Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 20.11.2000

LSG Nsb: tinnitus, psychovegetatives syndrom, persönlichkeitsstörung, innere medizin, gutachter, anzeige, vollrente, merkblatt, depression, auskunft

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 20.11.2000 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 22 U 262/95
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 199/97
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. März 1997 wird aufgehoben, und der Bescheid der Beklagten vom 9.
Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 1995 wird geändert. Die Beklagte wird
verurteilt, dem Kläger ab Januar 1992 Verletztenrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente zu zahlen. Die Beklagte hat
dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von mindestens 20 vH
der Vollrente wegen der Folgen einer dem Grunde nach anerkannten Lärmschwerhörigkeit (Berufskrankheit (BK) Nr
2301 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV). Streitig ist insbesondere, ob und gegebenenfalls in welchem
Umfang die psychischen Gesundheitsstörungen des Klägers auf den gleichfalls anerkannten Tinnitus zurückzuführen
sind.
Der im Februar 1942 geborene Kläger war - abgesehen von einer Unterbrechung durch seinen Wehrdienst (April 1963
bis September 1964) - zunächst von April 1956 bis Dezember 1966 als Landmaschinenmechaniker und anschließend
bis Mai 1970 als Maschinenschlosser in einer Kaffeerösterei beschäftigt. Seit Juni 1970 arbeitete er im Bereich
Materialprüfung beim TÜV I ... Zum 10. Juni 1993 erfolgte dort seine Umsetzung in die Registratur und Hausmeisterei.
Seit 1. Januar 1995 ist der Kläger auf eigene Veranlassung in der Hauptabteilung Elektrotechnik tätig.
Soweit die Arbeitsverhältnisse bis Dezember 1966 noch aufgeklärt werden konnten, bestand dort ein
Beurteilungspegel von 86 bis 89 dBA (Auskunft der Maschinenbau- und Kleineisenindustrie BG vom 20. April 1990).
Die Ermittlungen der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten ergaben, dass der Kläger während seiner
Tätigkeit in der Kaffeerösterei einen Beurteilungspegel von 86 dBA ausgesetzt war (Auskunft vom 7. Februar 1990).
Nach einem Gutachten des TÜV zur Lärmbelastung bestand im Werkstatt-bereich in der Regel ein Beurteilungspegel
unter 85 dBA, im Schleifraum - wo der Kläger allerdings nur selten eingesetzt war - dagegen einer von 94 bis 116 dBA
(Gutachten des TÜV vom 20. Juni 1989, Auskunft des Dipl-Ing J., TAD der Beklagten, vom 20. Oktober 1989). Nach
weiteren Ermittlungen der Beklagten schloss der TAB Dipl-Physiker K. nicht mehr aus, dass der Beurteilungspegel
des Klägers seit Juni 1970 höher als 85 dBA lag (Auskunft ohne Datum).
Im August 1988 suchte der Kläger erstmalig den Hals-Nasen-Ohren(HNO)-Arzt L. auf und klagte ihm gegenüber über
Hörstörungen, seit Jahren bestehende Ohrgeräusche und allgemeine psychovegetative Störungen, die der Arzt nicht
zu objektivieren vermochte. Dieser erstattete daraufhin eine BK-Anzeige und teilte eine deutliche
Hochtoninnenohrschwerhörigkeit bei sonst unauffälligen Befunden mit (Anzeige vom 18. August 1988; Bericht vom
April 1989, Arztbrief vom 19. August 1988).
Die für die Tätigkeit des Klägers in der Kaffeerösterei inzwischen zuständig gewordene Großhandels- und Lagerei-BG
ließ das Gutachten des HNO-Arztes Dr M. vom 29. Oktober 1990 erstatten. Dort klagte der Kläger über ein
gelegentliches, in beiden Ohren auftretendes helles, auch mal dunkles Summen. Dr M. stellte eine doppelseitige reine
Schallempfindungsschwerhörigkeit mit Hochtonverlust oberhalb von zwei Khz fest und teilte mit, dass es sich um
eine überwiegende Schädigung der Haarzellen im Innenohr handele. Der Hörverlust, der 0 % betrage, sei wahr-
scheinlich berufsbedingt. Daraufhin lehnte die Großhandels- und Lagerei-BG mit Bescheid vom 13. November 1990
die Gewährung einer Verletztenrente ab. Die berufsbedingte Hörstörung bedinge keine rentenberechtigende MdE.
Im Oktober 1991 suchte der Kläger Dr M. wegen einer Zunahme des Hörgeräusches beiderseits und dadurch
verursachte Schlafstörungen auf. Darüber hinaus gab er anderweitige Probleme im Betrieb an. Dr M. ver-neinte eine
Verschlechterung im Hörvermögen gegenüber der Vorunter-suchung vom Oktober 1990 (Bericht vom 16. Dezember
1991).
Im Januar 1992 beantragte der Kläger die Wiederaufnahme seines BK-Ver-fahrens bei der Großhandels- und Lagerei-
BG unter Hinweis auf die Ver-schlechterung seines Hörvermögens. Er leide seit einiger Zeit an Gleich-gewichts- und
Schlafstörungen, Kopfschmerzen sowie starken Ohrgeräuschen im Hochtonbereich (Schreiben des Klägers vom 12.
Januar 1992). Im selben Monat erstattete auch der HNO-Arzt Dr N. eine BK-Anzeige unter Hinweis auf den
hinzugetretenen quälenden Tinnitus (Anzeige vom 20. Januar 1992).
Seit 18. November 1991 war der Kläger - abgesehen von einer dreiwöchigen Unterbrechung vom 20. Dezember bis 13.
Januar 1992 - wegen eines Cervikal-syndroms und erstmals auch wegen "Tinnitus aureum" arbeitsunfähig bis 9. Juni
1993 (vgl Vorerkrankungsverzeichnis der Techniker Krankenkasse).
Im Rahmen der Begutachtung durch Dres O., HNO-Klinik des Krankenhauses P., berichtete der Kläger im Juni 1992,
dass sein Tinnitus seit Jahren zunehme und seit Ende 1991 konstant hochfrequent beiderseits bestehe. Seitdem sei
er auch sehr lärmempfindlich. Zudem bestünden zunehmende Einschlaf- bzw Durchschlafstörungen und eine insge-
samt nachlassende Konzentrationsfähigkeit. Die Gutachter vermochten das Ohrgeräusch nicht zu objektivieren und
stellten ansonsten keine messbare Verschlechterung des Hörvermögens gegenüber den Befunden von Dr M. fest. Die
zusätzlich bestehenden Schmerzen im Schulter-Arm-Bereich seien auf ein HWS-Syndrom zurückzuführen, das
ursächlich mitbeteiligt sei. Die Gutachter hielten die Beschwerdeangaben des Klägers für glaubhaft und schätzten die
MdE mit 10 vH ein (Gutachten vom 2. November 1992).
Nach einer Stellungnahme des Arztes für Arbeitsmedizin Dr Q. (vom 17. Mai 1993) veranlasste die Beklagte eine
Begutachtung durch Prof Dr R./Dr S. (Gutachten vom 21. Dezember 1993). Ihm gegenüber trug der Kläger vor, wegen
der Ohrgeräusche in der Vergangenheit Psychopharmaka genommen zu haben. Zur Zeit nehme er keine Medikamente
regelmäßig ein. Die Gutachter konnten den Tinnitus weder hinsichtlich seines Frequenzbereiches noch seiner
Intensität bestimmen. Im Übrigen stellten sie eine Verschlechterung des Hörvermögens nicht fest. Wegen der
Weigerung des Klägers, das Sprachverständnis auch bei 100 dBA prüfen zu lassen, wurde zur Bewertung des
Hörverlustes das Tonaudiogramm, und hier die Drei-Frequenztabelle nach Röser (1980) herangezogen, die keinen
messbaren Hörverlust ergab. Das Hauptproblem beim Kläger sei der Tinnitus. Die langjährige Lärmbelastung am
Arbeitsplatz sei geeignet, ein entsprechendes Ohrgeräusch hervorzurufen. Aus der Vorgeschichte und den
Gesprächen sei davon auszugehen, dass eine Fixierung des Tinnitus mit psychoneurotischer Fehlentwicklung
entstanden sei, die bei weitem das Maß der üblichen Betroffenheit überschreite. Die MdE betrage für die beiderseitige
Hochton-innenohrschwerhörigkeit mit noch normalem Hörvermögen sowie beiderseits quälender Ohrgeräusche
maximal 10 vH.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 9. Februar 1994 die Gewährung einer Verletztenrente ab. Als Folge
der berufsbedingten Lärm-einwirkung bestehe eine isolierte Hochtoninnenohrschwerhörigkeit mit noch normalem
Hörvermögen und belastenden Hochtonohrgeräuschen beiderseits. Eine MdE in rentenberechtigendem Grade bestehe
aber nicht.
Den Widerspruch, mit dem der Kläger mindestens eine MdE in Höhe von 20 vH begehrte, wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 1995 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 8. August 1995 Klage erhoben. Er trug vor, er leide unter lautstarken Kopfgeräuschen,
einem ständigen Hitzegefühl, Schweißausbrüchen am Hinterkopf, Schmerzen in der linken Herzgegend und im Kopf,
in den Augen sowie unter Müdigkeit, einer Zunahme der Schlaflosigkeit und einem erhöhten Pulsschlag. Das
Sozialgericht (SG) Hannover hat ein Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Rheinland-Pfalz vom 22. Februar 1995
(Az.: L 3 U 145/93) beigezogen. Weiter-hin wurden die Befundberichte der Neurologen und Psychiater Dr T. vom 15.
April 1996, von Dr U. vom 17. April 1996 und von Dr V. vom 12. März 1996 eingeholt. Anschließend hat das SG
Hannover mit Urteil vom 25. März 1997 die Klage abgewiesen. Die Lärmschwerhörigkeit bedinge mangels messbarem
Hörverlustes keine MdE. Auch der Tinnitus rechtfertige keine MdE iS von 20 vH. Der Kläger sei nur vereinzelt in
psychiatrischer Behandlung gewesen und habe lediglich gegenüber Dr U. ein Ohrgeräusch angegeben. Angesichts der
Einschätzungen der Dres U. und V. bestünden auch erhebliche Zweifel, ob sämtliche Gesundheits-störungen auf
neurologisch-psychiatrischem Gebiet auf den Tinnitus zurück-zuführen seien. Deshalb überzeuge die Wertungen des
Prof Dr R./ Dr S., den Tinnitus mit 10 vH einzuschätzen. Ein weiteres Gutachten sei nicht erforderlich, da der
Sachverhalt ausreichend geklärt sei.
Gegen das ihm am 23. April 1997 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. Mai 1997 Berufung eingelegt und eine
Verletztenrente nach einer MdE um min-destens 20 vH der Vollrente begehrt. Er macht geltend, sich bis zum Jahre
1977 in bester körperlicher und psychischer Gesundheit befunden zu haben. Jedenfalls sei bis 1989 keine
Persönlichkeitsstörung vorhanden gewesen, diese sei vielmehr Folge seiner schweren Schlafstörungen. Er rege die
Einholung eines Gutachtens von Amts wegen von Prof Dr W. an. Das im Schwerbehindertenverfahren erstattete
Gutachten des Prof Dr X./Dr Y. sei sehr sorgfältig und gewissenhaft erstellt. Dem Gutachten des Dr Z. sei hinsichtlich
der MdE-Bewertung für den Tinnitus nicht zu folgen. Der Sachverständige bewertete den Tinnitus mit 20 vH, führe
aber nur 10 % auf die berufliche Lärmbelastung, den anderen Teil auf das "negative Counseling" durch den Hausarzt
sowie seine somatisierende Haltung zurück. Auch sei für ihn nicht nachvollziehbar, warum die teilremittierte
Majordepression mit insgesamt einer MdE von 30 vH nur zu einem Drittel auf die beruflichen Belastungen
zurückzuführen sei. Zudem bringe Dr Z. die Daten seines Lebens durcheinander und stelle aus diesem Grunde
falsche medizinische Zusammenhänge her.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. März 1997 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 9.
Februar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 1995 zu ändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm wegen der Folgen seiner als Berufskrankheit anerkannten Lärmschwerhörigkeit
Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vH der Vollrente zu zahlen.
hilfsweise,
gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz ein ohrenärztliches Gutachten ein-zuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 25. März 1997 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) erstattete Gutachten des Prof Dr X./Dr Y. für
wenig hilfreich. Die deutliche Persönlichkeitsstörung sei keine Folge des Tinnitus und bei der MdE-Bewertung nicht zu
berücksichtigen. Der Tinnitus könne nach dem Königsteiner Merkblatt maximal mit 10 vH eingeschätzt werden.
Vorliegend sei kritisch zu prüfen, ob die tatsächliche Lärmschädigung wesentliche Bedingung der Ohrgeräusche ist
oder diese vielmehr in einer in der Persönlichkeit des Versicherten begründeten Reaktionsweise liege. Auch nach dem
Gutachten des Dr Z. seien die psychischen Störungen des Klägers ausschlaggebend für die Intensität seiner
Beschwerden. Danach sei die vorbestehende Persönlichkeitsstörung rechtlich allein wesentliche Ursache für das
Krankheitsbild. Der Lärm sei lediglich Auslöser, aber nicht Ursache der Beschwerden.
Der Kläger hat das psychosomatische Gutachten des Prof Dr X./ Dr Y., Abteilung Psychosomatik und
Psychotherapie der AB., vom 12. Juni 1997, das im Rahmen eines BK-Verfahrens erstattete dermatologische
Gutachten des Dr BB. vom März 1977 (Beiakte des Klägers) sowie die Arztbriefe des Dr M. vom 11. Dezember 1991
und 22. April 1996 (im Schwerbehindertenverfahren erstattet), die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr CB.
vom 10. August 1997, Zeugnisse über seine beruflichen Tätigkeiten sowie Aufsätze des Dipl-Psychologen DB. und
der Tinnitusliga (jeweils Beiakte) vorgelegt.
Der Senat hat den Befundbericht des Dr EB. vom 17. März 1999 und den des Dr L. vom 23. März 1999, das
Vorerkrankungsverzeichnis der TKK sowie die medizinischen Unterlagen aus dem Parallelverfahren gegen die BfA
wegen einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme, und hier insbesondere die Gutachten des Neurologen und
Psychiaters Dr FB. vom 25. Februar 1997 und des Internisten und Arztes für Sozialmedizin Dr GB. vom 26.
September 1995 (jeweils Beiakte) beigezogen.
Auf Antrag des Klägers ist das Gutachten des Dr Z., Facharzt für Innere Medizin und Psychotherapie, Oberarzt der
medizinisch-psychosomatischen Klinik HB. vom 19. August 1998 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 10.
Mai 2000 eingeholt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwal-tungsakten der Beklagten, die Gerichtsakten
dieses und der Parallelverfahren (Gerichtsakten des SG Hannover S 14 RA 368/97 und S 24 VS 294/95) und die
Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes Hannover Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist auch begründet.
Der Kläger hat unter Berücksichtigung der psychischen Begleiterscheinungen seines als Folge der BK von der
Beklagten anerkannten Tinnitus Anspruch auf Verletztenrente nach den auf seinen Fall noch anzuwendenden §§ 580
ff Reichsversicherungsordnung - RVO (vgl. Art 36 Unfallversicherungs-Einord-nungsgesetz, § 212 SGB VII).
1. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die BK einen Tinnitus mit
erheblichen psychischen Begleiterscheinungen zur Folge hat (a), während weitere Gesundheitsstörungen nicht mit der
erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf die BK zurückzuführen sind (b – d).
a) Der als "belastende Hochtonohrgeräusche beiderseits" anerkannte Tinnitus ist Ursache von psychischen
Begleiterscheinungen in Gestalt von Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie weiteren Befindlich-keitsstörungen
wie Tagesmüdigkeit, Kopfschmerzen, gedrückte Stimmung. Diese Ohrgeräusche, die von den ersten Gutachtern
lediglich aufgrund der für glaubhaft erachteten Angaben des Klägers berücksichtigt wurden, sind durch die
zwischenzeitlichen Unter-suchungen bei Dr Z. objektiviert worden. Weiterhin ist dieser Tinnitus spätestens seit Januar
1992 dekompensiert und hat nach den Ausführungen des Prof Dr R./Dr S., Prof Dr X./Dr Y. und Dr Z. zu erheblichen
psychischen Begleiterscheinungen in Gestalt von Schlaf- und Konzentrations-störungen sowie weiteren
Befindlichkeitsstörungen (vgl S 15 des Gutachtens des Dr Z.) geführt. Dabei geht der Senat davon aus, dass die
Schlafstörungen tatsächlich auf dem Tinnitus beruhen und nicht Ausdruck seiner Tinnitus unabhängigen
Persönlichkeitsstörungen sind.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Umfang dieser psychischen Begleiterscheinungen auf den Tinnitus
und nicht auf die bk-unabhängige Persönlichkeitsstörung des Klägers zurückzuführen. Von Bedeutung ist in diesem
Zusammenhang, dass die persönliche Veranlagung des jeweiligen Versicherten grundsätzlich eine wesentliche Rolle
für das Entstehen und die Ausprägung der Erkrankung spielt (Müller/Keller aaO). Aus diesem Grunde kommt der
Abgrenzung der psychischen Folgen des Ohrgeräusches von denen der beim Kläger weiterhin bestehenden bk-
unabhängigen Persönlichkeitsstörung not-wendigerweise eine Bedeutung zu. Im vorliegenden Fall gehen die
Sachverständigen (vgl Gutachten Prof Dr X./Dr Y. und Dr Z.) davon aus, dass beide Gesundheitsstörungen in ihrer
Symptomatik nicht immer klar voneinander abgrenzbar sind. Demgemäß sind nach der im Recht der gesetzlichen
Unfallversicherung geltenden Lehre von der wesentlichen Bedingung die erheblichen psychischen
Begleiterscheinungen Folgen der BK und als solche in ihrer Gesamtheit zu bewerten. Es sind keine konkreten
Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Dr Z., der über besondere Erfahrungen in der Beurteilung des Tinnitus verfügt,
den Tinnitus mit seinen erheblichen vegetativen Begleiterscheinungen beim Kläger unzutreffend beurteilt haben
könnte. Dies gilt um so weniger, als seine Einschätzung sich im Wesentlichen mit der des Prof Dr X./Dr Y. deckt.
b) Die vom Kläger wiederholt geltend gemachten Schwindelerscheinungen sind allerdings nicht auf den Tinnitus und
die Lärmschwerhörigkeit, sondern mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das beim Kläger bestehende HWS-
Syndrom zurückzuführen, worauf Dr M. wiederholt hingewiesen hat (vgl dessen Arztbrief vom 22. April 1996 in der
Gerichtsakte des Schwerbehindertenverfahrens).
c) Auch die von Dr Z. sowie von Dr V. übereinstimmend diagnostizierte Persönlichkeitsstörung ist nach den
überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen nicht Folge des Tinnitus, sondern hiervon
unabhängig. Die Entwicklung dieser Persönlichkeitsstörung seit Mitte der 80er Jahre hat Dr Goebel ausführlich und
nachvollziehbar und in wesentlichen Punkten in Überein-stimmung mit Prof Dr X./Dr Y. dargestellt. Entgegen der
Auffassung des Klägers kann aus der Tatsache, dass er 1977 psychisch unauffällig gewesen ist, nicht der Schluss
gezogen werden, dass seine Persönlichkeitsstörung auf die Lärmbelastung zurückzuführen ist. Anlagebedingte
Persönlichkeitsstörungen kommen nicht während der ganzen Lebenszeit in gleichem Ausmaß zum Ausdruck, sondern
entwickeln sich im Laufe des Lebens bedingt auch durch innere Einflüsse.
d) Weiterhin ist die von Dr Z. diagnostizierte teilremittierte Major-Depression weder in vollem Umfang - wie vom Kläger
begehrt - noch anteilig - wie von Dr Z. befürwortet - auf den Tinnitus zurück-zuführen. So ist der Senat bereits vom
Vorliegen einer derartigen Gesundheitsstörung beim Kläger nicht überzeugt. Eine Gesundheits-störung muss indessen
im Wege des Vollbeweises nachgewiesen sein, für ihren Nachweis reicht nicht die überwiegende hinreichende
Wahrscheinlichkeit aus. Das Vorliegen dieser Gesundheitsstörung muss in so hohem Grade wahrscheinlich sein,
dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch an ihrem Vorliegen mehr zweifelt (vgl
BSG, Urteil vom 27. März 1990, Az: 2 RU 45/89 mwN). Zweifel am Vorliegen einer Depression im streitigen Zeitraum
(seit 1992) bestehen aufgrund der unterschiedlichen Befunderhebungen der den Kläger in diesem Zeitraum
behandelnden Ärzte. So teilen zwar die den Kläger jeweils einmalig 1990 und 1992 untersuchenden Dres IB. und V.
ebenfalls eine entsprechende Diagnose mit. Demgegenüber haben Dr U. und der den Kläger langjährig behandelnde
Hausarzt Dr EB. aber keine entsprechende Feststellung getroffen. Auch Prof Dr X./Dr Y. und Dr FB. haben keine
Depression diagnostiziert. Infolgedessen vermochte sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass eine derartige
Gesundheitsstörung beim Kläger tatsächlich bestanden hat bzw gegenwärtig noch besteht. Selbst wenn diese aber
nach den rückschauenden Betrachtungen des Dr Z. in den Jahren seit 1991 für gewisse Zeiträume vorgelegen haben
sollte, ist jedenfalls nicht der Tinnitus, sondern die bk-unabhängige Persönlichkeitsstörung wesentliche Ursache
dieser Depression. Zudem bedingt sie jedenfalls im Zeitraum der Untersuchung durch Dr Z. im August 1999 keine
mess-bare MdE mehr, da dieser Sachverständige keine auf sie zurückzuführenden Funktionsbeeinträchtigungen mehr
festzustellen vermochte.
2. Die unter 1.a) bereits erörterten psychischen Begleiterscheinungen des Tinnitus sind unter Berücksichtigung der
Ausführungen des Prof Dr R./Dr S. und des Dr Z. nach Überzeugung des Senats seit Januar 1992, dem Zeitpunkt der
Dekompensation des Tinnitus, mit einer MdE von 20 vH zu bewerten. Entscheidend für die Bemessung der MdE sind
die tatsächlich bestehenden Funktionseinschränkungen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und
Berufskrankheit, 6. Aufl 1998, S. 152). Zu deren Beurteilung bilden die ärztlichen Einschätzungen eine wichtige und
vielfach unentbehrliche Grundlage für das Gericht. Darüber hinaus sind auch die von der Recht-sprechung und dem
versicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Schrifttum entwickelten allgemeinen unfallmedizinischen
Erfahrungsgrundsätze heranzuziehen, die als Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in
zahlreichen Parallelfällen der Praxis dienen (BSG Urteil vom 26.11.1987 - Az: 2 RU 22/87 - = SozR 2200 § 581 RVO
Nr 27). Der Senat ist allerdings weder an die in Rententabellen zusammengefassten MdE-Sätze noch an die ärztlichen
Einschätzungen gebunden (BSGE 4, 147; 6, 267). Wesentliches Kriterium für die Bewertung des Tinnitus ist die
Einschätzung des Leidensdruckes des Betroffenen und die Beeinträchtigung seiner Lebens-qualität durch den Tinnitus
(Feldmann, Das HNO-ärztliche Gutachten, 4. Aufl 1997, S. 212 f). Nach dem Königsteiner Merkblatt (herausgegeben
vom Hauptverband der Gewerblichen Berufsgenossenschaften, 4. Aufl Stand Januar 1996, vgl Lauterbach Anhang IV
zu § 9 SGB VII) ist ein lärmbedingter Tinnitus mit Begleiterscheinungen in der Regel mit einer MdE bis zu 10 vH zu
berück-sichtigen. Diese Bemessung wird allerdings dann nicht als ausreichend erachtet, wenn die MdE diesem
Beschwerdebild nicht gerecht wird (König-steiner Merkblatt, aaO; Dr Müller/Keller, Die Sozialversicherung 1993, S 232
ff). Ein derartiger Fall liegt hier vor. Die psychischen Folgen des Tinnitus gehen beim Kläger nach den
übereinstimmenden Einschätzungen der Prof Dr X./Dr Y. und Dr Z. als auch des Prof Dr R./ Dr S. über das übliche
Maß weit hinaus. Bereits Prof Dr R./Dr S. haben im Einklang hiermit auf eine Fixierung des Tinnitus mit einer das
übliche Maß weit überschreitenden psychosomatischen Fehlentwicklung hingewiesen, die MdE für den Tinnitus allein
für das hals-nasen-ohrenärztliche Fachgebiet mit 10 vH bewertet und eine psychologische-psychiatrische Exploration
empfohlen.
Nach den Ausführungen des Dr Z. bedingt der Umfang der psychischen Beeinträchtigung des Klägers durch den
Tinnitus seit Januar 1992 eine MdE von 20 vH. Der Senat hat keine Bedenken, sich insoweit der Einschätzung dieses
Sachverständigen, der für die Beurteilung des Tinnitus und seiner Begleiterscheinungen als besonders erfahren gilt,
anzuschließen, zumal sie im Einklang mit den unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätzen steht. Nach diesen vom
Senat zu berücksichtigenden unfallmedizinischen Grundsätzen bedingen leichtere neurotische Störungen (sog.
psychovegetatives Syndrom) eine MdE von 0 - 10 vH, während stärker behindernde Störungen mit wesent-licher
Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit eine MdE von 20 - 40 vH nach sich ziehen können
(Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl 1998, S. 265). Da nach der
übereinstimmenden Einschätzung der Prof Dr X./Dr Y. und des Dr Z. die psychischen Folgen des Tinnitus beim
Kläger seit dessen Dekompensation über ein einfaches psychovegetatives Syndrom hinausgehen und bereits eine
stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit darstellen, ist
eine MdE von 20 vH für die vom Kläger geschilderten Schlaf- und Konzentrationsstörungen sowie die weiteren
Befindlichkeitsstörungen angemessen.
Eine höhere Bewertung der psychischen Begleiterscheinungen des Tinnitus kommt dagegen nicht in Betracht. Der
Kläger ist nach Überzeugung des Senats durch die psychischen Folgen seiner Ohrgeräusche nicht in einem Umfang
beeinträchtigt, der eine MdE von mehr als 20 vH rechtfertigen könnte. Der Senat stützt sich insoweit auf Dr Z. und
vermochte sich der hiervon abweichenden Beurteilung des Prof Dr X./Dr Y. nicht anzuschließen. Letztere haben ihre
Einschätzung (GdB von 30 - 40 vH) unter Berücksichtigung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im
sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" vorgenommen. Diese GdB-Sätze weichen
jedoch von den unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätzen im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ab und
können schon deshalb nicht ohne weiteres auf das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung übertragen werden (vgl
Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO S 265).
Dagegen vermochte sich der Senat der Einschätzung des Dr Z., die psychischen Beeinträchtigungen durch den
Tinnitus insgesamt mit 20 vH und den auf die berufliche Lärmexposition zurückzuführenden Anteil mit 10 vH zu
bewerten, nicht anzuschließen. Die Aufteilung der psychischen Folgen des Tinnitus auf einen beruflichen und einen
privaten Anteil ist nicht zulässig. Denn das Tinnitusleiden mit seinen Auswirkungen und Folgen ist "unteilbar" (vgl so
auch LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22. Februar 1995, L 3 U 145/93 in Meso-B 40/61). Es verbietet sich demgemäß
die Aufgliederung der Beein-trächtigungen durch den Tinnitus, so dass sich auch eine Auseinandersetzung, inwieweit
das Verhalten des Hausarztes (als negativ bezeichnetes Counseling), zum Ausmaß der Beeinträchtigung beigetragen
hat, erübrigt.
Hingegen schränkt als Folge der BK Nr 2301 ebenfalls anerkannte Hochton-innenohrschwerhörigkeit beiderseits die
Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht messbar ein. Die HNO-ärztlichen Gutachter Dres M., O. und Prof Dr R./Dr S. -
letztere haben den Kläger im Juni 1993 zeitnah zu seinem Ausscheiden aus dem Lärmbereich untersucht - haben seit
1990 übereinstimmend gleichbleibend keinen nennenswerten Hörverlust (0 %) festgestellt. Die Ergebnisse der ton-
und sprachaudiometrischen Unter-suchungen des Prof Dr R./Dr S. stimmen im Wesentlichen mit denen der
vorausgegangenen Gutachter überein. Zur Vermeidung von Wieder-holungen wird auf die zutreffenden Ausführungen
des Urteils des SG Hannover Bezug genommen (§ 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Auch die Untersuchungen durch Dr Z., den Arzt des Vertrauens des Klägers, erbrachten insoweit kein abweichendes
Ergebnis. Er hat ebenfalls keinen Hörverlust festgestellt und die MdE dementsprechend in Überein-stimmung mit den
unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätzen nach dem König-steiner Merkblatt (herausgegeben vom Hauptverband der
gewerblichen BG´s, 4. Aufl Stand: Januar 1996, vgl Lauterbach Anhang IV zu § 9 SGB VII) zutreffend mit 0 bewertet.
Dem Hilfsantrag des Klägers auf Einholung eines HNO-ärztlichen Gutachtens nach § 109 SGG war demgegenüber
nicht stattzugeben. Dieser Antrag ist obsolet geworden, da er nur für den Fall, dass der Senat zu keiner MdE von 20
vH kommt, gestellt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG).