Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 06.06.2002

LSG Nsb: freiwillige versicherung, berufskrankheit, gerichtsverfahren, merkblatt, einwirkung, niedersachsen, anerkennung, stoff, schlaganfall, leberschaden

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 06.06.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 13 U 208/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 290/99
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hannover vom 21. Juni 1999 wird
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung von Gesundheitsstörungen, u.a. einer Aor-tasklerose als Folge einer
Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1305 (Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff) der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung (BKV), oder diese Erkrankungen wie eine BK zu entschädigen.
Der im Februar 1925 geborene Kläger war seit 1953 Betreiber eines Handelsge-werbes mit Glasfenstern und Türen.
Bauarbeiten wurden in seinem Auftrag von Lohnunternehmern durchgeführt, handwerkliche Arbeiten hat er nicht
verrichtet (Angaben des Klägers gegenüber dem technischen Aufsichtsbeamten B. am 20. September 1990, Vermerk
vom 2. November 1990). Seit Januar 1978 war er bei der Beklagten freiwillig versichert.
Erstmals 1990 führte er verschiedene, seit 1972 aufgetretene Gesundheitsbe-schwerden - vor allem der Atemwege -
gegenüber der Beklagten auf den Um-gang u.a. mit Autoabgasen, Druckerzeugnissen - hier vor allem der C. Zeitung -,
Dichtstoffmitteldämpfen sowie Kopierern zurück. Direkten Umgang mit Silikonen, Lacken und Verdünnern, die
geschlossen gelagert worden seien, habe er nicht gehabt, da er seine Arbeitszeit hälftig mit kaufmännischen und
organisatorischen sowie Außendiensttätigkeiten verbringe (Angaben des Klägers gegenüber dem technischen
Aufsichtsbeamten B. am 20. September 1990, Vermerk vom 2. November 1990, sowie gegenüber Dr. D.). Auf die
ärztlichen Anzeigen über eine BK des Dr. E. vom 29. September 1990 und des Arztes F. vom 14. April 1990 wegen
einer allergischen Atemwegserkrankung und des Verdachts auf Ü-berempfindlichkeitsreaktionen gegenüber
Lösungsmittel veranlasste die Beklagte die Begutachtung durch den Internisten und Allergologen Dr. D. (Gutachten
vom 20. Februar 1991). Der Gutachter verneinte eine obstruktive Atemwegserkran-kung und nahm eine unspezifische
Hyperreaktivität der Nasenschleimhäute auf berufliche und außerberufliche Einflüsse an. Auch bei den von Dr. E.
durchge-führten Tests ergaben sich keine Hinweise für ein auslösendes Agenz der vom Kläger angegebenen
Hustenanfälle (Arztbrief vom 4. Dezember 1990). Nach Einholung einer Stellungnahme der Landesgewerbeärzte Dres.
G. vom 27. Juni 1991 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK ab (Bescheid vom 16. Juli 1991,
Widerspruchsbescheid vom 15. Juni 1993) und verneinte auf den Antrag des Klägers vom April 1993 mit Bescheid
vom 14. Juli 1993 auch das Vorliegen der zwischenzeitlich von der Verordnungsgeberin eingeführten BK Nr. 1315 (
Erkrankungen durch Isocyanate).
Im anschließenden Klageverfahren (S 22 U 191/93) legte die Beklagte Auskünfte der H. GmbH und der Firma I. GmbH
sowie Sicherheitsdatenblätter über Thiokol bzw LP 977C vor. Der Kläger trug vor, er habe in den Jahren 1964 bis 1976
sehr intensiven Kontakt mit Thiokol gehabt und sei danach nur noch für die Überwachung und Korrektur der
Verarbeitung zuständig gewesen. Nach Einholung einer Stellungnahme des Landesgewerbearztes Dr. J. vom 30.
Oktober 1995 wurde die Klage abgewiesen (Urteil des Sozialgerichts - SG - Hannover vom 25. März 1996). Die
Berufung wurde nach Einholung des auf Antrag des Klägers nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten
Gutach-tens des Prof. Dr. K., Leiter der Abteilung Pneumologie der L., vom 11. Juni 1997 nebst röntgenolo-gischem
Bericht des Prof. Dr. M. vom 7. März 1997 durch Beschluss vom 22. September 1997 zurückgewiesen (L 3 U
205/96), die Nichtzulassungsbeschwerde wurde verworfen (Beschluss des Bundessozialge-richts - BSG - vom 7.
Januar 1998).
Mit Schreiben vom 20. Oktober 1997 beantragte der Kläger, die bei ihm festge-stellte Aortasklerose (Gutachten des
Prof. Dr. K. vom 11. Juni 1997) als BK an-zuerkennen. Diese sei durch die intensive berufliche Einwirkung von
Thiokol, ei-ner Schwefelkohlenstoffverbindung, verursacht und unterliege der BK Nr. 1305 der Anlage zur BKV. Er sei
von 1975 bis 1979 bei eigener Arbeitsleistung durch den Einbau "nachträglicher Isolierverglasungen” in ca. 4000
Arbeitsstunden dem Kontakt mit Thiokol in einer MAK von 180 ml/cbm ausgesetzt gewesen, obwohl die zulässige
MAK 10 ml/cbm betragen habe. Die Beklagte lehnte die Anerken-nung dieser BK unter Hinweis auf die Ermittlungen
des SG Hannover und des LSG Niedersachsen in dem vorausgegangenen Gerichtsverfahren ab (Bescheid vom 12.
März 1998, Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 1998). Hiergegen hat der Kläger am 8. Juni 1998 Klage erhoben. Die
Beklagte hat mit Bescheid vom 25. September 1998 die Entschädigung der Gesundheitsstörungen wie eine BK nach
§ 9 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 7. Buch (SGB VII) abgelehnt. Das SG Hannover hat die Klage mit Gerichtsbescheid
vom 21. Juni 1999 abge-wiesen. Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch 10. Buch (SGB X)
seien nicht erfüllt. Nach der im vorausgegangenen Gerichtsverfahren eingeholten Stellungnahme des Dr. J.
verursache Thiokol unter Umständen Ge-sundheitsstörungen im Bereich der Haut. Ein Ursachenzusammenhang
zwischen Thiokol und Atemwegserkrankungen oder Aortasklerose sei in der wissen-schaftlichen Literatur nicht
festgestellt worden.
Gegen diesen an ihn am 9. Juli 1999 abgesandten Gerichtsbescheid hat der Klä-ger am 2. August 1999 Berufung
eingelegt. Er trägt vor, die BKV erfasse Schad-stoffe nicht nach ihren Produktnamen, sondern nach ihren
Inhaltsstoffen. Thiokol sei kein - wie von der Beklagten behauptet - Schwefelkohlenwasserstoff, sondern ein
verunreinigter Schwefelkohlenstoff. Es enthalte Beimengungen von Anilin und hochflüchtigen Thiolen sowie reinen
Schwefelkohlenstoff. Dr. J. habe in seiner Stellungnahme vom 30. Oktober 1995 keine richtige Zuordnung des Stoffes
Thiokol vorgenommen. Sein Husten sei fälschlicherweise der BK Nr 4301 (obst-ruktive Atemwegserkrankung) und
nicht der BK Nr. 1305 zugeordnet worden. Bei ihm bestünden keine Gesundheitsstörungen im pneumologischen,
sondern im polyneuritischen Bereich. Das langdauernde Einatmen von Mercaptangas habe bei ihm zu Hustenattacken
und in der Folge zum Schlaganfall, Erregungszustän-den des Herzens und der Aortensklerose und seiner
Berufsunfähigkeit geführt. Auf der Geschäftsfahrt zu der Fensterfabrik N. im März 1989 sei er zunächst in durch
Gülledüngung ausgelöste Dämpfe geraten, was bei geschädigtem Im-munsystem durch die vorausgegangene
Dauervergiftung durch Thiokol zu Hus-tenattacken geführt habe. Anschließend sei er den schwachen Farbdämpfen in
der Lackiererei der Fabrik ausgesetzt gewesen. Durch beide Einflüsse sei es zu seinem Schlaganfall gekommen. Das
Herz- und Nervensystem seien die medizi-nisch bekannten Krankheitsherde für Thiokol. Der durchgeführte
Histamintest belege sein unheilbar geschädigtes Immunsys-tem u.a. durch die Aortensklerose, einen Leberschaden
und einen Herzklappen-fehler. Auch die von der Ärztin O. diagnostizierte venöse Insuffizienz beider Beine sei
Spätfolge der Thiokoleinwirkung.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1. den Gerichtsbescheid des SG Hannover vom 21. Juni 1999 und den Bescheid der Beklagten vom 12. März 1998 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Mai 1998 sowie den Be-scheid vom 25. September 1998
aufzuheben,
2. festzustellen, dass die Gesundheitsstörungen - Hustenanfälle, Aortasklerose, Leberschaden, Herzklappenfehler -
Folgen einer Berufskrankheit nach Nr. 1305 der Anlage zur Berufskrankhei-ten-Verordnung oder Folgen von
Erkrankungen sind, die wie ei-ne Berufskrankheit nach § 9 Abs 2 SGB VII zu entschädigen sind,
3. die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Hannover vom 21. Juni 1999 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Kläger hat eine Rechnung der Ärzte Dres. P. u.a. vom 28. Juni 1999, einen Auszug aus einem Lexikon zu
Schwefelkohlenstoff und Anilin und das Rezept der Ärztin O. vom 11. April 2002 vorgelegt. Der Senat hat eine
Stellungnahme des Landesgewerbearztes Dr. J. vom 30. August 2000 nebst dessen Unterlagen zu "Thiokol”
eingeholt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten
dieses sowie des vorausgegangenen Ver-fahrens - S 22 U 181/93 - Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung
und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die statthafte Berufung ist form -und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der
Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer BK Nr. 1305 der Anlage zur BKV und deshalb auch keinen
Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente. Er hat auch keinen Anspruch darauf, dass die von ihm geltend gemachten
Gesundheitsstörungen wie eine BK nach § 9 Abs 2 SGB VII entschädigt werden.
Nach § 9 Abs 1 SGB VII sind Berufskrankheiten Krankheiten, welche die Bundes-regierung durch Rechtsverordnung
mit Zustimmung des Bundesrates als BK be-zeichnet hat und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz
nach dem hier allein interessierenden § 6 SGB VII (freiwillige Versicherung) begründenden Tätigkeit erleiden. Hierzu
zählen auch die unter Nr. 1305 der Anlage zur BKV aufgenommenen Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff.
Die gemäß § 55 Abs 1 Nr. 3 SGG zulässige Feststellungsklage ist nicht begrün-det. Die Voraussetzungen für die
Feststellung von Gesundheitsstörungen als Folge einer BK Nr. 1305 der Anlage zur BKV sind nicht erfüllt.
1. So lässt sich bereits das Bestehen von Gesundheitsstörungen beim Kläger nicht feststellen.
Die Anerkennung des vom Kläger geltend gemachten "Hustens” als BK scheitert bereits daran, dass dieses - in der
allgemeinen Bevölkerung unabhängig von ei-ner beruflichen Belastung weit verbreitete - Symptom allein von der BKV
nicht als Listenerkrankung, und vor allem nicht von der BK Nr. 1305 erfasst wird. Vielmehr tritt "Husten” als Symptom
bei den obstruktiven Atemwegserkrankungen (BKen Nrn. 4301 und 4302 der Anlage zur BKV) auf, die aber nach den
in dem voraus-gegangenen Rechtsstreit (S 22 U 181/93) durchgeführten Ermittlungen gerade nicht vorliegen und die
auch nicht Gegenstand dieses Berufungsverfahrens sind. Deshalb scheidet insoweit auch eine Entschädigung wie
eine BK nach § 9 Abs 2 SGB VII aus. Davon abgesehen sind bei dem Kläger auch keine allergischen Re-aktionen
festgestellt worden und der von ihm angeschuldigte Stoff "Thiokol” ent-faltet nach der Auskunft des Dr. J. vom 30.
Oktober 1995 Wirkung nur im Bereich der Haut.
Weiterhin ist nicht bewiesen, dass der Kläger an einer krankheitswertigen Aor-tasklerose leidet. Vor Beurteilung der
Frage, ob eine Erkrankung durch berufliche Einflüsse verur-sacht worden ist, muss zunächst das Bestehen eines
derartigen Krankheitsbildes im Wege des Vollbeweises festgestellt werden. Dabei ist eine Erkrankung als
vollbewiesen anzusehen, wenn ihr Vorliegen in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles
nach vernünftiger Abwägung und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche
Überzeugung zu begründen, d.h. dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar über-schauender Mensch an
ihrem Vorliegen mehr zweifelt (vgl. BSGE 32, 203 ff. so-wie BSG Urteil vom 27. März 1990, 2 RU 45/89).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im vorausgegangenen Berufungsver-fahren (L 3 U 205/96) ist nicht
nachgewiesen, dass der Kläger tatsächlich an ei-ner Aortasklerose solchen Ausmasses leidet, dass diese
Krankheitswert hat. Zwar hat der Röntgenologe Prof. Dr. M. bei dem Kläger eine mäßiggradige Aortasklerose
diagnostiziert. Pathologische Bedeutung kommt dieser Diagnose aber nicht zu, zumal die Sachverständigen diesem
Befund keinerlei wesentliche Bedeutung beimessen.
Auch der vom Kläger geltend gemachte Herzklappenfehler und die Leberschäden sind nicht im Wege des
Vollbeweises nachgewiesen: Auch insoweit haben die Sachverständigen keine wesentlichen pathologischen
Gesundheitsstörungen festgestellt. Der Herz- Lungenbefund wird von Prof. Dr. K. vielmehr als unauffällig bezeichnet
(S. 10 des Gutachtens), einen Herzklappenfehler diagnostizierten sie nicht. Auch hinsichtlich der Leber sind keine
krankhaften Befunde mitgeteilt wor-den, und die Blutwerte des Klägers waren im Normbereich. Diese medizinischen
Befunde werden bestätigt durch die späteren Untersu-chungsergebnisse der den Kläger behandelnden Ärzte Dres. P.
u.a., die bei Un-tersuchungen im Jahre 1999 eine koronare Herzkrankheit, ein Aorten-aneurysma sowie
Herzrhythmusstörungen ausdrücklich ausgeschlossen haben (vgl. die vom Kläger vorgelegte Rechnung dieser Ärzte
vom 28. Juni 1999).
Schließlich sind entgegen dem Vortrag des Klägers auch neurologische Schäden nicht festzustellen, vielmehr ist der
neurologische Befund unauffällig (Gutachten des Prof. Dr. Q./Ärztin R., S. 5).
2. Des Weiteren ist nicht bewiesen, dass der Kläger beruflich Schwefelkohlenstoff ausgesetzt war. Zur BK Nr 1305
zählen Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff (CS²), einer faulig riechenden, bei Zimmertemperatur flüchtigen
Flüssigkeit (vgl. hierzu das vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung herausgegebe-ne Merkblatt zur BK
Nr. 1305, a.a.O. S. 251). Ebenso wie die Gesundheitsstörung muss auch die berufliche Schadstoffexposition im
Wege des Vollbeweises nach-gewiesen sein (vgl. unter Nr. 1 S. 7). Das ist hier nicht der Fall, denn es ist nicht belegt,
dass der Kläger bei dem Einbau von Fenstern oder Türen der Einwirkung von Schwefelkohlenstoff ausgesetzt
gewesen ist. Insbesondere ist Thiokol - der Stoff, auf den der Kläger seine sämtlichen Gesundheitsstörungen
zurückführt - kein Schwefelkohlenstoff im Sinne der BK Nr. 1305. Nach der Auskunft des Dr. J. vom 30 August 2000
handelt es sich hierbei vielmehr um ein Polysulfid-Elastomere, das kein Schwefelkohlenstoff enthält und diesen auch
nicht freisetzt. Darüber hinausgehende Hinweise darauf, dass andere Arbeitsmaterialien des Klägers
Schwefelkohlenstoff enthalten haben, sind in der Akte nicht ersichtlich und lassen sich auch den Angaben des
Klägers selbst nicht entnehmen.
Im Übrigen ist ein Zusammenhang zwischen Aortasklerose und dem Umgang mit Thiokol nicht wahrscheinlich, weil
Thiokol nach dem von Dr. J. im vorausgegan-genen Rechtsstreit mitgeteilten medizinischen Erkenntnisstand eine
Wirkung nur im Bereich der Haut entfaltet. Des Weiteren fiel der häufige Umgang des Klägers mit Thiokol nach seinen
eigenen Angaben in die Zeit seiner handwerklichen Tä-tigkeit der Jahre 1964 bis 1976 und damit in die Zeiträume, in
denen der Kläger als selbständiger Unternehmer bei der Beklagten noch nicht freiwillig versichert war. Ab dem
Zeitpunkt des Beginns der freiwilligen Versicherung (1978) hat der Kläger nach seinen eigenen wiederholten Angaben
kaufmän-nisch/organisatorische und Außendiensttätigkeiten, jeweils zur Hälfte seiner Ar-beitszeit, verrichtet. Unter
Versicherungsschutz auch bei den Berufskrankheiten stehen aber nur die beruflichen Expositionen, die während der
versicherten Tätig-keit auf den Versicherten einwirken (§ 9 Abs. 1 SGB VII, BSG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - B 2
U 37/00 R - ).
3. Doch selbst wenn zugunsten des Klägers eine Aortasklerose von Krankheitswert – die übrigen genannten
Gesundheitsstörungen entbehren jeder Diagnosestel-lung – und eine Schwefelkohlenstoffexposition unterstellt werden,
ist kein für ihn günstiges Ergebnis die Folge. Denn ein Zusammenhang zwischen beiden ist nicht wahrscheinlich.
Schwefelkohlenstoff verursacht nach den Erkenntnissen der medizinischen Wis-senschaft nur ganz bestimmte
Krankheitsbilder. Der Senat orientiert sich dabei an dem vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
herausgegebenen Merkblatt zur BK Nr. 1305 (abgedruckt bei Lauterbach, Unfallversicherung, SGB VII, Anh IV, Nr.
1305). Diese Merkblätter sind zwar rechtlich unverbindlich, stellen aber eine wichtige, wenn auch nicht unbedingt
ausreichende Informati-onsquelle für die Praxis dar (BSG Urteil vom 2. Mai 2001 - B 2 U 16/00 R - ; Urteil des
erkennenden Senats vom 16. August 2001 - L 6 U 214/99 - ). Die Ausführun-gen im Merkblatt sind hiernach
grundsätzlich eine Hilfe zur Interpretation, weil sie ebenso wie die Gesetzesmaterialien die Regelungsabsicht und den
Erkenntnis-stand der Verordnungsgeberin erkennen lassen. Nach diesem Merkblatt entste-hen durch die Einwirkung
von Schwefelkohlenstoff - die hier beim Kläger bereits nicht erwiesen ist - in erster Linie Hautschäden. Bei
chronischer Einwirkung wur-de zudem das vorzeitige Auftreten von Arteriosklerose, besonders der Hirngefä-ße,
beobachtet. Die beim Kläger erstmalig im März 1997 und damit in seinem 72. Lebensjahr festgestellte Aortasklerose
kann nicht als vorzeitig aufgetreten angesehen wer-den. Als eine Ursache für die Entstehung einer Aortasklerose gilt
auch der bei jedem Menschen einsetzende - natürliche - Alterungsprozess (Pschyrembel Klini-sches Wörterbuch 257.
Auflage 1997), ohne dass an diesem Prozess berufliche Einflüsse beteiligt sind.
4. Da weder eine Gesundheitsstörung, noch eine Exposition gegenüber Schwefel-kohlenstoff festgestellt werden
konnten, und eine berufliche Verursachung der Aortasklerose nicht wahrscheinlich ist, besteht auch kein Anspruch auf
Entschä-digung wie eine BK nach § 9 Abs 2 SGB VII.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat in diesem Verfahren noch einmal davon abgesehen, dem Kläger Gerichtskosten gemäß § 192 SGG
aufzuerlegen. Nach dieser Norm kann das Gericht dem Kläger Kosten ganz oder teilweise auferlegen, die dadurch
verur-sacht werden, dass der Kläger den Rechtsstreit missbräuchlich führt. In zwei Verwaltungs- und
Gerichtsverfahren - diesem und dem Verfahren S 22 U 181/93 - haben sich die Beklagte und auch die Gerichte
sorgfältig mit der Frage ausei-nandergesetzt, ob die vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen durch den
beruflichen Umgang mit Thiokol verursacht worden und deshalb als Berufskrankheit anzuerkennen sind. Nach den
jeweils durchgeführten umfangrei-chen Ermittlungen ließ sich dieser vom Kläger geäußerte Verdacht nicht bestäti-gen.
Die medizinischen Beweisaufnahmen haben keine Gesundheitsstörungen ergeben, die auf berufliche Einflüsse
zurückgeführt werden können. Der Kläger muss akzeptieren, dass sich bei ihm keine Berufskrankheit feststellen
lässt. Sollte er trotzdem ein weiteres Gerichtsverfahren zu dem selben Fragenkomplex an-strengen, muss er damit
rechnen, Gerichtskosten auferlegt zu bekommen.
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen ( § 160 Abs 2 SGG).