Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 18.01.2002

LSG Nsb: somatoforme schmerzstörung, niedersachsen, untätigkeitsklage, verwaltungsakt, ermessen, auflage, depression, widerspruchsverfahren, klagerücknahme, unfallfolgen

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 18.01.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 32 U 23/01
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 B 229/01 U
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 11. Juli 2001 wird
zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des durch
Erledigung in der Hauptsache beendeten Klageverfahrens zu erstatten.
Die Beklagte hatte dem Kläger wegen eines Arbeitsunfalls vom 25. Februar 1990 für die Zeit vom 8. April 1991 bis 24.
Februar 1992 Verletztenrente in Höhe von 30 v.H. und ab 25. Februar 1992 in Höhe von 25 v.H. der Vollrente gezahlt
und als Unfallfolge u.a. eine "körperbezogene Niedergeschlagenheit (somatisierte Depression)” anerkannt (Bescheid
vom 4. Februar 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 1993). Sie entzog die Verletztenrente
mit Ablauf des März 1994 mit der Begründung, die depressive Symptomatik habe sich völlig zurückgebildet und die
unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit – MdE – betrage nur noch 15 v.H. (Bescheid vom 24. Februar 1994).
Die dagegen gerichtete Klage war erfolglos (vgl. das die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom
14. März 1995 zurückweisende rechtskräftige Urteil des Landessozialgerichts – LSG – Niedersachsen vom 7. März
2000 – L 3 U 141/95 -).
Mit Schreiben vom 3. August 2000 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf das vorgenannte Verfahren die
"Feststellung einer Verschlimmerung, verbunden mit einer Erhöhung der Unfallrente”, weil möglicherweise eine aus
dem Unfall resultierende somatoforme Schmerzstörung vorliege. Mit Schreiben vom 28. August 2000 teilte die
Beklagte dem Kläger daraufhin mit, dass sein Antrag von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehe: Das LSG
Niedersachsen habe im Urteil vom 7. März 2000 für die Zeit ab April 1994 keine somatische Depression mehr und
darüber hinaus aktuell auch keine somatoforme Schmerzstörung als Unfallfolge festzustellen vermocht. Dass sich
seit der mündlichen Verhandlung vor dem LSG eine unfallbedingte somatoforme Schmerzstörung herausgebildet
haben solle, sei nicht nachvollziehbar. Bei dieser Sachlage werde keine Veranlassung gesehen, dem Begehren auf
Einleitung eines neuen Feststellungsverfahrens zu entsprechen. Am 24. Januar 2001 legte der Kläger hiergegen
Widerspruch ein.
Außerdem hat er am 24. Januar 2001 vor dem Sozialgericht – SG – Hildesheim Klage mit dem Antrag erhoben, die
Beklagte zu verurteilen, den Verschlimmerungsantrag vom 3. August 2000 unter Beachtung der Rechtsauf-fassung
des Gerichts zu bescheiden. Die Beklagte sei verpflichtet, sich mit dem Anspruch des Klägers auseinander zu setzen
und den Sachverhalt gemäß §§ 20, 21 Sozialgesetzbuch – SGB – X aufzuklären, nachdem sich in Parallelverfahren
wegen Feststellung eines GdB und der Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente herausgestellt habe, dass sich die
Unfallfolgen verschlimmert hätten. Da die Beklagte mitgeteilt habe, sie werde ein Verfahren nicht in die Wege leiten,
müsse die Frist des § 88 Sozialgerichtsgesetz – SGG – nicht beachtet werden. Die Beklagte hob mit
Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2001 "den Verwaltungsakt vom 28. August 2000” auf und stellte fest, dass über
den mit Schreiben vom 3. August 2000 gestellten Antrag auf Durchführung eines Feststellungsverfahrens förmlich
durch Bescheid zu entscheiden sei. Daraufhin hat der Kläger den Rechtsstreit für erledigt erklärt und beantragt,
der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Das SG hat diesen Antrag mit Beschluss vom 11. Juli 2001 abgelehnt. Gegen diesen ihm am 18. Juli 2001
zugestellten Beschluss hat der Kläger am 30. Juli 2001 Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, der Beklagten
seien die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen, wobei "das dem Gericht für diese Entscheidung zuständige
Ermessen” auf Null reduziert sei. Er macht zur Begründung im Wesentlichen geltend, die Beklagte habe die
Untätigkeitsklage veranlasst. Es sei zu berücksichtigen, dass sie im Schreiben vom 28. August 2000
unmissverständ-lich und abschließend erklärt habe, ein Verfahren nicht einleiten zu wollen; das Schreiben sei nicht
eindeutig als Bescheid zu qualifizieren, weil eine Rechtsbehelfsbelehrung fehle.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.
II.
Die statthafte Beschwerde des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch nicht
begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.
Endet ein Rechtsstreit, wie im vorliegenden Fall, durch die als Klagerücknahme (§ 102 SGG) zu wertende einseitige
Erledigungserklärung des Klägers, so hat das Gericht gemäß § 193 Abs. 1 Halbsatz 2 SGG auf Antrag nach billigem
Ermessen darüber zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben.
Bei dieser Entscheidung sind das voraussichtliche Ergebnis und der Grund der Klageerhebung zu berücksichtigen
(vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 6. Auflage 1998, § 193 Rz 13).
Unter Beachtung dieser Kriterien ist die Beklagte, wie das SG zutreffend entschieden hat, nicht verpflichtet, dem
Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Klageverfahrens zu erstatten. Denn seine auf Vornahme eines
Verwaltungsakts gerichtete Untätigkeitsklage war unzulässig. Hier fehlte das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis,
weil die Beklagte bereits einen Verwaltungsakt in Gestalt des formlosen Bescheides vom 28. August 2000 erlassen
hat. Dieses Schreiben stellt sich als Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalls, also als Verwaltungsakt iSd § 31
SGB X dar. Denn es kommt darin eindeutig zum Ausdruck, dass die Beklagte den Antrag des Klägers vom 3. August
2000 ablehnte. So konnte und musste ihr Schreiben bei verständiger Würdigung aufgefasst werden (allgemein dazu
von Wulffen, SGB X, Kommentar, 4. Auflage 2001 § 31 Rz 25 f). Rechtlich unerheblich ist in diesem Zusammenhang,
dass das Schreiben nicht die nach § 36 SGB X vorgeschriebene Rechtsbehelfsbelehrung enthielt; diese ist kein
Begriffsmerkmal des Verwaltungsakts. Im Übrigen hat der Kläger den Charakter des Schreibens der Beklagten auch
zutreffend erkannt. Dies wird daraus deutlich, dass er es mit dem dafür vorgesehenen Rechtsbehelf des Widerspruchs
angefochten hat.
Die der Klagebegründung zu Grunde liegende Rechtsauffassung, die Beklagte könne durch eine Untätigkeitsklage (§
88 SGG) gezwungen werden, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären und Ermittlungen – hier auf
medizinischem Gebiet – anzustellen (vgl. § 20, 21 SGB X), trifft nicht zu. Gegenstand der Untätigkeitsklage ist nicht
ein bestimmtes Verhalten der Verwaltung, sondern ausschließlich die – hier erfolgte – Bescheidung, die ggf. im
Widerspruchsverfahren und in einem anschließenden sozialgerichtlichen Verfahren inhaltlich überprüft werden kann
(vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O. § 88 Rz 2).
Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).