Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 08.11.2001
LSG Nsb: leistungsfähigkeit, ambulante behandlung, stationäre behandlung, bfa, verfügung, arbeitsunfähigkeit, entwöhnungstherapie, berufsunfähigkeit, niedersachsen, minderung
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 08.11.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 8 AL 359/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 8 AL 379/00
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. April 2000 wie folgt neu gefasst:
"Die Bescheide der Beklagten vom 8. Januar 1998 und vom 16. Januar 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 2. April 1998 werden abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 23. Januar 1998 dem Grunde
nach Arbeitslosengeld zu gewähren." Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen
Kosten des Klägers. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die befristete Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) bis zum 22. Januar 1998 und
begehrt ab 23. Januar 1998 die Leistungsfortzahlung im Wege der sog Nahtlosigkeitsregelung (§ 125 Drittes Buch
Sozialgesetzbuch – SGB III -).
Der 1958 geborene Kläger meldete sich am 14. Oktober 1997 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg,
nachdem er von 1977 bis zum 31. August 1997 beitragspflichtig beschäftigt und seit Mitte 1995 mit kurzen
Unterbrechungen durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war. Der Anspruch auf Krankengeld war am 11. September
1997 erschöpft. Bei der Arbeitslosmeldung machte der Kläger gesundheitliche Einschränkungen geltend, stellte sich
jedoch im Rahmen des noch zu erstellenden ärztlichen Gutachtens dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.
Der Arbeitsamtsärztliche Dienst J. stellte im Gutachten vom 18. November 1997 beim Kläger folgende
Gesundheitsstörungen fest: "Alkoholabhängigkeit mit alkoholtoxischem Leberschaden, chronisch degeneratives
Wirbelsäulensyndrom, fortgeschrittene Gonarthrose links, Störung der Tiefensensibilität an beiden Beinen". Er stellte
ferner fest, dass der Kläger voraussichtlich bis zu 6 Monaten vermindert oder nicht leistungsfähig sei.
Dieses Gutachten wurde mit dem Kläger am 10. Dezember 1997 besprochen. An diesem Tage unterschrieb der
Kläger eine Erklärung, dass bis zum Abschluss einer Kurmaßnahme/Therapie er der Arbeitsvermittlung wegen
fehlender Leistungsfähigkeit nicht zur Verfügung stehe, so dass die Leistungsbewilligung aufzuheben sei. Der Kläger
überreichte ferner ein Attest seines Hausarztes über eine Arbeitsunfähigkeit vom 12. Dezember 1997 bis zum 22.
Januar 1998.
Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 22. Dezember 1997 Alg vom 14. Oktober bis zum 10. Dezember 1997, mit
Bescheid vom 6. Januar 1998 vom 11. Dezember bis zum 31. Dezember 1997 und mit weiterem Bescheid vom 16.
Januar 1998 für die Zeit vom 1. Januar bis zum 22. Januar 1998. Bereits mit Schreiben vom 8. Januar 1998 hatte sie
dem Kläger mitgeteilt, dass die Leistungsbewilligung gemäß § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ab 23.
Januar 1998 aufgehoben werde, weil er wegen fehlender Leistungsfähigkeit der Arbeitsvermittlung nicht zu Verfügung
stehe und Alg nur für die Dauer der attestierten Arbeitsunfähigkeit bewilligt werden könne. Gegen den Bescheid vom
8. Januar 1998 legte der Kläger mit Schreiben vom 26. Januar 1998, eingegangen am 27. Januar 1998, Widerspruch
ein mit der Begründung, er habe Erwerbsunfähigkeitsrente beantragt, so dass eine Leistungsfortzahlung nach § 105a
Arbeitsförderungsgesetz (AFG) erfolgen müsse. Diesen Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid
vom 2. April 1998 als unbegründet zurück. Sie führte aus, der Kläger habe den Anspruch auf Leistungsfortzahlung
wegen Arbeitsunfähigkeit nach § 126 SGB III am 22. Januar 1998 ausgeschöpft. Ein Anspruch auf Alg im Rahmen
der Nahtlosigkeitsregelung (§ 105a AFG/ § 125 SGB III) komme nicht in Betracht, weil die verminderte
Leistungsfähigkeit des Klägers voraussichtlich nicht mehr als 6 Monate dauere.
Gegen den am 6. April 1998 eingegangenen Widerspruchsbescheid erhob der Kläger am 5. Mai 1998 Klage vor dem
Sozialgericht (SG) Hannover.
Der Kläger hatte am 4. November 1997 Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt, die
durch den Bescheid der BfA Berlin vom 27. August 1998 abgelehnt wurde. Am 20. Februar 1998 ging ferner bei der
BfA Berlin ein Antrag des Klägers auf Leistungen zur Rehabilitation, nämlich für stationäre medizinische Leistungen
für Abhängigkeitskranke, ein, nachdem der Hausarzt des Klägers bereits mit Schreiben vom 22. Januar 1998
klargestellt hatte, dass das Begehren des Klägers sich nicht nur auf eine Berentung, sondern gleichzeitig auch auf
medizinische Leistungen zur Rehabilitation richtete. Diesen Antrag bearbeitete die BfA Berlin zunächst nicht, weil der
Kläger Widerspruch gegen den ablehnenden Rentenbescheid eingelegt hatte, obwohl der Kläger auf entsprechende
Nachfragen sein weiterhin bestehendes Interesse an einer Reha-Leistung wiederholte. Der Reha-Vorgang wurde von
der BfA Berlin nicht weiter bearbeitet, weil der Kläger einen aktuellen Befundbericht des Hausarztes bzw einen neuen
Sozialbericht des sozialpsychiatrischen Dienstes nicht eingereicht hatte. Ein Ablehnungs-/ Versagungsbescheid
existiert jedoch nicht.
Das SG Hannover hat mit Urteil vom 6. April 2000 den Bescheid der Beklagten vom 8. Januar 1998 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 2. April 1998 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, der Kläger
könne über den 22. Januar 1998 hinaus Alg gemäß § 125 Abs 1 SGB III beanspruchen, weil Dauer und Schwere der
Alkoholkrankheit des Klägers eine Leistungsminderung von mehr als 6 Monaten bedinge. Gegen das am 15. August
2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. September 2000 Berufung eingelegt.
Die Beklagte trägt unter Hinweis auf Stellungnahmen ihres arbeitsmedizinischen Dienstes vor, eine mehr als 6-
monatige Leistungsunfähigkeit bei Alkoholabhängigkeit sei nur bei schwerem Krankheitsbild bzw bei fehlender
Motivation zur Teilnahme an einer Entwöhnungsbehandlung anzunehmen. Da im vorliegenden Fall der Kläger bereits
einen Antrag auf Entwöhnungsbehandlung gestellt habe, seien aus der Sicht des beurteilenden Gutachters die
Umstände so günstig zu bewerten, dass aus arbeits- und sozialmedizinischer Sicht die Annahme einer nur bis zu 6-
monatigen Leistungsunfähigkeit gerechtfertigt sei. In diesen Fällen kämen statt einer Langzeitbehandlung mit einer
Dauer von ca 6 Monaten kürzere teilstationäre oder ambulante Therapieangebote in Betracht.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 6. April 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. K. L., M., Abteilung
Klinische Psychiatrie. Der Sachverständige ist in seinem Gutachten vom 4. Juli 2001 zum Ergebnis gelangt, dass der
Kläger ab Januar 1998 für länger als 6 Monate nicht leistungsfähig gewesen sei.
Wegen des umfassenden Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte sowie auf den Leistungsvorgang des Arbeitsamtes
J. (StammNr: N.) Bezug genommen. Die Renten- und Rehabilitationsakten der BfA Berlin wurden beigezogen und
waren Gegenstand der Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zu Recht hat das SG der Klage stattgegeben, weil dem Kläger
ab 23. Januar 1998 Alg zusteht. Lediglich zur vollständigen Erfassung der die Leistungsversagung regelnden
Bescheide ist der Tenor des erstinstanzlichen Urteils neu gefasst worden.
Streitgegenstand ist nicht die Aufhebung der Leistungsbewilligung, sondern der Anspruch des Klägers auf Alg für 688
Leistungstage ab 23. Januar 1998. Dieses Begehren ist prozessual mit der verbundenen Anfechtungs- und
Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) geltend zu machen, wie der Kläger mit seiner
Klageschrift zunächst richtig beantragt hatte. Eine reine Anfechtungsklage, wie das SG die Klage behandelt hat,
würde dem Kläger nicht helfen, weil keine Leistungsbewilligung über den 22. Januar 1998 hinaus existiert, die aufleben
könnte, wenn der Aufhebungsbescheid vom 8. Januar 1998 außer Kraft gesetzt wird. Die Beklagte hat nämlich
Leistungen nur befristet bewilligt, zum 11. Dezember 1997, dann zum 31. Dezember 1997 und schließlich mit dem
letzten Bescheid vom 16. Januar 1998 bis zum 22. Januar 1998. Der Aufhebungsbescheid vom 8. Januar 1998 hat
bei dieser Sachlage keinen eigenständigen regelnden Charakter, sondern erklärt nur, warum die Beklagte dem Kläger
über den 22. Januar 1998 hinaus keine Leistungen zahlen will. Die Bescheide der Beklagten vom 8. Januar 1998 und
vom 16. Januar 1998 müssen deshalb als einheitliche Verfügung über den Leistungsanspruch ab 23. Januar 1998
angesehen werden, gegen die sich der Widerspruch des Klägers vom 27. Januar 1998 richtet. Über diesen Anspruch
hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. April 1998 entschieden. Unerheblich ist es, dass der Kläger in der
mündlichen Verhandlung vor dem SG keinen Leistungsantrag gestellt hat. Denn das Gericht entscheidet über die vom
Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein (§ 123 SGG).
Der Anspruch auf Alg setzt ua gemäß §§ 117 Abs 1 Nr 1, 118 Abs 1 Nr 2 SGB III die Fähigkeit und die Bereitschaft
voraus, eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung zu suchen.
Diese Tatbestandsvoraussetzung entfällt nicht deshalb, weil der Arbeitslose wegen einer mehr als 6-monatigen
Minderung seiner Leistungsfähigkeit versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende
Beschäftigungen nicht unter den Bedingungen ausüben kann, die auf dem für ihn in Betracht kommenden
Arbeitsmarkt ohne Berücksichtigung der Minderung der Leistungsfähigkeit üblich sind, wenn weder Berufsunfähigkeit
oder Erwerbsunfähigkeit iS der gesetzlichen Rentenversicherung festgestellt worden sind (§ 125 Abs 1 Satz 1 SGB III
in der bis zum 31. Dezember 2000 gültigen Fassung).
Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers erfüllt. Die objektive Verfügbarkeit (Arbeitsfähigkeit) wird über den
22. Januar 1998 hinaus gemäß § 125 SGB III fingiert, bis der zuständige Rentenversicherungsträger die Feststellung
getroffen hat, ob Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit vorliegt. Der Kläger war ferner subjektiv verfügbar (§ 119
Abs 2 SGB III), weil er sich im Rahmen des ärztlich festgestellten Leistungsvermögens arbeitsbereit erklärt hat.
Der Kläger war im Januar 1998 für einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten infolge der schweren Alkoholabhängigkeit
nicht leistungsfähig. Diese Überzeugung gewinnt der Senat aus dem eingeholten Sachverständigengutachten von
Prof. Dr. L., M., vom 4. Juli 2001. Da es sich um ein Gutachten nach Aktenlage handelt, sind dabei insbesondere die
vom ärztlichen Dienst der Beklagten erhobenen Befunde und Feststellungen verwertet worden. Bezüglich der beim
Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen besteht kein Dissens, weil in dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten von
Dr. O., des Arbeitsamtsärztlichen Dienstes in J., vom 18. November 1997 und vom 27. Februar 1998 die Krankheit
des Klägers als Alkoholabhängigkeit und nicht nur als Alkoholabusus bezeichnet wird. Lediglich die Schlussfolgerung
in beiden amtsärztlichen Gutachten, der Kläger sei für einen Zeitraum von weniger als 6 Monaten leistungsunfähig, ist
mangels Begründung nicht nachvollziehbar. Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren unter Bezugnahme auf
entsprechende Äußerung des ärztlichen Dienstes beim Landesarbeitsamt vorgetragen hat, die Suchtkrankheit des
Klägers sei einer ambulanten Therapie zugänglich, bleibt festzustellen, dass diese Auffassung nicht von Dr. O. geteilt
wird, der den Kläger beim Arbeitsamtsärztlichen Dienst in J. untersucht und begutachtet hat. Dr. O. hebt in seiner
Stellungnahme vom 15. Dezember 1998 hervor, dass bei der chronischen Alkoholkrankheit des Klägers eine
Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit nur durch eine stationäre Entwöhnungstherapie erreicht werden kann.
