Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 12.02.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 12.02.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 22 U 172/96
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 9/6 U 402/98
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. November 1998 wird abgeändert. Die Berufungsbeklagte wird auch
insoweit zur Erstattung ihrer Leistungen dem Grunde nach verurteilt, als diese vor dem 3. August 1992 erbracht
worden sind. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der von der Berufungsbeklagten an die Berufungsklägerin zu erstattenden Kosten
wegen der Behandlung des F. (nachstehend Versicherter).
Der 1960 geborene Versicherte, der Mitglied der Berufungsbeklagten ist, erlitt am 27. September 1991 einen
Stromschlag im Rahmen seiner beruf-lichen Tätigkeit. Der Arbeitgeber des Versicherten ist Mitglied der Beru-
fungsklägerin.
Der Chirurg Dr. G. fertigte den Durchgangsarztbericht vom 27, September 1991. Auf der Rückseite dieses
Durchgangsarztberichtes, der auch der Be-rufungsbeklagten zugeleitet wurde, findet sich folgende Formulierung:
"Zur Wahrung der Ausschlußfrist des § 111 SGB X macht der Träger der Unfallversicherung gegen den Träger der
gesetzlichen Krankenversiche-rung mit diesem Bericht vorsorglich einen evtl. Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X
geltend.”
In der Folge wurde der Versicherte vielfach ärztlich behandelt. Die Kosten für diese Behandlungen wurden von der
Berufungsklägerin übernommen. Verletztengeld wurde dem Versicherten im Auftrag der Berufungsklägerin durch die
Berufungsbeklagte ausgezahlt. Nach dem sich die ärztliche Be-handlung länger hinzog veranlaßte die
Berufungsklägerin zunächst Kon-trolluntersuchungen im Berufsgenossenschaftlichen Krankenhaus H. (Ja-nuar und
April 1992).
Im Januar 1993 ergab sich der Verdacht, daß bei dem Versicherten eine Simulation von Beschwerden gegeben sei.
Daraufhin beendete die Beru-fungsklägerin den Auftrag zu Zahlung von Verletztengeld gegenüber der
Berufungsbeklagten zum 17. Januar 1993. Im Februar und von April bis Juni 1993 zahlte die Berufungsbeklagte
erneut Verletztengeld im Auftrag der Berufungsklägerin an den Versicherten.
Zwischenzeitlich hatte die Berufungsklägerin veranlaßt, daß der Versi-cherte durch den Neurologen Dr. I. (Gutachten
vom 16. Juni 1993 ) und den Orthopäden Dr. J. (Gutachten ebenfalls vom 16. Juni 1993) untersucht wurde. Aus
diesen Gutachten ergab sich, daß die bei dem Versicherten vorliegenden Funktionsstörungen nicht auf den
Arbeitsunfall zurückzufüh-ren waren.
Daraufhin lehnte es die Berufungsklägerin mit Bescheid vom 23. Juli 1993 gegenüber den Versicherten ab, diesem
eine Rente zu zahlen. Den dage-gen erhobenen Widerspruch wies die Berufungsklägerin mit Wider-spruchsbescheid
vom 15. Oktober 1993 wegen Verfristung zurück. Die da-gegen erhobene Klage ist zurückgenommen worden.
Mit Schreiben vom 3. August 1993 machte die Berufungsklägerin gegen-über der Berufungsbeklagten einen
Erstattungsanspruch geltend, den sie später mit 97.413,60 DM bezifferte.
Erstmals mit Schreiben vom 8. September 1994 verneinte die Berufungs-beklagte gegenüber der Berufungsklägerin
ihre Leistungspflicht. Nach dem sich die Berufungsbeklagte endgültig mit Schreiben vom 21. November 1995
weigerte, dem Erstattungsanspruch nachzukommen, hat die Beru-fungsklägerin am 13. Mai 1996 Klage erhoben. Mit
dieser Klage hat sie ei-ne Forderung in Höhe von 94.886,15 DM geltend gemacht.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit Urteil vom 10. November 1998, welches der Berufungsklägerin am 1.
Dezember 1998 zugestellt worden ist, teilweise stattgegeben. Es hat die Klage zurückgewiesen, soweit mit ihr
Erstattungsansprüche geltend gemacht wurden, die Leistungen umfaßten, die vor dem 3. August 1992 lagen. Insoweit
hat das SG ausgeführt, die von § 111 SGB X geforderte Jahresfrist sei von der Berufungsklägerin ver-säumt worden.
Die vorsorgliche Geltendmachung des Erstattungsanspru-ches auf der Rückseite des Durchgangsarztberichtes erfülle
nicht die tat-bestandlichen Voraussetzungen für die Geltendmachung eines derartigen Anspruches. Die
Berufungsklägerin könne sich demgegenüber auch nicht auf eine Protokollnotiz zum "Generalauftrag Verletztengeld"
berufen, denn insoweit handele es sich um eine gesetzliche Frist, die von den ihr Unter-worfenen nicht abbedungen
werden könne.
Die Berufungsklägerin hat gegen das Urteil, soweit es die Klage zurückge-wiesen hat am 23. Dezember 1998
Berufung eingelegt. Sie ist der Auffas-sung, sie habe mit der Formulierung auf dem Durchgangsarztbericht
rechtswirksam einen Erstattungsanspruch geltend gemacht. Zudem sei die Berufungsbeklagte gehindert, sich auf die
strittige Frist zu berufen, da dies zwischen den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung und den Trä-gern der
gesetzlichen Krankenversicherung so vereinbart worden sei.
Die von der Berufungsbeklagten ebenfalls eingelegte Berufung hat diese mittlerweile zurück genommen.
Die Berufungsklägerin beantragt
1. das Urteil des Sozialgerichtes Hannover vom 10. November 1998 zu ändern,
2. die Berufungsbeklagte auch insoweit zur Erstattung ihrer Leistungen dem Grunde nach zu verurteilen, als diese vor
dem 3. August 1992 erbracht worden sind.
Die Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf das erstinstanzliche Urteil.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsät-ze, den sonstigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwal-tungsvorgänge der Berufungsklägerin (3 Bände) und der Beklagten (1
Band) Be-zug genommen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Ge-genstand der mündlichen
Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist auch begründet.
Das SG hat nur nach dem zum Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden Recht zu Recht erkannt, daß die
Berufungsklägerin keine Kosten geltend machen kann, die vor dem 3. August 1992 liegen. Es ist hierbei von den
damals richtigen recht-lichen und tatsächlichen Grundlagen ausgegangen und hat mit nachvollziehbaren Erwägungen
und zutreffend seine Entscheidung begründet. Inzwischen hat sich die Rechtslage jedoch verändert und diese
Rechtsänderung ist bei der Entschei-dung des Rechtsstreites auch zu berücksichtigen.
Insoweit ist – nach der Rücknahme der Berufung der Berufungsbeklagten – zwi-schen den Beteiligten unstreitig
geworden, daß die Berufungsklägerin als unzu-ständige Leistungsträgerin Leistungen gegenüber dem Versicherten
erbracht hat und die Berufungsbeklagte zuständige Leistungsträgerin gewesen wäre. Die Be-rufungsklägerin hat daher
einen Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X gegen die Berufungsbeklagte.
Dem steht § 111SGB X nicht (mehr) entgegen. Nach dieser Vorschrift ist der An-spruch auf Erstattung
ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages,
für den die Leistung er-bracht wurde, geltend macht. Die von den Beteiligten im Laufe des Verfahrens in den
Vordergrund gestellten rechtlichen Fragen sind nicht mehr entscheidungsre-levant. Nach der nunmehr anzuwendenden
Fassung von § 111 SGB X ist die hier umstrittene Jahresfrist nämlich frühestens mit dem Schreiben der Berufungsbe-
klagten vom 8. September 1994, das am 9. September 1994 bei der Berufungs-klägerin eingegangen ist (Bl 553 des
Verwaltungsvorgangs der Berufungskläge-rin), in Lauf gesetzt worden.
Nach § 111 Satz 2 SGB X in der Fassung, die er durch das 4. Euro – Einfüh-rungsgesetz vom 21. Dezember 2000
(BGBl 2000,1983 ff) gefunden hat, beginnt der Lauf der Frist frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der
erstattungsberech-tigte Leistungsträger von der Entscheidung des ersattungspflichtigen Leistungs-trägers über seine
Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat (damit ist der bisherigen Interpretation der Vorschrift durch das BSG "der Boden
entzogen”, vgl von Wulf-fen, SGB X, 4. Aufl., § 111 Rn 3). Nachdem eine ihre Leistungspflicht positiv fest-stellende
Entscheidung der Berufungsbeklagten fehlt, könnte die für den Beginn der Frist maßgebende Entscheidung hier
frühestens in dem erwähnten Schreiben vom 8. September 1994 liegen, in dem diese mitteilt, sie erkenne den Erstat-
tungsanspruch nicht an (aA insoweit wohl Kater in Kasseler Kommentar zu § 111 SGB X Rn 12, der meint eine
Entscheidung im Sinne des Gesetzes könne nur vorliegen, wenn ein Verwaltungsakt erlassen worden sei). Da die
Berufungskläge-rin schon vorher ihre Erstattungsforderungen beziffert hatte ( Schreiben der Be-rufungsklägerin an die
Berufungsbeklagte vom 16.8.94, Bl 528 der Verwaltungs-vorgänge der Berufungsklägerin) war die Forderung also
schon bei frühest denk-barem Fristlauf angemeldet.
Die neue Fassung des § 111 Satz 2 SGB X war auch auf das hier zu entschei-dende Verfahren anzuwenden. Nach §
120 Abs 2 SGB X (ebenfalls in der Fass-sung des 4. Euro – Einführungsgesetzes aaO) ist § 111 Satz 2 SGB X in der
vom 1. Januar 2001 geltenden Fassung auf die Erstattungsverfahren anzuwenden, die am 1. Juni 2000 noch nicht
abschließend entschieden waren. Dies trifft für das vorliegende Verfahren ohne weiteres zu. Dies ergibt sich nicht
zuletzt aus der Gesetzesbegründung zu § 120 SGB X (BT – Drs 14/4375 S. 61). Dort wird die Geltung der neuen
Vorschrift für "alle noch nicht abgewickelten Fälle” als Ziel der Neuregelung beschrieben. Abgewickelt in diesem Sinne
ist eine Erstattung aber erst dann, wenn entweder der geforderte Betrag geflossen ist oder zwischen den
Leistungsträgern Einigkeit über das sonstige Ende des Verfahrens besteht.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von §§ 183, 193 Abs. 4 SGG.
Anlaß für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG.