Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 07.05.2002
LSG Nsb: diabetes mellitus, wahrscheinlichkeit, poliomyelitis, entstehung, kinderlähmung, anerkennung, zerstörung, schutzimpfung, versorgung, gesundheitsschaden
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 07.05.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 12 VI 35/95
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 9 VI 1/99
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Berufungsklägerin begehrt die Anerkennung eines Impfschadens nach dem Bundesseuchengesetz (BSeuchG)
sowie Gewährung von Beschädigtenversorgung.
Die am 14. Januar 1993 geborene Berufungsklägerin litt nach den Angaben der Eltern seit dem 15. Juni 1993 unter
rezidivierenden Atemwegsinfekten. Am 13. September 1993 wurde durch den Kinderarzt Dr. K. ein gerötetes
Trommelfell und ein leicht geröteter Rachen festgestellt. Nach den Angaben der Eltern wurde Ambril-Saft verordnet.
Außerdem litt die Berufungsklägerin an einem starken Milchschorf. Anlässlich der Vorsorgeuntersuchungen U 3 (2.
März 1993) bis U 5 (3. September 1993) wurden ein Hämangiom an der linken Wange, ferner eine Faltendifferenz über
den Hüftgelenken, ansonsten keine Angaben über Besonderheiten vermerkt. Durchgehend von U 1 bis U 5 sind
Körpergewicht, Körperlänge sowie Kopfumfang notiert, die letzte Gewichtsangabe dabei am 3. September 1993 mit
8000 bzw. 7900 g. Noch am 20. September 1993 wurde Ambril-Saft rezeptiert.
Am 22. September 1993 wurde der Berufungsklägerin im Alter von 8 Monaten die erste – und nach dem Inhalt der
Akten – auch die letzte Impfung verabreicht im Rahmen der Grundimmunisierung. Es handelte sich um eine
kombinierte Impfung gegen Diphtherie, Wundstarrkrampf, Haemophilus-Influenzae-Infektionen sowie Kinderlähmung.
Laut Impfschadensbericht des Gesundheitsamtes der Stadt Salzgitter wurden die Präparate DT-Impfstoff Behring-
Werke, HIB-Vaccinol der Fa. Röhm-Pharma sowie Oral-Virelon der Behring-Werke verabreicht.
Zwei Tage nach der Impfung traten Erkältungssymptome mit Fieber und Husten auf. Trotz reichhaltiger
Flüssigkeitszufuhr konnten Austrocknung und Gewichtsabnahme nicht verhindert werden. Vom 3. Oktober bis zum 6.
November 1993 befand sich die Berufungsklägerin in stationärer Behandlung in der Städt. Krankenanstalt Salzgitter,
Krankenhaus Salzgitter-Lebenstedt, Kinderabteilung, wegen eines diagnostizierten Diabetes mellitus Typ I.
Mit Antrag vom 3. November 1993, eingegangen beim Versorgungsamt (VA) Hannover am 26. November 1993, stellte
die Berufungsklägerin einen Antrag auf Versorgung nach dem BSeuchG i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz
(BVG). Das VA zog die Berichte über eine Störung des Impfverlaufs nach Schutzimpfung des Gesundheitsamtes der
Stadt Salzgitter vom 18. Oktober 1993 und 18. März 1994 sowie die Arztbriefe des Prof. Dr. L. vom 25. Januar 1994
und des Dr. M. vom 19. November 1993 und Arztunterlagen des Kinderkrankenhauses Auf der Bult Hannover und der
Kinderklinik der Städt. Krankenanstalten Salzgitter bei. Sodann holte das VA das Gutachten des Prof. Dr. N. vom 9.
September 1994 nach Aktenlage ein.
Mit Bescheid vom 5. Oktober 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 1995 lehnte das VA den
Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem BSeuchG mit der Begründung ab, dass kein ursächlicher
Zusammenhang zwischen der bei der Berufungsklägerin durchgeführten HIB-, Diphtherie-, Tetanus- und
Poliomyelitisimpfung und dem im zeitlichen Zusammenhang mit dieser Impfung aufgetretenen Diabetes mellitus Typ I
bestehe.
Gegen diesen am 25. April 1995 abgesandten Widerspruchsbescheid hat die Berufungsklägerin am 29. Mai 1995
Klage vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Sie, die
Berufungsklägerin, habe bis zum Tag der Impfung keinerlei Anzeichen von mäßigem Gedeihen gezeigt. Im Zeitpunkt
der Einlieferung ins Krankenhaus seien noch Infektionszeichen vorhanden gewesen und sie habe zu diesem Zeitpunkt
immer noch gehustet. Sie bezweifele, dass es sich bei ihr um einen reinen Diabetes mellitus handele. Es deute
vielmehr alles darauf hin, dass eine sehr selten auftretende Zwischenform von Diabetes mellitus und Diabetes
insipidus vorliege. In dem Schreiben des Prof. Dr. O. vom 14. Oktober 1994 werde ausdrücklich eine Entzündung des
Pankreas verneint.
Der Berufungsbeklagte hat die angefochtenen Bescheide für zutreffend gehalten und sich auf die
versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Dres. P. vom 9. Februar 1995, Q. vom 10. November 1995 und 17. März
1997 und R. vom 3. November 1998 bezogen. Das SG hat Befundberichte von Prof. Dr. O., Pädiatrie des Städt.
Krankenhauses Salzgitter-Lebenstedt vom 2. Oktober 1995, von Dr. S., Kinderkrankenhaus Auf der Bult vom 12.
Oktober 1995 und der Ärzte T. und U. vom 25. November 1995 beigezogen. Außerdem hat das SG Beweis erhoben
durch Einholung des Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. V. , Diabetes-Forschungsinstitut Düsseldorf vom 12.
August 1996 nebst Ergänzung vom 30. Januar 1998.
Mit Urteil vom 6. November 1998 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Nach den eingeholten Gutachten stehe fest, dass es sich bei dem im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung
aufgetretenen Diabetes mellitus Typ I nicht um einen Impfschaden i.S.d. BSeuchG handele. Da weder die Polio-
Schluckimpfung noch die Poliowildviruserkrankung zu einer Minderung der Resistenz führen würden, sei auch auf
diesem Wege die Möglichkeit der Auslösung eines Diabetes mellitus Typ I unwahrscheinlich. Die Diphtherie-Tetanus-
Schutzimpfung gehöre zu den am besten verträglichsten Impfungen. Bei der HIB-Impfung würden abgetötete Erreger
geimpft. Ein Insulinmangel-Diabetes könne erst dann auftreten, wenn nur noch 10 bis 20 % der normalerweise
vorhandenen Insulin-produzierenden Zellen im Pankreas vorhanden seien. Die Zerstörung der Betazellen würde sich
über einen langen, mehrere Monate, im Erwachsenenalter bis zu vielen Jahren andauernden Destruktionsprozess
erstrecken. Der Diabetes habe sich bei der Berufungsklägerin in einem sehr frühen Lebensalter mit 8 Monaten und
bereits 10 Tage nach erfolgter Impfung manifestiert, was zu dem Ergebnis führe, dass es unwahrscheinlich sei, dass
der Diabetes durch die Impfung verursacht und die vorgenommene Impfung zu einer Schädigung der Betazellen
geführt haben könne. Ein direkter Befall der Betazellen durch die bei der Impfung verwendeten Mikroorganismen mit
anschließender Zerstörung der Betazellen käme nur bei Verwendung eines Lebendimpfstoffes in Betracht. Für die bei
der Berufungsklägerin verwendeten Viren sei jedoch ein Betazelltropismus bislang noch nicht beschrieben worden. Für
keinen der verwendeten Impfstoffe sei eine antigene Verwandtschaft mit Strukturen der Betazellen erwähnt worden.
Entgegen der Auffassung der Berufungsklägerin ergebe sich aus dem Schreiben des Prof. Dr. O. vom 14. Oktober
1994 kein Beweis dafür, dass eine Entzündung des Pankreas nicht bestanden habe. Prof. Dr. O. habe lediglich
ausgeführt, dass die Berufungsklägerin keine äußeren Zeichen einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse geboten
habe und aus diesem Grunde keine diesbezüglichen Untersuchungen veranlasst worden seien.
Gegen das am 17. Dezember 1998 abgesandte Urteil hat die Berufungsklägerin am 18. Januar 1999 Berufung bei dem
SG Braunschweig eingelegt und unter Überreichung des "Arzneitelegramms” vom 5. November 1999, des Aufsatzes
"Der Zeitpunkt einer Immunisierung beeinflußt die Entwicklung von Diabetes in Nagetieren” von John W. , des
"Diabetes-Journal”, der ärztlichen Stellungnahmen des Dr. X. vom 21. Januar 2001, des Dr. Y. vom 21. Januar 2001
und des Dr. Z. vom 4. Juli 2001, des ärztlichen Berichtes über den durch die Impfung verursachten Diabetes bei der
Berufungsklägerin der Dr. AB. vom 9. April 2001 und weiterer wissenschaftlicher Abhandlungen zur Begründung der
Berufung im Einzelnen ausgeführt:: Zwischenzeitlich sei anerkannt, dass ein Zusammenhang zwischen der Impfung –
sie habe drei Impfungen mit vier Komponenten, HIB, Polio und DT erhalten – und einer Diabeteserkrankung bestehen
könne. Insbesondere bei Mehrfachimpfungen erhöhe sich das Risiko. Es sei festgestellt worden, dass ein in den USA
seit 1990 verwendeter Impfstoff "HIB vaccinol” fehlerhaft gewesen sei und es bei der Herstellung des Impfstoffes
Probleme gegeben habe. In den USA sei dieser Impfstoff erst für Säuglinge der Altersgruppe ab 15 Monate
zugelassen worden. In Deutschland werde der gleiche Impfstoff für Säuglinge ab 3 Monate staatlich empfohlen
geimpft. Es mache einen erheblichen Unterschied, ob ein 3 Monate oder ein 15 Monate alter Säugling den Impfstoff
mit derselben Dosierung erhalte. Die Impfung sei kontraindiziert gewesen. Die Zusammenwirkung der zahlreichen
Impfstoff-Komponenten, zum Teil auch in höherer Dosierung, zusammen mit Unreife, allergischer Disposition und
Infekt habe bei ihr, der Berufungsklägerin, zu einem Diabetes mellitus geführt, der nicht auf einen genetisch
determinierten, lang laufenden destruierenden Autoimmunprozess zurückgehe, sondern, abweichend vom üblichen
Typ I-Diabetes, eine in kurzfristiger zeitlicher Anbindung entstandene Diabetesform sei, welche als infektiöse
Diabetes bzw. als Zwischenform zwischen Diabetes mellitus und Diabetes insipidus zu bezeichnen sei. In
Tierversuchen sei nachgewiesen, dass durch Impfstoffe insulinpflichtige Diabetes ausgelöst werde, was sich aus den
Arbeiten von W. ergebe. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen der Einführung bestimmter Impfregime einerseits
und einem Anstieg der Häufigkeit von Diabetes mellitus Typ I andererseits, was sich aus Untersuchungen in Finnland
bzw. Neuseeland ergebe. Die Ätiologie des Diabetes mellitus Typ I sei in der gesamten Fachliteratur als gänzlich
unbekannt beschrieben worden. Entsprechend der Rolle bestimmter Coxsacki-Typen sei auch den Viren der
Poliomyelitis-Lebendimpfung potentielle Träger-Funktionen zuzuerkennen. Das SG habe auch übersehen, dass es
sich bei der impfbedingten Entstehung des Diabetes mellitus nach den Anhaltspunkten um eine Kannversorgung
handele. Die Impfung könne möglicherweise den entscheidenden Autoimmunprozess in Gang gesetzt haben. Auch
könne der impfbedingte Stress im Rahmen des einstündigen Schreiens im Anschluss an die Impfung den
Krankheitsablauf beschleunigt haben. Sie, die Berufungsklägerin, habe vor der angeschuldigten Impfung keineswegs
schlechteres Gedeihen gezeigt, ihre Gewichtskurve sei genau im mittleren Normbereich gewesen. Der Diabetes
mellitus Typ I entwickele sich auch "relativ rasch”. Dem entspreche auch die Formulierung "stürmische
Erstmanifestation” im Abschlussbericht der Kinderabteilung des Krankenhauses Salzgitter-Bad anlässlich der
Erstbehandlung. Die eingeholten Gutachten würden durchgängig belegen, dass die Impfung bei Kenntnis des
Gesundheitszustandes nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Soweit diese ausführten, dass durch die Gabe des
Impfstoffes die angeschuldigte Erkrankung zu einem etwas früheren Zeitpunkt in Erscheinung getreten sei, folge
gleichzeitig, dass die Gabe des Impfstoffs im Hinblick auf die Krankheit etwas verursacht habe.
Die Berufungsklägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Braunschweig vom 6. November 1998 und den Bescheid des Beklagten vom 5.
Oktober 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. April 1995 aufzuheben und
2. den Beklagten zu verurteilen, einen Diabetes mellitus Typ I als Schädigungsfolge nach dem Bundesseuchengesetz
festzustellen und der Klägerin Beschädigtenversorgung ab November 1993 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit
– MdE – von mindestens 50 v.H. zu gewähren.
Der Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und hat ergänzend unter Bezugnahme auf die
versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. Q. vom 24. Januar 2000, 28. Februar 2000 und 19. September 2000
ergänzend ausgeführt: Eine Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der bei der
Berufungsklägerin durchgeführten DT-HIB-Polioimpfung und der danach auftretenden Diabetes-mellitus-Erkrankung sei
nicht gegeben. Die Manifestation des Diabetes habe im sehr frühen Lebensalter stattgefunden. Der mögliche Zeitraum
zwischen der Impfung und der Manifestation des Diabetes sei für die geltend gemachte Schädigung zu kurz. Es sei
auch nach Würdigung der 1999 erschienenen Studie von Karvonen davon auszugehen, dass ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen einer Hämophilusinfluenzae-Typ B-Impfung und der Manifestation eines Typ I-Diabetes
unwahrscheinlich sei.
Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes hat das LSG die ärztliche Stellungnahmen des Prof. Dr.
BB. vom 11. Februar 2000 und vom 29. Dezember 1999 beigezogen und die Gutachten des Prof. Dr. CB. , Deutsches
Diabetes-Forschungsinstitut, vom 5. Juni 2000, des Prof. Dr. DB. vom 11. November 2000 nebst ergänzender
Stellungnahmen vom 9. Februar und 23. Juni 2001 und des Priv.-Doz. Dr. EB. vom 18. Dezember 2001 nach
ambulanter Untersuchung der Berufungsklägerin eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Prozessakten des
ersten und zweiten Rechtszuges und auf den Inhalt der Versorgungsakten des Berufungsbeklagten, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die gem. § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – form- und fristgerecht eingelegte und gem. § 143 f SGG
statthafte Berufung ist zulässig.
Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.
Das von der Berufungsklägerin angefochtene Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Zu Recht und mit zutreffenden
und überzeugenden Gründen hat das SG die Klage abgewiesen. Die Bescheide des Berufungsbeklagten sind nämlich
rechtmäßig; denn mit den angefochtenen Bescheiden hat das VA Hannover bzw. das Landesversorgungsamt den
Antrag der Berufungsklägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem BseuchG zu Recht abgelehnt, weil kein
ursächlicher Zusammenhang zwischen der bei der Berufungsklägerin durchgeführten HIB-, Diphtherie-, Tetanus- und
Poliomyelitis-Impfung und dem in zeitlichem Zusammenhang mit dieser Impfung aufgetretenen Diabetes mellitus Typ
I besteht.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Berufungsklägerin ist § 51 Abs. 1 BSeuchG i.V.m. dem BVG. Danach erhält
derjenige, der durch eine Impfung, die gesetzlich vorgeschrieben, auf Grund des BSeuchG angeordnet oder von einer
zuständigen Behörde öffentlich empfohlen und in ihrem Bereich vorgenommen oder auf Grund der Verordnung zur
Ausführung der internationalen Gesundheitsvorschriften durchgeführt worden ist, einen Impfschaden erlitten hat,
wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender
Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit das BSeuchG nichts Abweichendes bestimmt. Voraussetzung im
Einzelnen ist, dass die Impfung die Gesundheitsstörung wahrscheinlich verursacht hat. Wahrscheinlich in diesem
Sinne ist die Kausalität dann, wenn wenigstens mehr für als gegen sie spricht, d.h. die für den Zusammenhang
sprechenden Umstände mindestens deutlich überwiegen (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. u.a. SozR 3-3850 §
51 Nr. 9 m.w.N., BSG Urt. v. 15.8.1996 – 9 RVI 1/94 – und vom 17. Dezember 1997 – 9 RVI 1/95 in SozR 3-3850 §
52 BSeuchG Nr. 1; LSG Nds. Urteile vom 14. April 2000 – L 9 VI 6/99 – und vom 12. Januar 2001 – L 9 VI 2/99).
Nach den §§ 51,52 Abs. 1 Satz 1 BSeuchG muss ein Impfschaden, d.h. ein über die übliche Impfreaktion
hinausgehender Gesundheitsschaden, als unerlässliches Mittelglied in der Ursachenkette zwischen Impfung und
verbleibender Gesundheitsstörung tatsächlich festgestellt werden. Für die Feststellung des Vorliegens der
haftungsausfüllenden Kausalität – zwischen der gesundheitlichen Schädigung (unübliche Impfreaktion) und
Gesundheitsstörung (Impfschaden) - reicht die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs aus (§ 52 Abs.
2 Satz 1 BSeuchG). Wenn die Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des
festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die
Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde gem. § 52 Abs. 2 Satz 2 BSeuchG der
Gesundheitsschaden als Folge einer Impfung anerkannt werden. Nach den bis zum 31. Dezember 1995 geltenden
Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertengesetz Ausgabe 1983 - AHP 83 – hingegen ist beim Diabetes mellitus Typ I davon auszugehen,
dass in der Ätiopathogenese neben einer genetischen Prädisposition Infektionen mit pankreotropen
(betazytotropen)Viren – insbesondere Coxsacki-B-, Mumps- und Röteln-Viren – und Autoimmunvorgänge eine
bestimmende Rolle spielen. Unter diesen Umständen kommt ein Typ I-Diabetes als Schädigungsfolge in Betracht,
wenn eine Ansteckung mit einem der genannten Erreger einen Schädigungstatbestand darstellt und der Diabetes
danach innerhalb weniger Monate manifest geworden ist, ohne dass allerdings nach den AHP 83 eine Anerkennung
als Schädigungsfolge im Wege einer "Kannversorgung” in Betracht kommt.
Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Berufungsklägerin nicht vor. Es ist nicht mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der bei der Berufungsklägerin
durchgeführten HIB-, Diphtherie-, Tetanus- und Poliomyelitis-Impfung und dem im zeitlichen Zusammenhang mit
dieser Impfung aufgetretenen Diabetes mellitus Typ I besteht.
Unzweifelhaft ist die Berufungsklägerin am 22. September 1993 einmalig geimpft worden, wobei es sich um eine
kombinierte Impfung gegen Diphtherie, Wundstarrkrampf, Hämophilus-Influenzae-Infektion sowie Kinderlähmung mit
den Präparaten DT-Impfstoff (Behring-Werke), HIB-Vaccinol (Röhm-Pharma) sowie Oral-Virelon (Behring-Werke)
gehandelt hat. Ausweislich des Gutachtens des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. DB. vom 11. November
2000 handelt es sich – wie sich aus den sogenannten "Waschzetteln” ergibt - bei den beiden erstgenannten
Präparaten um sogenannte Tot-Impfstoffe (Stoffwechselprodukte aus Bakterienkulturen, nicht vermehrungsfähig), die
per Injektion verabreicht wurden, bei dem Impfstoff gegen Kinderlähmung um die sogenannte Schluckimpfung (Sabin-
Impfstoff), d.h. um einen Lebendimpfstoff als Gemisch aus den drei Poliomyelitis-Virus-Typen, im Organismus
vermehrungsfähig, in ihrer pathogenen Wirkung jedoch abgeschwächt.
Ebenfalls unstreitig ist es, dass die Berufungsklägerin im zeitlichen Zusammenhang mit der Verabreichung der
Impfungen sich vom 3. Oktober bis zum 6. November 1993 in stationärer Behandlung in der Städt. Krankenanstalt
Salzgitter, Krankenhaus Salzgitter-Lebenstedt – Kinderabteilung – wegen Diabetes mellitus befunden hat. Bei dieser
Erkrankung handelt es sich ebenfalls unzweifelhaft um einen Diabetes mellitus Typ-I. Dieser Typ Diabetes ist eine
Autoimmunkrankheit, bei der durch eine oder mehrere, im Einzelfall zum Teil unbekannt bzw. unerkannt bleibende
exogene Noxen bei genetisch disponierten Individuen ein langdauernder, d.h. nicht nur Tage oder wenige Wochen,
sondern Monate bis Jahre, schubweise verlaufender progredienter, spezifisch lymphozellulärer und plasmatischer
Immunprozess ausgelöst wird, der nach Zerstörung von 80 % der in den sogenannten Inseln der Bauchspeicheldrüse
gelegenen B-Zellen und dadurch bedingtem Unterschreiten der für den durchschnittlichen Tagesbedarf benötigten
Insulinproduktion zur äußeren klinischen Manifestation des Diabetes mellitus führt (s. Gutachten des Prof. Dr. DB.
vom 11. November 2000 m.w.N. aus der wissenschaftlichen Literatur). Obwohl es sich bei dem Diabetes mellitus Typ
I um eine Krankheit handelt, für die eine "Kannversorgung” in Betracht zu ziehen ist (vgl. mit Wirkung vom 1.1.1997
"Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertengesetz” – Ausgabe 1996 – AHP 96), ist jedoch Ursache und Pathogenese des Diabetes mellitus
Typ I in den Grundzügen sowie in zahlreichen Details nach der herrschenden medizinischen Lehrmeinung geklärt. Bei
diesem insulinabhängigen Diabetes mellitus ist ausweislich der AHP 96 (Rdnr. 120, S. 290) von einer genetischen
Disposition auszugehen. Nach den AHP 96 ist die Ätiologie dieser Diabetesform zwar nicht geklärt, wird jedoch
diskutiert, dass bei entsprechender genetischer Disposition Umwelteinflüsse, wie z.B. Infekte (vor allem mit
pankreotropen Viren), toxische Substanzen sowie bestimmte Ernährungsfaktoren und evtl. auch körpereigene
Stressproteine einen Autoimmunprozess auslösen, der im Laufe von etwa ½ Jahr bis zu mehreren Jahren – bei
Kindern auch in etwas kürzeren Fristen – zur Entwicklung eines insulinabhängigen Diabetes mellitus führen kann.
Unter Berücksichtigung der Ursachen und Pathogenese des Diabetes mellitus Typ I ist im Falle der Berufungsklägerin
davon auszugehen, dass es nicht wahrscheinlich ist, dass die Impfung der Berufungsklägerin den Diabetes mellitus
Typ I verursacht hat; denn nach den von Amts wegen eingeholten Gutachten spricht nicht mehr für als gegen die
Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs; vielmehr überwiegen nach Auswertung der vom SG und von dem Senat
eingeholten Gutachten die gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände deutlich.
Bereits Prof. Dr. N. hat in seinem Gutachten vom 9. September 1994 im Einzelnen begründet ausgeführt, dass keine
Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Diabetes mellitus der Berufungsklägerin durch die DT-HIB-Polioschluckimpfung
vom 22. September 1983 verursacht worden ist. Im Einzelnen hat er dies damit begründet, dass es sich bei der
Diphtherie-Tetanus-Schutzimpfung um eine der am besten verträglichen Impfungen handelt. Eine Kinderlähmung kann
nach den Ausführungen dieses Sachverständigen nur Schäden an den Vorderhornzellen des Rückenmarks
verursachen, die sich in Lähmungen an den Extremitäten und Muskelgruppen manifestieren. Die Verursachung einer
Zuckererkrankung im Zusammenhang mit einer Kinderlähmung ist danach noch niemals beobachtet worden. Da weder
die Polioschluckimpfung noch die Poliowildviruserkrankung zu einer Minderung der Resistenz führen, ist auf diesem
Wege die Möglichkeit der Auslösung eines Diabetes mellitus Typ I unwahrscheinlich. Letztlich lehnt Prof. Dr. N. auch
einen Zusammenhang zwischen einer Hämophilus-Influenzae B-Impfung und der Entstehung eines Diabetes mellitus
mit der Begründung ab, dass in den USA bei 14 Mio. Impfungen keine diabetischen Erkrankungen beschrieben
worden sind. Dieses Ergebnis wird bestätigt durch das vom SG eingeholte Gutachten des Prof. Dr. FB. vom 12.
August 1996 nebst Ergänzung vom 30. Januar 1998. Hierin kommt Prof. Dr. FB. zu dem Ergebnis, dass der mögliche
Zeitraum zwischen der Impfung am 22. September 1993 und der Manifestation des Diabetes mellitus Typ I am 3.
Oktober 1993 anlässlich der stationären Aufnahme der Berufungsklägerin in das Krankenhaus Salzgitter-Lebenstedt
eindeutig für eine hypothetische Schädigung der insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse viel zu kurz
gewesen ist. Prof. Dr. FB. hat in seinem Gutachten vom 12. August 1996 insoweit ausgeführt, dass nach
herrschender Lehrmeinung ein Diabetes mellitus Typ I – Insulinmangeldiabetes – erst dann auftreten könne, wenn nur
noch 10 bis 20 % der normalerweise vorhandenen, Insulin-produzierenden Zellen im Pankreas vorhanden sind, und
dass die Zerstörung der Betazellen sich über einen langen, mehrere Monate, im Erwachsenenalter bis zu vielen
Jahren, dauernden Destruktionsprozess erstreckt. Im Falle der Berufungsklägerin hat die Manifestation des Diabetes
in einem sehr frühen Lebensalter stattgefunden, und dies weise darauf hin, dass im frühen Kindesalter die
Destruktionsprozesse der Betazellen offenbar schneller als im späteren Leben abliefen. Eine Zeitdauer von nur 10 bis
11 Tagen zwischen Impfung und Destruktion der Mehrzahl der Betazellen mit einer Manifestation eines Diabetes sei
jedoch noch nicht wissenschaftlich beschrieben worden. Darüber hinaus verneint er, dass die vorgenommenen
Impfungen zu einer Schädigung der Betazellen geführt haben bzw. beigetragen haben können, und bestätigt letztlich
ebenfalls die bereits von Prof. Dr. N. vorgenommene Schlussfolgerung, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen
der Impfung und der Manifestation des Diabetes mellitus unwahrscheinlich ist. Darüber hinaus hat Prof. Dr. FB. in
seiner ergänzenden Stellungnahme vom 30. Januar 1998 nochmals ausdrücklich betont, dass nach heutigem
Kenntnisstand eine Impfung mit den bei der Berufungsklägerin verabreichten vier Impfstoffen neutral oder protektiv in
Bezug auf die Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ ist. Infekte mit verschiedenen Viren (keine Impfstoffe) können
nach den Ausführungen des Prof. Dr. FB. hingegen die Entwicklung des Typ I Diabetes entweder
auslösen/beschleunigen oder auch hemmen. In diesem Zusammenhang weist er nochmals darauf hin, dass in allen
dokumentierten Untersuchungen die Zeitspanne zwischen Infekt und akutem Diabetes mellitus Typ I zumindest viele
Monate bis sogar viele Jahre betragen hat und dass die im Falle der Berufungsklägerin gegebene Zeitspanne
zwischen Fieber am 25. September 1993 und klassischem Diabetessymptom (Durst) am 1. Oktober 1993 mit 6 – 7
Tagen viel zu kurz bemessen sei, um den Infekt als Auslöser annehmen zu können. Dieses Ergebnis wird
insbesondere auch bestätigt durch das Gutachten des Prof. Dr. DB. vom 11. November 2000. Darin weist dieser
Sachverständige darauf hin, dass in prospektiven Langzeituntersuchungen nachgewiesen worden sei, dass der
destruierende Autoimmunprozess intermittierend bzw. schubweise über 6 Monate bis 3 bis 4 Jahre zu verlaufen
pflege, bis schließlich mit der Zerstörung von 80 % der B-Zellen die Grenze zur klinischen Manifestation des Diabetes
mellitus Typ I überschritten werde. Auch Prof. Dr. DB. erläutert , dass der Diabetes mellitus Typ I genetisch
determiniert sei und der zu Grunde liegende Autoimmunprozess durch exogene Faktoren in Gang gesetzt werde. Zu
diesen exogenen Faktoren würden Virusinfektionen gezählt, jedoch nicht Impfungen mit den verabreichten Impfstoffen
gegen Diphtherie, Tetanus und Poliomyelitis. Ein derartiger Zusammenhang werde von der herrschenden
medizinischen Lehrmeinung eindeutig verneint. Dies gelte auch für die nur einmalig durchgeführte HIB-Impfung.
Insbesondere weist Prof. Dr. DB. in Übereinstimmung mit den weiteren medizinischen Sachverständigen wiederholt
darauf hin, dass der genetisch determinierte und exogen in Gang gesetzte, die B-Zellen des Inselapparates
zunehmend zerstörende Autoimmunprozess ohne Ausnahme über mehrere Monate bis Jahre laufe. Hingegen seien
Laufzeiten über wenige Wochen oder gar Tage wissenschaftlich im Zusammenhang mit der Manifestation des
Diabetes mellitus Typ I auszuschließen. Allein bereits unter Berücksichtigung dieses Umstandes kommt Prof. Dr. DB.
zu dem gutachterlichen Ergebnis, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der am 22. September 1993
erfolgten Impfung und dem spätestens am 2. Oktober 1993 sich manifestierenden und am 3. Oktober 1993
diagnostizierten Diabetes mellitus Typ I auszuschließen ist. Prof. Dr. DB. kommt in seinem Gutachten vom 11.
November 2000 zu dem weiteren Ergebnis, dass nicht allein wegen der zu kurzen Zeitspanne zwischen der Impfung
am 22. September 1993 und der Diagnosestellung des Diabetes mellitus Typ I am 3. Oktober 1993 in Anbetracht der
zu veranschlagenden Mindestlaufzeit von mehreren Monaten ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Impfung
und der Manifestation der Erkrankung abzulehnen ist, sondern insbesondere auch deshalb, weil wegen der
verwendeten Impfstoffe und vor allem wegen des Gewichtsverlaufs der Berufungsklägerin nach Auswertung der
Unterlagen aus dem Untersuchungsheft U 1 bis U 5 und den Patientenunterlagen des Dr. GB. bei einem bereits am 3.
September 1993 grenzwertigen Untergewichts mit Verdacht eines prädiabetischen Zustandes. Aus den Unterlagen
des Dr. GB. ergibt sich für den 3. September 1993 ein Gewicht von 7,9 kg bei einer Größe von 75 cm gegenüber
einem Körpergewicht von 6060 g bei einer Körperlänge von 63 cm anlässlich der U 4-Untersuchung am 11. Mai 1993.
Dies bedeutet nach den überzeugenden Ausführungen des Prof. Dr. DB. , dass bereits am 3. September 1993 das
Körpergewicht der Berufungsklägerin auf die unterste Grenze der Normalverteilung abgesunken gewesen ist und sich
einem pathologischen Untergewicht angenähert hat. Dies wird auch bestätigt aus dem Abschlussbericht der Städt.
Krankenanstalt Salzgitter vom 19. November 1993, wonach auf Grund des anamnestischen Gesprächs ein seit
längerer Zeit nur mäßiges Gedeihen der Berufungsklägerin wiedergegeben wird. Bei stationärer Aufnahme am 3.
Oktober 1993 wog die Berufungsklägerin sogar nur noch 6600 g, so dass sie innerhalb eines Monats 1000 g an
Körpergewicht verloren hatte. Unter Berücksichtigung des krankheitsbedingten Flüssigkeitsdefizits geht Prof. Dr. DB.
davon aus, dass nacherfolgter Rehydrierung die Berufungsklägerin tatsächlich noch 7300 g wog, so dass sie bis zur
akuten Erkrankung noch weitere 600 g Körpergewicht verloren hatte. Aus der Gewichtsentwicklung der
Berufungsklägerin schließt Prof. Dr. DB. auf ein prädiabetisches Mindergedeihen, welches schon vor September 1993
eingesetzt hatte, und auf einen bereits manifesten, klinisch noch nicht hochdramatischen Diabetes mellitus, der
bereits vor der Impfung am 22. September 1993 vorlag. Ein Prädiabetes bereits einige Wochen vor dem
angeschuldigten Impftermin wird auch bestätigt durch den festgestellten HbA1c-Wert. Am 5. Oktober 1993 ist dieser
Langzeitblutzuckerwert mit 10,2 % gemessen worden. Wie PD. Dr. EB. in seinem Gutachten vom 18. Dezember 2001
im Einzelnen ausgeführt hat, ist der HbA1c-Wert das Maß der durchschnittlichen Blutzuckerhöhe der letzten 6 bis 12
Wochen und beträgt bei Stoffwechselgesunden methodenabhängig maximal 6 %. Hieraus folgert dieser
Sachverständige in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Prof. Dr. DB., dass der Wert von 10,2 % bei der
Berufungsklägerin im Zeitpunkt der Manifestation des Diabetes mellitus Typ I nachweist, dass der mittlere Blutzucker
6 bis 8 Wochen vor der stationären Aufnahme am 3. Oktober 1993 120 bis 150 mg/dl über der Norm gelegen haben
muss, so dass die diabetische Stoffwechsellage nicht kurzfristig entstanden ist. Die Wahrscheinlichkeit des
ursächlichen Zusammenhangs zwischen Impfung und Entstehung des Diabetes mellitus wird mit eingehender
Begründung ebenfalls von Dr. EB. in dem Gutachten vom 18. Dezember 2001 verneint. Dieser hat im Einzelnen
ausgeführt, dass es zum Auftreten klinischer Symptome wie Gewichtsabnahme oder mangelndes Gedeihen – wie im
Falle der Berufungsklägerin – erst dann kommt, wenn weniger als 15 bis 30 % der insulinproduzierenden Zellen
verblieben sind. Da derartige klinische Symptome bereits im Zeitpunkt der Impfung vorlagen und darüber hinaus ein
auf eine diabetische Stoffwechsellage hinweisender Langzeitblutzuckerwert gegeben war, schließt der
Sachverständige PD Dr. EB. in Übereinstimmung mit Prof. Dr. DB. , dass davon ausgegangen werden muss, dass im
Falle der Berufungsklägerin ein Prädiabetes bereits zum Zeitpunkt der Impfung bestanden hat. Nicht gefolgt werden
kann den Ausführungen des Prof. Dr. BB. in seiner ärztlichen Stellungnahme vom 11. Februar 2000, wonach er unter
Auswertung von Ausführungen des J.B. Classen ausführt, dass eine kausale Beziehung zwischen HIB-Vaccination
und der Entwicklung eines Diabetes mellitus Typ I bei der Berufungsklägerin als wahrscheinlich anzunehmen sei. Aus
dem in Bezug genommenen Artikel von Marjatta Karvonen folgt gerade, dass eine Beziehung zwischen einer HIB-
Vaccination und der Manifestation eines Typ I Diabetes unwahrscheinlich ist. Prof. Dr. CB. weist in seiner
Stellungnahme vom 5. Juni 2000 ausdrücklich und zutreffend darauf hin, dass es sich lediglich um eine Meinung des
Classen handelt, die sich jedoch nicht auf neue Studien und auf diese begründenden neuen Erkenntnisse stützen
kann. Außerdem hat Classen selbst seine Publikation über HIB-Impfungen ausdrücklich als Hypothese bezeichnet.
Darüber hinaus haben sowohl Classen als auch Karvonen übereinstimmend festgestellt, dass gerade für die nur
einmalige HIB-Impfung wie im Falle der Berufungsklägerin sich keine signifikante Erhöhung der Häufigkeit von Typ-I-
Diabetes nachweisen lässt. Im Übrigen spiegelt die Ansicht Prof. Dr. HB. und Classens nicht die derzeitige und
entscheidungsrelevante herrschende medizinische Lehrmeinung wider. Insbesondere lässt diese abweichende
Auffassung die vorliegend viel zu kurze Laufzeit zwischen Impfung und Manifestation der Krankheit außer Acht.
Ebenso wenig können den von der Berufungsklägerin vorgelegten Ausführungen des Molekularbiologen Dr. Z. vom 4.
Juli 2001 gefolgt werden. Auch diese entsprechen nicht der herrschenden medizinischen Lehrmeinung. Dies ergibt
sich bereits aus einem Vergleich seiner Ausführungen mit den Darlegungen in den AHP 96 Rd.nr. 120, S. 290.
Auch die weitere von der Berufungsklägerin geltend gemachte Einwendung, die Impfung sei kontraindiziert gewesen,
kann nicht überzeugen. Im Einzelnen hat sich Prof. Dr. DB. hiermit in seinem Gutachten vom 11. November 2000
auseinander gesetzt. Danach ist es ausgeschlossen, dass durch die verabreichten Impfstoffe gegen Diphtherie,
Tetanus und Poliomyelitis ein Diabetes mellitus Typ I verursacht wird. Auszuschließen ist ebenfalls nach dem
derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft, dass durch die HiB-Impfung, insbesondere sofern sie nur – wie
vorliegend – einmalig verabreicht wird, diese Erkrankung ausgelöst wird. Eine andere Beurteilung ergibt sich nach den
Ausführungen des Prof. Dr. DB. auch nicht aus den verwandten Impfstoffen. Die von der Berufungsklägerin
vorgelegten Daten aus Finnland und Neuseeland rechtfertigen keine andere Beurteilung; denn zum Einen hat es sich
um eine Masern-Mumps-Röteln-Impfung, zum Anderen um eine Hepatitis-B-Impfung gehandelt. Solche Impfungen hat
die Berufungsklägerin jedoch nicht erhalten.
Die gerichtlichen Sachverständigen haben insgesamt die geltende medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung ihrer
Begutachtung zu Grunde gelegt mit dem Ergebnis, dass mehr gegen als für einen ursächlichen Zusammenhang
zwischen der durchgeführten Impfung und der Entstehung des Diabetes mellitus Typ I spricht. Diese stimmt mit den
Vorgaben in den AHP 83 bzw. 96 überein. Zum Einen wird die Verursachung eines Diabetes mellitus Typ I in den AHP
nicht als Impfschaden im Zusammenhang mit den Erläuterungen zu den hier durchgeführten Impfungen erwähnt. Zum
Anderen wird in den AHP ebenfalls diskutiert, dass bei entsprechender genetischer Disposition Umwelteinflüsse, wie
z.B. Infekte, toxische Substanzen sowie bestimmte Ernährungsfaktoren, und evtl. auch körpereigene Stressproteine
einen Autoimmunprozess auslösen können, der im Laufe von etwa ½ Jahr bis zu mehreren Jahren – bei Kindern auch
in etwas kürzeren Fristen – zur Entwicklung eines insulinabhängigen Diabetes mellitus führen kann. Diesen
Anhaltspunkten kommt zwar keine Normqualität zu, sie stellen vielmehr unter Berücksichtigung der herrschenden
medizinischen Lehrmeinung antizipierte Sachverständigengutachten dar, wirken sich in der Praxis der
Versorgungsverwaltung jedoch normähnlich als ein geschlossenes Beurteilungsgefüge aus. Die Rechtskontrolle durch
die Gerichte beschränkt sich auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht und Fragen der Gleichbehandlung (vgl.
BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 6, § 3 Nr. 5 sowie Bundesverfassungsgericht SozR 3-3870 § 3 Nr. 6).
Die Anerkennung des Diabetes mellitus Typ I als Impfschaden und die Gewährung von Beschädigtenversorgung kann
auch nicht im Wege einer "Kannversorgung” gem. § 52 Abs. 2 Satz 2 BSeuchG i.V.m. den AHP 96 erfolgen, nach
denen in Abweichung zu den AHP 83 die Anerkennung der Entstehung eines Diabetes mellitus Typ I als Folge einer
Schädigung im Wege einer "Kannversorgung” in Betracht kommt. Denn abweichend von dem Kausalitätsgrundsatz
des § 52 Abs. 2 Satz 1 BSeuchG (vgl. AHP 96 Nr. 37) kann nach § 52 Abs. 2 Satz 2 BSeuchG mit Zustimmung der
für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Impfung
anerkannt werden, wenn die nach § 52 Abs. 2 Satz 1 BSeuchG erforderliche Wahrscheinlichkeit des ursächlichen
Zusammenhangs nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der
medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht ("Kannversorgung” – s. AHP Nr. 39, S. 182). U.a. muss jedoch
gem. AHP 96 Nr. 39 Abs. 2 c, S. 183 zwischen der Einwirkung der wissenschaftlich in ihrer ursächlichen Bedeutung
umstrittenen Umstände und der Manifestation des Leidens oder der Verschlimmerung des Krankheitsbildes eine
zeitliche Verbindung gewahrt sein, die mit den allgemeinen Erfahrungen über biologische Verläufe und den in den
wissenschaftlichen Theorien vertretenen Auffassungen über Art und Wesen des Leidens in Einklang stehen.
Die Voraussetzungen für die Anerkennung des bei der Berufungsklägerin aufgetretenen Diabetes mellitus Typ I als
Folge eines Impfschadens liegen jedoch nicht vor. Zum Einen ist nach den AHP 96 Nr. 57 ein ursächlicher
Zusammenhang zwischen den verabreichten Impfstoffen gegen Diphtherie, Tetanus, Poliomyelitis und HIB
wissenschaftlich nicht umstritten; vielmehr wird die Entstehung eines Diabetes mellitus Typ I als Schaden anlässlich
der bei der Berufungsklägerin vorgenommenen Impfungen bzw. als Impfschadensfolge nicht erwähnt. Zum Anderen
fehlt es vorliegend – wie bereits ausgeführt – an der auch nach den AHP 96 erforderlichen Zeitschiene zwischen
erfolgter Impfung und Manifestation des Diabetes mellitus Typ I. Allein wegen der Manifestation des Diabetes im Falle
der Berufungsklägerin bereits 11 Tage nach der Impfung kommt eine "Kannversorgung” nicht in Betracht. Insoweit
wird Bezug genommen auf die überzeugenden Ausführungen der medizinischen Sachverständigen erster und zweiter
Instanz, insbesondere auf die ausführlichen Begründungen des Prof. Dr. DB. und des Dr. EB ...
Eine andere und für die Berufungsklägerin günstige Rechtslage ergibt sich auch nicht aus dem gem. Art. 5 Abs. 1 Nr.
1 am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften
(Seuchenrechtsneuordnungsgesetz – SeuchRNeuG - vom 20. Juli 2000 in Bundesgesetzblatt I, S. 1045). Die
Versorgung bei einem Impfschaden und bei Gesundheitsschäden durch andere Maßnahmen der spezifischen
Prophylaxe richtet sich nach § 60 ff SeuchRNeuG. Die Bestimmungen sind inhaltsgleich mit den außer Kraft
getretenen Regeln des BSeuchG. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen einer Schutzimpfung, der
gesundheitlichen Schädigung und des Impfschadens gem. § 60 SeuchRNeuG und der
Gesundheitsschadensanerkennung gem. § 61 dieses Gesetzes. Sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen als auch
der Rechtsfolgen sind diese Regelungen des SeuchRNeuG inhaltsgleich mit denen des BseuchG aF und ergeben
demzufolge keine andere rechtliche Beurteilung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG haben nicht vorgelegen.