Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.06.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 13.06.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 4 AL 67/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 8 AL 446/00
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 21. September 2000 wird
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) ab dem 5. März 1999 und wendet sich gegen einen
Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten, der die Zeit vom 15. Mai bis 26. Juli 1998 betrifft. Streitig ist
dabei die Bedürftigkeit im Sinne des § 193 Abs 2 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III).
Der 1953 geborene Kläger (verheiratet und Vater zweier Kinder) erhielt von der Beklagten im Anschluss an den Bezug
von Arbeitslosengeld (Alg) mit Unterbrechungen Alhi, zuletzt mit Bescheiden vom 14. April 1998 für die Zeit vom 13.
März bis 2. Juli 1998 (wöchentliches Bemessungsentgelt 800,00 DM, Leistungsgruppe C/1) sowie mit Bescheid vom
24. Juni 1998 für die Zeit ab dem 3. Juli 1998 (wöchentliches Bemessungsentgelt 790,00 DM, Leistungsgruppe C/1).
In seinem der Alhi-Bewilligung vom 14. April 1998 zugrundeliegenden Alhi-Antrag hatte der Kläger angegeben,
Eigentümer eines Hauses von 240 qm zu sein, von denen 120 qm selbst genutzt würden. Miet- bzw Pachteinnahmen
wurden jeweils in Höhe von 127,50 DM wöchentlich angerechnet. In seinem Weiterzahlungsantrag vom 12. Mai 1998
gab der Kläger an, kein Haus und kein Vermögen zu besitzen sowie keinen Freistellungsauftrag erteilt zu haben. Eine
Anfrage der Beklagten wegen der Freistellungsaufträge beantwortete der Kläger durch Übersendung einer
Bescheinigung der Landessparkasse I. vom 24. Juli 1998, nach der "keine Bescheinigungswerte" vorlagen. Ab dem 5.
Juni 1998 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt, demzufolge endete die Leistungsfortzahlung am 26. Juli 1998.
Am 5. März 1999 beantragte der Kläger erneut Alhi, nachdem er vorher Krankengeld bzw. während einer
Rehabilitationsmaßnahme Übergangsgeld erhalten hatte. In dem Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" gab er ein
Bankguthaben von 200.000,00 DM an und legte am 20. Mai 1999 eine Bescheinigung der Landessparkasse I. vom 18.
Mai 1998 vor, der zufolge am 15. Mai 1998 ein Betrag von 250.000,00 DM als Festgeld für die Ehefrau des Klägers
angelegt worden war. Dieses Geld stammte aus dem Verkauf des teilweise selbstgenutzten Hauses. Aus dem im
Berufungsverfahren vorgelegten Kaufvertrag vom 10. März 1998 ergibt sich, dass der Kläger als Eigentümer eines ca.
22.300 qm großen Grundstücks mit Wohnhaus und verschiedenen landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäuden und
einem Schweinemaststall dieses für 380.000,00 DM verkauft hatte.
Mit Bescheid vom 10. Juni 1999 hob die Beklagte die Alhi-Bewilligung für die Zeit vom 15. Mai bis 2. Juli 1998 gemäß
§ 48 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) auf und nahm die Bewilligung für die Zeit vom 3. bis 26. Juli 1998
gemäß § 45 SGB X zurück, weil der Kläger wegen des zumutbar verwertbaren Vermögens von 250.000,00 DM nicht
bedürftig gewesen war. Außerdem forderte die Beklagte die Erstattung der in dieser Zeit erbrachten Leistungen in
Höhe von 2.215,70 DM zuzüglich 653,68 DM an Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen, insgesamt einen Betrag
in Höhe von 2.869,38 DM. Mit weiterem Bescheid vom gleichen Tage lehnte die Beklagte die Bewilligung von Alhi ab
dem 5. März 1999 wegen fehlender Bedürftigkeit ab. Gegen beide Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein und
begründete diese damit, dass sein (weiterhin vorhandenes) Vermögen der Alterssicherung diene. Er habe nur einen
niedrigen Rentenanspruch von ca 1.200,00 DM, den er wegen seiner Erkrankung nicht mehr nennenswert aufbessern
könne. Das Vermögen diene zudem der angemessenen Hinterbliebenenversorgung seiner Ehefrau und seinen beiden
Kindern. Aus diesem Grunde sei die Verwertung nicht zumutbar.
Die Widersprüche und das folgende Klageverfahren blieben erfolglos (Widerspruchsbescheide vom 14. Januar 2000,
Gerichtsbescheid des Sozialgerichts – SG – Oldenburg vom 21. September 2000). Der Kläger hatte die am 16.
Februar 2000 erhobene Klage trotz Erinnerungen nicht begründet, der Gerichtsbescheid hat auf die Begründungen der
Widerspruchsbescheide Bezug genommen.
Mit seiner am 30. Oktober 2000 (einem Montag) eingelegten Berufung gegen den am 28. September 2000 zugestellten
Gerichtsbescheid verfolgt der Kläger sein Ziel unter Vertiefung seines Vorbringens aus dem Widerspruchsverfahren
weiter. Er behauptet, der Hausverkauf sei erforderlich geworden, weil er Schulden gehabt habe. Mit dem Erlös habe er
ua rückständige Beiträge der landwirtschaftlichen Alterskasse in Höhe von 15.000,00 DM beglichen. Außerdem hat er
den hier streitigen Erstattungsbetrag im März 2000 an die Beklagte gezahlt. Er beantragt nach seinem
schriftsätzlichen Vorbringen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 21. September 2000 sowie die Bescheide der Beklagten
vom 10. Juni 1999, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 2000, aufzuheben,
die Beklagte zu verurteilen, ihm – dem Kläger – ab dem 5. März 1999 Arbeitslosenhilfe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie vertritt die Auffassung, die Privilegierung als selbstgenutztes Haus sei mit dem Verkauf entfallen. Der Kläger habe
keine zu berücksichtigende Vermögensdisposition getroffen, die eine Alterssicherungsabsicht belege. Nach dem
Rehabilitations-Bericht sei zudem eine Wiedereingliederung des Klägers in das Arbeitsleben möglich.
Außer den Gerichtsakten lag ein Band Verwaltungsakten der Beklagten (J.) den Kläger betreffend, vor. Er war
Gegenstand des Verfahrens. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und wegen der Einzelheiten des
Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Beiakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz
(SGG) ohne mündliche Verhandlung.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes von
1.000,00 DM ist bereits durch den streitigen Erstattungsanspruch erreicht (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG in der bis
zum 31. Dezember 2001 geltenden, hier weiterhin anzuwendenden Fassung). Die Berufung ist nicht begründet. Die
angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig.
Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 10. Juni 1999 die Alhi-Bewilligung aufgehoben bzw zurückgenommen hat, ist
richtige Klageart die Anfechtungsklage im Sinne von § 54 Abs 1 Satz 1 SGG. Wäre die Klage erfolgreich, würde dem
Kläger die bereits mit Bescheiden vom 14. April 1998 und 24. Juni 1998 bewilligte Alhi zustehen, der
Erstattungsbetrag wäre ihm wieder auszuzahlen. Soweit die Beklagte einen erneuten Alhi-Anspruch aufgrund des
Antrages vom 5. März 1999 abgelehnt hat, verfolgt der Kläger sein Ziel mit einer kombinierten Anfechtungs- und
Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG).
Die Begehren des Klägers scheitern daran, dass dieser, wie die Beklagte zutreffend festgestellt hat, sowohl während
der streitigen Zeit im Jahre 1998 als auch zum Zeitpunkt des erneuten Alhi-Antrages nicht bedürftig war. Auch die
formellen Voraussetzungen für die angefochtenen Bescheide lagen vor.
Der Anspruch auf Alhi setzt ua Bedürftigkeit voraus (§ 190 Abs 1 Nr 5 SGB III). Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser
gemäß § 193 Abs 2 SGB III, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen, das Vermögen seines nicht dauernd getrennt
lebenden Ehegatten oder das Vermögen einer Person, die mit dem Arbeitslosen in eheähnlicher Gemeinschaft lebt,
die Erbringung von Alhi nicht gerechtfertigt ist. Gemäß § 206 Nr 1 SGB III ist das Bundesministerium für Arbeit und
Sozialordnung ermächtigt worden, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, in wie weit Vermögen zu berücksichtigen
ist. Die Verwertung ist gemäß § 6 Abs 3 Satz 1 iVm § 6 Abs 1 der Arbeitslosenhilfeverordnung (Alhi-VO) mit
Ausnahme eines Freibetrages (8.000,00 DM pro Person zum hier maßgebenden Zeitpunkt) zumutbar, wenn sie nicht
offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des
Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billiger Weise erwartet werden kann. Nicht zumutbar ist
insbesondere die Verwertung von Vermögen, das zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung
bestimmt ist (§ 6 Abs 3 Satz 2 Nr 3 Alhi-VO) sowie eines Hausgrundstückes von angemessener Größe, das der
Eigentümer bewohnt (§ 6 Abs 3 Satz 2 Nr 7 Alhi-VO).
Eine Privilegierung als selbst bewohntes Hausgrundstück kommt deshalb nicht in Betracht, weil zum hier
frühestmöglich maßgebenden Zeitpunkt (15. Mai 1998) das Grundstück bereits verkauft war. Deshalb kann der Senat
offen lassen, ob es sich bei dem über 22.000 qm großen Grundstück mit diversen Baulichkeiten überhaupt um ein
solches privilegiertes Grundstück gehandelt hat.
Das Vermögen dient auch nicht zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung iS von § 6 Abs 3 Satz 2
Nr 3 Alhi-VO. Die unabhängig von dem Vorliegen weiterer Voraussetzungen erforderliche Zweckbestimmung mit dem
Ziel einer angemessenen Alterssicherung kann der Senat bei dem Kläger nicht erkennen. Außer der pauschalen
Behauptung, der Kauferlös solle der Alterssicherung dienen, ist hierzu weder im Verwaltungs- noch im
Gerichtsverfahren etwas vorgetragen worden. Der im streitigen Zeitraum 45 Jahre alte Kläger hat ersichtlich keine
Überlegungen dahingehend angestellt, wie das Vermögen bis zum Eintritt des Rentenalters für den Zweck der
Alterssicherung angelegt werden könnte.
Da es an der erforderlichen Zweckbestimmung fehlt, ist nicht zu prüfen, ob die behauptete Alterssicherung
"angemessen" war.
Auch unter den allgemeinen Zumutbarkeitsvoraussetzungen des § 6 Abs 3 Satz 1 Alhi-VO ist die Verwertung
zumutbar. Dabei ist zu beachten, dass nach der Gesetzessystematik grundsätzlich vorhandenes Vermögen die
Erbringung von Alhi als nicht gerechtfertigt erscheinen lässt und es sich bei dem Privilegierungstatbeständen der Alhi-
VO um Ausnahmen handelt. Zwar ist in besonderen Härtefällen eine Korrektur des sich aus Satz 2 der Vorschrift
ergebenden Schonvermögens möglich. Im vorliegenden Fall ist jedoch kein besonderer Härtefall ersichtlich. Die vom
Kläger (nach dessen eigenen Angaben) zu erwartende Alterssicherung von 1.200,00 DM liegt über der zuletzt
erhaltenen Alhi (rund 900,00 DM monatlich). Eine im Einzelfall zu erwartende Rente unterhalb der Standardrente
bedingt keine besondere Härte, sondern ist von Leistungsberechtigten, die wie der Kläger seit Jahren Einkünfte oder
Bezüge unterhalb dieses Niveaus haben, bei der Berechnung seiner Alhi bzw der Ermittlung des maßgeblichen
Schonvermögens hinzunehmen.
Die vom Kläger vorgetragenen gesundheitlichen Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit ändern an diesem
Ergebnis nichts. Insoweit ist zum einen mit der Beklagten darauf hinzuweisen, dass nach dem Rehabilitations-
Entlassungsbericht der Kläger durchaus in das Arbeitsleben wieder eingegliedert werden könnte. Hinzu kommt, dass
das Sozialleistungssystem der Bundesrepublik Deutschland zB durch Leistungen der Kranken- und
Rentenversicherungen einschlägige Leistungen vorsieht und entsprechende Ansprüche nicht der Risikosphäre der
Beklagten zuzurechnen sind.
Damit verbleibt es bei einem zu verwertenden Vermögen von zumindest 250.000,00 DM. Der Senat lässt offen, ob
nicht weitere Beträgea (der Verkaufspreis lag laut Kaufvertrag bei 380.000,00 DM) zu berücksichtigen sind. Auch
wenn man zugunsten des Klägers die von ihm behauptete Zahlung an die landwirtschaftliche Alterskasse von
15.000,00 DM abzieht, verbleibt ein Vermögen von 235.000,00 DM, so dass unter Berücksichtigung der Freibeträge
von insgesamt 16.000,00 DM zumindest 219.000,00 DM vom Kläger als Vermögen einzusetzen sind.
Dieser Betrag stand dem Kläger am 15. Mai 1998 ausweislich der Anlagebescheinigung der Landessparkasse I. vom
18. Mai 1998 zur Verfügung. Durch den Zufluss aufgrund des Kaufvertrages ist eine wesentliche Änderung iS von §
48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X eingetreten. Der Kläger hat Vermögen erzielt, welches zum Wegfall des Alhi-Anspruchs
geführt hat. Die Beklagte war damit gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs 3 Satz 1 SGB III
berechtigt, die Alhi-Bewilligung aufzuheben. Insoweit steht ihr kein Ermessensspielraum zu. Soweit die Beklagte die
Alhi-Bewilligung für die Zeit ab dem 3. Juli 1998 zurückgenommen hat, beruht diese Entscheidung auf § 45 Abs 2
Satz 3 Nr 2 SGB X. Der Kläger hat in seinem Weiterbewilligungs-Antrag vom 12. Mai 1998 mit seiner Angabe, weder
ein Haus noch Vermögen zu besitzen, zumindest grob fahrlässig unrichtige Angaben gemacht, die zu der
rechtswidrigen Weiterbewilligung von Alhi durch die Beklagte geführt haben.
Der Erstattungsbetrag von 2.869,38 DM ist von der Beklagten zutreffend errechnet worden; der Kläger ist gemäß § 50
Abs 1 Satz 1 SGB X bzw. wegen der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 335 Abs 1 Satz 1 SGB
III zur Erstattung verpflichtet.
Auch zum Zeitpunkt der erneuten Antragstellung vom 5. März 1999 war der Kläger nicht bedürftig. In der
Widerspruchsbegründung hat er ausdrücklich das vorhandene Vermögen erwähnt und auch im folgenden
Gerichtsverfahren nicht in Abrede gestellt, dass das Vermögen, allenfalls abzüglich der Beiträge an die
Landwirtschaftliche Alterskasse, noch vorhanden ist. Die Beklagte hat deshalb zutreffend mit dem angefochtenen
Bescheid vom 10. Juni 1999 einen Alhi-Anspruch des Klägers wegen fehlender Bedürftigkeit am 5. März 1999
abgelehnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 SGG) liegen nicht vor.