Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.08.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 27.08.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 4 KR 265/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 152/00
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. Mai 2000 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind
nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten für Aufwendungen im Zusammenhang mit
einer 1993 erfolgten und von ihr bezu-schussten Versorgung mit Implantaten und Suprakonstruktionen zu erstatten
bzw weitere Kosten auch künftig zu übernehmen.
Bei dem Kläger wurden im Januar 1993 vier Implantate wegen einer ausgepräg-ten Knochenatrophie im Unterkiefer
eingesetzt. Im Juni 1993 erfolgte die Einglie-derung der Unterkieferversorgung. Die Beklagte beteiligte sich an den
Kosten der implantologischen und der prothetischen Versorgung. Für eine Reparatur ("Er-neuerung der Stegreiter” und
"Unterfütterung/Funktionsrand Unterkiefer”) ent-standen dem Kläger im November 1996 weitere Kosten, an denen sich
die Be-klagte ebenfalls mit einem Zuschuss beteiligte.
Am 26. September 1997 reichte der Kläger die Rechnung seines behandelnden Zahnarztes C. vom 16. September
1997 über zahnärztliche Leistungen ein. Für am 15. September 1997 entstandene zahnärztliche Leistungen
("Wiederherstel-lung Verbindungselemente”; "Kontrolle Implantate auf Beläge” und "Reinigen der Unterkieferprothese”)
wurden dem Kläger 81,17 DM in Rechnung gestellt. Die Beklagte lehnte es mit Bescheid vom 8. Oktober 1997 ab,
sich an den Kosten zu beteiligen. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 2. März 1998 Wider-spruch ein. Er
verwies auf einen fortgeschrittenen Alveolarfortsatzschwund im Unterkiefer. Deshalb sei die implantologische
Versorgung erforderlich gewesen und die Beklagte habe sich auch an den Kosten beteiligt. Dies gelte auch für die
Weiterversorgung, die von der Beklagten im November 1996 bezuschusst worden sei. Mit Bescheid vom 28. April
1998 verwies die Beklagte auf die ab 1. Januar 1997 geänderte Rechtslage (§ 28 Abs 2 Sozialgesetzbuch, Fünftes
Buch – SGB V -), wonach implantologische Leistungen einschließlich der Zahnersatz-suprakonstruktion
(implantatgetragener oder –gestützter Zahnersatz) sowie funk-tionsanalytische und therapeutische Maßnahmen nicht
zur zahnärztlichen Be-handlung gehörten. Sie dürften von den Krankenkassen nicht bezuschusst wer-den. Diese
gesetzliche Änderung gelte auch für bereits bezuschusste Implantate einschließlich Suprakonstruktionen, für die die
Beklagte Leistungen nach den vorherigen gesetzlichen Regelungen im SGB V habe bewilligen können. Den vom
Kläger aufrechterhaltenen Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid
vom 2. September 1998 zurück.
Der Kläger hat am 17. September 1998 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Han-nover erhoben. Er hat vorgetragen, er
leide unter vorgeschrittenem Alveolarfort-satzschwund in einem besonders schweren Fall. Die Implantate hätten bei
ihm noch eingesetzt werden können, da zufällig neue, besonders dünne, Implantat-fundamente entwickelt worden
seien. Der Kieferknochenschwund nehme ständig zu und habe nun auch auf den Oberkiefer übergegriffen. Ohne
Implantate und deren notwendige Pflege werde er in Zukunft nicht auskommen können. In die-sem besonders
schweren Fall sei deshalb nach seiner Ansicht ausnahmsweise eine Bezuschussung möglich. Der Kläger hat ein
Schreiben seines Zahnarztes C. vom 17. März 1999 vorgelegt.
Das SG hat der Klage mit Urteil vom 16. Mai 2000 stattgegeben und die Beklagte verurteilt, die Kosten gemäß
Rechnung des Zahnarztes C. vom 16. September 1997 dem Grunde nach zu übernehmen. Außerdem hat es
festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, zukünftig die Kosten für die Behandlung im Zusammen-hang mit der
1993 durchgeführten implantatgetragenen Zahnersatzversorgung zu übernehmen. Zur Begründung seiner
Entscheidung hat es im wesentlichen aus-geführt: Die Behandlungsmaßnahme sei nicht nach § 28 Abs 2 Satz 9 SGB
V ausgeschlossen, denn der Kläger habe keine implantologische Leistung im Sinne der Vorschrift in Anspruch
genommen. Vorliegend habe die Behandlung nach Nr 406 und 509 der Gebührenordnung für Zahnärzte und damit
keine implantolo-gische Leistung stattgefunden. Zwar würden vom Ausschluss grundsätzlich auch
Suprakonstruktionen, dh Zahnersatz, der auf das Implantat aufgesetzt und von diesem getragen oder gestützt werde,
erfasst. Hier sei es jedoch nicht um die erstmalige Herstellung, sondern um die Wiederherrichtung und Kontrolle einer
zuvor bezuschussten Behandlungsmaßnahme gegangen. Der Ausschluss implantologischer Leistungen nach § 28
Abs 2 Satz 9 SGB V beruhe auf der Er-wägung, dass diese Leistungen nicht notwendig seien, weil Alternativen,
wesent-lich wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeiten, bestünden. Diese Einschrän-kung gelte bei einem bereits
eingegliederten Zahnersatz nicht mehr, denn auch bei der Wiederherstellung eines Verbindungselementes eines
erstattungsfähigen Zahnersatzes fielen keine höheren Beträge als die geltend gemachten Kosten an. Des weiteren sei
zu berücksichtigen, dass sich die Beklagte an den Kosten der Implantate und Suprakonstruktion 1993 beteiligt habe.
Die Beklagte hat gegen dieses ihr am 23. Juni 2000 zugestellte Urteil am 13. Juli 2000 Berufung vor dem
Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen ein-gelegt. Sie trägt vor, unstreitig liege hier eine
Ausnahmeindikation iS des Be-schlusses des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen vom 24. Juli
1998 nicht vor. Das SG lasse sich vielmehr im wesentlichen davon leiten, dass der Kläger über
Implantate/Suprakonstruktionen verfüge, die im Jahre 1993 – also vor Inkrafttreten der Ausschlussregelung zum 1.
Januar 1997 – eingegliedert und von der Beklagten bezuschusst worden seien. Die Ansicht des SG, sie, die Beklagte,
hätte seinerzeit den Kläger darauf hinweisen müssen, dass sie für Folgekosten nicht aufkommen müsse, werde von
ihr nicht geteilt. Der seinerzeit für den Kläger begünstigende Verwaltungsakt löse keinen Anspruch auf Übernahme der
Folgekosten aus. Eine einmal – unter Umständen in rechtswidriger Weise – gewährte Versorgung mit Implantaten
einschließlich Suprakonstruktionen führe nicht zu einem Anspruch auf Kostenübernahme für später fällig werdende
Kontrolluntersuchungen oder Reparaturen. Vielmehr bedürfe jeder weitere Leistungsantrag einer gesonderten Prüfung
durch die Beklagte. Wenn sich die rechtlichen Voraussetzungen – sei es durch neue Vorschriften oder eine andere
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) – ändern würden, habe die Beklagte die neue Rechtsauffassung
ihrer jeweiligen Entscheidung zu Grund zu legen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. Mai 2000 aufzuhe-ben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Mit den Beteiligten hat am 27. Juni 2001 ein Erörterungstermin vor dem Bericht-erstatter des Senats stattgefunden.
Insoweit wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Die Verwaltungsakten der Beklagten haben mit den Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges vorgelegen
und sind Gegenstand der mündlichen Ver-handlung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des
Vortra-ges der Beteiligten wird auf diese Akten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig.
Die Berufung ist auch begründet. Das Urteil des SG ist nicht zutreffend und daher aufzuheben. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Kostenerstattung für die im Streit stehenden Reparatur– bzw Reinigungskosten. Der Anspruch auf
Kostenerstattung scheitert bereits daran, dass der Kläger den nach dem Gesetz vorgeschriebenen Be-schaffungsweg
nicht eingehalten hat. Im Übrigen ist die Feststellungsklage un-zulässig.
