Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 11.09.2006

LSG Nsb: wohnung, umzug, zusicherung, notlage, wohnfläche, erlass, niedersachsen, beihilfe, zink, verfügung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 11.09.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 23 AS 148/06 ER
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 9 AS 409/06 ER
Der den einstweiligen Rechtsschutz versagende Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 29. Juni 2006 wird
aufgehoben.
Der Beschwerdegegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Beschwerdeführern einmalige
Beihilfen für die Auszugsrenovierung sowie für die Einzugsrenovierung zu gewähren.
Der Beschwerdegegner hat die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführer zu tragen.
Den Beschwerdeführern wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe gewährt.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im vorläufigen Rechtsschutzverfahren um die Gewährung einmaliger Beihilfen für
Renovierungen anlässlich des Wohnungswechsels der Beschwerdeführer.
Die Beschwerdeführer stehen seit Anfang 2005 im laufenden Bezug von Leistungen zur Existenzsicherung nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bei dem Beschwerdegegner.
Ursprünglich lebten sie in der Wohnung D. Straße 53 in E ... Die Wohnung hatte 75 qm Wohnfläche. Der
Beschwerdegegner wies die Beschwerdeführer darauf hin, die Wohnung sei nach den Maßstäben des SGB II
unangemessen. Er forderte sie auf, die Unterkunftskosten zu senken.
Aus einem Vermerk im Verwaltungsvorgang des Beschwerdegegners ergibt sich, dass sich die Beschwerdeführerin
zu 1. bereits am 31. Oktober 2005 und erneut am 2. Januar 2006 an den Beschwerdegegner wandte und darum bat,
anlässlich ihres bevorstehenden Umzugs anfallende Renovierungskosten sowohl in der alten als auch in der nunmehr
zu beziehenden Wohnung in der F. 14, E. (60 qm Wohnfläche) zu übernehmen. Aus dem Vermerk ist weiter zu
entnehmen, dass dieses Begehren jeweils mündlich abgelehnt wurde. Mit anwaltlichem Schreiben vom 9. Januar 2006
wandte sich die Beschwerdeführerin zu 1. erneut an den Beschwerdegegner und legte Widerspruch gegen diese
abschlägige Entscheidung ein. Die Beschwerdeführerin zu 1. ließ mitteilen, sie sehe einer Abhilfeentscheidung bis
zum 25. Januar 2006 entgegen. Nachdem keine Entscheidung des Beschwerdegegners ergangen war, wandte sich
die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10. Februar 2006 (eingegangen am 13. Februar 2006) an das Sozialgericht
(SG) Hildesheim und ersuchten um Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Zur Begründung ihres Begehrens
wiesen die Beschwerdeführer darauf hin, ihnen stünden nicht ausreichend bare Mittel zur Verfügung, um den
entstandenen Renovierungsbedarf begleichen zu können. Sie seien nunmehr darauf angewiesen, die Mittel aus den
ihnen zufließenden regelmäßigen Leistungen nach dem SGB II zu entnehmen.
Der Umzug wurde am 8. Februar 2006 durchgeführt.
Das SG hat den einstweiligen Rechtsschutzantrag mit Beschluss vom 29. Juni 2006 abgelehnt. Zur Begründung hat
es darauf hingewiesen, der Umzug sei mittlerweile durchgeführt worden. Daher sei die Sache nicht mehr eilbedürftig.
Es müsse nunmehr in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden, ob die Beschwerdeführer einen Anspruch gegen
den Beschwerdegegner hätten, ihre Renovierungskosten zu übernehmen.
Gegen den am 3. Juli 2006 zugestellten Beschluss haben die Beschwerdeführer am 7. Juli 2006 Beschwerde
eingelegt.
Zu dessen Begründung nehmen sie auf ihren erstinstanzlich gestellten Antrag Bezug und weisen weiter darauf hin,
das SG habe fast fünf Monate für den abweisenden Beschluss gebraucht. Die Notlage der Beschwerdeführer sei erst
nach dem 10. Februar 2006 eingetreten, weil diese die Renovierungsarbeiten aus der Regelleistung bestritten hätten.
Die Beschwerdeführer beantragen (sinngemäß),
1. den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 29. Juni 2006 aufzuheben,
2. den Beschwerdegegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen eine einmalige Beihilfe für die
abgeleisteten Renovierungsarbeiten zu gewähren.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf den erstinstanzlichen Beschluss und weist erneut darauf hin, es sei keine
Eilbedürftigkeit erkennbar.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beschwerdegegners Bezug genommen. Diese
Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Die Beschwerdeführer haben die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2
Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) glaubhaft gemacht. Ihnen steht nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich ein Anspruch aus § 22 SGB II auf die Gewährung der von ihnen
begehrten Renovierungsbeihilfen zu.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG sind einstweiligen Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig
erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer derartigen einstweiligen Anordnung ist, dass sowohl die Eilbedürftigkeit
(Anordnungsgrund) als auch der materielle Anspruch auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) glaubhaft
gemacht werden.
Vorliegend haben die Beschwerdeführer zunächst die Eilbedürftigkeit der Sache glaubhaft gemacht. Sie stehen im
laufenden Bezug von Leistungen zur Existenzsicherung nach § 19 ff SGB II. Daher stehen ihnen keine laufenden
Einkünfte oder Vermögen zur Verfügung, welches sie für den geltend gemachten Bedarf einsetzen könnten. Die
Beschwerdeführer haben im laufenden Verfahren auch von Beginn an geltend gemacht, der Bedarf sei entstanden und
anlässlich des Umzugs auch von ihnen befriedigt worden. Dies führt indessen nicht – wie das SG angenommen hat –
dazu, dass der Anordnungsgrund hier im Laufe des Verfahrens entfallen wäre. Die Beschwerdeführer haben nämlich
gleichzeitig geltend gemacht, sie hätten die notwendigen Geldmittel aus der Regelleistung nach dem SGB II gedeckt.
Dies führt, so versteht der Senat den Vortrag der Beschwerdeführer, dazu, dass die Beschwerdeführer nunmehr auf
Dauer derart in einer wirtschaftlichen Notlage sind, dass ihnen die zufließenden Leistungen zunächst nicht zur
Existenzsicherung, sondern zur Deckung eines Defizits dienen. Vor diesem Hintergrund ist der Senat der Auffassung,
dass die Notlage der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Antragstellung (am 10. Februar 2006) vorhanden war und im
Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch vorhanden ist. Deckt der Hilfebedürftige den geltend gemachten Bedarf
erst nach Antragstellung, aber noch während eines laufenden Widerspruchs- oder Klageverfahrens, so bleibt diese
Bedarfsdeckung außer Betracht (vgl. hierzu Wieland in Estelmann, Herausgeber, SGB II, § 22 Rdnr. 48 unter Hinweis
auf die noch zum Sozialhilferecht ergangene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 1994, 5 C
26.92).
Die Beschwerdeführer haben auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Dieser ergibt sich nach der im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung aus § 22 SGB II.
Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es sich bei den geltend gemachten Kosten nicht um "Umzugskosten"
i. S. von § 22 Abs. 3 SGB II handelt. Nach dieser Vorschrift können Wohnungsbeschaffungskosten sowie
Mietkautionen und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den kommunalen Träger übernommen werden.
Eine derartige Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus
anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum
nicht gefunden werden kann. Der Begriff Wohnungsbeschaffungskosten ist zwar weit auszulegen (vgl. hierzu Lang in
Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rdnr. 83). Unter Wohnungsbeschaffungskosten werden indessen nur die
Aufwendungen verstanden, die mit dem Finden und Anmieten einer Wohnung verbunden sind (vgl. Kalhorn in
Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rdnr. 26). Die hier streitgegenständlichen Renovierungskosten dienten aber nicht der
Erlangung einer neuen Wohnung, wie sie vom Beschwerdegegner veranlasst worden war. Dies ergibt sich hinsichtlich
der Auszugsrenovierung ohne weiteres. Aber auch die Kosten für die Einzugsrenovierung dienen letztlich nicht der
Erlangung der Wohnung. Sie haben vielmehr die Funktion, die neu angemietete und jetzt – was zwischen den
Beteiligten unstreitig ist – angemessene Wohnung für die Belange der Leistungsberechtigten herzurichten.
Sowohl die Auszugsrenovierung als auch die im Zuge des Einzugs notwendigen Renovierungsarbeiten gehören
nämlich direkt zum Unterkunftsbedarf i. S. von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Nach dieser Norm werden Leistungen für
Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Kosten für
Schönheitsrenovierungen sind im angemessenen Umfang zu übernehmen, wenn sie vertraglich vereinbart sind (vgl.
Gerenkamp in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 22 SGB II, Rdnr. 20). Die
angemessenen Unterkunftskosten i. S. von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II umfassen nämlich nicht nur die laufenden
Kosten, sondern auch einmalige Aufwendungen, die mit Bezug, Unterhaltung und Wechsel der Unterkunft
zusammenhängen (Rothkegel in Gagel, SGB III zu § 22 SGB II Rdnr. 57; Berlit in LPK SGB II, § 22 Rn 18 - so auch
schon zum Sozialhilferecht Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. April 1992, 5 C 26/88 a. A. offenbar Kalhorn in
Hauck/Noftz, SGB II, § 22 Rn 27, der derartige Kosten zu den Umzugskosten rechnen will, hierfür indessen keine
Begründung gibt). Die sach- und fristgerechte Durchführung von Schönheitsreparaturen, wozu auch die
Auszugsrenovierung rechnet, wird mietvertraglich geschuldet. Hierfür entstehende Aufwendungen rechnen zu den
Kosten der Unterkunft. Der Gewährung einer einmaligen Beihilfe steht auch nicht entgegen, dass der nach § 20 SGB
II gewährte Regelsatz in geringem Umfang Kosten für Reparaturen enthält. Die insoweit enthaltenen Posten im
Regelsatz sind nämlich bei weitem nicht ausreichend, um die erforderlichen, turnusmäßig geschuldeten
Schönheitsreparaturen – selbst bei Eigenvornahme – zu finanzieren (vgl. hierzu eingehend Berlit in NDV 2006, 5,12,
15, a. A. Wieland in Estelmann, Hrsg., SGB II, § 22 Rn 53).
Dem kann dem Beschwerdegegner nicht entgegen halten, die Beschwerdeführer seien vertraglich nicht verpflichtet
gewesen, eine Auszugsrenovierung vorzunehmen. Aus dem von den Beschwerdeführern vorgelegten Mietvertrag vom
7. August 1997 ergibt sich nämlich das Gegenteil. Nach § 8 dieses Mietvertrages waren die Beschwerdeführer
nämlich sehr wohl verpflichtet, eine Auszugsrenovierung vorzunehmen. Nach § 8 Abs. 3 des Mietvertrages hatten sie
die Möglichkeit, durch Selbstvornahme der notwendigen Renovierungsarbeiten dafür zu sorgen, dass eine teurere
Renovierung durch einen Fachbetrieb unterbleibt. Durch ihr Vorgehen haben sie also dafür Sorge getragen, dass der
Beschwerdegegner von weiteren Kosten verschont bleibt.
Die vorstehenden Ausführungen zur Auszugsrenovierung gelten im Wesentlichen auch für die Einzugsrenovierung.
Auch derartige Aufwendungen rechnen im angemessenen Umfang zu den Kosten der Unterkunft (vgl. erneut
Rothkegel a.a.O.; a.A. Gerenkamp in Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung und Sozialhilfe, § 22 SGB II, Rdnr.
20, der eine Anfangsrenovierung unter § 22 Absatz 3 SGB II subsummiert, aber hierfür keine ins Einzelne gehende
Begründung gibt, die sich mit dem Wortlaut - "zur Erlangung" – auseinander setzt; vgl. auch Berlit in LPK SGB II, §
22 Rn 61,64, aber auch Rn 18, soweit die Einzugsrenovierung vertraglich geschuldet ist). Insoweit werden die
Beschwerdeführer dem Beschwerdegegner im Einzelnen glaubhaft zu machen haben, welche Kosten ihnen für das
Bewohnbarmachen der neuen Wohnung im Einzelnen entstanden sind und welche dieser Kosten unumgehbar waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG.
Dem Beschwerdeführern war für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens in Anwendung von § 73 a SGG i. V. m.
§ 114 Zivilprozessordnung (ZPO) Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Der Beschluss ist für die Beteiligten in Anwendung von § 177 SGG nicht anfechtbar.