Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 24.09.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 24.09.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 6 AL 212/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 7 AL 41/01
Das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 19. Dezember 2000 – S 6 AL 212/99 – wird geändert. Der Bescheid der
Beklagten vom 12. Februar 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 1999 wird aufgehoben. Die
Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die für den Monat Dezember 1988 entrichteten Arbeitslosenversicherungsbeiträge
(Arbeit-nehmer-anteile) zu erstatten. Die Beklagte wird ferner verurteilt, über die Erstattung der für Januar 1982 bis
November 1988 entrichteten Beiträge unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden. Im
Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger die Hälfte der außergerichtlichen Kosten
beider Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1982 bis 31. Dezember 1988.
Durch Gesellschaftsvertrag vom 22. Oktober 1981 mit nachfolgender Ein-tra-gung in das Handelsregister errichteten
der 1941 geborene Kläger, der vom Beruf Elektro-meister ist, und seine Ehefrau die I.-Schaltanlagen GmbH. Vom
Stammkapital in Höhe von 50.000,- DM übernahmen der Kläger 24.500,- DM, die Ehefrau 25.500,- DM. Zum
Geschäftsführer wurde der Kläger bestellt. Nach dem zwischen der GmbH und dem Kläger geschlossenen
Anstellungs-vertrag vom 1. Januar 1982 bezog der Kläger ein Festgehalt von 6.000,- DM brutto pro Monat. Der Kläger
gab auf Nachfrage der zuständigen Kran-ken-kasse, der IKK Stade, an, dass er entsprechend dem
Gesellschaftsvertrag als nicht beherrschender Gesellschafter auf den gewöhn-lichen Geschäftsbetrieb des
Unternehmens keinen maßgebenden Einfluss nähme. Daraufhin stellte die IKK Stade durch Bescheid vom 1. Februar
1982 fest, dass der Kläger ver-siche-rungspflichtig unter anderem deshalb sei, weil er auf Grund seines Stimmrechts
als Mitunternehmer keinen wesentlichen Einfluss auf den Geschäftsbetrieb des Unternehmens habe. Mit
Änderungsbeschluss vom 2. Fe-bruar 1982 zu dem Gesellschaftsvertrag vom 22. Oktober 1981 wurde ein weiterer
Gesellschafter aufgenommen. Hiervon war jedoch nur der Ge-schäfts-anteil der Ehefrau des Klägers betroffen.
Am 23. August 1993 beantragte der Kläger bei der IKK Stade, den Bescheid vom 1. Februar 1982 zurückzunehmen
und ihm die in der Zeit vom 1. Januar 1982 bis 31. Mai 1993 entrichteten Pflichtbeiträge zur Angestell-ten- und zur
Arbeitslosenversicherung zu erstatten. Den Antrag lehnte die IKK Stade mit Bescheid vom 27. August 1993 und
Widerspruchsbescheid vom 10. November 1993 ab. Sie führte zur Begründung aus, erst nach Erlass der Ver-
waltungs-ent-scheidung sei ein Wandel in der Rechtsprechung zur Beurteilung der Ver-siche-rungspflicht von
Gesellschafter-Geschäftsführern eingetreten, sodass eine Rücknahme nach § 44 des Zehnten Buches des So-zialge-
setzbuches (SGB X) nicht in Betracht komme, im Übrigen sei der Grundsatz vorrangig, abge-schlos-sene
Versicherungsverhältnisse nicht nach-träglich umzugestalten.
Hiergegen erhob der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stade (S 1 KR 109/93). Nach Beiladung der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und der Beklagten hob das SG mit Urteil vom 20. November 1995 den
Bescheid der IKK Stade vom 1. Februar 1982 auf, soweit er die Feststellung zur So-zialver-sicherungs-pflichtigkeit
betraf, stellte fest, dass der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1982 bis 31. Dezember 1988 nicht in einem
sozialversicherungs-pflichtigen Beschäfti-gungsverhältnis gestanden habe, sondern selbständig gewesen sei, wies
den Antrag auf Erstattung der zu Unrecht entrichteten Bei-träge jedoch ab. Es führte insoweit aus, es widerspräche
dem Grundsatz von Treu und Glauben, die Bei-geladenen für verpflichtet zu erachten, die bereits seit 1982 im
allseitigen Einvernehmen entrichteten Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeits-losenversicherung zu erstatten.
Hiergegen legte der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Nieder-sachsen ein (Az: L 4 KR 41/96). In der
Berufungs-erwiderungsschrift vom 29. Februar 1996 erhob die IKK Stade erstmals vorsorglich unter Bezugnahme auf
§ 185a Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die Verjährungseinrede. Die Beklagte, die nach den "Gemein-samen
Grundsätzen für die Verrechnung und Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge vom 8. Oktober 1991” (ANBA 1992, 1
ff) für die Bearbeitung des Antrages bei bereits verjährten Beiträgen zuständig ist, vertrat die Auffassung, dass die
Geltendmachung der Beitragserstattung gegen Treu und Glauben verstoße bzw. rechts-miss-bräuchlich sei, da der
Kläger die Verwaltungsentscheidung der IKK mit vollem Nachdruck herbeigeführt habe, und zwar auch insoweit, als
der Anspruch noch nicht verjährt sei.
Im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 23. Juli 1998 nahm der Kläger die Berufung zurück, nachdem sowohl
die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als auch die Beklagte sich bereit erklärt hatten, über den Antrag auf
Erstattung der Beiträge als zuständige Verwaltungsstelle zu entscheiden.
Die Beklagte forderte daraufhin den Kläger am 3. September 1998 auf, die Vordrucke zur Beitragserstattung
vollständig ausgefüllt bei der IKK Stade einzureichen, die den Antrag dem Grunde und der Höhe nach prüfe und an sie
weiterleite zur Entscheidung, weil bereits teilweise die Verjährung eingetreten sei. Nach dem der Beklagten die vom
Kläger ausgefüllten Formulare vorlagen, lehnte sie mit Bescheid vom 12. Februar 1999 die Erstattung der Beiträge zur
Arbeits-förderung für den Zeitraum 1. Januar 1982 bis 31. Dezember 1988 ab. Zur Be-gründung führte sie aus, dass
nach dem auch in der Sozialversicherung geltenden Grundsatz von Treu und Glauben eine Erstattung nicht vertretbar
sei, weil die Beträge im gegenseitigen Einvernehmen entrichtet worden seien; der Kläger habe verschwiegen, dass
seine Tätigkeit in der GmbH mehr durch familienhafte Rücksichtnahmen und durch ein gleichberechtigtes
Nebeneinander als durch ein für ein Arbeitnehmer-/Arbeitgeberverhältnis typischen Interessengegensatz
gekennzeichnet gewesen sei. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein und führte aus, für die Anwendung des
Grundsatzes von Treu und Glauben bestehe keine Grundlage, da die Vorschriften über die Beitragserstattung eine
abschließende Regelung enthielten. Im Übrigen habe er zutreffende Angaben gemacht, lediglich die rechtliche
Würdigung, die allein der IKK Stade oblegen habe, habe sich als fehlerhaft erwiesen. Bei mehreren Betriebsprüfungen,
zuletzt im Februar 1991 habe es keine Beanstandungen gegeben. Der Widerspruch blieb erfolglos
(Widerspruchsbescheid vom 6. August 1999).
Hiergegen hat der Kläger am 7. September 1999 Klage vor dem SG Stade erhoben und vorgetragen, ihm sei es 1982
nicht auf die Begründung einer Pflichtmitgliedschaft in der Sozialversicherung angekommen, da er anderweitig
abgesichert gewesen sei; vielmehr habe der Vertreter der IKK Stade, Herr J., mit Voll-streckungsandrohung ihn
geradezu in ein Sozialver-sicherungspflichtverhältnis gezwungen, das im alleinigen - finanziellen - Interesse der IKK
Stade gelegen habe. Nachdem sich die Beklagte im Termin zur mündlichen Ver-hand-lung am 19. Dezember 2000 auf
die Einrede der Ver-jährung hin-sichtlich der geltend gemachten Beitragserstattungsforderung berufen hat, hat das SG
die Klage mit Urteil vom gleichen Tage aus diesen Gründen abgewiesen.
Gegen das dem Kläger am 12. Januar 2001 zugestellte Urteil hatte er am 25. Januar 2001 Berufung eingelegt. Er
wiederholt sein bisheriges Vorbringen und macht ergänzend geltend, die Beklagte habe in dem Verfahren S 1 KR
109/93 vor dem SG Stade als dortige Beigeladene zu 2) auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Jedenfalls habe er
angesichts der Erklärungen und des Verhaltens der Beklagten als Beigeladene im Vorprozess darauf vertrauen dürfen,
dass sie sich in der weiteren Auseinandersetzung nur mit Einwendungen in der Sache verteidigen werde. Die nach
nunmehr fast zehnjähriger Aus-einandersetzung erstmals erhobene Einrede sei rechts-miss-bräuchlich.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 19. Dezember 2000 - S 6 AL 212/99 - sowie den Bescheid der Beklagten
vom 12. Februar 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 1999 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, dem Kläger die für Zeit vom 1. Januar 1982 bis 31. Dezember 1988 entrichteten Beiträge
(Arbeitnehmeranteil) zur Arbeitslosen-ver-sicherung zu erstatten, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Im vorbereitenden Verfahren wurde die Prozessakte des SG Stade - S 1 KR 109/93 / L 4 KR 41/96 -, die Akten der
BfA Berlin (Versicherungs-num-mer: 19 030241 J 000) und der IKK Stade angefordert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des übrigen Vor-bringens der Beteiligten wird auf die
beigezogenen Akten, die den Kläger betreffende Leistungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten beider
Rechtszüge verwiesen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr 1, 151 Abs. 1 a.F. Sozialgerichts-gesetz (SGG) statthafte und zulässige
Berufung ist teilweise begründet.
Die Berufung ist begründet, soweit sie den nicht verjährten Beitrag für Dezember 1988 betrifft, der im Januar 1989
entrichtet worden ist. Sie ist ferner teilweise im Sinne eines Bescheidungsurteils begründet. Die Beklagte hat bei der
Entscheidung über die Erhebung der Verjährungseinrede nicht erkennbar das ihr zustehende Ermessen ausgeübt.
Lediglich ein unmittelbarer Erstattungsanspruch steht dem Kläger nicht zu.
Zutreffend sind die Beteiligten und das SG davon ausgegangen, dass zu Unrecht zur Bundesanstalt für Arbeit
entrichtete Beiträge zu erstatten sind. Ein solcher Anspruch ergab sich für das bei Antragstellung am 23. August 1993
geltende Recht aus § 185a AFG. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift waren zu Un-recht entrichtete Beiträge zu erstatten,
für die Erstattung galten die Vorschriften des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB IV - (§ 26 Abs. 3, § 27
und 28) entsprechend. Der zu erstattende Beitrag mindert sich dabei um den Betrag der Leistung, der in der
irrtümlichen Annahme der Beitragspflicht gezahlt worden ist.
Die vom Kläger gezahlten Beiträge (Arbeitnehmeranteile) sind zu Unrecht entrichtet. Gemäß § 168 Abs. 1 AFG waren
beitragspflichtig Personen, die als Arbeiter oder Angestellte gegen Entgelt beschäftigt waren (Arbeit-nehmer). Durch
Urteil des SG Stade vom 20. November 1995, das durch Berufungsrücknahme rechtskräftig geworden ist, steht fest,
dass der Kläger vom 1. Januar 1982 bis 31. Dezember 1988 nicht in einem Be-schäftigungs-verhältnis stand. Dieses
Urteil bindet gemäß § 141 Abs. 1 Nr. 1 SGG auch die Beklagte, die zu dem Verfahren nach § 75 Abs. SGG
beigeladen war. Da die Beklagte keine Leistungen erbracht hat, ergibt sich keine Minderung des Erstattungsbetrages
nach § 185a Abs. 1 Satz 3 AFG.
Der Kläger hat sein Recht auf Geltendmachung des Erstattungsbetrages nicht verwirkt. Das Rechtsinstitut der
Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das
Sozialversicherungsrecht anerkannt (BSGE 47, 194, 196 m.w.N.). Die Verwirkung setzt als Unterfall der unzulässigen
Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte ein Recht längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und der
Verpflichtete sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat,
dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde. Zwar hat der Kläger längere Zeit sein Recht nicht
ausgeübt, nach Feststellung der Versicherungsfreiheit die Beiträge zurückzuverlangen. Er hat jedoch kein Verhalten
gezeigt, aus dem die Beklagte darauf vertrauen durfte, dass das Recht nicht geltend machen werde. Hieran sind
grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen, weil dem Interesse der Solidargemeinschaft, eine sichere Grundlage
für den Haushalt zu haben, bereits durch die kurze Verjährungsfrist des § 27 Abs. 2 SGB IV hinreichend Rechnung
getragen wird. Vorliegend kann dahinstehen, ob der Kläger oder die IKK Stade 1981 das Verfahren in Gang gebracht
haben. Der Kläger hat jedenfalls nicht mehr getan, als die Feststellung des Vorliegens eines
Versicherungspflichtverhältnisses zu beantragen. Die von ihm in diesem Verfahren gemachten Angaben über die
Kapitalbeteiligung, seine Sperrminorität, die Familiengesellschaft, die Gewinn-beteiligung, die Befreiung vom
Selbstkontrahierungsverbot hat der Kläger richtig mitgeteilt und die daraufhin von der IKK Stade getroffene
Entscheidung akzeptiert. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers könnte nur dann bestehen, wenn er sich
den Feststellungsbescheid vom 1. Februar 1982 arglistig erschlichen und einen unrichtigen Sachverhalt vorgespiegelt
hätte. Dafür dass die abgeschlossen Gesellschafts- und Anstellungsverträge ein Scheingeschäft dargestellt haben,
bestehen indes keine Anhaltspunkte.
Der streitige Erstattungsanspruch ist allerdings im Wesentlichen verjährt. Die Verjährung ist in § 27 Abs. 2 und 3 SGB
IV geregelt. Danach verjährt der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die
Beträge entrichtet worden sind. Dementsprechend ist der Erstattungsanspruch für die im Jahre 1988 entrichteten
Beiträge am 31. Dezember 1992 verjährt und für die vorher entrichteten noch früher. Dagegen ist der
Arbeitslosenversicherungsbeitrag für Dezember 1988 nicht verjährt, weil gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 SGB IV davon
auszugehen ist, dass er erst im Januar 1989 entrichtet worden ist. Insoweit ist die Berufung daher begründet.
§ 27 Abs. 2 Satz 2 SGB IV, wonach der Beginn der Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem der
Versicherungsträger die Rechtswirksamkeit von Beiträgen beanstandet, findet in der Arbeitslosenversicherung keine
Anwendung, da es hier das Institut der Beanstandung nicht gibt (BSG SozR 2100 § 27 Nr. 4; BSG, Die Beiträge 1987,
78).
Die Beklagte hat sich auch auf die Verjährung berufen. Nach § 222 Abs. 1 BGB, der als Vorschrift über die Wirkung
der Verjährung auch für Erstattungs-ansprüche nach § 26 SGB IV gilt (§ 27 Abs. 3 SGB IV), war sie dazu nicht
verpflichtet, sondern nur berechtigt. Für die Leistungsträger im Sozialrecht wird daraus gefolgert, das sie somit über
die Erhebung der Verjährungseinrede nach ihrem Ermessen zu entscheiden haben (BSG SozR 1200 § 39 Nr. 5 S 5).
Dann müssen sie aber deutlich machen, dass sie insoweit eine Ermessens-entscheidung getroffen, also ihr Ermessen
ausgeübt haben; darüber hinaus muss die Begründung des Bescheides die Gesichtspunkte erkennen lassen, von
denen sie bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen sind (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Der angefochtene
Bescheid vom 12. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 1999 enthielt keine
Ermessenserwägungen, da bereits der Erstattungsanspruch verneint wurde. Die Beklagte hat sich erst im
Klageverfahren auf die Verjährung berufen, sodass der Bescheid deshalb als rechtswidrig anzusehen und aufzuheben
ist.
Dagegen kommt eine Verurteilung der Beklagten zur Beitragserstattung nicht in Betracht, weil die Leistung von der
Ermessensausübung des Versicherungs-trägers abhängt. Der Kläger könnte daher mit der Leistungsklage nur durch-
dringen, wenn schon feststünde, dass die Beklagte das ihr bei der Erhebung der Verjährungseinrede zustehende
Ermessen nur im Sinne eines Verzichts auf diese Einrede ausüben dürfte. Ein Verzicht liegt hier jedoch nicht vor.
Die Beklagte hat auf die Einrede der Verjährung weder ausdrücklich noch kon-kludent verzichtet. Aus der Niederschrift
über die Sitzung des SG Stade vom 20. November 1995 (S 1 KR 109/93) ergibt sich nur, dass die zum dortigen Ver-
fahren beigeladene Beklagte (bisher) sich nicht auf die Einrede der Verjährung berufen hat. Dass kein ausdrücklicher
Verzicht auf die Einrede der Verjährung in dieser Sitzung erklärt worden ist, hat der Vorsitzende in seiner dienstlichen
Stellungnahme am 11. Mai 1998 bestätigt. Anhaltspunkte, dass die Beklagte zu einem anderen Zeitpunkt eine
einseitige, wenn auch nicht formgebundene Erklärung dieses Inhalts abgegeben hat, ergeben sich nicht. Auch die im
Termin vor dem LSG Niedersachsen am 23. Juli 1998 erklärte Bereitschaft, den Erstattungsanspruch in eigener
Zuständigkeit zu überprüfen, enthält keine Verzichtserklärung.
Auch ein Fall der sogenannten Ermessensschrumpfung auf Null ist hier nicht gegeben.
Ein solcher Fall läge vor, wenn die Beitragsentrichtung deshalb zu Unrecht erfolgt ist, weil sie auf einem fehlerhaften
Verwaltungshandel der Beklagten oder der Einzugsstelle beruhte. Denn nach ihren Verwaltungsanweisungen (vgl. 3.3
des gemeinsamen Beschlusses der Bundesverbände Kranken- und Renten-versicherungsträger sowie der
Bundesanstalt für Arbeit vom 23. Mai 1977 zur Auslegung des § 27 SGB IV) macht die Beklagte in solchen Fällen die
Verjährung nicht geltend und kann sich aus Gründen der Gleichbehandlung auch dem Kläger gegenüber hierauf nicht
berufen. Indessen hat weder die Beklagte noch die Einzugsstelle die fehlerhafte Beitragsentrichtung schuldhaft
verursacht. Soweit der Kläger der Einzugsstelle vorwirft, sie habe mit dem Bescheid vom 1. Februar 1982 eine
falsche Entscheidung getroffen, steht dem entgegen, dass der Kläger die naheliegende Möglichkeit, Zweifel an der
Beitragspflicht auf dem Rechtswege zu klären, nicht wahrgenommen hat. Aus der ursprünglich ablehnenden
Verwaltungspraxis der IKK Stade, die auf eine unrichtige Rechtsauffassung zurückging, lässt sich allein ein Vorwurf
nicht ableiten. Zwar wäre das Verhalten eines Versicherungsträgers dann zu missbilligen, wenn er nach Klärung einer
Rechtsfrage durch gefestigte Rechtsprechung an einer entgegenstehenden unrichtigen Rechtsauffassung festhalten
wollte. Es stellt hingegen kein vorwerfbares Verhalten dar, wenn ein Versicherungsträger in einer überaus schwierigen
Rechtsfrage zunächst eine Rechtsansicht vertritt und in ständiger Verwaltungspraxis auch anwendet, die sich später
nach Klärung als nicht zutreffend erweist (BSG SozR 2200 § 29 Nr. 6).
Die Beklagte setzt sich auch nicht dem Vorwurf unzulässiger Rechtsausübung aus, wenn sie sich auf die Verjährung
des Erstattungsanspruchs beruft. Auch hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen. Unzulässig ist die
Verjährungseinrede, wenn der Gläubiger nach objektiven Maßstäben darauf vertrauen durfte, sein Anspruch werde
auch ohne Rechtsstreit befriedigt oder vom Schuldner nur mit Einwendungen in der Sache bekämpft; erforderlich ist
aber ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schuldners und der Fristversäumung des Gläubigers
(Palandt/Heinrichs BGB, 61. Aufl. 2002, Überblick vor § 194 Rdz. 10). Die in diesem Verfahren streitigen Ansprüche
waren jedoch bereits verjährt, als die Beklagte von den Ansprüchen erfuhr. Allein der Umstand, dass sie erstmals im
Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG Stade am 19. Dezember 2000 die Verjährungs-einrede erhob, macht
ihr Verhalten nicht unredlich. Da sich aus dem Umstand der Verjährung die Zuständigkeit der Beklagten ergab, konnte
der Kläger nicht davon ausgehen, dass die Beklagte bei der Zusage im Erörterungstermin am 23. Juli 1998, den
Beitragsanspruch zu prüfen, den Anspruch nur mit Einwendungen in der Sache bekämpfen werde. Denn durch die
gleichzeitig erklärte Berufungsrücknahme stand fest, dass die Beiträge zu Unrecht entrichtet worden waren. Die
Beklagte hätte daher, wollte sie sich nicht auf Verwirkung oder ein ähnliches Rechtsinstitut wie die Verjährung
berufen, den Anspruch sofort anerkennen können.
Ist aus den vorgenannten Gründen eine abschließende Entscheidung über die Erstattung der Beiträge nicht möglich,
musste der Senat in Abänderung der vorinstanzlichen Urteile die Beklagte zur Erteilung eines Bescheides unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Senats verpflichten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.-