Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.04.2003

LSG Nsb: vollrente, altersrente, rücknahme, teilrente, zukunft, einkünfte, arbeitslosigkeit, vertrauensschutz, ermessen, rückforderung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 30.04.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 14 RA 328/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 1 RA 83/01
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte berechtigt war, einen Bescheid über die Gewährung von
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ohne Anrechnung von Hinzuver-dienst mit Wirkung für die Zukunft
zurückzunehmen.
Der im Jahre 1937 geborene Kläger, der zuletzt Assessor im Landesarbeitsamt war, be-antragte im September 1997
Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig teilte er der Beklagten mit, dass er im Rahmen einer familienhaften
Mitwirkung eine Verwaltertätigkeit ausübe, aus der er einen monatlichen Nebenverdienst von 575,69 DM erziele.
Dieser Betrag verbleibe ihm nach Abzug aller Abzüge und Kosten von seinem monatlichen Ho-norar von 1.976,- DM
ohne Mehrwertsteuer. Der von dem Kläger vorgelegte Einkom-menssteuerbescheid für 1995 wies Einkünfte aus
selbständiger Arbeit in Höhe von 13.004,- DM aus.
Mit Bescheid vom 8. Januar 1998 bewilligte die Beklagte dem Kläger die begehrte Alters-rente ab 1. September 1997.
Darin wies sie den Kläger auf die gesetzliche Verpflichtung hin, ein Überschreiten der Verdienstgrenze, die ein Siebtel
der monatlichen Bezugsgröße (620,- DM in den alten Bundesländern) betrage, unverzüglich anzuzeigen. Außerdem
heißt es in der Anlage 10 des Bescheides, Seite 2: "Wir bitten Sie, zu gegebener Zeit um Einsendung der
Einkommensteuerbescheide für 1996 und 1997. Wir weisen darauf hin, dass der Rentenbescheid insofern unter
Vorbehalt steht”.
Im Oktober 1998 legte der Kläger den Einkommenssteuerbescheid für 1996 vor, dem Einkünfte aus selbständiger
Arbeit in Höhe von 14.375,- DM zu entnehmen waren. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger unter dem 3.
November 1998 mit, dass er er-fahrungsgemäß den Steuerbescheid für 1997 erst im Herbst 1999 erhalten werde. Eine
Bescheinigung des Steuerberaters könne er nicht vorlegen, da er seine Einkommens-steuererklärungen ohne
Mitwirkung eines Steuerberaters erstelle. Da aber seine Be-triebsausgaben für die Jahre 1997 und 1998 in etwa der
gleichen Größenordnung wie im Jahre 1996 angefallen seien, müsse der Beklagten nunmehr eine vorbehaltslose
Zahlung seiner Rente möglich sein.
Mit Bescheid vom 30. November 1998 hob die Beklagte ihren Bescheid vom 8. Januar 1998 auf und stellte fest, dass
der Kläger seit dem 1. September 1997 lediglich einen Anspruch auf Zahlung einer Teilrente in Höhe der Hälfte der
Vollrente habe. Gleichzeitig stellte sie fest, dass sich für die Zeit vom 1. September 1997 bis 31. Dezember 1998 eine
Überzahlung in Höhe von 15.045,36 DM ergebe. Des weiteren bat die Beklagte in dem Bescheid um die Übersendung
der Einkommenssteuerbescheide für 1997 und 1998 und wies darauf hin, dass der Bescheid insofern unter Vorbehalt
stehe. Gegen diesen Be-scheid erhob der Kläger Widerspruch. Die Beklagte hörte den Kläger zunächst dazu an, dass
sie beabsichtige, die eingetretene Überzahlung in der Zeit vom 1. September 1997 bis 31. Dezember 1998 in Höhe
von 15.045,36 DM zurückzufordern, die sich daraus er-gebe, dass er in diesem Zeitraum statt einer Vollrente nur eine
Altersrente als Teilrente in Höhe der Hälfte der Vollrente habe beziehen dürfen. Mit weiterem Bescheid vom 9. Juni
1999 nahm sie den Bescheid vom 8. Januar 1998 mit Wirkung vom 1. September 1997 zurück und bewilligte dem
Kläger nunmehr seit dem 1. September 1997 Altersrente als Teilrente in Höhe von 2/3 der Vollrente und stellte
gleichzeitig nunmehr für den Zeitraum vom 1. September 1997 bis 30. Juni 1999 eine Überzahlung von 8.142,78 DM
fest, die zu erstatten sei. Auch der Rentenbescheid vom 30. November 1998 werde zurückgenom-men.
Nachdem der Kläger seinen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 1997 zu den Akten gereicht hatte, hob die
Beklagte mit Bescheid vom 8. Februar 2000 den Bescheid vom 9. Juni 1999 auf, soweit die Rückforderung der
Überzahlung für die Zeit vom 1. Septem-ber 1997 bis 30. Juni 1999 geltend gemacht worden war. Sie wies dann mit
Wider-spruchsbescheid vom 24. Mai 2000 den Widerspruch im Übrigen zurück und führte im Einzelnen aus, dass der
Kläger keinen Anspruch auf Altersrente als Vollrente habe. Denn mit dem Einkommen des Klägers in dem hier
streitigen Zeitraum sei die für die Vollrente maßgebende Hinzuverdienstgrenze von 1/7 der monatlichen Bezugsgröße
überschritten worden, nicht aber die Hinzuverdienstgrenze für die Altersrente in Höhe von 2/3 der Voll-rente. Die
Voraussetzungen für die Rücknahme des Bescheides vom 8. Januar 1998 für die Zukunft seien erfüllt, weil an der
Herstellung des rechtmäßigen Zustandes ein öffentli-ches Interesse bestehe und ein Vertrauen auf den Bestand des
Bescheides nicht schutz-würdig sei. Denn der Kläger sei im Bescheid vom 8. Januar 1998 darauf hingewiesen
worden, dass bei Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze sich die Altersrente mindere oder wegfallen könne. Aus
den darin enthaltenen Hinweisen sei erkennbar gewesen, dass die Überprüfung der Einkommensgrenze noch nicht
abgeschlossen gewesen sei.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Klage erhoben und geltend gemacht, dass er alle leistungsrechtlich
bedeutsamen Umstände bereits zum Zeitpunkt der Rentenantrag-stellung dargelegt habe, insbesondere habe der
Steuerbescheid der Beklagten aus dem Jahre 1995 bereits vorgelegen. Die Beklagte habe daher den fehlerhaften
ersten Renten-bescheid zumindest mitverursacht. Bei dieser Sachlage könne sie sich insbesondere nicht auf den
ausgesprochenen Vorbehalt berufen. Zudem habe er auf die Höhe der ihm gezahlten Vollrente vertraut. Dieses
Vertrauen sei schutzwürdig, so dass auch aus die-sem Grunde eine Rücknahme nicht in Betracht komme. Die
Beklagte ist diesem Vorbrin-gen mit dem Hinweis entgegen getreten, dass aus dem Bescheid vom 8. Januar 1998
klar erkennbar gewesen sei, dass die Überprüfung der Hinzuverdienstgrenze noch nicht abgeschlossen gewesen sei.
Der Kläger habe auch nicht dargelegt, dass er im Vertrauen auf die Bestandskraft des Bescheides
Vermögensdispositionen getroffen habe, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig
machen könne.
Mit Urteil vom 2. März 2001 hat das Sozialgericht (SG) Hannover die Klage abgewiesen. In den Gründen hat es im
Einzelnen ausgeführt, dass der Bescheid vom 8. Januar 1998 von Anfang an rechtswidrig gewesen sei, da der Kläger
lediglich Anspruch auf eine Rente als Teilrente gehabt habe. Dieser sei auch innerhalb der Zwei-Jahres-Frist zu Recht
zu-rückgenommen worden, da sich der Kläger auf Vertrauensschutz nicht habe berufen können. Ihm sei konkret
bekannt gewesen, dass bezüglich der Berücksichtigung seines Einkommens für die Jahre 1996 und 1997 im
angefochtenen Bescheid noch keine end-gültige Regelung habe getroffen werden können. Dies sei auch durch den
Vorbehalt des Rentenbescheides deutlich zum Ausdruck gekommen. Wenn er dennoch darauf vertraut habe, dass
eine endgültige Regelung vorliege, sei dies grob fahrlässig gewesen. Der Kläger könne sich daher, zumindest soweit
es um die Rücknahme des Bescheides für die Zukunft gehe, nicht auf Vertrauensschutz berufen. Die Beklagte habe
schließlich auch das ihr eingeräumte Ermessen nicht fehlerhaft ausgeübt.
Gegen das ihm am 20. März 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 20. April 2001 ein-gelegte Berufung des
Klägers, mit dem er sein Begehren weiter verfolgt. Er ist nach wie vor der Auffassung, dass er nicht grob fahrlässig
gehandelt habe und sich auf Vertrau-ensschutz berufen könne. Denn zum Zeitpunkt der Bescheiderteilung sei der
Beklagten bekannt gewesen, dass er Einkommen aus einer Verwaltertätigkeit erzielte. Der Beklag-ten habe nicht nur
der Steuerbescheid des Jahres 1995, der Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 13.004,- DM ausgewiesen
habe, vorgelegen, sondern der Kläger selbst habe bereits im September 1997 darauf hingewiesen, dass er monatlich
575,69 DM verdiene. Er habe also davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte seine Ansicht teile, dass die
Hinzuverdienstgrenze von ihm nicht überschritten werde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. März 2001 und die Be-scheide der Beklagten vom 30. November 1998
sowie vom 9. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und vertritt die Auffassung, dass der Klä-ger schon deshalb auf die
Bestandskraft des Bescheides vom 8. Januar 1998 nicht habe vertrauen dürfen, weil die Hinzuverdienstgrenzen keine
feste Größe seien, sondern der Anpassung unterlägen. Hinzu komme, dass er nicht in der Lage gewesen sei, aktuelle
Einkommenssteuerbescheide oder zumindest eine geprüfte Gewinn- und Verlustrech-nung für den jeweils
maßgebenden Zeitraum vorzulegen. Auf keinen Fall könne dem Klä-ger ein schutzwürdiges Vertrauen auf den
Bestand des Verwaltungsakts auch für die Zu-kunft zugebilligt werden, da er immer wieder darauf hingewiesen worden
sei, dass weitere Prüfungen erfolgen müssten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Akten der Beklagten
Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Ge-genstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung
gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 f Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristge-recht eingelegt worden und
somit zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.
Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden. Denn der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Bescheid vom 8.
Januar 1998 weiterhin Bestand hat. Das SG hat in seinem Ur-teil die hier maßgeblichen Rechtsgrundlagen geprüft und
rechtsfehlerfrei angewendet. Es hat insbesondere im Einzelnen zutreffend dargelegt, dass sich der Kläger auf Vertrau-
ensschutz nicht berufen kann und weiter richtig ausgeführt, dass der Kläger, wenn er trotz des Vorbehaltes in dem
Rentenbescheid darauf vertraut habe, dass eine endgültige Regelung vorliege, dies grob fahrlässig gewesen ist.
Schließlich hat es auch in nicht zu beanstandender Weise geprüft, dass die Beklagte das ihr eingeräumte Ermessen
fehler-frei ausgeübt hat. Dem hat der Senat nichts hinzuzufügen. Er nimmt des halb zur Ver-meidung von
Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 2. März 2001 Bezug.
Im Berufungsverfahren sind neue Gesichtspunkte nicht zu Tage getreten. Der Kläger hat lediglich seinen Vortrag aus
dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und die Auffas-sung vertreten, dass er alle erforderlichen Angaben
gemacht habe und deshalb in seinem Vertrauen auf den Bestand des Bescheides vom 8. Januar 1998 schutzwürdig
sei. Dieser Auffassung vermag der Senat aus den bereits vom SG dargelegten Gründen nicht beizu-treten. Sie ist
schon deshalb unzutreffend, weil der Kläger von der Beklagten in den an-gefochtenen Bescheiden aber auch bei
sonstiger Gelegenheit darauf hingewiesen wor-den ist, dass endgültige Feststellungen erst nach Vorlage der jeweiligen
Einkommens-steuerbescheide getroffen werden könnten. Zu Recht führt die Beklagte insoweit aus, dass bei dieser
Sachlage ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Verwal-tungsaktes auch für die Zukunft nicht besteht.
Bei dieser Sachlage konnte der Senat dahinstehen lassen, ob die Rücknahme des Be-scheides nicht bereits aufgrund
eines Widerrufvorbehaltes gemäß § 32 SGB X hätte er-folgen können, wie er in den Bescheiden enthalten war. Denn
da die Beklagte keine Rückforderung mehr geltend gemacht hat, käme § 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X als weitere
Rechtsgrundlage in Betracht (vgl. nur: Hauck/Haines, Kommentar zum SGB, § 32 SGB X, Rn. 9).
Die Berufung konnte nach allem keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Es bestand kein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen.