Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.12.2001
LSG Nsb: getrennt leben, tod, chemotherapie, niedersachsen, haushalt, nahrungsaufnahme, hof, unternehmer, rente, arbeitsmarkt
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 13.12.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Osnabrück S 15 LW 38/96
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 10 LW 5/01
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 19. Januar 2001 wird
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Haushaltshilfe bei Tod eines Landwirts gemäß § 37 Gesetz über die Alterssicherung der
Landwirte (ALG).
Der Kläger ist versicherungspflichtiger landwirtschaftlicher Unternehmer. Er war mit der am 11. Juli 1995 an den
Folgen einer Krebserkrankung verstorbenen I. verheiratet, die ihrerseits nicht landwirtschaftliche Unternehmerin war.
Die frühere Ehefrau des Klägers, der zum 1. Januar 1995 gemäß § 92 ALG Beitragszeiten ihres Mannes für die Zeit
von Juli 1973 bis Dezember 1994 zugesplittet worden waren, beantragte im März 1995 unter Hinweis auf ihre
Krebserkrankung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). In ihrem Antrag gab sie an, sich seit 1993 für erwerbsunfähig
zu halten. Dabei wies sie darauf hin, vom Versorgungsamt J. seit November 1993 als Schwerbehinderte mit einem
Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt zu sein. Sie fügte ihrem Rentenantrag einen Befundbericht des
Internisten Dr. K. vom 20. März 1995 bei, den dieser aufgrund einer Untersuchung am 6. Februar 1995 erstattet hatte.
Darin teilte Dr. K. zu Krankheitsbeginn und –verlauf mit:
"1979 Mastektomie links, Bestrahlung, später Chemotherapie eines metast. Mamma-Ca. links. Seit etwa 1 Jahr
massive Metastasierung im Hals-Schulter-Thoraxbereich links."
Als subjektive und objektive Feststellung führte Dr. K. aus:
"Schwer red. Az bei massiver Metastasierung im o. g. Bereich, rez. Erbrechen, stark erschwerte Nahrungsaufnahme.
Nach erfolgloser Chemotherapie u. Radiatio in der Univ. Frauen- u. Röntgenklinik L. jetzt Versuch einer spez.
Chemotherapie in lokale Blutgefässe im M., gyn. Abt."
Als Diagnose teilte Dr. K. mit:
"massive Metastasierung eines Mamma-Ca. links."
Die Beklagte hörte hierzu den sie beratenden Internisten und Sportmediziner Dr. N., der in seiner Stellungnahme vom
31. März 1995 die Auffassung vertrat, dass der Ehefrau des Klägers aus ärztlicher Sicht keine Arbeiten mehr
zumutbar seien. Dieser Zustand bestehe seit Dezember 1994. Die Beklagte schloss sich dieser Bewertung an und
gewährte der Ehefrau des Klägers Rente wegen EU ab 1. Januar 1995 (Bescheid vom 14. Juni 1995 und
Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 1995).
Nach dem Tod seiner Ehefrau am 11. Juli 1995 beantragte der Kläger Haushaltshilfe bei Tod eines Landwirts gemäß §
37 ALG. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 20. Oktober 1995 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 7. August 1996 mit der Begründung ab, dass die verstorbene Ehefrau des Klägers nie
Landwirtin im Sinne von § 1 Abs. 3 ALG gewesen sei, weil bereits am 1. Januar 1995 EU unabhängig von der
jeweiligen Arbeitsmarktlage vorgelegen habe.
Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Osnabrück hat der Kläger die Auffassung vertreten,
dass seine verstorbene Ehefrau seit 1. Januar 1995 sehr wohl Landwirtin gemäß § 1 Abs. 3 ALG gewesen sei. Das
SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2001 abgewiesen und in den Entscheidungsgründen
ausgeführt, dass die verstorbene Ehefrau des Klägers wegen ihrer bereits im Jahr 1994 bestehenden EU unabhängig
von der jeweiligen Arbeitsmarktlage zu keinem Zeitpunkt als Landwirtin im Sinne des § 1 Abs. 3 ALG gegolten habe,
so dass eine Gewährung von Haushaltshilfe gemäß § 37 ALG nicht in Betracht komme.
Der Kläger hat gegen den ihm am 25. Januar 2001 zugestellten Gerichtsbescheid am 23. Februar 2001 Berufung
eingelegt. Er weist darauf hin, dass seine verstorbene Ehefrau zu Beginn des Jahres 1995 keineswegs
erwerbsunfähig unabhängig von jeweiligen Arbeitsmarktlage gewesen sei. Sie habe vielmehr bis 15. März 1995 –
abgesehen von Zeiten stationärer Therapiemaßnahmen – ständig landwirtschaftliche Tätigkeiten ausgeübt. So habe
sie täglich eine Stunde die Kälber gefüttert und gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter den Haushalt geführt. Sie habe
ferner die hauswirtschaftlichen Einkäufe erledigt und für die Essenszubereitung und die Wäsche gesorgt. Dies sei
auch nicht zu Lasten ihrer Restgesundheit geschehen; die täglichen Arbeiten auf dem Hof seien vielmehr die einzige
Möglichkeit gewesen, das psychische Gleichgewicht in etwa zu behalten.
Der Kläger beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 19. Januar 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober
1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 1995 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm Haushaltshilfe anlässlich des Todes seiner Ehefrau zu gewähren,
hilfsweise,
folgende Zeugen zum Beweis dafür, dass seine Ehefrau bis zum 15. März 1995 im landwirtschaftlichen Betrieb
gearbeitet habe, zu hören: O., P., Q. und R. (Anschriften wie Bl. 47 der Gerichtsakten).
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Osnabrück vom 19. Januar 2001 zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Dem Senat haben außer den Prozessakten die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden.
Dem Kläger steht anlässlich des Todes seiner Ehefrau auch nach Auffassung des erkennenden Senats kein
Anspruch auf Haushaltshilfe gemäß § 37 ALG zu.
Haushaltshilfe nach § 37 ALG kann bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen erbracht werden, wenn ein Landwirt
verstirbt und sein Ehegatte das Unternehmen des Verstorbenen als versicherungspflichtiger Landwirt weiterführt.
Dieses Tatbestandsmerkmal ist, wie das SG zutreffend erkannt hat, im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Die verstorbene
Ehefrau des Klägers war zu keinem Zeitpunkt Landwirtin gewesen. Zunächst war sie nicht selbst landwirtschaftliche
Unternehmerin; der alleinige Unternehmer war vielmehr der Kläger. Seine Ehefrau war deshalb nicht Landwirtin im
Sinne von § 1 Abs. 2 ALG bzw. § 1 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 des bis zum 31. Dezember 1994 geltenden
Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL).
Die Ehefrau des Klägers war aber auch zu keiner Zeit sogenannte Fiktivlandwirtin im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1
ALG. Nach dieser Vorschrift gilt der Ehegatte eines Landwirts gemäß § 1 Abs. 2 ALG als Landwirt, wenn die Eheleute
nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB
VI) nicht erwerbsunfähig unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage ist. EU unabhängig von der jeweiligen
Arbeitsmarktlage liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), der der Senat folgt, jedenfalls
dann vor, wenn die Arbeitsfähigkeit auf unter zwei Stunden täglich herabgesunken ist (vgl. Urteile vom 6. Mai 1999 –
B 10 LW 3/98 R – und vom 9. August 2001 – B 10 LW 18/00 R -). Der Senat geht nach Aktenlage davon aus, dass
die Ehefrau des Klägers bereits vor dem 1. Januar 1995 – erst seit diesem Zeitpunkt besteht das Rechtsinstitut des
Fiktivlandwirts im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 ALG – nicht mehr in der Lage war, wenigstens zwei Stunden täglich zu
arbeiten, damit erwerbsunfähig unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage war und dementsprechend nicht als
Ehegatte eines landwirtschaftlichen Unternehmers selbst als Landwirtin gelten konnte. Aus dem vorliegenden
Befundbericht des behandelnden Internisten Dr. K. ergibt sich, dass bereits seit etwa Februar 1994 eine massive
Metastasierung eines linksseitigen Brustkrebses im Hals-Schulter-Thoraxbereich links vorlag. Dr. K. beschreibt für
den Zeitpunkt seiner letzten Untersuchung am 6. Februar 1995 einen schwer reduzierten Allgemeinzustand mit
rezidivierendem Erbrechen und stark erschwerter Nahrungsaufnahme. Wenn der die Beklagte beratende Internist und
Sportmediziner Dr. N. vor diesem Hintergrund zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Ehefrau des Klägers keine
Arbeiten mehr leisten könne, erscheint diese Bewertung zutreffend und überzeugend. Sie deckt sich im Übrigen mit
der eigenen Einschätzung der verstorbenen Ehefrau des Klägers, die in ihrem Rentenantrag vom März 1995
angegeben hatte, seit 1993 erwerbsunfähig zu sein. Auch die Anerkennung eines GdB von 100 seit November 1993
durch das zuständige Versorgungsamt spricht für die Richtigkeit dieser Annahme.
Soweit der Kläger nunmehr vorträgt, seine verstorbene Ehefrau habe bis 15. März 1995 noch zeitweise leichtere
Arbeiten auf dem Hof und im Haushalt verrichtet, mag das zutreffen, ist jedoch für die hier zu entscheidende
Rechtsfrage ohne Bedeutung, so dass es insbesondere nicht erforderlich gewesen ist, die hierfür vom Kläger
benannten Zeugen zu vernehmen. Selbst wenn die verstorbene Ehefrau des Klägers noch gelegentlich die Kälber
fütterte, einkaufte und Hausarbeiten leistete, ist daraus nicht der Schluss zu ziehen, dass sie tatsächlich noch in der
Lage war, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich wenigstens zwei Stunden zu arbeiten. Die ärztlicherseits
erhobenen Befunde schließen dies zur Überzeugung des Senats aus. Es mag sein, dass – wie der Kläger vorträgt -,
seine verstorbene Ehefrau diese Arbeiten verrichtete, um ihr psychisches Gleichgewicht in etwa zu behalten. Es kann
aber auch sein, dass sie damit über ihre Kräfte hinaus arbeitete. Es handelte sich jedoch sicher nicht um ein auf den
allgemeinen Arbeitsmarkt regelmäßig verwertbares Restleistungsvermögen, wie insbesondere auch die von Dr. K.
genannten und vom Kläger eingeräumten stationären Therapiemaßnahmen im fraglichen Zeitraum belegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.