Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29.04.2003

LSG Nsb: vergleich, hauptsache, niedersachsen, fahrlässigkeit, wohnung, kredit, zivilprozessordnung, arbeitsamt, fürsorgepflicht, arbeitslosenhilfe

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 29.04.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 9 AL 219/97
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 15 B 23/00 AL
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 27. Juni 2000 aufgehoben und
dem Kläger Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht unter Beiordnung von Rechtsanwalt F.
gewährt.
Gründe:
I.
In der Hauptsache waren eine Teilaufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und entsprechende
Erstattungsansprüche der Beklagten nach Änderung der Lohnsteuerkarte des Klägers streitig. Der Rechtsstreit ist in
der Berufungsinstanz durch Vergleich vom 27. Mai 1997 in der Weise erledigt worden, dass der Rückforderungsbetrag
unter Einräumung von Teilzahlungen auf die Hälfte reduziert worden ist.
Mit der Klageschrift vom 16. Juni 1997 hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Prozesskostenhilfe (PKH) unter
seiner Beiordnung beantragt und hinzugefügt: »Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
nebst Anlagen anbei.«. Die Erklärung war jedoch offenbar nicht beigefügt.
Nachdem das Sozialgericht (SG) mit Schreiben vom 25. Mai 1998 auf eine beabsichtigte Entscheidung durch
Gerichtsbescheid hingewiesen und der Kläger sich damit einverstanden erklärt hatte, hat das SG durch
Gerichtsbescheid vom 24. Juli 1998 die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Bewilligung von Alhi zu Recht
teilweise aufgehoben, da der Kläger seine Mitteilungspflicht hinsichtlich der Änderung grob fahrlässig verletzt habe.
Im Berufungsverfahren hat der Kläger insbesondere vorgetragen, keine detaillierten Hinweise auf seine
Mitteilungspflichten erhalten zu haben. Auf sein entsprechendes Vorbringen schon in erster Instanz sei das SG
jedoch nicht eingegangen. Mit der Berufungseinlegung hat der Kläger auch PKH beantragt und mit Schriftsatz vom 15.
Oktober 1998 die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen nachgereicht. Die
Beklagte hat unter Vorlage von Kopien des Merkblatts, das dem Kläger ausgehändigt worden sei, weiterhin den
gegenteiligen Standpunkt vertreten.
Im Erörterungstermin vom 20. Juli 1999 ist der Kläger persönlich zu den näheren Umständen befragt worden. Auf die
Niederschrift wird Bezug genommen.
Nach Gewährung von PKH für das Berufungsverfahren durch Beschluss vom 20. September 1999 und einem
schriftlichen Vergleichsvorschlag der Berichterstatterin unter Hinweis auf die Beweisschwierigkeiten und das
Prozessrisiko haben die Beteiligten den Rechtsstreit durch Vergleich beendet (letzte Zustimmungserklärung vom
31.1.2000).
Mit Schriftsätzen vom 8. und 21. Juni 2000 hat der Prozessbevollmächtigte das SG um nachträgliche Entscheidung
des Antrags auf PKH für die erste Instanz gebeten. Es sei zwar einzuräumen, dass eine Bewilligungsreife erst bei
Vorlage der vollständig ausgefüllten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gegeben sei.
Grundsätzlich müsse das Gericht jedoch eine Frist zur Behebung eines entsprechenden Mangels setzen, bevor es
den PKH-Antrag abweise. Eine solche Frist habe jedoch das SG nicht gesetzt. Wegen der Erfolgsaussicht werde auf
den in zweiter Instanz geschlossenen Vergleich und auf den vorausgegangenen richterlichen Hinweis vom 30. Novem-
ber 1999 verwiesen. Wegen der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Kläger auf
die mit Schriftsatz vom 15. Oktober 1998 einreichten Unterlagen (zum Antrag auf PKH im Berufungsverfahren) Bezug
genommen und erklärt, eine Änderung der Verhältnisse sei bisher nicht eingetreten.
Mit Beschluss vom 27. Juni 2000 hat das SG den Antrag abgelehnt. Trotz der Behauptung in der Klageschrift sei die
Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht beigefügt gewesen und auch nicht bis zur
Entscheidung in der ersten Instanz vorgelegt worden. Aufgrund des Hinweisschreibens vom 25. Mai 1998 (wegen der
beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid) habe der Kläger damit rechnen müssen, dass nach Ablauf der
dort genannten Frist eine Entscheidung in der Hauptsache ergehen werde. Er habe sich deshalb auch darüber im
Klaren sein müssen, dass damit die letzte Frist zur Nachreichung der angekündigten Erklärung ablaufen würde. Einer
gesonderten Erinnerung zur Nachreichung notwendiger Unterlagen bedürfe es dann nicht, wenn (von einem
Beteiligten) in einem früheren Schriftsatz selbst darauf hingewiesen worden sei. Jedenfalls hätte der Antrag auch
wegen Fehlens einer hinreichenden Erfolgsaussicht abgewiesen werden müssen. Insofern werde auf die
Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides vom 24. Juli 1998 Bezug genommen. Soweit das Vorbringen des
Klägers im Verfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) zum Teilerfolg geführt habe, sei dies allenfalls durch die ab
5. Oktober 1998 eingereichten Schriftsätze möglich gewesen. Die Ausführungen des Klägers in der ersten Instanz
hätten im Verfahren vor dem SG keinesfalls eine hinreichende Erfolgsaussicht begründen können. Eine nachträgliche
Berücksichtigung des Prozessgeschehens in späteren Instanzen sei nicht zulässig.
Gegen diese ihm am 3. Juli 2000 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 2. August 2000 Beschwerde eingelegt,
der das SG nicht abgeholfen hat. Die Erfolgsaussichten der Klage zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens
seien nicht anders gewesen als im Berufungsverfahren. Der Sachvortrag der Parteien habe dem erstinstanzlichen
Gericht vollständig vorgelegen. Das SG habe lediglich eine falsche Bewertung vorgenommen, wie insbesondere der
richterliche Hinweis des Berufungsgerichts vom 30. November 1999 zeige.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 27. Juni 2000 aufzuheben und ihm Prozesskosten- hilfe unter
Beiordnung des Rechtsanwalts F. zu gewähren.
Die Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Prozessakte und die Leistungsakte der Beklagten.
Diese Unterlagen haben dem Gericht vorgelegen und sind zum Gegenstand der Beschlussfassung gemacht worden.
II.
Die positive Entscheidung über den PKH-Antrag für die 1. Instanz scheitert nicht an einer fehlenden recht-zeitigen
Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Darauf könnte nur abgestellt werden,
wenn das SG zuvor eine entsprechende Frist gesetzt hätte. Eine Fristsetzung ist im Hinblick auf die im PKH-
Verfahren ausgeprägte Fürsorgepflicht des Gerichts erforderlich (vgl. Hartmann in Baumbach u. a., ZPO § 117, Rz
35), sie ist aber nicht erfolgt. Die Frist zur Äußerung über die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid
kann nicht als Frist zur Einreichung der PKH-Unterlagen angesehen werden, zumal dem Prozessbevollmächtigen
nach der Formulierung in der Klageschrift, mit der auf die anliegende Erklärung hingewiesen worden ist, nicht
unbedingt bewusst gewesen sein muss, dass die Unterlagen noch nicht vorlagen. Zwischenzeitlich liegt eine
entsprechende Erklärung vor. Zwar ist diese Erklärung im Rahmen des Antrags auf PKH für das Berufungsverfahren
eingereicht worden. Der Prozessbevollmächtigte hat jedoch – zur Vermeidung rein formaler doppelter Vorlage –
zulässigerweise auf diese Erklärung Bezug genommen und angegeben, dass eine Veränderung nicht eingetreten sei.
Auch die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht ist zu bejahen und eine Mutwilligkeit zu verneinen. Zu Recht hat
der Kläger vorgetragen, dass der vorgetragene Sachverhalt im Klageverfahren wie im Berufungsverfahren nicht
wesentlich unterschiedlich war. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger sich die Lohnsteuerkarte zur Änderung vom
Arbeitsamt (AA) hat aushändigen lassen und diese geändert persönlich zurückgegeben hat, war zweifelhaft, ob dem
Kläger der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit im Hinblick auf eine unterbliebene Mitteilung der auf der Lohnsteuerkarte
vorgenommenen Änderung gemacht werden konnte. Insofern kam es auf die Umstände im Einzelnen und auf die
persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Klägers (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriffs) an, was das LSG im
Berufungsverfahren aufzuklären versucht hat. Im Hinblick darauf konnte eine gewisse Erfolgsaussicht auch im
Klageverfahren nicht verneint werden.
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen sind nach den vom Kläger vorgelegten Unterlagen zu bejahen. Das ergibt sich
schon daraus, dass dem Kläger auf den Monat bezogen nur DM 1.189,00 Alhi und seiner Ehefrau DM 1.292,93 netto
aus einem Beschäftigungsverhältnis zustanden und noch ein unterhaltsberechtigtes Kind sowie Kosten der Wohnung
in Höhe von DM 729,08 (+ DM 47,00 für Strom) und (mindestens) ein mit DM 285 monatlich abzuzahlender Kredit zu
berücksichtigen war. Ein gemäß § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) einzusetzendes Einkommen verblieb daher nicht.
Diese Entscheidung kann nicht angefochten werden (§ 177 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).