Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 03.04.2003
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 03.04.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 21 RI 103/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 12 RI 14/01
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 22. Februar 2001 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine Zeit der beruflichen Ausbildung des Klägers als Ausbildungszeit
vorzumerken ist.
Der am 6. Februar 1949 im ehemaligen Jugoslawien geborene Kläger stellte bei der Be-klagten im August 1998 einen
Antrag auf Kontenklärung. Er gab darin an, dass er in den Jahren 1965 bis 1967 eine Ausbildung zum Schmied und
später zum Dreher gemacht habe. Während der Ausbildungszeit seien Beiträge zur jugoslawischen Sozialversiche-
rung gezahlt worden. Die praktische Arbeit habe er in der Firma I. in Sarajewo abgeleis-tet, gleichzeitig habe er die
Schule J. in Sarajewo besucht. Von Januar 1968 bis Juni 1969 habe er Wehrdienst abgeleistet. Er gab weiter an, er
habe während der Ausbildung Entgelt bekommen, und zwar 6.000 Dinar im ersten Jahr, 8.000 Dinar im zweiten Jahr
und 12.000 Dinar im dritten Jahr. Ein Lehrvertrag habe nicht bestanden. Die Ausbildung habe im Betrieb und in der
Schule stattgefunden, aber überwiegend im Betrieb.
Mit Bescheid vom 11. Februar 1999 stellte die Beklagte u. a. fest, die Lehrzeit in Jugos-lawien von September 1965
bis Juni 1968 könne nicht als Anrechnungszeit berücksich-tigt werden, weil es sich um eine betriebsbezogene
Ausbildung mit berufsbegleitendem Unterricht an einer Schule gehandelt habe.
Der Kläger hat hiergegen Widerspruch eingelegt und geltend gemacht, es habe sich um eine schulische Ausbildung an
einer Berufsfachschule gehandelt, die als Anrechnungs-zeit zu berücksichtigen sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. April 1999 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, es
habe sich bei der Berufsausbildung im ehemaligen Jugosla-wien nicht um eine Fachschulausbildung, sondern um eine
betriebsbezogene Ausbildung mit berufsbegleitendem Unterricht gehandelt.
Der Kläger hat am 20. Mai 1999 Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben. Er hat Zeugnisse der Berufsschule
in Sarajewo aus dem Schuljahr 1965/66 vom 3. Juni 1966 und dem Schuljahr 1966/67 vom 10. Juni 1967 sowie
Auszüge aus einer vom Bundes-institut für Berufsbildungsforschung herausgegebenen Sonderveröffentlichung (Autor:
Joachim Köhler) »Anerkennung von Aussiedlerzeugnissen, berufliche Bildung und beruf-liche Qualifikation in der
Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien« zu den Ak-ten gereicht. Weiter hat er angegeben, er habe von Juli
1967 bis Ende 1968 den Wehr-dienst absolviert. Zur Begründung der Klage hat er ausgeführt, er habe eine schulische
Berufsausbildung in Vollzeit absolviert, bei der lediglich ein Teil der praktischen Ausbil-dung im Betrieb stattgefunden
habe. Die Ausbildung habe unter der Aufsicht der Schule stattgefunden. Die Vergütung sei lediglich ein Stipendium
gewesen, welches vom Betrieb ausgezahlt worden sei.
Die Beklagte hat ebenfalls Auszüge aus der erwähnten Sonderveröffentlichung des Bun-desinstituts für
Berufsbildungsforschung eingereicht und zur Erwiderung ausgeführt, der Besuch von Berufsschulen von in der
praktischen Ausbildung stehenden Auszubildenden sei keine Fachschulausbildung. Bei der Berufsausbildung des
Klägers zum Schmied ha-be es sich demzufolge um eine Facharbeiterausbildung mit überwiegend betriebsbezo-gener
Ausbildung und berufsbegleitendem Unterricht gehandelt – ähnlich wie in der deutschen Ausbildung zum Facharbeiter
mit Besuch einer Berufsschule.
Mit Urteil vom 22. Februar 2001 hat das SG Bremen die Klage abgewiesen. Das Gericht hat zur Begründung im
Wesentlichen ausgeführt, es habe sich bei der Ausbildung zum Schmied um eine Facharbeiterausbildung gehandelt.
Dass der Kläger nicht eine Fach-schule besucht habe, sei bereits aufgrund der Art des Berufs anzunehmen; der Beruf
des Schmieds setze nämlich vor allem eine praktische Ausbildung voraus, die nach den An-gaben des Klägers auch
vorgelegen habe. Demgegenüber seien Fachschulausbildungen solche Ausbildungen, die typischerweise schulisch
geprägt seien und lediglich durch kur-ze Praktika ergänzt würden. Der Kläger habe seine Ausbildung in einer Zeit
absolviert, in der sich das Ausbildungssystem in Jugoslawien verändert habe. Erst ab 1968 sei das
Ausbildungssystem in Jugoslawien überwiegend schulisch geprägt gewesen.
Gegen dieses ihm am 20. April 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. Mai 2001 Berufung beim
Landessozialgericht (LSG) Bremen eingelegt. Er hat eine Kopie eines Rentenbescheids eines ebenfalls aus
Jugoslawien stammenden Versicherten einge-reicht, dessen gleichartige Schulausbildung als rentenrechtliche Zeit
anerkannt worden sei. Zur Begründung trägt er vor, es habe in seinem Fall keine privatrechtliche Beziehung i. S. eines
Ausbildungsvertrages mit dem Betrieb der praktischen Ausbildung gegeben. Im Zentrum der Ausbildung habe
vielmehr die Schule gestanden. Rechtliche Bindungen habe es zwischen der Berufsschule und den jeweiligen
Betrieben gegeben. Ab Vollen-dung des 17. Lebensjahres sei entweder eine Anrechnungszeit oder eine beitragsgemin-
derte Zeit anzurechnen.
Der Kläger beantragt sinngemäß nach seinem schriftlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 22. Februar 2001 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des
Bescheides vom 11. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. April 1999 zu verurteilen, die
Zeit vom 1. März 1966 bis 30. Juni 1968 als Ausbildungszeit vorzumerken.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich zur Erwiderung auf ihre bisherigen Ausführungen und trägt ergänzend vor, die Zeit könne auch nicht
nach § 252 Abs. 1 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) angerechnet
werden, da von dieser Re-gelung keine Lehrzeiten im Ausland erfasst würden. Im Übrigen würden Lehrzeiten nach
jugoslawischem Rentenversicherungsrecht nicht als Versicherungszeiten angerechnet werden. Schließlich sei die
Anrechnung einer Anrechnungszeit für einen anderen Versi-cherten kein ausreichender Grund für eine Anrechnung im
vorliegenden Falle.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einver-standen erklärt.
Das Gericht hat die Rentenakte der Beklagten – Vers.-Nr. 13 060249 S 133 – beigezo-gen. Der Inhalt dieser Akte und
der Prozessakte des LSG Niedersachsen-Bremen/SG Bremen – L 12 RI 14/01 (S 21 RJ 103/99) – ist zum
Gegenstand der Beratung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt
haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das SG Bremen hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die
Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid zutreffend fest-gestellt, dass die Lehrzeit in Jugoslawien nicht als
Anrechnungszeit berücksichtigt wer-den könne. Ein Anspruch auf Vormerkung gemäß § 149 Abs. 5 SGB VI, um den
es hier allein gehen kann (vgl. BSG SozR 3-2600 § 149 Nr. 6), ergibt sich unter keinem rechtli-chen Gesichtspunkt.
Nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI sind Anrechnungszeiten solche Zeiten, in den Versicherte nach dem vollendeten 17.
Lebensjahr eine Schule, Fachschule oder Hochschule besucht oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme
teilgenommen haben (Zeiten einer schulischen Ausbildung). Um eine solche Zeit der schulischen Ausbildung hat es
sich bei der im Jahre 1965 beginnenden Ausbildung des Klägers zum Schmied bzw. zum Dreher nicht gehandelt. Da
diese Ausbildung des Klägers aus rechtlichen Gründen nicht als Anrechnungszeit berücksichtigungsfähig ist, kann es
trotz der im Laufe des Verfah-rens schwankenden diesbezüglichen Angaben des Klägers offen bleiben, bis wann sie
angedauert hat.
Unstreitig hat weder eine Zeit des Hochschulbesuchs noch eine Teilnahme an einer be-rufsvorbereitenden
Bildungsmaßnahme i. S. der genannten Vorschrift vorgelegen. Die Ausbildungszeit kann auch nicht als Schulbesuch
angesehen werden. Unter dem Besuch einer Schule ist nicht jeder Erwerb von Bildungsinhalten, Kenntnissen und
Fertigkeiten zu verstehen, die für eine spätere berufliche Beschäftigung oder Tätigkeit nützlich, wertvoll oder
erwünscht sind. Die Auslegung dieses Begriffs hat sich vielmehr am allgemeinem Sprachgebrauch zu orientieren.
Danach ist unter einer Schule eine solche zu verstehen, bei der die Allgemeinbildung im Vordergrund steht
(KassKomm – Niesel § 58 SGB VI Rz. 44, 46). An der durch den Kläger besuchten Berufsschule sind nach den
vorgelegten Zeugnissen zwar auch etliche allgemeinbildende Fächer unterrichtet worden. Insgesamt ergibt sich aus
den Zeugnissen aber klar, dass die berufliche Ausbildung (Fachausbil-dung) im Vordergrund gestanden hat.
Die Ausbildungszeit des Klägers kann aber auch nicht als Fachschulbesuch Berücksich-tigung finden. Wie das SG
bereits ausgeführt hat, sind Fachschulausbildungen typi-scherweise schulisch geprägt. Wenn daneben auch
praktische Unterrichtsteile anfallen, muss der schulmäßige Unterricht zeitlich überwiegen (KassKomm – Niesel a. a.
O. Rz. 53 m. w. N.). Dies traf bei der Ausbildung des Klägers, wie er selber ausgeführt hat, nicht zu. Vielmehr hat in
seinem konkreten Falle die praktische Ausbildung im Betrieb überwogen. Bei dieser Sachlage im Einzelfall kann es
dahinstehen, ob es sich bei der Ausbildung des Klägers um eine duale Ausbildung gehandelt hat oder ob es eine
Ausbil-dung an einer sogenannten Facharbeiterschule war. Es kann weiter dahinstehen, ob das von dem Kläger
erhaltene Entgelt eine Vergütung durch den ausbildenden Betrieb war oder aber ein schulisches Stipendium, welches
lediglich von dem Betrieb ausgezahlt wurde.
Die Ausbildungszeit des Klägers kann ferner auch nicht als Anrechnungszeit nach § 252 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI
berücksichtigt werden. Anrechnungszeiten nach dieser Vorschrift sind Zeiten, in denen Versicherte nach dem
vollendeten 17. Lebensjahr als Lehrling nicht versicherungspflichtig oder versicherungsfrei waren und die Lehrzeit
abgeschlossen ha-ben, längstens bis zum 28. Februar 1957, im Saarland bis zum 31. August 1957. Unab-hängig
davon, ob – wie die Beklagte angegeben hat – Ausbildungen im Ausland unter diese Vorschrift fallen, war die
Ausbildung des Klägers jedenfalls nicht bis Februar 1957 abgeschlossen, so dass die Vorschrift wegen ihrer zeitlichen
Begrenzung keine An-spruchsgrundlage für den Kläger sein kann.
Schließlich liegt ein Anspruch auf Vormerkung auch nicht deshalb vor, weil die Ausbil-dungszeit des Klägers eine
beitragsgeminderte Zeit i. S. v. § 54 Abs. 3 SGB VI sein könnte. Das nach Satz 2 dieser Regelung geforderte Zahlen
von Pflichtbeiträgen wäh-rend der Berufsausbildung ist hier fraglich und könnte sich ohnehin allenfalls im Rahmen des
Anspruchs gegenüber dem jugoslawischen Rentenversicherungsträger auswirken.
Die Berufung konnte nach alledem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Für die Zulassung der Revision lag kein gesetzlicher Grund im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG vor.