderungen in der Lebenssituation, im Verhalten oder im Aufenthaltsstatus der
Asylbewerber kommt.
Somit verbleibt es im vorliegenden Fall für den hier zu beurteilenden Zeitraum allein bei der Weigerung der Kläger,
freiwillig in ihr Heimatland auszureisen.
Das Bundessozialgericht hat inzwischen entschieden, dass es rechtsmissbräuchlich ist, wenn ein Ausländer nicht
freiwillig ausreist, obwohl ihm diese Ausreise möglich und zumutbar ist (Urteil vom 8. Februar 2007 – B 9b AY 1/06 R
-). Es hat dazu ausgeführt: "Unter rechtsmissbräuchlicher Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer versteht § 2 Abs
1 AsylbLG nach Auffassung des Senats auch eine von der Rechtsordnung missbilligte, subjektiv vorwerfbare und zur
Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der Rechtsposition, die ein Ausländer durch vorübergehende Aussetzung
der Abschiebung (Duldung) erlangt hat. Darunter fällt auch der Verbleib eines Ausländers in Deutschland, dem es
möglich und zumutbar wäre, auszureisen (vgl Hohm in GK-AsylbLG, Stand Dezember 2006, § 2 RdNr 79 ff, 87 f;
ähnlich auch Herbst in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, Band II, § 2 AsylbLG RdNr 37;
LSG Baden-Württemberg, SAR 2006, 33; OVG Bremen, SAR 2006, 21). Die Rechtsordnung verlangt von Ausländern
für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet einen Aufenthaltstitel in Form eines Visums, einer Aufenthalts-
oder einer Niederlassungserlaubnis (§ 4 Abs 1 AufenthG). Wer - wie die Kläger - darüber nicht oder nicht mehr verfügt,
ist unverzüglich oder bis zum Ablauf einer ihm gesetzten Frist zur Ausreise verpflichtet (§ 50 Abs 1 und 2 AufenthG).
Kommt er dem nicht nach, ist die Ausreise zwangsweise durchzusetzen: Der Ausländer wird abgeschoben (§ 58 Abs
1 AufenthG). Ist das aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich, wird die Abschiebung vorübergehend
ausgesetzt (§ 60a Abs 2 AufenthG). Durch die "Duldung" bleibt die Ausreisepflicht unberührt (§ 60a Abs 3 AufenthG).
Nach dieser Konzeption widerspricht der weitere Inlandsaufenthalt des ausreisepflichtigen, aber geduldeten
Ausländers der Rechtsordnung. Lässt seine Ausreisepflicht sich nicht zwangsweise durchsetzen, wird ihm zwar auch
ohne entsprechenden Titel ein vorübergehender Aufenthalt ohne Verstoß gegen Strafvorschriften (§ 95 Abs 1 Nr 2
AufenthG) möglich gemacht. Die Forderung, selbstständig auszureisen und damit den nicht rechtmäßigen Aufenthalt
zu beenden, bleibt aber bestehen. Wer diese Pflicht vorwerfbar nicht befolgt, macht funktionswidrig unter Verstoß
gegen Treu und Glauben von der durch Duldung eingeräumten Rechtsposition Gebrauch. Vorwerfbar in diesem Sinne
ist es regelmäßig, wenn der Ausländer nicht ausreist, obwohl ihm das möglich und zumutbar wäre. Denn sein weiterer
Aufenthalt wird in Erwartung rechtspflichtkonformen Verhaltens durch selbstständige Ausreise (vgl BR-Drucks 36/07,
S 8) nur wegen der Ohnmacht des Staates geduldet, das geltende Recht zwangsweise durchzusetzen. Diese
Interpretation des Begriffs "rechtsmissbräuchlich" in § 2 Abs 1 AsylbLG wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt.
Danach sollen nur diejenigen Ausländer Leistungen nach § 2 AsylbLG erhalten, "die unverschuldet nicht ausreisen
können" (BT-Drucks 15/420, S 121). Dazu zählt nicht, wer der Ausreisepflicht nicht nachkommt, obwohl das sowohl
tatsächlich und rechtlich möglich als auch zumutbar ist. In dem wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG
die Zumutbarkeitsfrage auch nicht allein danach beantworten können, wann die Gefahren des Bürgerkrieges auf dem
Balkan und einer etwaigen anschließenden Verfolgung der Minderheit der Ashkali im Kosovo geendet haben. Denn
unzumutbar ist die Ausreise nicht erst bei zielstaatsbezogenen Gefahren für Freiheit, Leib oder Leben, also bei
Abschiebungshindernissen iS des § 60 Abs 7 AufenthG, die nach § 25 Abs 3 AufenthG in der Regel sogar zur
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis führen. Auch weniger gewichtige Gründe können die Ausreise unzumutbar
machen. Ein solcher Bleibegrund kann zB auch die besondere Situation von Ausländern sein, denen sich
Ausreisemöglichkeiten erst nach jahrelangem Aufenthalt in Deutschland eröffnen. Haben sie sich während dieser
langen Zeit derart in die deutsche Gesellschaft und die hiesigen Lebensverhältnisse integriert, dass ihre Ausreise in
das Herkunftsland etwa einer Auswanderung nahe käme, so mag zwar das Aufenthaltsrecht darauf keine Rücksicht
nehmen, falls es gelingt, diese Ausländer eines Tages doch noch abzuschieben. Bis dahin wird dem Ausländer seine
Nichtausreise leistungsrechtlich aber nicht vorwerfbar und der weitere - geduldete - Aufenthalt in Deutschland deshalb
nicht rechtsmissbräuchlich sein."
Nach diesen Maßstäben ist den Klägern eine Rückkehr in ihr Heimatland derzeit nicht zumutbar. Dieses beruht jedoch
nicht auf den Verhältnissen im Kosovo.
Auch der erkennende Senat geht nach eigener Überzeugungsbildung davon aus, dass eine freiwillige Rückkehr der
Kläger nach Serbien und Montenegro einschließlich des Kosovo möglich ist und die dortigen Verhältnisse eine
Unzumutbarkeit der Rückkehr nicht zu begründen vermögen. Eine Entscheidung dazu hat jüngst der 10. Senat des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 17. April 2007 (Az.: 10 LC 262/05) getroffen, der
damit seine bisherige Rechtsprechung, aber auch die Rechtsprechung des 8. und 11. Senates des Niedersächsischen
Oberverwaltungsgerichts bestätigt hat (vgl. u.a. Az.: 11 LA 3311/03; 8 LA 123/05). Aus den Motiven der UNMIK,
Abschiebungen, d.h. zwangsweise Rückführungen, nur in einem geregelten Verfahren durchzuführen, lässt sich nichts
für die Annahme der Unzumutbarkeit einer freiwilligen Rückkehr in das Kosovo herleiten.
Allerdings ist den Klägern aufgrund ihrer fortgeschrittenen Integration eine Rückkehr in ihr Heimatland nicht zumutbar.
Die Kläger haben sich im streitigen Zeitraum bereits ca. 12 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten.
Neben diesem Aufenthalt kommt hinzu, dass die Kinder der Kläger zu 1.) und 2.) im Alter von 8 Jahren und jünger in
die Bundesrepublik gekommen sind, der Kläger zu 5.) in der Bundesrepublik Deutschland geboren ist. Die Kinder
haben somit fast ihre gesamte Schullaufbahn in Deutschland absolviert und es ist angesichts der Dauer des
Aufenthaltes ein entsprechender Integrationsgrad festzustellen. Die Beklagte hat mit allen Klägern am 11. April 2007
auch Integrationsvereinbarungen getroffen. Sie geht damit von einer entsprechenden Integrationsfähigkeit der Kläger
aus. Anderes ist auch nicht in dem hier streitigen Zeitraum festzustellen. Gegen eine Integration spricht auch nicht
entscheidend, dass der Kläger zu 1.) durch Strafbefehl des Amtsgericht AB. vom 10. Mai 2000 wegen
Sozialhilfebetruges aufgrund verschwiegenen Einkommens zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt wurde.
Deshalb ist die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, da
höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, ob ein rechtsmissbräuchliches Verhalten in der Vergangenheit in jedem
Fall auch Relevanz für die aktuelle Leistungsgewährung hat oder ob ein in der Vergangenheit liegendes
rechtsmissbräuchliches Verhalten auch dann leistungseinschränkend ist, wenn es im streitigen Leistungszeitraum
keine konkret-kausale Relevanz für die Aufenthaltsdauer mehr zeigt. Der Zulassung der Revision steht nicht
entgegen, dass § 2 Abs. 1 AsylbLG hier in einer alten Fassung angewandt wird, weil sich das vorliegende Problem
unverändert auch bei der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung dieser Vorschrift stellt, denn die Änderung
bezieht sich auf die Länge der erforderlichen Vorbezugszeiten von Leistungen nach § 3 AsylbLG. -