Am Kostenerstattungsverfahren nach § 10 Abs 2 SGB V (als Wahlrecht) hat der Kläger nicht teilgenommen. Ein
möglicher Kostenerstattungsanspruch des Klä-gers kann sich deshalb nur nach § 13 Abs 3 SGB V richten. Danach
hat die Krankenkasse die Kosten zu erstatten, die dadurch entstehen, dass sie eine un-aufschiebbare Leistung nicht
rechtzeitig erbringen konnte (Voraussetzung 1) oder dass sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und sich der
Versicherte deshalb die Leistung selbst beschafft (Voraussetzung 2). Der Kostenerstattungsanspruch tritt an die
Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung; er besteht deshalb nur, soweit die selbstbeschaffte Leistung
ihrer Art nach zu den Leistun-gen gehört, die von den gesetzlichen Krankenkassen als Sachleistung zu erbrin-gen
sind. Dabei muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründen-den Umstand (bei Voraussetzung 1: dem
Unvermögen zur rechtzeitigen Leistung; bei Voraussetzung 2: der rechtswidrigen Ablehnung) einerseits und dem
Nachteil des Versicherten (Kostenlast) andererseits ein Kausalzusammenhang bestehen, ohne den die Bedingung des
§ 13 Abs 1 SGB V für die Ausnahme vom Sach-leistungsgrundsatz nicht erfüllt ist (ständige Rechtsprechung des
Senats; vgl ua Urteil vom 24. April 2002 – L4 KR 49/00 – mwH auf die Rechtsprechung des BSG und des Senats).
Das bedeutet, dass die Krankenkasse nur für solche Leistungen aufzukommen hat, die sie auch bei rechtzeitiger bzw
ordnungsgemäßer Bereitstellung der ge-schuldeten Behandlung hätte gewähren müssen. Es bedeutet weiter, dass die
Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung, soweit diese nicht ausnahmsweise unaufschiebbar war, nur zu ersetzten
sind, wenn die Krankenkasse die Leis-tungsgewährung vorher abgelehnt hatte. Der Kausalzusammenhang besteht
nicht, und die Kostenerstattung scheidet damit aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des
vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu
setzen und deren Entscheidung abzuwarten (vgl BSG, SozR 3-2500, § 13 Nr 15).
Nach diesen Grundsätzen scheitert der Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach § 13 Abs 3 zweite Alternative
SGB V bereits daran, dass der Kläger den ordnungsgemäßen Beschaffungsweg nicht eingehalten hat.
Der Kläger hat dieses Verfahren nicht eingehalten, denn die Behandlung war zum Zeitpunkt seines Antrages auf
Kostenerstattung bereits abgeschlossen. Ausweis-lich der vorgelegten Rechnung des Zahnarztes C. fand die
Behandlung am 15. September 1997 statt. Seinen Antrag auf Kostenerstattung stellte der Kläger erst am 26.
September 1997 bei der Beklagten. Damit scheitert der Kostener-stattungsanspruch des Klägers bereits nach § 13
Abs 3 zweite Alternative SGB V wegen Nichteinhaltens des ordnungsgemäßen Beschaffungsweges.
Unabhängig von der verspäteten Antragstellung kann der Kläger auch deshalb keine Kostenerstattung verlangen, weil
die Beklagte die beanspruchten Leistun-gen zu Recht abgelehnt hat. Das im Zeitpunkt der Reparaturmaßnahme bzw –
behandlung geltende Recht im September 1997 bot für eine Kostenerstattung keine Möglichkeit. Dabei kann der Senat
offen lassen, ob die hier erbrachte zahnärztliche Leistung (Wiederherstellung der Verbindungselemente) den
implantologischen Leistungen oder der Suprakonstruktion (darauf gestützter Zahnersatz) zuzurechnen ist. Denn in
jedem Fall gehörten nach § 28 Abs 2 Satz 9 SGB V in der ab 1. Juli 1997 geltenden Fassungen die implantologischen
Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion nicht zur zahnärztlichen Behandlung. Eine Ausnahmeindikation iS der
Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für besonders schwere Fälle lag im Falle des
Klägers nicht vor. Das BSG hat bereits mit Urteil vom 19. Juni 2001 – B 1 KR 23/00 R = SozR 3-2500 § 28 Nr 6 =
Breithaupt 2002, 154-162 – entschieden, dass die Rückbildung des zahnlosen Kiefernknochens im Sinne einer
Atrophie nicht zu den vom Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs 1 Nr 2
SGB V festzulegenden Ausnahmeindikationen gehört. Wie das BSG in seinem Urteil ua ausführt, seien Kieferdefekte
iS der genannten Bestimmung nach ausdrücklicher Klarstellung nur solche Veränderungen, die ihre Ursache in einer
Operation wegen eines Tumors, einer Zyste oder einer Osteopathie, in einer Entzündung des Kiefers, einer
angeborenen Fehlbildung oder in einem Unfall hätten. Bei der allmählichen Rückbildung des zahnlosen
Kieferknochens iS einer Atrophie handele es sich dagegen um einen natürlichen Vorgang bei jedem Zahnverlust (vgl
BSG, aaO, S 7 f des Urteil-Umdrucks).
Der Kläger hat auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten.
Insbesondere kann er keinen Anspruch daraus ableiten, dass ihm die Beklagte im Jahr 1993 Zuschüsse zu der
Implantatversorgung und der Suprakonstruktion sowie im Jahr 1996 für eine Reparatur gewährte. Die Zu-
schussgewährungen erfolgten im Hinblick auf die damals geltenden Rechtslagen. Dadurch ist kein
Vertrauenstatbestand im Hinblick darauf begründet worden, auch künftige Behandlungs-/Reparaturkosten im
Zusammenhang mit der erfolg-ten implantologischen Versorgung und Suprakonstruktion zu übernehmen, denn die
Versicherten können nicht auf den unveränderten Fortbestand von Leistungs-gesetzen vertrauen (BSGE 69, 76, 80).
Die Beklagte hat zutreffend darauf hinge-wiesen, dass jeder weitere Leistungsantrag einer gesonderten Prüfung
unterliegt, so dass sich bei anderer Gesetzeslage auch Änderungen zu Lasten der Versi-cherten ergeben können.
Die vom Kläger geltend gemachten Kosten für das Reinigen der Unterkieferpro-these können schon deshalb nicht
geltend gemacht werden, weil sie dem Bereich der Eigenverantwortung des Versicherten zuzurechnen sind. Solche
Maßnahmen gehören nicht zu dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 2 Abs 1 S 1 SGB V).
Soweit der Kläger in Form der Feststellungsklage begehrt, die Beklagte zu ver-pflichten, auch künftig die Kosten für
die Behandlung im Zusammenhang mit der 1993 durchgeführten implantatgetragenen Zahnersatzversorgung zu
überneh-men, ist die Klage unzulässig. Zwar kann mit der Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1
Sozialgerichtsgesetz – SGG – die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses
begehrt werden. Dies setzt jedoch nach § 55 Abs 1 letzter Halbsatz voraus, dass der Kläger ein berechtigtes Inte-
resse an der baldigen Feststellung hat. Ein solches Feststellungsinteresse ist nur gegeben, wenn ein Kläger seine
Rechte nicht mit der Gestaltungs- oder Leis-tungsklage verfolgen kann (vgl Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl. § 55 Rdnr
3). Wie bereits oben ausgeführt, kann der Kläger sein Begehren jeweils in Form einer Leistungsklage geltend machen.
Die Beklagte wird wegen der von ihr als Körper-schaft des öffentlichen Rechts zu erwartenden Rechtstreue stets im
Lichte der aktuellen Gesetzes-/und Rechtslage entscheiden. Eine abstrakte Feststellung für künftige Behandlungsfälle
kann schon wegen der laufenden Gesetzesänderun-gen im Krankenversicherungsrecht nicht getroffen werden (vgl
hierzu auch BSG, Urteil vom 20. November 2001 – B 1 KR 31/00 R -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Gerichtskosten sind nicht entstanden (§ 183 SGG).
Gründe für die Zulassung der Revision haben nicht vorgelegen (§ 160 Abs 2 Zif-fern 1 und 2 SGG).