Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 02.07.2014

LSG Niedersachsen: eltern, gesetzliche erbfolge, kosovo, bestattungskosten, erbrecht, geschwister, ersatzvornahme, leistungsfähigkeit, gemeinde, niedersachsen

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Streitigkeiten nach dem SGB XII
SG Osnabrück 4. Kammer, Urteil vom 02.07.2014, S 4 SO 222/11
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt vom beklagten Sozialhilfeträger die Übernahme von
Bestattungskosten für seinen am 4. April 2011 verstorbenen Bruder G..
Der Kläger und sein Bruder sind kosovarische Staatsangehörige. Der Bruder
des Klägers hielt sich etwa seit Oktober 2010 am Flughafen H. auf, nachdem
er dort Asyl beantragt hatte. Erst am 3. Januar 2011 reiste der Bruder des
Klägers offiziell ein. Er wurde dem Beklagten zugewiesen und erhielt ca. Ende
März 2011 eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen. Hintergrund
war eine dauernd behandlungsbedürftige, gastroenterologische Erkrankung,
an der er am 4. April 2011 verstarb. Zu diesem Zeitpunkt war er der beklagten
Stadt I. im Zuständigkeitsbereich des Beklagten zugewiesen.
Da der Kläger der nächste im Inland lebende Angehörige war - die
gemeinsamen Eltern leben nach wie vor im Kosovo -, veranlasste der Kläger
die Überführung und Bestattung seines Bruders im Kosovo. Dafür stellte das
beauftragte Bestattungsinstitut J., unter dem 29. April 2011 einen Betrag von
insgesamt 2.579,69 € in Rechnung. Der Kläger selbst lebt in K. und bezog dort
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem
Sozialgesetzbuch - Zweites Buch -.
Der Kläger beantragte am 05. April 2011 die Übernahme der
Bestattungskosten bei der Beklagten. Diese lehnte die Übernahme mit
Bescheid vom 11. Mai 2011 ab, da der Kläger nicht bestattungspflichtig
gewesen sei. Nach § 8 Abs. 1 des nordrhein-westfälischen
Bestattungsgesetzes (BestG NRW) seien die Eltern vor den volljährigen
Geschwistern als bestattungspflichtig heranzuziehen. Sofern ein vorrangig
Bestattungspflichtiger vorhanden sei, sei die Inanspruchnahme der
nachfolgend benannten Personen ausgeschlossen. Eine Erbausschlagung ist
offenbar weder nach deutschem noch nach kosovarischem Recht erfolgt.
Nach beiden Rechtsordnungen schließen die vorrangig erbenden Eltern die
nachrangig erbenden Geschwister des Verstorbenen von der Erbfolge aus.
Dagegen hat der Kläger mit Schreiben vom 07. Juni 2011 Widerspruch
erhoben. Diesen hat der im Widerspruchsverfahren zuständige Landkreis L.
mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2011 als unbegründet
zurückgewiesen. Dagegen hat der Kläger am 21. Dezember 2011 Klage
erhoben.
Die Klage begründet er damit, dass seine im Kosovo lebenden Eltern die für
die Beerdigung aufgewandten Kosten nicht aufbringen könnten. Die Eltern
erhalten monatliche Leistungen in Höhe von umgerechnet insgesamt etwa
172,- €, aus denen sie die Kosten für Überführung und Bestattung nicht
finanzieren können.
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finanzieren können.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2011 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids des Kreises L. vom 15. Dezember 2011
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der Bestattung
des verstorbenen G. in Höhe von 2.579,69 € zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf sein bisheriges Vorbringen und vertieft dieses
noch.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge der Beklagten
verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidungsfindung der Kammer
gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 11. Mai 2011 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2011 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf
Übernahme der Bestattungskosten für seinen am 4. April 2011 verstorbenen
Bruder G. durch die Beklagte.
1. Die Übernahme von Bestattungskosten ist in § 74 Sozialgesetzbuch -
Zwölftes Buch - (SGB XII) geregelt. Nach dieser Vorschrift werden die
erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu
Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen.
2. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen jedoch nicht vor, da der Kläger
nicht Bestattungsverpflichteter gewesen ist.
Die Pflicht zur Tragung der Bestattungskosten kann sich aus Vertrag, aus
Familienrecht, aus Erbrecht oder aus Unterhaltsrecht ergeben. Daneben
kommt auch eine öffentlich-rechtliche Bestattungspflicht aus dem jeweiligen
Bestattungsgesetz des zuständigen Bundeslandes in Betracht (vgl. BSG, Urt.
v. 29.09.2009 - B 8 SO 23/08 R -). Nicht ausreichend ist demgegenüber die
sittliche bzw. moralische Verpflichtung (vgl. Urt. des SG Oldenburg v.
02.12.2011 - S 21 SO 231/09 -).
a) Der Kläger ist nicht aufgrund erbrechtlicher Vorschriften zur Bestattung
seines Bruders verpflichtet gewesen.
(1) Dabei kann ausdrücklich offenbleiben, ob auf den Bruder des Klägers das
in der Republik Kosovo geltende Erbrecht oder das bundesdeutsche Erbrecht
Anwendung findet (vgl. Art 25, 5 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen
Gesetzbuch - EGBGB). In beiden Rechtsordnungen schließt das bestehende
Erbrecht der Eltern die Geschwister des Erblassers von der Erbfolge aus,
soweit keine gewillkürte Erbfolge besteht; eine solche ist jedoch nicht
ersichtlich.
(a) Das ergibt sich für das bundesdeutsche Recht ausdrücklich aus § 1925
Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
(b) Aber auch für das kosovarische Recht gilt nach den in der mündlichen
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Verhandlung mitgeteilten und dort unwidersprochen gebliebenen Ermittlungen
der Vorsitzenden Entsprechendes. Die dortige gesetzliche Erbfolge der
Verwandten ist in drei Ordnungen untergliedert. Erben 1. Ordnung sind die
Abkömmlinge des Erblassers (also Kinder, Kindeskinder, etc.), einschließlich
Adoptivkinder. Erben 2. Ordnung sind die Eltern des Erblassers und deren
Abkömmlinge, Erben 3. Ordnung die Großeltern und deren Abkömmlinge.
Weitere Ordnungen gibt es nicht. Sind Erben einer niedrigeren Ordnung
vorhanden, so schließen sie die Erben der höheren Ordnung aus. Im Übrigen
erfolgt die Vererbung nach Stämmen, wobei die näheren Abkömmlinge
entferntere Abkömmlinge ausschließen, soweit sie beim Erbfall noch leben
(Quelle: http://www.erbrechtsberater-berlin.de/deutsch/erbrecht-nach-
stichworten/k/kosovo.html, Stand: 30.06.2014).
Damit ist der Kläger in keinem Fall Erbe seines Bruders geworden; er ist
vielmehr aufgrund der Erbenstellung der Eltern vom Erbrecht ausgeschlossen.
Eine Erbausschlagung der Eltern ist nicht ersichtlich.
b) Auch aus dem Unterhalts- bzw. Familienrecht ergibt sich keine Verpflichtung
des Klägers, die Bestattungskosten seines Bruders zu tragen.
Unterhaltsansprüche bestanden, soweit ersichtlich, nicht.
c) Damit ist wesentlich auf die landesrechtlichen Bestattungsverpflichtungen
abzustellen. Maßgeblich ist insofern das BestG NRW in der Fassung vom 17.
Juni 2003.
(1) Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BestG NRW sind zur Bestattung verpflichtet in der
nachstehenden Rangfolge Ehegatten, Lebenspartner, volljährige Kinder,
Eltern, volljährige Geschwister, Großeltern und volljährige Enkelkinder
(Hinterbliebene). Soweit diese ihrer Verpflichtung nicht oder nicht rechtzeitig
nachkommen, hat die örtliche Ordnungsbehörde der Gemeinde, auf deren
Gebiet der Tod eingetreten ist oder die oder der Tote gefunden worden ist, die
Bestattung zu veranlassen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 BestG NRW).
(2) Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts (OVG) für das
Land Nordrhein-Westfalen schließt das Vorhandensein eines vorrangigen
Bestattungspflichtigen nachrangig Bestattungspflichtige von der
Inanspruchnahme durch die Gemeinde aus, sei es nun im Wege der
Ersatzvornahme oder im Wege des Kostenerstattungsanspruchs (so OVG
NRW, Beschl. v. 20.04.2010 - 19 A 1666/08 -; anders noch die vorherige
Gesetzesfassung, vgl. dazu OVG NRW, Beschl. v. 31.03.2006 - 19 E 969/04 -
). Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass bestattungspflichtig allein die
Eltern des Klägers und seines Bruders sind, ungeachtet ihrer wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit und ihres Wohnorts/Aufenthaltes in der Republik Kosovo.
Zugleich wird die Bestattungsverpflichtung des Klägers von Gesetzes wegen
ausgeschlossen.
(3) An diese Rechtsprechung der zuständigen
Landesverwaltungsgerichtsbarkeit sieht sich die Kammer gebunden. Eine
solche Rechtsprechung ist nach § 137 der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) nicht der Revision zugänglich und damit der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung entzogen. Damit müssen aber auch die anderen staatlichen
Gebietskörperschaften der Bundesrepublik Deutschland diese Bindung
akzeptieren.
Die Kammer räumt dabei ausdrücklich ein, dass das Ergebnis als
unbefriedigend empfunden werden mag, insbesondere dann, wenn die vom
Gesetzgeber gewollte Freistellung von der ordnungsbehördlichen
Bestattungsverpflichtung und der damit verbundenen Kostentragung sich
sozialhilferechtlich gleichsam als Bumerang erweist, weil gerade dadurch auch
die Verpflichtetenstellung im Sinne des § 74 SGB XII entfällt.
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(4) Soweit demgegenüber zwischen der primären Bestattungsverpflichtung auf
der einen Seite und der sekundären Kostenerstattungsverpflichtung auf der
anderen Seite dahingehend differenziert wird, dass die fehlende
Bestattungsverpflichtung als solche die Inanspruchnahme für die
Kostenerstattung auf der Sekundärebene nicht entfallen lasse (Nachweise
dazu bei Greiser, in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 74 Rdnr. 45 f.), so ist dem
entgegenzuhalten, dass eine solche Auslegung mit dem Wortlaut des § 74
SGB XII nicht vereinbar ist. § 74 SGB XII begrenzt die zu übernehmenden
Kosten auf die „erforderlichen“ Kosten einer Bestattung, ohne selbst zu
formulieren, welche Kosten als erforderlich anzusehen sind. Für die nähere
Bestimmung der erforderlichen Kosten ist das Sozialhilferecht damit auf
Normen angewiesene, die außerhalb des Sozialhilferechts liegen, in diesem
Falle insbesondere das landesspezifische Ordnungs- bzw.
Gefahrenabwehrrecht unter Einschluss des jeweiligen Bestattungsgesetzes.
Selbst wenn es insoweit denkbar wäre, zwischen der Bestattungsverpflichtung
auf der einen Seite und der (ordnungsrechtlichen)
Kostenerstattungsverpflichtung auf der anderen Seite zu differenzieren, so ist
doch zu berücksichtigen, dass die sekundäre Kostenerstattungsverpflichtung
mit der im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigenden
Leistungsfähigkeit des Verpflichteten von einem Kriterium abhängt, das
seinerseits den Anspruch nach § 74 SGB XII ausschließt. Sofern der
Kostenerstattungsverpflichtete leistungsfähig ist, entfällt der
sozialhilferechtliche Anspruch; ist er dies nicht, wäre bereits seine Auswahl als
isoliert Kostenerstattungsverpflichteter zumindest ermessensfehlerhaft.
Allenfalls dann, wenn in absehbarer Zeit mit dem Eintritt von Leistungsfähigkeit
zu rechnen wäre, könnte eine entsprechende Inanspruchnahme nach
Ordnungsrecht in Betracht kommen; dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass
im Bereich des § 74 SGB XII eine darlehnsweise Bewilligung wenig Sinn
ergibt, wenn die Bestattung bereits stattgefunden hat.
Damit kann eine mögliche isolierte Kostenerstattungsverpflichtung nach
Gefahrenabwehr- bzw. Ordnungsrecht oder Bestattungsrecht nicht für die
Auslegung des Begriffs der Erforderlichkeit im Sinne des § 74 SGB XII
herangezogen werden. Maßgeblich muss vielmehr allein die
Bestattungsverpflichtung als solche sein.
(5) Dabei kann denknotwendig nur auf die am Ort des Versterbens sich
ergebende Bestattungsverpflichtung abgestellt werden und nicht etwa auf eine
fiktive, sich am Wohnsitz des möglicherweise Bestattungsverpflichteten
ergebende. Das bedeutet für den konkreten Fall, dass die
bestattungsrechtliche Situation in Niedersachsen außer Betracht bleiben
muss, obgleich diese möglicherweise zu einer Bestattungsverpflichtung des
Klägers geführt haben könnte.
(6) Nicht ausreichend ist demgegenüber die sittliche bzw. moralische
Verpflichtung (vgl. Urt. des SG Oldenburg v. 02.12.2011 - S 21 SO 231/09 -),
wie sie der Kläger im vorliegenden Fall für sich angenommen hat.
d) Neben den ausdrücklich formulierten gesetzlichen Grundlagen für eine
Bestattungsverpflichtung ist für eine ergänzende Anwendung der
gewohnheitsrechtlich fundierten, sog. Totenfürsorge kein Raum (vgl. dazu
Greiser, a.a.O., Rdnr. 51 jedenfalls für die Bestattungsverpflichtung).
Damit ist der Kläger nicht Bestattungsverpflichteter im Sinne des § 74 SGB XII.
Darauf, dass den gemeinsamen Eltern ihrerseits offensichtlich nicht zugemutet
werden kann, die Kosten der Bestattung zu tragen, kommt es nach Ansicht der
Kammer nicht an. Die Eltern des Klägers sind nach § 23 SGB XII bereits
deshalb von Sozialhilfeleistungen ausgeschlossen, weil sie im Inland keinen
tatsächlichen Aufenthalt innehaben.
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3. Die Kammer sieht auch keine Wertungswiderspruch dazu, dass bei einer im
Wege der Ersatzvornahme durch die Ordnungsbehörde/Gemeinde erfolgten
Bestattung die Geltendmachung eines Kostenerstattungsanspruchs gegen die
Eltern des Klägers und seines Bruders vermutlich nicht zu realisieren gewesen
wäre. Umgekehrt geht sie vielmehr davon aus, dass die fehlende
Bestattungsverpflichtung des Klägers entweder zu einem Anspruch aus
Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 BGB ff.) gegen die gemeinsamen
Eltern oder aus öffentlich-rechtlicher Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff.
BGB in entsprechender Anwendung) gegen die zuständige Ordnungsbehörde
geführt hat, der dadurch die Aufwendungen für die eigentlich durchzuführende
Ersatzvornahme erspart geblieben sind. Beide Ansprüche sind jedoch nicht
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
4. Die Klage war daher insgesamt abzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).