Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.01.2001

LSG Nsb: witwenrente, höchstpersönliches recht, versorgung, vergleich, prothese, rücknahme, tod, minderung, erlass, anschluss

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 30.01.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 18 V 96/96
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 5/9 V 26/00
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft Grund und Höhe einer Witwenrente nach § 38 Bundesversorgungsgesetz (BVG) bzw
Witwenbeihilfe nach § 48 BVG.
Die Klägerin ist Witwe des am H. geborenen und am 04.05.1995 verstorbenen I. (Beschädigter). Dieser erlitt als
Soldat im 2. Weltkrieg Verletzungen, welche das Versorgungsamt (VA) zunächst mit einer Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 bewertet hatte.
Durch Ausführungsbescheid vom 24. März 1971 wurde die MdE mit Wirkung vom 1. Dezember 1968 nach § 30 Abs 1
BVG auf 80 und gemäß § 30 Abs 2 BVG auf 90 festgesetzt aufgrund der Schädigungsfolgen:
1. Verlust des rechten Beines im Bereich des Oberschenkels 2. Bewegungseinschränkung des rechten
Ellenbogengelenkes mit Herabsetzung der groben Kraft der rechten Hand 3. reizlose Narben am Oberbauch rechts; im
Bereich des Kreuzbeins, am Beckenkamm links und an der linken Gesäßhälfte 4. Fehlhaltung der Lendenwirbelsäule
5. Umbauveränderungen des rechten Hüftgelenkes.
Die Schädigungsfolgen Nr. 1 bis 4 wurden im Sinne der Entstehung, die Folge Nr. 5 im Sinne einer Verschlimmerung
anerkannt. Grundlage war ein vor dem Sozialgericht (SG) Hannover geschlossener Vergleich vom 16. Februar 1971, in
dem sich das VA auch verpflichtet hatte, den Berufsschadensausgleich nach dem Vergleichseinkommen der
Kaufmännischen Angestellten der Elektrotechnischen Industrie, Leistungsgruppe III, zu errechnen, einen
Schadensausgleich zu prüfen und dem Beschädigten mitzuteilen. Berufsschadensausgleich (BSA) ist dem
Beschädigten nicht gezahlt worden. Dieser bezog von der BfA ab 1. Juli 1989 nach dem Versicherungsfall vom 30.
Juni 1989 Altersruhegeld wegen anerkannter Schwerbehinderung oder festgestellter Berufsunfähigkeit oder
Erwerbsunfähigkeit.
Er beantragte am 31. März 1995 eine Erhöhung der MdE, weil sich die Schädigungsfolgen verschlimmert hätten. Er
habe starke Schmerzen in den Lendenwirbeln und im linken Hüftgelenk.
Wegen eines schweren arthrotischen Schadens im linken Kniegelenk wurde dem Beschädigten am 7. März 1995 eine
Schlittenendoprothese implantiert. Im Verlauf der sich anschließenden Rehabilitation verstarb er am 4. Mai 1995 an
einer fulminanten Lungenembolie.
Die Klägerin hielt den Verschlimmerungsantrag aufrecht und beantragte am 7. Juni 1995 Hinterbliebenenversorgung
und Schadensausgleich. Das VA erhielt einen Arztbrief des Chirurgen Dr. J. vom 1. Juni 1995, dem ein weiterer
Arztbrief dieses Chirurgen vom 23. März 1995 sowie der Operationsbericht vom 7. März 1995 beigefügt waren. Mit
Bescheid vom 1. August 1995 lehnte es den Antrag ab, weil Überlastungsschäden am linken, nicht geschädigten
Hüftgelenk faktisch nicht möglich seien. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11.12.1995).
Diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin mit der am 6. Januar 1996 bei Gericht eingegangenen Klage
angegriffen (S 18 V 89/96 SG Hannover).
Die Klägerin bezieht von der BfA nach dem Bescheid vom 27. Juli 1995 eine große Witwenrente ab 1. Juni 1995 nach
dem Beschädigten in Höhe von monatlich 1.735,01 DM. Ihren Antrag auf Hinterbliebenenversorgung lehnte das VA
mit bestandskräftigem Bescheid vom 14. August 1995 ab, weil der Beschädigte nicht an Schädigungsfolgen
verstorben sei. Am 5. Januar 1996 beantragte die Klägerin auf der Grundlage des § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes
Buch Verwaltungsverfahren (SGB X), gestützt auf den Arztbrief des Dr. J. vom 23. März 1995, die Rücknahme des
Bescheides vom 14. August 1995. Diesen Antrag lehnte das VA ab, weil neue Tatsachen nicht vorgebracht seien
(Bescheid vom 16.01.1996). Der Widerspruch blieb erfolglos mit der Begründung, nach nochmaliger inhaltlicher
Prüfung sei ein Zusammenhang des Todes des Beschädigten mit den Schädigungsfolgen nicht herzustellen
(Widerspruchsbescheid vom 21.11.1996). Diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin mit der am 20. Dezember
1996 eingegangenen Klage angegriffen (S 18 V 96/96 SG Hannover).
Einen Antrag auf Witwenbeihilfe lehnte das VA mit Bescheid vom 29. Mai 1996 ab. Unter Hinweis auf eine
Vergleichsberechnung bei Annahme fiktiver Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit des Beschädigten bis zur
Vollendung des 65. Lebensjahres blieb der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21.11.1996).
Diesen Widerspruchsbescheid hat die Klägerin ebenfalls mit einer am 20. Dezember 1996 bei Gericht eingegangenen
Klage angefochten (S 18 V 98/96 SG Hannover).
Die Klägerin hat die Erhöhung der MdE begehrt, weil es infolge der Amputation des rechten Oberschenkels des
Beschädigten zu einer einseitigen Belastung des linken Beines und der Hüfte gekommen sei. Deren Folge sei die
Operation des linken Kniegelenks im März 1995 gewesen, nach der der Beschädigte verstorben sei. Der Tod stehe
mithin mit den Schädigungsfolgen in ursächlichem Zusammenhang.
Das SG hat die Rechtsstreite zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden und einen Befundbericht
des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. K. vom 2. August 1997 sowie des Orthopäden Dr. L. vom 5. Mai 1995 eingeholt.
Es hat ferner Beweis erhoben durch Gutachten nach Aktenlage des Internisten Dr. M. vom 4. Februar 1998 mit
ergänzenden Äußerungen vom 27. März 1998 und 25. November 1999 und auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gutachten des Chirurgen Dr. J. vom 14. September 1999. Während letzterer
einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Schädigungsfolge und Tod des Beschädigten bejaht hat, ist Dr. M. dem
im Anschluss an die Stellungnahme des Chirurgen Dr. N. für den Beklagten vom 20. Oktober 1999 entgegengetreten
und hat einen Ursachenzusammenhang verneint.
Das SG hat durch Urteil vom 13. Januar 2000 die die Höhe der MdE und die Witwenrente, hilfsweise Witwenbeihilfe
betreffende Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es
ausgeführt, der Beschädigte sei weder unmittelbar noch mittelbar an den anerkannten Schädigungsfolgen verstorben.
Die Lungenembolie als unmittelbare Todesursache sei einer Operation nachgefolgt, welche mit den
Schädigungsfolgen nicht in Zusammenhang gestanden habe. Ursache sei vielmehr eine Globalarthrose des linken
Knies aufgrund schädigungsunabhängiger Faktoren gewesen. Demgemäß sei auch die MdE nicht zu erhöhen, denn
angegebene Beschwerden im linken Kniegelenk seien auf schädigungsunabhängig eingetretene degenerative
Veränderungen zurückzuführen. Auch bestehe ein Anspruch auf Witwenbeihilfe nicht, denn die Klägerin habe aufgrund
des beruflichen Werdeganges des Beschädigten nicht eine mindestens 10 %ige Minderung ihrer Witwenversorgung
auch bei der Annahme hinnehmen müssen, dass der Beschädigte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs in seinem
Beruf hätte tätig bleiben können.
Das am 9. Mai 2000 zugestellte Urteil greift die Klägerin mit der am 31. Mai 2000 eingegangenen Berufung an. Sie
rügt mangelnde Aufklärung durch das SG, das angesichts zweier sich widersprechender Gutachten verabsäumt habe,
ein Obergutachten einzuholen. Für jeden Laien sei klar, dass ein Gliedmaßenverlust auf der gesunden Seite
Spätfolgen nach sich ziehen müsse. Im linken Oberschenkel des Beschädigten verbliebene Granatsplitter, die nicht
bewertet gewesen seien, hätten möglicherweise die tödliche Embolie herbeigeführt. Die schädigungsbedingte
Beeinträchtigung des linken Kniegelenks müsse zu einer Erhöhung der MdE auf 100 führen. Auch habe die Klägerin
eine 10 %ige Kürzung der Witwenversorgung hinnehmen müssen.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des SG Hannover vom 13. Januar 2000 sowie den Bescheid vom 1. August 1995 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1995 und den Bescheid vom 16. Januar 1996 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 21. November 1996 aufzuheben,
2. den Beklagten zu verurteilen,
2.1. die Beschädigtenversorgung unter Berücksichtigung einer MdE um 100 zu gewähren,
2.2. der Klägerin unter Rücknahme des Bescheides vom 14. August 1995 Witwenrente zu gewähren,
3. hilfsweise, den Bescheid vom 29. Mai 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. November 1996
aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Witwenbeihilfe zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die den Beschädigten betreffenden Beschädigtenakten des VA
Hannover (58433), die den Beschädigten betreffenden Schwerbehinderten-Akten des VA Hannover (31 143 33-4367 7)
sowie die die Hinterbliebenenversorgung betreffenden Akten des VA Hannover (K-96786) vorgelegen und sind
Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach § 143 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Weder kann auf den Verschlimmerungsantrag die MdE
höher bewertet werden, noch steht der Klägerin eine Witwenrente oder die hilfsweise geltend gemachte Witwenbeihilfe
zu.
1. Rechtsgrundlage der Überprüfung der MdE ist § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X. Die Klägerin macht sie als
Sonderrechtsnachfolgerin des Beschädigten geltend, vgl §§ 56 Abs 1 Nr 1, 59 S. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch
Allgemeiner Teil (SGB I). Die Erhöhung der MdE zieht ggf eine erhöhte Versorgung nach sich, die eine ggf
rückständige, weil vom Beschädigten noch selbst beantragte Geldleistung, mithin nicht ein höchstpersönliches Recht
darstellt. Dieser geldwerte Versorgungsanspruch ist in Form einer etwaigen Nachzahlungsverpflichtung nur noch
reines Vermögensobjekt und damit vererblich (vgl hierzu BSGE 41, 80). Die Klägerin hat ausweislich der in ihrem
Antrag vom 18. Mai 1995 – Eingang bei dem Beklagten am 23. Mai 1995 – enthaltenen Anschrift mit dem
Beschädigten zusammengelebt.
Die Voraussetzungen des § 48 Abs 1 S. 1 SGB X liegen jedoch nicht vor. Nach dieser Vorschrift ist ein mit
Dauerwirkung ausgestatteter Verwaltungsakt für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Grundsätzlich wird der
Nachweis der Änderung durch einen Vergleich der Verhältnisse, die bei Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen
haben, mit denen im Zeitpunkt der geplanten Aufhebung erbracht. Wesentlich ist eine Änderung, die, hätte sie bereits
bei Erteilung des ersten Bescheides vorgelegen, zu einer anderen Entscheidung hätte führen müssen. Wesentlich ist
eine Änderung nur dann, wenn der veränderte Gesundheitszustand mehr als sechs Monate angehalten hat oder
voraussichtlich anhalten wird und die Änderung der MdE wenigstens 10 vH beträgt (vgl Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz - AHP -) Ausgabe 1983
S. 36 f.
Eine solche wesentliche Änderung ist nicht eingetreten. Weder ist eine bisher nicht berücksichtigte Schädigungsfolge
in die Bewertung einzubeziehen noch rechtfertigte der Gesundheitszustand des Beschädigten eine wesentlich andere
Bewertung der MdE als 1971.
Die Bewertung der MdE ist nicht deshalb zu ändern, weil eine bisher nicht anerkannte Schädigungsfolge zu Gunsten
des Beschädigten festzustellen wäre. Dies betrifft zunächst die durch den Chirurgen Dr. J. festgestellten
Granatsplitter im linken Oberschenkel des Beschädigten. Der Beschädigte selbst hat über Beschwerden in diesem
Bereich nie geklagt. Funktionsbeeinträchtigungen waren damit nicht verbunden.
Dies gilt aber auch für die Beeinträchtigung des linken Kniegelenks. Zwar hat insoweit der von der Klägerin nach § 109
SGG benannte Sachverständige Dr. J. einen Zusammenhang der Schädigungsfolge mit dem Knorpelschaden im
Bereich des linken Knies hergestellt und die MdE, darauf gestützt, auf 100 eingeschätzt. Indes überzeugt die von
dem Sachverständigen selbst so bezeichnete "Behauptung" nicht, die linksseitige Kniearthrose sei eine indirekte
Folge der Oberschenkelamputation rechts und der nachfolgend aufgetretenen Hüftarthrose, die als Schädigungsleiden
anerkannt sei. Der Sachverständige begründet dies mit der Oberschenkelamputation, die zu einer Beinverkürzung von
2 bis 3 cm geführt und einen Beckenschiefstand nach sich gezogen habe. Die daraus resultierende statisch bedingte
Skoliose habe zu einer zunehmenden rechtsseitigen, sehr schmerzhaften Coxarthrose geführt, die den Beschädigten
dazu bewogen habe, im Laufe der Jahre diesen Schmerz durch vermehrte Belastung des linken Beines zu umgehen.
Demgegenüber hat der Sachverständige Dr. M. einen Zusammenhang ausgeschlossen. Seine Schlussfolgerung wird
gestützt durch die Maßstäbe der AHP. Diese sollen unter anderem die gleiche Beurteilung gleichartiger Behinderungen
erleichtern und für die ärztliche, aber auch die rechtliche Beurteilung weitgehend verbindlich sein. Sie unterliegen nur
einer eingeschränkten Kontrolle durch die Gerichte und können nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer
generellen Richtigkeit widerlegt werden. Es gelten die Prüfmaßstäbe wie bei der Prüfung untergesetzlicher Normen,
das heißt, die Rechtskontrolle beschränkt sich auf die Vereinbarkeit der AHP mit höherrangigem Recht und Fragen
der Gleichbehandlung (BSGE 72, 285; E 75, 176; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit BVerfG SozR 3-3870
§ 3 Nr 6). Sie sind antizipierte Sachverständigengutachten, das heißt letztenendes, die Summe von allgemeinen und
auch besonderen Erfahrungssätzen, die normähnliche Qualität und Auswirkung haben und ähnlich wie Richtlinien
wirken. Nach den AHP (1996, S. 300 f) hat ein Gliedmaßenverlust wesentliche Bedeutung für degenerative
Wirbelsäulenveränderungen nur, wenn eine nicht ausgleichbare Biegung der Wirbelsäule vorliegt und soweit sich die
Veränderungen in diesem Bereich allein (konkavseitig) befinden. Bisher ist nach den Maßstäben der AHP nicht
erwiesen, dass es durch einen Gliedmaßenverlust an der verbliebenen paarigen Gliedmaße zu Schäden durch
Überlastung (z.B. Arthrosen) kommt. Dies ist allenfalls dann möglich, wenn die Amputation zu einer langdauernden
und sehr ausgeprägten Fehlbelastung geführt hat, etwa bei Unmöglichkeit, eine Prothese zu tragen, oder prothetisch
nicht ausgleichbarer Hüftkontraktur. Solche Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Der Beschädigte hat eine Prothese
getragen. Zwar bestanden insoweit schon nach den Feststellungen der Gutachter Dr. Sieve vom 10. März 1969 und
Dr. O. vom 24. August 1970 keine idealen Verhältnisse. Jedoch war der Beschädigte regelmäßig in der Lage, die
Prothese zu tragen. Außerdem war im linken Kniegelenk und in beiden Hüften schon 1970 durch Dr. O.
röntgenologisch eine Arthrose festgestellt worden. Auch bei dieser Untersuchung war die Skoliose der Wirbelsäule
nicht fixiert, sondern ausgleichbar, und es ergab sich auf der Belastungsseite der Lendenwirbelsäule keine vermehrte
Osteochondrose.
Zu Recht hat es das SG abgelehnt, ein "Obergutachten" einzuholen. Auch im Berufungsverfahren war weitere
Beweiserhebung nicht erforderlich. Das von Dr. J. erstattete Gutachten entspricht nicht den Grundsätzen der AHP und
vermag deshalb Zweifel an dem von Dr. M. gefundenen Ergebnis nicht zu begründen. Eine Erhöhung der MdE wegen
Verschlimmerung der bereits anerkannten Schädigungsfolgen scheidet mangels entsprechender ärztlicher Befunde
aus.
2. Der Klägerin steht nach dem zuvor Gesagten eine Witwenrente nach § 38 Abs 1 BVG nicht zu. Die Prüfung richtet
sich nach § 44 SGB X. Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig
angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht sind, ist der Verwaltungsakt auch nach seiner Unanfechtbarkeit mit
Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, § 44 Abs 1 S. 1 SGB X. Diese Voraussetzungen für die Rücknahme
des Bescheides vom 14. August 1995, mit dem der Beklagte Witwenrente versagt hat, liegen nicht vor. Demgemäß
ist auch der Bescheid vom 16. Januar 1996/Widerspruchsbescheid vom 21. November 1996 rechtmäßig.
Da die von dem Chirurgen Dr. J. diagnostizierte und operativ behandelte Arthrose des linken Kniegelenks von den
Schädigungsfolgen unabhängig war, ist der Beschädigte nicht an den Beschädigungsfolgen verstorben. Die
Möglichkeit, dass die Embolie etwa durch einen im linken Oberschenkel verbliebenen arteriennahen Granatsplitter
hervorgerufen sein könnte, hat keine medizinische Feststellung zur Grundlage. Die entsprechende Andeutung durch
Dr. J. ist spekulativer Natur.
3. Auch der Hilfsantrag auf Zuerkennung der Witwenbeihilfe bleibt ohne Erfolg. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG ist der
Witwe eines rentenberechtigten Beschädigten Witwenbeihilfe zu gewähren, wenn der Beschädigte, der nicht an den
Folgen der Schädigung gestorben ist, durch die Folgen der Schädigung gehindert war, eine entsprechende
Erwerbstätigkeit auszuüben und dadurch die Versorgung seiner Hinterbliebenen um jeweils – entsprechend der Höhe
der Hinterbliebenenversorgung – einen Vomhundertsatz von 10 bis 15 % gemindert ist. Diese Voraussetzung gilt nach
Satz 2 dieser Vorschrift bei Hinterbliebenen von Schwerbeschädigten dann als erfüllt, wenn der Beschädigte im
Zeitpunkt seines Todes Anspruch auf die Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen, wegen nicht nur
vorübergehender Hilflosigkeit Anspruch auf eine Pflegezulage oder zumindest 5 Jahre Anspruch auf BSA wegen eines
Einkommensverlustes im Sinne des § 30 Abs 4 BVG hatte. Keiner dieser Fälle liegt hier vor.
Der Beschädigte hatte nicht einen Anspruch auf Beschädigtenrente eines Erwerbsunfähigen, weil er nicht unter
Schädigungsfolgen mit einer MdE um mehr als 90 litt, vgl § 31 Abs 3 Satz 2 BVG. Er hatte auch nicht einen
Anspruch auf Pflegezulage wegen nicht nur vorübergehender Hilflosigkeit oder mindestens 5 Jahre Anspruch auf BSA
wegen eines Einkommensverlustes. Die unwiderlegliche Vermutung des § 48 Abs 1 S. 6 BVG wäre erfüllt, wenn
bereits nach dem Inhalt der über den Beschädigten geführten Versorgungsakten auf den ersten Blick für jeden
Kundigen klar ersichtlich fünf Jahre lang Anspruch auf BSA bestanden hätte (BSG SozR 3-3100 § 48 Nr 9 mwN). Dies
ist nicht der Fall:
Im Anschluss an den vor dem SG Hannover geschlossenen Vergleich vom 16. Februar 1971 hat der Beklagte zur
Ermittlung eines Einkommensverlustes als Grundlage des BSA das Vergleichseinkommen dem aktuellen Einkommen
des Beschädigten für die Zeit vom 1. Dezember 1968 bis März 1971 gegenübergestellt. Danach ergab sich kein
Einkommensverlust, weil das aktuelle Einkommen des Beschädigten das Vergleichseinkommen überstieg.
Ein Anspruch auf BSA für 5 Jahre ergab sich auch nicht daraus, dass der Beschädigte verfrüht das Altersruhegeld
aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezog. Dieser Umstand trat nämlich erst mit der Vollendung des 63.
Lebens- jahres ein, hätte mithin grundsätzlich einen BSA lediglich für 2 Jahre herbeiführen können.
Die Klägerin hat eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung ihrer Hinterbliebenenversorgung durch berufliche
Auswirkungen der Schädigung ihres Ehemannes nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG nicht erlitten. Bei der Anwendung
dieser Bestimmung ist unter "entsprechender Tätigkeit" die gleiche Tätigkeit zu verstehen, wie sie in § 30 Abse 3 und
4 BVG normiert ist, das heißt, es kommt darauf an, welche Tätigkeit der Beschädigte ohne die Schädigung nach
seinen Lebensverhältnissen, Kenntnissen und Fähigkeiten sowie dem betätigten Arbeits- und Ausbildungswillen
wahrscheinlich ausgeübt hätte. Der wirtschaftliche Schaden, der sich erst nach dem Tode des Beschädigten auswirkt,
muss Folge der schädigungsbedingten beruflichen Behinderung sein. Diese Ursachenverknüpfung bezieht sich auf die
gesamten wirtschaftlichen Auswirkungen, die auf die schädigungsbedingte berufliche Entwicklung des Beschädigten
zurückzuführen sind. Dabei ist auf den gesamten Berufsweg abzustellen. Es ist damit unvereinbar, einen oder
mehrere Berufsabschnitte auszuklammern. Die der Witwe nach dem Tod des Beschädigten gewährte Versorgung ist
den jeweiligen Bezügen gegenüberzustellen, die sie erhalten würde, wenn der Verstorbene seinen Beruf in vollem
Umfang ausgeübt hätte (BSG SozR 3100 § 48 Nrn 8 und 10).
Für die Berechnung ist ein nach Einkommensgruppen unterschiedener gestaffelter Prozentsatz anzuwenden. Als
Obergrenze dient dabei die Witwenrente, die bei 36 % und mehr von einem Zwölftel des zuletzt vor dem Tode des
Beschädigten in § 33 Abs 1 a BVG genannten Bemessungsbetrages liegt, als Untergrenze eine unter 28 %
verbliebene Hinterbliebenenversorgung. Dementsprechend ist die relevante Einbuße, die sich aus dem Verhältnis der
Hinterbliebenenversorgung zu der Versorgung ergibt, die ohne Schädigung erreicht worden wäre, zwischen 10 und 15
% abgestuft.
Im vorliegenden Fall erhielt die Klägerin mit der ihr aus der gesetzlichen Rentenversicherung gewährten Witwenrente
ab Juni 1995 in Höhe von 1.735,01 DM Hinterbliebenenversorgung von 49,56 % eines Zwölftels des maßgeblichen
Bemessungsbetrages von 42.017,00 DM, der bis zum 30. Juni 1995 galt (vgl 3. KOV-Anpassungsverordnung 1994)
bzw 48,49 % eines Zwölftels des ab 1. Juli 1995 maßgeblichen Bemessungsbetrages von 42.941,00 DM (vgl 4. KOV-
Anpassungsverordnung 1995). Es wäre mithin eine schädigungsbedingte Minderung um mindestens 15 % relevant
(vgl dazu BSG aaO). Eine solche liegt aber nicht vor. Insoweit hat der Beklagte überzeugend im
Widerspruchsbescheid die Vergleichsberechnung der Versorgung angestellt, die sich ergäbe, wenn der Beschädigte
nicht seit dem 63. Lebensjahr, sondern erst mit Ablauf des 65. Lebensjahres das Altersruhegeld bezogen hätte. Diese
Vergleichsberechnung begegnet rechtlich keinen Bedenken, ist auch von der Klägerin selbst inhaltlich nicht
angegriffen worden. Ihr ist das Einkommen der Kaufmännischen Angestellten der Elektrotechnischen Industrie,
Leistungsgruppe III, zugrunde gelegt; dies entspricht dem Vergleich vom 16. Februar 1971 und gleicht den
behinderungsbedingten Nachteil aus. Ein solcher besteht nicht deshalb, weil die Einstufung in die Gehaltsgruppe nach
dem Vergleich vor dem SG Hannover erst mit Wirkung vom 1. Dezember 1968 erfolgt ist. Der Vergleichsberechnung
liegt nämlich die Einstufung ab 1. Januar 1968 zugrunde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG.