Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 12.09.2002

LSG Nsb: plastische chirurgie, medizinische indikation, mammahypertrophie, rückenbeschwerden, operation, orthopädie, gutachter, form, belastung, krankenkasse

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 12.09.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 16 KR 14/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 16 KR 16/00
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. Juni 2000 und der Bescheid der
Beklagten vom 29. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 1999 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten für die im Mai 2000 durchgeführte Mammareduktions- plastik zu
erstatten. Die Beklagte erstattet der Klägerin die außergericht- lichen Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der Kosten für eine beidseits durchgeführte
Mammareduktionsplastik.
Die im November 1957 geborene Klägerin beantragte bei der Beklagte mit Schreiben vom 2. September 1998 die
Übernahme der Kosten für eine beidseitige Mammaredukti-onsplastik. Beigefügt waren eine Verordnung von
Krankenhausbehandlung der Frauen-ärztinnen I./J. vom 1. September 1998 sowie ein Bericht des Leitenden
Oberarztes der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Zentralkrankenhauses (ZKH) Links der Weser Dr. K.
vom 27. August 1998. Hierin führte dieser u. a. aus, im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft sei es bei der
Klägerin zu einer deutlichen Volumenzunahme bei-der Mammae gekommen, die nach der Geburt nicht
zurückgegangen sei. Sie habe durch die Schwere der Brust Schulterschmerzen sowie Verspannungen im
Schultergürtelbe-reich und im Nacken bekommen. Die Träger des BHs schnitten ein und zeitweise träten
Kopfschmerzen auf. Konservative Behandlungsversuche hätten allenfalls etwas Linde-rung, jedoch keine dauerhafte
Besserung erbracht. Als Diagnose hielt Dr. K. eine Mam-mahypertrophie beidseits fest und bescheinigte der Klägerin,
ihr Wunsch nach operativer Korrektur sei sinnvoll.
Die Beklagten holte sodann das Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. L. – Medizinischer Dienst der
Krankenversicherung (MDK) im Lande Bremen – vom 22. September 1998 ein, in dem dieser ausführte, die von der
Klägerin angegebenen Beschwerden im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule (HWS/BWS) dürften in erster Linie auf
eine Skoliose der BWS zurückzuführen sein sowie auf eine einseitige Belastung am Arbeitsplatz. Zu empfehlen sei
zunächst eine fachorthopädische Behandlung am Wohnort, wobei schwerpunktmäßig eine Haltungskorrektur und eine
Kräftigung der Rumpfmuskulatur anzustreben sei. Die vorhandene Mammahypertrophie trage zweifellos mit zum
Beschwerdebild bei, dürfte aber aufgrund der Befundkonstellation nicht als Ursache im Vordergrund stehen. Eine
zwingende medizinische Operationsindikation lasse sich aus orthopädischer Sicht nicht bestätigen.
Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29. September 1998 den Antrag ab. Zur Begründung bezog sie sich
auf das MDK-Gutachten vom 22. September 1998.
Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 7. Oktober 1998 Widerspruch ein. Sie habe seit Jahren Fango,
Massage sowie Krankengymnastik verordnet bekommen, die aber zu keiner Linderung der Schmerzen geführt hätten.
Auf freiwilliger Basis betreibe sie zudem Sport (Joggen, Stepp-Aerobic usw.). Auch habe sie schon Rückenschule ge-
macht. Zur Stützung ihres Begehrens legte die Klägerin im Verlauf des Widerspruchs-verfahrens fachärztliche
Bescheinigungen des Arztes für Neurochirurgie M. vom 3. November 1998 und des Arzte für Orthopädie Dr. N. vom
21. November 1998 vor. Beide Ärzte vertraten die Auffassung, aufgrund der Mammahypertrophie bestehe eine
deutliche Überlastung der HWS- und der oberen BWS-Muskulatur.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 8. Dezember 1998 führte der MDK-Gutachter Dr. L. aus, es läge ihm
keinerlei wissenschaftliche Literatur vor, aus der sich ein kausaler Zusammenhang zwischen Makromastie und
Rücken- bzw. Nackenbeschwerden ergäbe. Lediglich in den Fällen, in denen das Gewicht der einzelnen Brust deutlich
über 1.000 Gramm liege, könne ein Zusammenhang mit Beschwerden im Bereich der HWS und BWS angenommen
werden. Vielmehr werde in wissenschaftlichen Arbeiten eine intensi-ve konservative orthopädische Behandlung mit
Kräftigung der Hals- und Rumpfmusku-latur für erforderlich gehalten.
Daraufhin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 1999 den Wider-spruch der Klägerin zurück.
Entsprechend der Beurteilung des MDK läge keine medizini-sche Indikation für eine Mammareduktion vor.
Dementsprechend lasse sich eine Kosten-übernahme nicht verwirklichen.
Im Klageverfahren hat die Klägerin unter Hinweis auf die bereits eingereichten ärztlichen Atteste die Notwendigkeit
einer Mammareduktionsplastik betont. Außerdem hat sie mit-geteilt, die fragliche Operation sei am 31. Mai 2000
durchgeführt worden.
Die Beklagte hat demgegenüber an ihrer bisherigen Auffassung festgehalten.
Das Sozialgericht (SG) Bremen hat gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines
Gutachtens des Arztes für Orthopädie Dr. O. vom 11. August 1999 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 19. Januar
2000 und 9. März 2000. Hierin hat der Sachverständige ausgeführt, bei der Klägerin lägen schmerzhafte
Schultergürtelnackenmyalgien bei Mammahypertrophie sowie eine klinisch unbedeuten-de Skoliose mit Scheitel im
unteren BWS-Bereich, ohne Beschwerdesymtomatik, vor. Die geklagten Rücken- und Kopfschmerzen würden allein
durch die übergroßen Brüste ver-ursacht. Die einzige Maßnahme zur Linderung der festgestellten
Gesundheitsstörungen sei eine Mammareduktionsplastik. Physikalische Maßnahmen, insbesondere Kranken-
gymnastik und Rückenschulung, seien bereits in umfangreichem Maße durchgeführt worden. Sie hätten zu keinem
Erfolg geführt und auch nicht führen können. Auf die hier-gegen gerichteten Einwendungen des MDK-Gutachters Dr. L.
in seiner Stellungnahme vom 24. November 1999, in der er Zweifel an der Kausalität zwischen den Beschwerden der
Klägerin und der Mammahypertrophie geäußert und zusätzlich ausgeführt hat, die Rücken- und Nackenschmerzen
könnten auch durch die halbschichtige Tätigkeit der Klägerin als kaufmännische Angestellte bedingt sein, hat Dr. O. in
seiner Erwiderung vom 19. Januar 2000 folgendes geäußert: Zwar sei es richtig, dass ein eindeutiger Zu-sammenhang
zwischen den Wirbelsäulenbeschwerden und der Größe der Brüste nicht beweisbar sei. Seines Erachtens sei die
Form der Brüste von entscheidender Bedeu-tung, die im Fall der Klägerin eher schlaff sei. Diese Form verursache
erfahrungsgemäß häufiger Beschwerden. Im Übrigen habe er mit einem ihm bekannten Arzt für plastische Chirurgie in
Bad Zwischenahn gesprochen. Dieser habe ihm erklärt, dass einzig allein durch die Notwendigkeit des Tragens eines
BHs der Größe 85 D bei normalgewichtigen Patientinnen schon die Indikation zum operativen Vorgehen gegeben sei.
Der halb-schichtigen Tätigkeit als kaufmännische Angestellte könne keine wesentliche Bedeutung für die
Wirbelsäulenbeschwerden beigemessen werden. Im Hinblick darauf, dass bei einem gewissen Anteil von Patienten
die Ursache geklagter Rückenbeschwerden nicht gefunden werden könne, bestehe hier ebenfalls die Möglichkeit von
Schmerzen, deren Ursache uns letztendlich unbekannt sei und bleiben werde. Auf Vorhaltungen der Be-klagten hat
der Sachverständige in einer weiteren Stellungnahme vom 9. März 2000 ausgeführt, dass die Voraussetzungen der
von Prof. Dr. P. entwickelten Leitlinien der plastischen Brustchirurgie, nämlich BH-Körbchengröße C, Rücken-
Nackenbeschwerden, BH-Trägerfurchen sowie zusätzliche psychische Belastungen hier vorlägen. Weiterhin sei die
Indikation für die Operation auch nach den Leitlinien der »Arbeitsgruppe Plastische Chirurgie im MDK Rheinland-
Pfalz« erfüllt.
Mit Urteil vom 20. Juni 2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, es erscheine
zunächst zweifelhaft, ob das Volumen des bei der Klägerin präoperativ vorhandenen Brustgewebes ein die
behaupteten Beschwerden auslösendes Ausmaß erreicht, ob also ein behandlungsbedürftiger regelwidriger
Körperzustand vor-gelegen habe. Unter Berücksichtigung der einschlägigen Literaturkriterien spreche das Gewicht des
entfernten Brustgewebes (links 498 Gramm, rechts 546 Gramm) nicht für die Wahrscheinlichkeit eines kausalen
Zusammenhangs zwischen der Mammahy-pertrophie und den von der Klägerin behaupteten Rückenbeschwerden.
Abgesehen da-von ließen sich dem Gutachten des Dr. O. keine wesentlichen Funktionseinschränkun-gen im
Wirbelsäulenbereich entnehmen. Die Tatsache, dass für die behaupteten Rü-ckenbeschwerden keine andere Ursache
habe gefunden werden können, könne dem-entsprechend nicht zu der Annahme führen, dass die vergrößerten Brüste
die wesentli-che Ursache darstellen müssten. Schließlich sei vorliegend nicht ersichtlich, dass die konservativen
Therapiemöglichkeiten bei der Klägerin ausgeschöpft gewesen seien. Ein entsprechender Beweis ergebe sich nicht
aus den vorgelegten ärztlichen Bescheinigun-gen.
Gegen das ihr am 3. August 2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 1. September 2000 Berufung eingelegt. Sie
macht geltend, die Zweifel des SG am Vorliegen eines re-gelwidrigen Körperzustand seien nicht nachvollziehbar.
Dieser sei von keinem der unter-suchenden Ärzte in Abrede gestellt worden, selbst nicht von Dr. L ... Es komme auch
nicht darauf an, ob die Brustgröße nach Ansicht des erstinstanzlichen Gerichts nicht beson-ders gravierend sei.
Vielmehr sei ausschlaggebend, dass deren Größe in ihrem Fall zu den unstreitig festgestellten Beschwerden geführt
habe. Die medizinische Indikation für die mittlerweile durchgeführte Operation sei also gegeben gewesen.
Möglichkeiten der konservativen Therapie seien ausgeschöpft gewesen.
Die Klägerin beantragt,
1) das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. Juni 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Sep- tember
1998 in der Gestalt des Widerspruchsbeschei- des vom 14. Januar 1999 aufzuheben,
2) die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für die im Mai 2000 durchgeführte Mammareduktions- plastik
zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Ärztin für Ortho-pädie Frau Dr. Q. vom 20.
Dezember 2001. Die Sachverständige hat ausgeführt, aus ihrer Sicht habe vor allem die Mammahypertrophie die
Krankheitsbeschwerden der Klä-gerin verursacht. Der skoliotischen Fehlhaltung sei eine gänzlich untergeordnete Rolle
zuzumessen. Die Reduktionsplastik sei aus wirtschaftlicher Sicht die günstigste Möglich-keit gewesen, die
Beschwerden zu behandeln. Alternativ hätte sie lernen können, mit den Beschwerden zu leben. Ihr hätten immer
wieder Krankengymnastik, Massage, Fan-gopackungen, muskelentspannende Medikamente sowie Kuren verordnet
werden kön-nen, ohne dass sie hierdurch beschwerdefrei geworden wäre. Ein Vergleich der Rönt-genbilder der HWS
lasse im Übrigen eine deutliche Verbesserung erkennen. Die in frü-heren Aufnahmen sichtbare vorhandene extreme
Streckstellung im lateralen Strahlen-gang sei einer normalen physiologischen Lordose gewichen.
Dem Senat haben außer der Prozessakte die die Klägerin betreffenden Unterlagen der Beklagten vorgelegen. Alle
Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren
Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten und der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird
hierauf ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143f. SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zu-lässig. Das Rechtsmittel hat in
der Sache auch Erfolg.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und des SG kann die Klägerin von der Beklag-ten die Erstattung der Kosten
für die zwischenzeitlich am 31. Mai 2000 durchgeführte Mammareduktionsplastik verlangen.
Gemäß § 13 Abs. 3 des Fünften Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Krankenversiche-rung – (SGB V) hat die
Krankenkasse, wenn sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt hat, dem Versi-cherten die für ihre Beschaffung aufgewendeten Kosten zu erstatten, soweit die
Leistung notwendig war.
Die Voraussetzungen des geltend gemachten Erstattungsanspruchs liegen hier vor. Ge-mäß §§ 2 Abs. 1 und 2, 11
Abs. 1 und 13 Abs. 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung in der
Regel als Sach- und Dienst-leistungen. § 13 Abs. 3 SGB V stellt eine Ausnahme von diesem Prinzip dar, die insbe-
sondere dann eingreift, wenn die Krankenkasse den an sich gegebenen Sachleistungs-anspruch rechtswidrig nicht
erfüllt hat. Demgemäß ist zu prüfen, ob die konkrete Leis-tung, die sich der Versicherte selbst verschafft hat, von der
Krankenkasse als Natural-leistung zu erbringen war. Dies war im hier zu beurteilenden Rechtsstreit der Fall.
Zu den von den Krankenkassen zu erbringenden Leistungen gehört nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V u. a. die
Krankenbehandlung. Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte hierauf Anspruch, wenn sie notwendig ist,
um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.
Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass die Klägerin vor der im Mai 2000 durch-geführten Operation an einem
regelwidrigen körperlichem Zustand litt. Nach den insoweit übereinstimmenden Feststellungen des von der Beklagten
gehörten MDK-Gutachters Dr. L. (Gutachten vom 22.9.1998) und des gerichtlichen Sachverständigen Dr. O. (vgl.
Gutachten vom 11.8.1999), die die Klägerin vor der operativen Brustverkleinerung unter-sucht haben, litt sie damals
an schmerzhaften Schultergürtel- und Nackenmyalgien. Da-bei sind die begutachtenden Ärzte erkennbar davon
ausgegangen, dass es sich hierbei entsprechend den Angaben der Klägerin um einen bereits länger andauernden Be-
schwerdekomplex handelte. Weiterhin besteht zwischen den Beteiligten kein Streit dar-über, dass die chronifizierten
Beschwerden in der HWS und BWS der Klägerin überhaupt behandlungsbedürftig waren. Unterschiedliche
Auffassungen bestehen allerdings hin-sichtlich der Frage, wodurch die gesundheitlichen Beschwerden verursacht
wurden und – daraus folgend – welche Art der Therapie damals angezeigt erschien.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat – anders als die Beklagte und das SG – indessen der
Überzeugung, dass zwischen der bei der Klägerin damals vor-gelegenen Mammahypertrophie und den
Rückenbeschwerden ein innerer Zusammen-hang bestand und in Ermangelung gleich wirksamer
Therapiemöglichkeiten deshalb die von ihr im Mai 2000 veranlasste operative Verkleinerung ihrer Brüste zur Linderung
des genannten Leidens erforderlich war. Der innere Zusammenhang zwischen Bedingung und Erfolg ist – wie im
Sozialrecht üblich – unter Heranziehung der Ursachenlehre von der rechtlich wesentlichen Bedingung zu prüfen.
Danach ist ursächlich nur diejenige Be-dingung, die im Verhältnis zu anderen einzelnen Bedingungen nach Auffassung
des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat
(vgl. für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung Lau-terbach-Schwerdtfeger UV – SGB VII, § 8 Rdnr. 36).
Im vorliegenden Fall ist nach Auffassung des Senats die damals vorgelegene Mamma-hypertrophie die allein
wesentliche Ursache für die bei der Klägerin ärztlich festgestellten Rückenbeschwerden. Hierzu bezieht sich der
Senat auf die im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens eingeholten Gutachten der Ärzte für Orthopädie Dr. O. und Frau
Dr. Q ... Bei-de Sachverständige haben nachvollziehbar auf die von der Mammahypertrophie ausge-henden Zugkräfte
auf die Wirbelsäule verwiesen. Diese Zugkräfte sind durch die von Dr. O., aber auch von dem MDK-Gutachter Dr. L.
beschriebenen deutlichen Einschnürungen im Bereich des Schultergürtels an der Stelle der BH-Träger belegt. Die
gerichtlichen Sachverständigen haben nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass diese Einschnürun-gen und die von
der Schwere der Brüste ausgehenden Zugkräfte bei der Klägerin zu erheblichen Muskelverspannungen und damit zu
den geklagten Beschwerden geführt hätten. Ein weiterer Hinweis auf die von den Brüsten ausgehende Belastung
ergibt sich aus einem Vergleich der von dem behandelnden Orthopäden der Klägerin Dr. N. im Jah-re 1998 gefertigten
Röntgenaufnahmen der HWS mit denjenigen, die Frau Dr. Q. anläss-lich ihrer gut-achterlichen Untersuchung erstellt
hat. Anders als die von ihr gefertigten Aufnahmen wiesen die Bilder des Dr. N. eine extreme Streckstellung der HWS
auf. Zwar mögen diese unterschiedlichen Befunde für sich gesehen nicht beweisend für den vom Senat
angenommenen Ursachenzusammenhang sein, da die Klägerin die bei der rönt-genologischen Untersuchung
eingenommene Körperhaltung durchaus beeinflussen konnte. Allerdings ist im Hinblick auf die von Dr. N. in seinem
Bericht vom 21. November 1998 gleichzeitig beschriebene deutliche Überlastung der Nacken- und BWS-Muskulatur
davon auszugehen, dass die Streckstellung nicht auf einem rein willkürlichen Verhalten beruhte.
Entgegen der Auffassung der Beklagten wird die Überzeugungskraft der genannten Gut-achten nicht durch die von der
Arbeitsgruppe Plastische Chirurgie des MDK Rheinland-Pfalz entwickelten sozialmedizinischen Kriterien zur
Begutachtung von plas-tisch/kosmetischen Operationen gemindert. Den Beiträgen von Laufersweiler-Lochmann (vgl.
Projektbericht S. 5-7) und Heinen-Vieyra (vgl. Projektbericht S. 8 ff., 11, 12) ist zu entnehmen, dass die generelle
Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwi-schen einer Mammahypertrophie und Wirbelsäulenbeschwerden
ärztlicherseits nicht in Frage gestellt wird. Unterschiedliche Auffassungen gibt es indessen über die Grenzwer-te, von
denen ab dieser im konkreten Einzelfall anzunehmen ist. Bisher wird in der Praxis teilweise an die Reduktionsmenge
und teilweise an die Brustlast angeknüpft (vgl. die Übersicht über die Handhabung in verschiedenen MDK-Bezirken in
dem Beitrag von Laufersweiler-Lochmann a. a. O.). Die in dem Projektbericht der genannten Arbeitsgrup-pe selbst
erarbeiteten Beurteilungskriterien für einen möglichen Zusammenhang zwi-schen einer Mammahypertrophie und
Beschwerden des Halte- und Bewegungsapparats (vgl. den Beitrag von Heinen-Vieyra, S. 11 ff. des Projektberichts)
erlauben bisher nicht die Festlegung eindeutiger Grenzwerte. Hierin wird betont, dass die Literatur zur Mam-
mareduktionsplastik insgesamt spärlich sei; es existieren kaum prospektiv kontrollierte Studien und keine
randomisierten Studiendesigns. Soweit sich die Arbeitsgruppe in ihrer Veröffentlichung (vgl. a. a. O., S. 13) als
Kriterium für die medizinische Indikation einer Mammareduktionsplastik auf das Vorliegen einer Brustlast pro Seite
von mehr als 1.500 Gramm festgelegt hat, fehlt es hierfür an einer näheren Begründung. Möglicher-weise beruht die
Festsetzung dieses Grenzwertes gar nicht auf verallgemeinerungsfähi-gen Erkenntnissen zum Zusammenhang
zwischen Brustgewicht und Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, sondern auf den ebenfalls mitgeteilten
Forschungsergebnissen zur Wirkung hoher Brustlasten auf die Atemfunktion bei Reduktionsgewichten zwischen 1.000
und 2.000 Gramm. Im Hinblick auf diese Unsicherheiten und die individuellen Un-terschiede der menschlichen
Konstitution kann allein die Nichterfüllung der in der Veröf-fentlichung a. a. O. aufgeführten Indikationskriterien für die
Mammareduktionsplastik nicht zur Verneinung des ursächlichen Zusammenhangs führen. Vielmehr bedarf es für die
Beurteilung des Ursachenzusammenhangs einer Einzelfallprüfung unter kritischer Berücksichtigung aller
Gesichtspunkte, wie sie die Sachverständigen durchgeführt ha-ben.
Eine andere Beurteilung der Rechtslage erlaubt auch nicht der Umstand, dass im Be-reich der HWS und BWS der
Klägerin eine rechtskonvexe skoliotische Fehlhaltung vor-liegt. Diese ist entsprechend den nachvollziehbaren
Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen Dr. O. und Frau Dr. Q. so gering ausgeprägt, dass sie als Auslöser
der vor der Operation fachärztlich verifizierten Beschwerdesymptomatik nicht in Betracht kommt.
Weitere, nicht im Zusammenhang mit der Mammahypertrophie stehende Ursachen für die Rückenbeschwerden der
Klägerin lassen sich nicht feststellen. Auch für die Zugrun-delegung der einen Leistungsanspruch ausschließenden
Ursachen gilt, dass sie sicher feststehen müssen (vgl. zum Unfallversicherungsrecht BSGE 61, 127, 130). Diesen
An-forderungen wird die hier von der Beklagten und ihrem Gutachter Dr. L. vertretene The-se, die Rückenbeschwerden
seien durch ungünstige Bedingungen am Büroarbeitsplatz der Klägerin verursacht worden, nicht gerecht. Eine
einseitige Belastung der Klägerin in ihrem Beruf als kaufmännische Angestellte ist nicht durch Tatsachen belegt. Bei
den diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten und des MDK-Gutachters Dr. L. handelt es sich vielmehr um
Spekulationen, die nicht in die Betrachtung miteinbezogen werden kön-nen.
Schließlich kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das Wirbelsäulenleiden der Klägerin durch andere,
weniger in ihre körperliche Sphäre eingreifende Behand-lungsmethoden nachhaltig hätte gelindert werden können. Die
von der Klägerin gemäß der im Berufungsverfahren eingereichten Bescheinigung der Allgemeinärztin R. vom 5.
September 2001 in den Jahren 1994/1995 und 1998/1999 in Anspruch genommenen Fangoanwendungen und
Massagen haben nach ihren glaubhaften Angaben nicht zu einer wesentlichen Beschwerdereduzierung geführt. Dies
wird im Übrigen durch die von dem Sachverständigen Dr. O. anlässlich der von ihm durchgeführten gutachtlichen Un-
tersuchung der Klägerin am 29. Juli 1999 erhobenen Befunde belegt. Trotz der entspre-chend der ebenfalls
vorgelegten Aufstellung der Massagepraxis S. zuletzt bis Ende März 1999 durchgeführten Massagebehandlung
konnte der Sachverständige bereits wieder erhebliche schmerzhafte Verhärtungen am vorderen Trapeziusrand und im
BWS-Bereich feststellen. Vor diesem Hintergrund überzeugt die übereinstimmend von den Sachver-ständigen Dr. O.
und Frau Dr. Q. geäußerte Auffassung, dass im Fall der Klägerin die konservativen Therapiemöglichkeiten
ausgeschöpft waren, mithin keine wirksame Be-handlungsalternative gegenüber der durchgeführten
Mammareduktionsplastik bestand.
Nach alledem hat die Berufung der Klägerin Erfolg.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen.