Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 02.03.2007

LSG Nsb: eheähnliche gemeinschaft, gesetzliche vermutung, wohnung, zusammenleben, wohngemeinschaft, beweislastumkehr, niedersachsen, gerichtsakte, anschrift, lebensgemeinschaft

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 02.03.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 46 AS 1491/06 ER
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 13 AS 24/06 ER
Der Beschluss des Sozialgerichts Oldenburg vom 13. November 2006 (S 46 AS 1491/06 ER) wird aufgehoben.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsgegnerin im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet ist, dem
Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II)
ohne Berücksichtigung des Einkommens der mit ihm in einer Wohnung lebenden Frau F. G. zu gewähren.
Der am 19. Januar 1962 geborene Antragsteller war ausweislich einer Auskunft des Bezirksamtes H. ebenso wie die
am 22. Januar 1979 geborene F. G. in der Zeit vom 1. Februar 1997 bis zum 19. Juli 2004 unter der Anschrift I.,
gemeldet. In der Folgezeit waren beide unter der Anschrift J., wohnhaft. Seit Anfang April 2005 wohnen der
Antragsteller und Frau G. in der Wohnung K ...
Die Antragsgegnerin gewährt dem Antragsteller seit seinem Zuzug nach L. Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II, wobei wiederholt von ihr die Auffassung vertreten wurde, dass zwischen dem
Antragsteller und Frau G. eine eheähnliche Gemeinschaft bestehe. Von diesem Hintergrund hatte die Antragsgegnerin
in der Vergangenheit bereits einmal ab 1. März 2006 die Leistungen eingestellt. In dem dagegen gerichteten
Eilverfahren hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg (S 46 AS 624/06 ER) am 2. Juni 2006 einen Erörterungs- und
Beweisaufnahmetermin durchgeführt, wobei der Hausverwalter und der Hausmeister der Wohnung M., als Zeugen
vernommen wurden. Unter Hinweis auf das Ergebnis dieser Beweisaufnahme verpflichtete das SG Oldenburg die
Antragsgegnerin mit Beschluss vom 6. Juni 2006, dem Antragsteller vorläufig ab 1. Mai 2006 bis zum 31. Oktober
2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ohne Anrechnung des Einkommens von Frau
G. zu gewähren. Zur Begründung des Beschlusses wurde ausgeführt, dass aufgrund des Ergebnisses der
Beweisaufnahme Überwiegendes dafür spreche, dass im streitigen Zeitraum eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne
des § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II (a.F.) zwischen dem Antragsteller und Frau G. nicht vorliege.
In Umsetzung des gerichtlichen Beschlusses (S 46 AS 624/06 ER) gewährte die Antragsgegnerin dem Antragsteller
für den Zeitraum vom 1. Mai 2006 bis 31. Oktober 2006 (wieder) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem SGB II. Unter Bezugnahme auf dessen Folgeantrag vom 29. September 2006 teilte die Antragsgegnerin
dem Antragsteller dann mit Schreiben vom 26. Oktober 2006 mit, dass in seinem Falle die gesetzliche Vermutung der
Neuregelung des § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II erfüllt sei, da er länger als ein Jahr mit Frau G. zusammenlebe. Zugleich
wurde der Antragsteller aufgefordert, verschiedene Einkommens- und Vermögensnachweise betreffend Frau G.
vorzulegen.
Der Antragsteller hat sich daraufhin am 1. November 2006 an das SG Oldenburg gewandt und (erneut) um Gewährung
vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Er vertrat die Auffassung, dass die Vermutungsregel des § 7 Abs. 3 a Nr. 1
SGB II durch das Ergebnis der Beweisaufnahme in dem gerichtlichen Erörterungstermin am 2. Juni 2006 sowie den
gerichtlichen Beschluss vom 6. Juni 2006 (S 46 AS 624/06 ER) widerlegt sei. Das SG Oldenburg habe positiv
festgestellt, dass zwischen ihm und Frau G. keine eheähnliche Gemeinschaft vorliege. Die Antragsgegnerin hat
demgegenüber vorgetragen, dass der Antragsteller nunmehr seit über neun Jahren mit Frau G. in einer
Haushaltsgemeinschaft lebe und sich nicht nachweislich um eine eigene Wohnung bemüht habe. Die gesetzliche
Vermutung der Neuregelung sei vorliegend erfüllt. Mit gerichtlichem Beschluss vom 6. Juni 2006 sei sie lediglich zur
vorläufigen Leistung verpflichtet worden, weil es ihr nicht gelungen sei, die Voraussetzung für das Vorliegen einer
eheähnlichen Gemeinschaft zu diesem Zeitpunkt nachzuweisen.
Das SG Oldenburg hat die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 13. November 2006 (S 46 AS 1491/06 ER) im Wege
der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig – unter dem Vorbehalt der Rückforderung – ab 1.
November 2006 bis zum 30. April 2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ohne
Anrechnung von Einkommen von Frau F. G. zu gewähren. Zur Begründung hat es auf seinen Beschluss vom 6. Juni
2006 in dem früheren Eilverfahren S 46 AS 624/06 ER Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, die
Antragsgegnerin könne sich auch nicht mit Erfolg auf die (neue) gesetzliche Vermutung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II
berufen, da vorliegend von einem über eine bloße Wohngemeinschaft hinausgehendes Zusammenleben nicht
ausgegangen werden könne. Das Tatbestandsmerkmal "Zusammenleben" in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II habe eine
weitergehende Bedeutung als das bloße Zusammenwohnen in einer Haushaltsgemeinschaft.
Gegen den Beschluss des SG Oldenburg vom 13. November 2006 hat die Antragsgegnerin am 20. November 2006
Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Unter Bezugnahme auf ihr bisheriges Vorbringen betont sie,
dass die Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung erfüllt seien. Der Antragsteller und Frau G. lebten bereits seit
Februar 1997 in verschiedenen Wohnungen zusammen. Der Antragsteller habe in der Vergangenheit selbst das
Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft eingeräumt. Die Behauptung, er habe sich von Frau G. getrennt, sei
unglaubhaft. So fehlten insbesondere Nachweise für die Bemühung um die Erlangung einer neuen Wohnung. Im
Ergebnis seien nicht nur die Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II erfüllt,
vielmehr sei aufgrund der bestehenden Indizien von dem Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft auszugehen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des SG Oldenburg vom 13. November 2006 (S 46 AS 1491/06 ER) aufzuheben.
Der Antragsteller beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er betont, dass zwischen ihm und Frau G. nur eine Haushaltsgemeinschaft, nicht jedoch eine
Wirtschaftsgemeinschaft bestehe. Indizien für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft seien nicht gegeben.
Aufgrund der eindeutigen Feststellungen in dem früheren Eilverfahren, in dem sich gezeigt habe, dass eine
eheähnliche Gemeinschaft gerade nicht bestehe, sei er auch nicht verpflichtet, sich um eine neue Wohnung zu
bemühen.
Wegen der übrigen Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf
den Inhalt der Gerichtsakte in dem Verfahren S 46 AS 624/06 ER, auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens
sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug genommen.
II.
Die gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Der
Beschluss des SG Oldenburg vom 13. November 2006 (S 46 AS 1491/06 ER) ist rechtsfehlerhaft und damit
aufzuheben. Die Antragsgegnerin ist bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. November 2006 bis
zum 30. April 2007 nicht verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
nach dem SGB II zu gewähren.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass
sowohl ein Anordnungsgrund (d. h. die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch
ein Anordnungsanspruch (d. h ...die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen
Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2
Zivilprozessordnung – ZPO -).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist es dem Antragsteller nicht gelungen, dass Vorliegen eines
Anordnungsanspruches für die begehrten Leistungen im Sinne von § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG glaubhaft zu machen.
Nach der Überzeugung des Senats steht seinem Begehren auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II die gesetzliche Vermutung für das Vorliegen einer eheähnlichen
Lebensgemeinschaft mit Frau N. entgegen, eine Vermutung, die der Antragsteller nicht entkräftet hat.
Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen
und das Vermögen des Partners des Hilfebedürftigen, zu berücksichtigen. Partner i. S. dieser Vorschrift ist gemäß § 7
Abs. 3 Nr. 3 c SGB II (in der seit dem 1. August 2006 geltenden Fassung des Gesetzes vom 20. Juli 2006,
Bundesgesetzblatt I, Seite 1706 ff.) eine Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen
Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist,
Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Der Gesetzgeber hat in der Neuregelung des § 7
Abs. 3 Nr. 3 c SGB II den Begriff der "eheähnlichen Gemeinschaft" aufgegeben (vgl. zur früheren Rechtslage: § 7
Abs. 3 Nr. 3 b SGB II in der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung). Die bisherige Rechtsprechung zu den
Voraussetzungen einer "eheähnlichen Gemeinschaft" ist aber auf die "Verantwortung- und Einstehensgemeinschaft"
nach § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II n. F. übertragbar. Der Gesetzgeber hat ersichtlich an die von der Rechtsprechung
erarbeiteten Kriterien für eine "eheähnliche Gemeinschaft" angeknüpft; eine inhaltliche Neubestimmung für
verschiedengeschlechtliche Partnerschaften hat der Gesetzgeber nicht beabsichtigt (vgl. Begründung des
Gesetzentwurfes des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende BT-Drucksache
16/1410, Seite 16; Linhart/Adolph, Sozialgesetzbuch II u. a., Kommentar, Stand: November 2006, § 7 SGB II Rdn.
67). Nach der bisherigen Rechtsprechung setzt eine eheähnliche Gemeinschaft – und damit auch eine
Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft i. S. von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II n. F. - eine auf Dauer angelegte
Lebensgemeinschaft voraus, die über eine bloße Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgeht (BVerfG,
Entscheidung vom 17. November 1992 – 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87, 234/264 f; Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar,
2005, § 7 Rdn. 27). Ob im Einzelfall eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft vorliegt, ist durch eine
Gesamtwürdigung der Umstände anhand von Indizien zu entscheiden. Da es sich hierbei im Wesentlichen um innere
Vorgänge im Verhältnis zwischen den Partnern handelt, ist es naturgemäß für den Leistungsträger schwierig, dass
Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft zu beweisen. Der Gesetzgeber hat diese
Schwierigkeiten zum Anlass genommen, durch die Neuregelung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 bis 4 SGB II die Beweislast für
das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft in gesondert bezeichneten Fallgestaltungen auf den
Hilfeempfänger zu verlagern, wird also eine Beweislastumkehr vorgenommen (Brühl/Schoch, LPK-SGB II, 2. Auflage
2007, Rdn. 70 zu § 7). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll auf diese Weise auch Leistungsmissbrauch durch
falsche Angaben zu den häuslichen Verhältnissen entgegengewirkt werden (BT-Drucksache 16/1410, Seite 19). Nach
der gesetzlichen Neuregelung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II (in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der
Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20. Juli 2006, Bundesgesetzblatt I 2006, 1706 ff.) wird ein wechselseitiger
Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen dann vermutet, wenn Partner länger als ein
Jahr zusammen leben.
Nach Überzeugung des Senats sind vorliegend die Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1
SGB II erfüllt. Insbesondere ist in dem Verfahen bei der des einstweiligen Rechtsschutzes gebotenen aber auch
ausreichenden summarischen Betrachtung von einem "Zusammenleben" des Antragstellers und Frau G. in einer
Wohnung i. S. von § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II auszugehen. Die gegenteilige Einschätzung des SG Oldenburg in dem
angefochtenen Beschluss vom 13. November 2006 überzeugt nicht. Es trifft allerdings zu, dass das
Tatbestandsmerkmal "Zusammenleben" nicht eindeutig und damit auslegungsbedürftig ist. Soweit der 9. Senat des
Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen in seiner Entscheidung vom 7. Dezember 2006 (L 9 AS 689/06 ER zit.
nach juris) hierzu ausgeführt hat, der Gesetzgeber habe mit der Formulierung "Zusammenleben" in § 7 Abs. 3 a Nr. 1
SGB II gerade auf die Voraussetzungen der Einstandsgemeinschaft Bezug genommen und nicht lediglich von
"Zusammenwohnen" gesprochen, woran deutlich werde, dass zum schlichten gemeinsam Wohnen in einer Wohnung
weitere Gesichtspunkte hinzutreten müssten, um die Rechtsfolgen der Vermutungsregelung auszulösen, vermag sich
der erkennende Senat dieser Auffassung nicht anzuschließen.
Unstrittig reicht das Bestehen einer bloßen Wohngemeinschaft weder für die Annahme einer eheähnlichen
Gemeinschaft i. S. d. § 122 Satz 1 BSHG bzw. § 7 Abs. 3 Nr. 3 b SGB II a. F. noch im Sinne einer Verantwortungs-
und Einstehensgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II n. F. aus. Dies gilt auch in den Fällen, in denen – wie
vorliegend – die zusammenwohnenden Personen die Wohnung gemeinsam gesucht und bezogen haben (LSG Baden-
Württemberg, Beschluss vom 12. Januar 2006, L 7 SO 5532/05 ER – B Rdn. 10, zit. nach juris). Dieser Grundsatz
lässt sich aber nicht auf die Neuregelung der gesetzlichen Vermutung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II übertragen. Denn
mit dieser Neuregelung wollte der Gesetzgeber den bestehenden Schwierigkeiten hinsichtlich der Nachweisbarkeit des
Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft bzw. jetzt einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft Rechnung
tragen. Denn es hatte sich in der Praxis immer wieder gezeigt, dass der Nachweis einer eheähnlichen Gemeinschaft
an Beweisschwierigkeiten scheiterte. Aus diesem Grunde und dem damit verbundenen Leistungsmissbrauch durch
falsche Angaben zu den häuslichen Verhältnissen hat der Gesetzgeber die gesetzlichen Vermutungen in § 7 Abs. 3 a
SGB II bewusst neu eingeführt. Der nach § 20 SGB X für das Sozialverwaltungsverfahren grundsätzlich bestehende
Untersuchungsgrundsatz wird insoweit im Sinne einer Beweislastumkehr modifiziert. Muss aber die durch die
gesetzliche Vermutung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II geschaffene Beweiserleichterung nach ihrer
Entstehungsgeschichte so verstanden werden, so reicht es für das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals
"zusammenleben" nach Auffassung des Senats aus, wenn die Partner länger als ein Jahr in einer gemeinsamen
Wohnung leben. Hiervon ausgenommen sind lediglich Fallgestaltungen, in denen unstreitig aufgrund eindeutiger
räumlicher Gegebenheiten und Zuordnungen zwei getrennte Wohnbereiche bestehen (bestanden haben). Weiterer
Feststellungen des Leistungsträgers bedarf es insoweit nicht. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen der gesetzlichen
Vermutung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II erfüllt, so obliegt es als Folge der durch das Gesetz angeordneten
Beweislastumkehr im nächsten Schritt dem Betroffenen darzulegen und nachzuweisen, dass die Voraussetzungen
einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II in seinem Fall nicht erfüllt sind.
Allerdings wird insoweit auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kein Vollbeweis verlangt. Die Widerlegung
der gesetzlichen Vermutung und damit das Nichtbestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft muss
aber anhand von Tatsachen glaubhaft gemacht werden. Allein die Behauptung des Betroffenen, dass der
Vermutungstatbestand nicht erfüllt sei, ist insoweit unzureichend (vgl. Estelmann, SGB II, Kommentar, Stand:
Dezember 2006, § 7 SGB II Rdn. 46). Bei einem anderen Verständnis der Neuregelung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II
würde die gesetzliche Vermutung leer laufen und nicht der bezweckten Beweiserleichterung zugunsten des
Leistungsträgers dienen. Im Gegenteil, die bereits bestehenden Beweisschwierigkeiten würden sich dann lediglich in
den Bereich der Neuregelung des § 7 Abs. 3 a SGB II verlagern.
Auf der Grundlage dieses Verständnisses der gesetzlichen Regelung sind nach dem Kenntnisstand dieses
Eilverfahrens die Voraussetzungen der Vermutung des § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II erfüllt. Dies ergibt sich aus
Folgendem: Der Antragsteller und Frau G. wohnen unstreitig bereits seit dem 1. Februar 1997 in unterschiedlichen
Wohnungen zusammen. Nach der Meldeauskunft des Bezirksamtes O. vom 22. Mai 2006 waren der Antragsteller und
Frau G. in der Zeit vom 1. Februar 1997 bis zum 19. Juli 2004 beide unter der Anschrift P., gemeldet. Von dort aus
sind beide in die Wohnung J., umgezogen. Nach Aktenlage, bestätigt durch eigene Angaben des Antragstellers,
haben sie beide bis Mitte März 2005 in dieser Wohnung gewohnt und sind dann erneut gemeinsam in die Wohnung Q.,
verzogen. Der Antragsteller und Frau G. wohnen somit bereits seit zehn Jahren in unterschiedlichen Wohnungen
zusammen. Die gesetzliche Vermutung des § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II ist damit erfüllt.
Dem Antragsteller ist es – bezogen auf das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes – auch nicht gelungen, die
gesetzliche Vermutung in § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II zu widerlegen. Seiner Behauptung, dass er mit Frau G. lediglich
in einer Wohngemeinschaft zusammenlebe vermag der Senat keinen Glauben zu schenken. Insbesondere kann sich
der Antragsteller nicht mit Erfolg darauf berufen, das SG Oldenburg habe positiv festgestellt eine eheähnliche
Gemeinschaft liege in seinem Fall nicht vor. Allerdings hat das SG Oldenburg die Antragsgegnerin in dem früheren
Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (S 46 AS 624/06 ER) verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig Leistungen
zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkommen von Frau G. zu gewähren,
wobei in den Gründen des Beschlusses u. a. ausgeführt wird, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme
Überwiegendes dafür spreche, dass im streitigen Zeitraum eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen dem
Antragsteller und Frau G. nicht bestanden habe. Diese Begründung enthält aber nicht eine positive, endgültige
Feststellung über das Nichtbestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft. Vielmehr reichten nach Auffassung des SG
Oldenburg – auf der Grundlage des früheren Rechts wie ausdrücklich zu betonen ist - die Indizien nicht aus, um
bezogen auf das damalige Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft
festzustellen. Der erkennende Senat hat zwar die Gesamtumstände des Falles und mithin auch den Inhalt der
Gerichtsakte des SG Oldenburg (S 46 AS 624/06 ER) bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen; eine
etwaige "Bindung" oder Ähnliches ergibt sich aus dieser nur in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren gewonnen
Überzeugung eines anderen Gerichts jedoch nicht. Nach Überzeugung des Senats sprechen bei Würdigung der
Gesamtumstände vielmehr eine ganze Reihe von Indizien derzeit für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft.
Hierzu im Einzelnen:
Schon die lange Dauer von zehn Jahren des gemeinsamen Zusammenwohnens in unterschiedlichen Wohnungen
spricht für das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft. Der Antragsteller und Frau G. sind – wie ausgeführt - in
den letzten zehn Jahren zweimal gemeinsam umgezogen. Als weiteres Indiz ist es zu werten, dass Frau G. in dem
gerichtlichen Erörterungstermin beim SG Oldenburg am 2. Juni 2006 als Zeugin erklärt hat, sie habe mit dem
Antragsteller nach dem Einzug in die Wohnung in L. "ein Verhältnis" gehabt. Dies hat der Antragsteller in dem
genannten Erörterungstermin inhaltlich bestätigt. Gegen das Vorliegen einer reinen Wohngemeinschaft spricht des
Weiteren das Ergebnis des unangemeldet durchgeführten Hausbesuches am 19. April 2005, anlässlich dessen der
Antragsteller und Frau G. gegenüber den Bediensteten Behrens und Frank nach deren hierüber gefertigtem
Aktenvermerk eingeräumt hatte,dass zwischen ihnen eine eheähnliche Gemeinschaft bestehe. Die spätere
Behauptung des Antragstellers, dass er sich von Frau G. getrennt habe, wertet der Senat demgegenüber als reine
Schutzbehauptung. Obwohl der Antragsteller bereits am 21. Juli 2005 behauptete, dass er sich von Frau G. getrennt
habe, lebt er bis heute gemeinsam mit ihr in der Wohnung R ... Trotz mehrerer Aufforderungen hat der Antragsteller
keinerlei Bemühungen um die Erlangung einer neuen Wohnung nachgewiesen. Seine Auffassung, dass es aufgrund
des Beschlusses des SG Oldenburg vom 6. Juni 2006 keiner Bemühungen um eine neue Wohnung mehr bedurft
habe, ist aus den oben dargelegten Gründen abwegig. Der Umstand, dass er nach wie vor mit Frau G. zusammen in
einer Wohnung lebt, wirkt sich hinsichtlich des Bestehens einer eheähnlichen Gemeinschaft zu seinen Lasten aus.
Dieses Indiz hat er nicht entkräftet. Auch seine pauschale Behauptung, dass er sich keine eigene Wohnung nehmen
könne, weil er Mietschulden habe, ist ebenfalls als Schutzbehauptung zu werten. Zum einen hat der Antragsteller
entsprechende Bemühungen, eine neue Wohnung anzumieten nicht dargelegt. Zum anderen hat die Antragsgegnerin
mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2006 überzeugend ausgeführt, dass auch an Personen mit einer negativer
Schufaauskunft Wohnungen vermittelt werden. Bei direkter Zahlung der Unterkunftskosten durch die Antragsgegnerin
an den Vermieter besteht nämlich für den Vermieter nicht das Risiko von Mietausfällen. Eine solche Handhabung ist
nicht unüblich und auch dem Senat aus anderen Verfahren bekannt. Es ist daher nicht plausibel, dass der
Antragsteller behauptet, es sei für ihn zwecklos, sich um eine neue Wohnung zu bemühen.
Dies bedeutet im Ergebnis, dass der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes keinen Erfolg hat und die
Beschwerde der Antragsgegnerin begründet ist. Greift nämlich – wie dargelegt – die gesetzliche Vermutung des § 7
Abs. 3 a Nr. 1 SGB II ein und ist sie nicht widerlegt worden, so ist – bezogen auf das Verfahren des vorläufigen
Rechtsschutzes – von dem Bestehen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller
und Frau G. i. S. v. § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II auszugehen. Dies hat gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II zur Folge, dass
bei der Bedarfsberechnung Einkommen und Vermögen beider Partner zu berücksichtigen sind. Frau G. verfügt nach
Aktenlage über Arbeitseinkommen. Die Prüfung, ob gegebenenfalls ein ergänzender Anspruch des Antragstellers und
von Frau G. auf Leistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II besteht, konnte bislang nicht
erfolgen, da der Antragsteller bzw. Frau G. ihrer diesbezüglichen Mitwirkungspflicht (vgl. § 60 Abs. 4 SGB II) trotz
mehrfacher Aufforderungen seitens der Antragsgegnerin (vgl. Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 26. Oktober 2006)
nicht nachgekommen sind. Diese fehlende Mitwirkungsbereitschaft wirkt sich insoweit zu seinen Lasten aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).