Der vom Senat beauftragte Sachverständige Prof. Dr. L. hat die unterschiedlichen Behandlungsformen, deren
Erfolgsquoten, insbesondere im Vergleich zu den differenzierten Krankheitsbildern, geschildert. Die ambulante
Entwöhnungstherapie bietet eine Reihe von Vorteilen, weil der Patient in seinem sozialen Umfeld verbleibt, so dass
kein Bruch in den familiären oder beruflichen Beziehungen erfolgen muss. Allerdings ist das Spektrum der
Therapieformen im ambulanten Bereich sehr begrenzt und setzt eine hohe Motivation des Patienten sowie eine hohe
Bereitschaft zur Mitarbeit voraus. Denn aktuelle Probleme des Alltags können den Alkoholkranken in einem größeren
Umfange von therapeutischer Reflektion und aktiver Veränderung des Verhaltens abhalten als bei klinischer
Behandlung. Aus diesem Grunde kommt eine ambulante Behandlung in der Regel nur bei leichten Formen der
Alkoholkrankheit bzw zu Beginn der Suchtverhaltens (sog Prodromalphase) als sinnvolle und erfolgsversprechende
Therapie in Betracht.
Beim Kläger liegt nach übereinstimmender Auffassung der behandelnden und begutachtenden Ärzte eine schwere und
chronische Alkoholabhängigkeit vor. Der jahrelange übermäßige Alkoholkonsum hat nicht nur zu einer Lebervergiftung
geführt. Beim Kläger lassen sich eine Vielzahl neuerer psychologischer Leistungsbeeinträchtigungen und
Auffälligkeiten nachweisen, die auf die langjährige Alkoholabhängigkeit zurückführen sind. Im amtsärztlichen
Gutachten vom 18. November 1997 werden feuchte Hände, Tremor beider Hände, unsicherer Hände-Nase-Versuch,
unsichere Gang-Versuche und Ruhetremor beider Hände beschrieben. Anlässlich der amtsärztlichen Untersuchung
vom 27. Februar 1998 wurde als Befund festgestellt: rötlich livide Gesichtsverfärbung, bläuliche Verfärbung der
Extremitäten, unsicherer Einbeinstand, unsicherer Blindgang, deutlicher Tremor beider Hände. In seiner
Stellungnahme vom 27. November 1997 hatte Dr. O. ua folgende Diagnosen gestellt: Störungen des Gleichgewichts
und Hirnleistungsstörungen. Der Kläger selbst klagt an mehreren Stellen über Gedächtnis- und
Konzentrationsschwächen, Müdigkeit, Unruhe und leichte Reizbarkeit. Neben den neuropsychologischen
Leistungsbeeinträchtigungen führt Prof. Dr. L. auch die Tiefensensibilität in den Beinen auf eine alkoholtoxische
Polyneuropathie zurück, wie diese sehr oft als neurologische Komplikation beim chronischen Alkoholismus
anzutreffen ist. Bereits die behandelnden Ärzte des Klägers hatten darauf hingewiesen, dass die chronischen
Wirbelsäulenbeschwerden, insbesondere die Druckempfindlichkeit der langen Nervenstämme, durch die Folgen der
Alkoholkrankheit verschlimmert werden.
Es ist für den Senat ohne Weiteres nachvollziehbar, dass bei diesem schweren Krankheitsbild eine ambulante
Entwöhnungstherapie ausscheidet. Das hat auch Dr. O. in seiner arbeitsamtsärztlichen Stellungnahme vom 15.
Dezember 1998 festgestellt. Im Übrigen hat Prof. Dr. L. darauf hingewiesen, dass für schwer alkoholabhängige
Patienten mit Folgeschäden ein Behandlungsprogramm im ambulanten Bereich nur bei der Universität P. durchgeführt
wird. Diese Angaben werden von der Beklagten nicht bestritten. Der Kläger kann aber von seinem Wohnort (Q.) aus
nicht in P. ambulant therapiert werden. Die Schwere und die Dauer seiner Alkoholkrankheit lassen die Durchführung
einer Langzeitentwöhnungsbehandlung als erforderlich erscheinen, die zusammen mit der vorzuschaltenden
Entgiftungsphase den Zeitraum einer aufgehobenen Leistungsfähigkeit von mehr als 6 Monaten umfasst.
Zusammenfassend bleibt hervorzuheben, dass in den letzten Jahren sich das therapeutische Instrumentarium bei
Alkoholkrankheiten weiterentwickelt hat und bei bestimmten Erscheinungsformen des Suchtverhaltens und bei
günstigen Bedingungen im sozialen Umfeld auch eine teilstationäre oder ambulante Therapiemaßnahme, die
insgesamt weniger als 6 Monate dauert, die Leistungsfähigkeit eines Alkoholikers wieder herstellen kann. Es ist die
Aufgabe der Beklagten in ihren sozialmedizinischen Gutachten derartige günstige Umstände (Schweregrad der
Krankheit einschließlich Folgeschäden, günstige familiäre bzw berufliche Bedingungen, fehlende Motivation für eine
stationäre Behandlung, große Bereitschaft für unterschwellige Behandlungsangebote, geeignete Therapieformen vor
Ort, Rückfallrisiko, ausreichende Umfeldbedingungen für therapeutische Reflektion usw) im Einzelnen festzustellen
und zu würdigen. Diesen Anforderungen genügen die aktenkundigen amtsärztlichen Gutachten nicht.
Der Kläger ist seinen Verpflichtungen aus § 125 Abs 2 SGB III zwecks Inanspruchnahme der Nahtlosigkeitsregelung
nachgekommen und hat beim zuständigen Rentenversicherungsträger einen Antrag auf medizinische
Rehabilitationsleistungen für Abhängigkeitskranke gestellt. Es ist von ihm nicht zu verantworten, wenn die BfA Berlin
gesetzeswidrig während des laufenden Rentenverfahrens den Rehabilitationsantrag nicht bearbeitet hat. Ein Bericht
des Hausarztes und ein Sozialbericht lagen rechtzeitig vor. Aus welchen Gründen der Kläger fast zwei Jahre später
neue Unterlagen vorlegen muss, ist nicht nachvollziehbar. Ob der Kläger dazu verpflichtet war, konnte er bislang nicht
klären lassen, weil die BfA Berlin noch keinen Ablehnungs- bzw Versagungsbescheid erlassen hat.
Der Senat entscheidet durch Grundurteil gemäß § 130 SGG. Mit der Feststellung, ob der Kläger am 23. Januar 1998
einen Anspruch auf Alg hat, wird dem Bedürfnis der Beteiligten nach Klärung der Rechtsfrage, ob eine kürzere oder
längere Leistungsunfähigkeit als 6 Monate vorliegt, hinreichend Rechnung getragen. Der Senat braucht nicht darüber
zu entscheiden, bis wann (Ende der Sperrwirkung durch die Nahtlosigkeitsregelung) bzw in welcher Höhe (Teilerfüllung
durch andere Sozialleistungen) der Anspruch auf Alg bestanden hat. Insoweit bedurfte es keiner Beiladung des
Sozialhilfeträgers, wie von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat beantragt. Diesen Fragen wird
die Beklagte vor Erlass des Ausführungsbescheides nachzugehen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Beklagte ist mit ihrem Rechtsmittel erfolglos geblieben, so dass
sie auch die zweitinstanzlichen außergerichtlichen Kosten des Klägers übernehmen muss.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.