Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 22.08.2002

LSG Nsb: freiwillige versicherung, befreiung von der versicherungspflicht, versicherungsverhältnis, irrtum, mindestbeitrag, niedersachsen, avg, mitgliedschaft, koch, beratung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 22.08.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 14 RA 508/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 1 RA 164/01
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin für die Zeit ab dem 1. Januar 1983 als selbständige Rechtsanwältin
Pflichtversicherte auf Antrag oder aber freiwillig Versicherte geworden ist.
Die 1953 geborene Klägerin wurde im Oktober 1981 als Rechtsanwältin beim Amtsgericht Lehrte und zugleich beim
Landgericht Hildesheim zugelassen. Seitdem ist sie als Rechtsanwältin selbständig berufstätig.
Nach zunächst mündlicher Antragstellung vom 30. Dezember 1982 reichte die Klägerin am 6. Januar 1983 bei der
Beklagten einen "Antrag auf bargeldlose Beitragsentrichtung in der Angestelltenversicherung für eine -
Pflichtversicherung von Selbständigen, - freiwillige Versicherung” ein. Durch Ankreuzen hatte die Klägerin die Variante
"Pflichtversicherung von Selbständigen” gewählt. Die Klägerin füllte in dem Antragsformular im Übrigen den Abschnitt
III betreffend die Pflichtversicherung für Selbständige aus, während der Abschnitt IV (freiwillige Versicherung) offen
blieb. Unter der Überschrift "Pflichtversicherung auf Antrag als selbständiger Erwerbstätiger” heißt es in dem
Formular, es seien regelmäßig für jeden Kalendermonat Beiträge zu entrichten, die dem Arbeitseinkommen
entsprächen (siehe Beitragstafel). Die Frage nach dem für die Beitragshöhe maßgeblichen, voraussichtlichen
Arbeitseinkommen beantwortete die Klägerin dahin, mit jährlich 20.000,- DM und im Durchschnitt pro Monat 1.600,-
DM zu rechnen. Sie kreuzte die Möglichkeit, bis zum Ablauf von drei Kalenderjahren nach Stellung des Antrages auf
Versicherungspflicht Beiträge nur für jeden zweiten Monat zu entrichten, nicht an.
Mit ihrem Bescheid vom 14. Februar 1983 bestätigte die Beklagte der Klägerin, sie unterliege für die Zeit ab dem 1.
Januar 1983 während der Dauer ihrer selbständigen Tätigkeit der Versicherungspflicht auf Antrag. Gleichzeitig forderte
die Beklagte die Klägerin zur Zahlung der Beiträge auf, deren Höhe sich dem angegebenen Bruttoarbeitsverdienst
entsprechend auf pro Monat 300,- DM belief.
In der Folgezeit überwies die Klägerin die von der Beklagten geforderten Beiträge, die sich aufgrund des steigenden
Beitragssatzes bis April 1986 auf pro Monat 312,- DM erhöht hatten. Die Klägerin bat anschließend darum, niedrigere
Beiträge zu leisten, konnte jedoch noch keinen Steuerbescheid als Einkommensnachweis vorlegen. Die Beklagte
entsprach dem Begehren der Klägerin letztlich ohne auf Vorlage eines Nachweises zu bestehen und akzeptierte für
die Zeit ab Mai 1986 einen Monatsbeitrag in Höhe von zunächst 105,- DM (zu Grunde gelegtes Einkommen für 1986
10.875,- DM, für die Folgejahre zunächst 6.737,97 DM).
Mit dem Bescheid vom 9. Februar 1995 teilte die Beklagte mit, ein vom Regelbeitrag abweichender Betrag könne in
Zukunft auf Antrag nur noch dann gezahlt werden, wenn das Arbeitseinkommen aus der selbständigen Tätigkeit -
nachweislich - von der Bezugsgröße abweiche. Nachdem sie dennoch auch in der Folgezeit bis Juli 1996 ohne
weiteren Nachweis die von der Klägerin überwiesenen Mindestbeiträge (zuletzt 114,23 DM von Januar bis Juli 1996)
unbeanstandet gelassen hatte, berechnete die Beklagte für die Zeit ab August 1996 die Beiträge nach der
Bezugsgröße (Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung im vorvergangenen Kalenderjahr,
Regelbeitrag).
Erst mit Schriftsatz vom 26. März 1998 überreichte die Klägerin ihren vom Finanzamt Burgdorf am 16. März 1998
erlassenen Einkommenssteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 1994. Daraus gingen Einkünfte aus selbständiger
Arbeit in Höhe von 23.658,- DM hervor. Gleichzeitig führte die Klägerin aus, die Pflichtversicherung in der Annahme
eingegangen zu sein, Beiträge "in Höhe von 1/10” zahlen zu müssen. Die Beklagte erließ daraufhin den (Teilabhilfe-
)Bescheid vom 11. Juni 1998, mit dem sie den Monatsbeitrag für die Zeit ab Mai 1998 entsprechend dem mit einem
Dynamisierungsfaktor (1,0937) multiplizierten nachgewiesenen Arbeitseinkommen (25.874,75 DM = 1,0937 mal
23.658,- DM) auf 437,71 DM festsetzte.
Mit Bescheid vom 23. Juli 1999 setzte die Beklagte für die Zeit ab August 1999 erneut den Regelbeitrag (nunmehr in
Höhe von 859,95 DM pro Monat) fest, da wiederum keine Nachweise über ein vom Durchschnitt abweichendes
Einkommen vorgelegt worden seien.
Mit ihrem weiteren Bescheid vom 24. August 1999 überprüfte die Beklagte die Frage der Versicherungspflicht und
teilte der Klägerin mit, sie unterliege weiterhin der Versicherungspflicht auf Antrag für Selbständige. Der Bescheid vom
14. Februar 1983 habe sich als rechtmäßig erwiesen. Die Klägerin erhob mit Schriftsatz vom 30. August 1999
Widerspruch und trug nunmehr vor, das am 6. Januar 1983 bei der Beklagten eingegangene Antragsformular
missverstanden zu haben. Dafür sprächen die in den einzelnen Rubriken enthaltenen Schmierereien.
Auf Anforderung der Beklagten überreichte die Klägerin mit ihren Schriftsätzen vom 13. Oktober 1999 und vom 21.
Februar 2000 die Gewinnermittlungen und Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 1994 bis 1997. Die Beklagten
entnahm den Einkommensnachweisen "Nulleinkünfte” bzw Verluste und korrigierte die bisherige Beitragsberechnung
dahin, dass für die Zeit ab dem 1. August 1996 keine Beiträge zu leisten seien. Anders sei es für die Zeit ab dem 1.
Januar 1999. Der Gesetzgeber habe (durch Art 4 des Gesetzes zu Korrekturen der Sozialversicherung und zur
Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19. Dezember 1998, Bundesgesetzblatt I Seite 3843; § 165 Abs 3
Sozialgesetzbuch – SGB- VI) die mit dem Rentenreformgesetz 1992 seit dem 1. Januar 1992 außer Kraft gesetzte
Mindestbeitragsbemessungsgrundlage wieder eingeführt. Dementsprechend seien ab Januar 1999 pro Monat 121,59
DM (bei einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 7.560,- DM) zu zahlen. Gleichzeitig lehnte es die Beklagte in dem
(Teilabhilfe-)Bescheid vom 11. Mai 2000 weiterhin ab, auch dem weiteren Begehren der Klägerin zu folgen und das
Versicherungsverhältnis als "freiwillige Versicherung zum Mindestbeitrag” zu behandeln.
Die Klägerin erklärte daraufhin in ihren Schriftsätzen vom 16. Mai und 5. Juni 2000, mit der für die Jahre bis
einschließlich 1999 festgelegten Beitragshöhe einverstanden zu sein. Allerdings wiederhole sie ihre bereits erstmals
im Schriftsatz vom 5. Januar 1999 erklärte Anfechtung des ursprünglichen Antrags wegen Irrtums und bestehe darauf,
freiwillig – zum Mindestbeitrag – versichert zu sein. Die Beklagte wies den Widerspruch mit ihrem
Widerspruchsbescheid vom 15. September 2000 zurück. Gleichzeitig erklärte sie, der Klägerin im Hinblick auf die
Teilabhilfe durch den Bescheid vom 11. Mai 2000 die notwendigen, durch das Widerspruchsverfahren entstandenen
Aufwendungen zur Hälfte zu erstatten.
Dagegen hat die Klägerin am 18. Oktober 2000 Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Zur Begründung hat
sie ua darauf verwiesen, während der langen Zeit der Zahlung des Beitrages nach der Mindestbemessungsgrundlage
davon ausgegangen zu sein, die Beklagte führe tatsächlich eine freiwillige Versicherung durch. Darüber hinaus habe
sie nunmehr – mit dem unmittelbar an die Beklagte gerichteten Schriftsatz vom 11. Mai 2001 – die Versicherung
rückwirkend zum 31. Dezember 1993 gekündigt – und beantragt, die Versicherung als freiwillige Weiterversicherung
mit dem Mindestbeitrag fortzuführen. Zur Sicherstellung ihrer Altersversorgung sei sie im Übrigen auf die gesetzliche
Rentenversicherung nicht angewiesen. Sie sei seit dem 1. Januar 1994 Mitglied in der Rechtsanwaltsversorgung des
Landes Niedersachsen. Darüber hinaus habe sie zwei private Lebensversicherungsverträge abgeschlossen.
Das SG hat die Klage durch das Urteil vom 21. Mai 2001 abgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat es zunächst
ausgeführt, die Antragspflichtversicherung sei bereits durch den Eingang des Antrages am 6. Januar 1983 – nebst
Erfüllung der entsprechenden Tatbestandsmerkmale – zustande gekommen. Der Bescheid der Beklagten vom 14.
Februar 1983 habe dem gegenüber nur deklaratorische Bedeutung gehabt. Der Klägerin stehe kein Anfechtungsrecht
zur Seite. Dem Vortrag entsprechend handele es sich um einen Rechtsfolgenirrtum. Dieser betreffe lediglich die
Beitragspflicht, nicht jedoch das Zustandekommen des Versicherungsverhältnisses. Die Beitragspflicht sei mittelbare
Rechtsfolge, die unabhängig vom Willen des Erklärenden eintrete.
Gegen das am 15. Juni 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 5. Juli 2001 eingegangene Berufung. Zu deren
Begründung trägt die Klägerin vor: Gegenstand der Besprechung Ende des Jahres 1982 in den Geschäftsräumen der
Beklagten – im Vorwege der schriftlichen Antragstellung – sei die Versicherung zum Mindestbeitrag bzw zu einem
Zehntel des Höchstbeitrages und die Frage der bargeldlosen Beitragsentrichtung gewesen. Unklarheiten im
Zusammenhang mit der späteren schriftlichen Antragstellung gingen zu Lasten der Beklagten. Der Beklagten habe es
oblegen, auf günstigere Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen. Bereits kurz nach Antragstellung sei das
Versorgungswerk für Rechtsanwälte in Niedersachsen gegründet worden. Wäre ihr – der Klägerin – der Irrtum bereits
damals offenbar geworden, würde sie den Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gestellt haben.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. Mai 2001 sowie die Bescheide der Beklagten vom 7. April 1997,
vom 11. Juni 1998, vom 23. Juli und 24. August 1999 und vom 11. Mai und 3. Juli 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. September 2000 aufzuheben sowie
2. festzustellen, dass sie als selbständige Rechtsanwältin für die Zeit ab dem 1. Januar 1983 nicht auf Antrag
Pflichtversicherte der Beklagten, sondern freiwillig Versicherte geworden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist darauf, die Klägerin müsse sich insbesondere als rechtskundige Rechtsanwältin und Notarin und jetzige
Fachanwältin für Familienrecht an den seinerzeitigen Erklärungen aus Januar 1983 festhalten lassen. Es sei nicht
ersichtlich, inwieweit sie, die Beklagte, eine gebotene Beratung unterlassen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortrages der Beteiligten wird auf
den Inhalt der Prozess- und Beiakten der Beklagten verwiesen. Sie haben dem Senat vorgelegen und sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143 f Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden
und somit zulässig.
Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet. Das Urteil des SG und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind
nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist seit dem 1. Januar 1983 als selbständige Rechtsanwältin bei der Beklagten auf
eigenen Antrag pflichtversichert. Es ist bisher kein Tatbestand eingetreten, aufgrund dessen das
Versicherungsverhältnis beendet worden wäre. Weder anstelle des Pflichtversicherungsverhältnisses noch neben
diesem besteht eine freiwillige Versicherung. Außer Betracht hatte dabei zu bleiben, dass die Klägerin inzwischen
einen Antrag gestellt hat, sie von der Versicherungspflicht zu befreien.
Richtig ist das SG davon ausgegangen, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Feststellungsklage nach § 55 Abs
1 Nr 1 SGG handelt. Denn die Klägerin macht geltend, dass zur Beklagten kein Rechtsverhältnis der
Pflichtversicherung auf Antrag bestehe, vielmehr ein freiwilliges Versicherungsverhältnis. Ein berechtigtes Interesse
an der baldigen Feststellung im Sinne des § 55 Abs 1 aE SGG, wozu auch die Aussicht auf wirtschaftliche Vorteile
zählt (Meyer-Ladewig, Kommentar zum Sozialgerichtsgesetz, § 55 SGG Rdnr 5 Buchst a), ist schon deshalb zu
bejahen, weil die Klägerin bei antragsgemäßer Feststellung lediglich noch Mindestbeiträge entrichten müsste.
Die Feststellungsklage ist im vorliegenden Fall nicht subsidiär gegenüber einer Anfechtungs- bzw Verpflichtungsklage.
Denn das Bestehen des zutreffenden Versicherungsverhältnisses ist Voraussetzung für die Frage, ob
einkommensgerechte Beiträge gezahlt werden müssen (§§ 162, 163 Sozialgesetzbuch –SGB- VI) oder Beiträge – bei
freiwilliger Versicherung – in den frei gewählten Beitragsklassen, lediglich begrenzt durch den Mindest- und den
Höchstbeitrag, gezahlt werden dürfen, § 167 SGB VI.
Die Berufung war als unbegründet zurückzuweisen. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin aufgrund
des am 6. Januar 1983 bei der Beklagten eingegangenen Antrags Pflichtversicherte geworden ist und bisher kein
Tatbestand eingetreten ist, der zu einem Ende des Pflichtversicherungsverhältnisses geführt hätte. Als solche
Tatbestände kämen sowohl das Ende der selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin (und als Notarin) in Betracht als
auch ein positiv beschiedener Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI
(für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 am 1. Januar 1992 § 7 Abs 2
Angestelltenversicherungsgesetz – AVG - ). Dass die Beklagte es in den angefochtenen Bescheiden abgelehnt hat,
die Versicherung seit dem 1. Januar 1983 als freiwillige Versicherung zu führen, war nicht zu beanstanden:
Zum Gegenstand des Rechtsstreits war voraus zu schicken, dass sich dieser lediglich noch auf die Art des
Versicherungsverhältnisses – seit 1983 – bezieht und die Höhe der Beiträge für die Zeit ab dem 1. Januar 2000 von
der Beklagten erst noch – in Abhängigkeit von der Entscheidung über das Versicherungsverhältnis – festzusetzen
sein wird. Soweit sich der Streit darüber hinaus bereits auf die Beitragshöhe für die Vergangenheit bezogen hat, ist er
seit dem von der Klägerin angenommenen Teilanerkenntnis der Beklagten vom 11. Mai 2000 erledigt.
Durch die am 6. Januar 1983 eingegangene Erklärung hat die Klägerin bei der Beklagten das Versicherungsverhältnis
einer Antragspflichtversicherung für Selbständige begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 1983 hat
dem gegenüber nur noch deklaratorische Bedeutung. Dass gleichwohl angenommen wird, bis zur Zustellung der
Entscheidung des Rentenversicherungsträgers sei der Antrag auf Versicherungspflicht rücknehmbar (vgl
Koch/Hartmann, Das Angestellten-Versicherungsgesetz, 2./3. Auflage Band IV, § 2 AVG Anm 13 V 64/53 mwN),
spielt im vorliegenden Fall keine Rolle.
Die Pflichtversicherung auf Antrag für Selbständige wurde durch das RRG vom 16. Oktober 1972 (BGBl I, Seite 1965)
eingeführt. Dadurch ist es ua den Angehörigen der freien Berufe – wie hier der Klägerin als Rechtsanwältin –
ermöglicht worden, unter den gleichen Voraussetzungen wie die übrigen Pflichtversicherten Ersatz- und
Anrechnungszeiten berücksichtigt zu bekommen und vor allem, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit unter
den entsprechenden Voraussetzungen zu beziehen. Der zunächst durch § 2 Abs 1 Nr 11 AVG, seit 1992 durch § 4
Abs 2 SGB VI erfasste Personenkreis kann zwischen der Versicherungspflicht auf Antrag und der freiwilligen
Versicherung – ohne Erwerb des Anspruchs auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, dafür jedoch mit der
Möglichkeit zur individuellen Beitragsgestaltung – frei wählen (vgl Koch/Hartmann aaO).
Im Falle der Klägerin ist mit Beginn des Jahres 1983 eine Pflichtversicherung auf Antrag zu Stande gekommen. Das
ergibt sich aus dem objektiven Erklärungsgehalt des am 6. Januar 1983 bei der Beklagten eingegangenen Antrags.
Das Formular ermöglichte den Versicherten, sich für eine der beiden Varianten der Pflichtversicherung auf Antrag oder
aber der freiwilligen Versicherung zu entscheiden. Hier hat sich die Klägerin durch entsprechendes Ankreuzen und
Ausfüllen für die Variante entschieden, Pflichtversicherte auf Antrag zu sein. Sie hat dies mit ihrer Unterschrift
bestätigt. Die Klägerin kann nicht damit gehört werden, im Vorwege des schriftlichen Antrages mündlich über eine
"freiwillige Versicherung zu einem 1/10-Beitragssatz” gesprochen zu haben. Das Gespräch hat im schriftlichen Antrag
keinen Niederschlag gefunden. Da sich weder in den Rentenakten der Beklagten noch in sonstigen Unterlagen
Anhaltspunkte für eine Abrede finden, die von dem am 6. Januar 1983 eingegangenen Antrag abweicht, bleibt allein
der schriftliche Antrag maßgebend. Den Nachteil der fehlenden Feststellbarkeit muss die Klägerin tragen. Dies
entspricht der Beweislast bei gewillkürter Schriftform im Rahmen des Rechts der Willenserklärungen, § 127
Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Diese Grundsätze finden auf öffentlich-rechtlich bedeutsame Erklärungen – wie hier
den Antrag der Klägerin – entsprechende Anwendung (vgl Palm in: Ermann, Bürgerliches Gesetzbuch,
Handkommentar, Band I, Einleitung zu § 104 BGB RdNr 28; zur Beweislast bei gewillkürter Schriftform Heinrichs in:
Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 127 BGB Rdnr 4; kein Schriftformerfordernis für den Antrag auf
Versicherungspflicht, § 16 SGB I). Abgesehen von alledem bezieht sich der Vortrag der Klägerin zu einem der
schriftlichen Antragstellung vorangegangenen Telefonat im erster Linie auf Modalitäten der Beitragsleistung, nicht aber
auf eine etwa schon getroffene Wahl des Versicherungsverhältnisses. Letzteres wäre aber erforderlich, um überhaupt
Zweifel am Zustandekommen des schriftlich beantragten Versicherungsverhältnisses zu haben.
Das einmal zwischen den Beteiligten begründete Versicherungsverhältnis besteht fort. Voraussetzungslos kann sich
ein Versicherter wie die Klägerin aus dem Versicherungsverhältnis deshalb nicht lösen, weil dafür in § 7 Abs 2 AVG
bzw seit 1992 in § 6 SGB VI besondere Voraussetzungen normiert worden sind. Den Antrag auf – nachträgliche –
Befreiung von der Versicherungspflicht im Hinblick auf die Mitgliedschaft in der niedersächsischen Anwaltsversorgung
muss die Beklagte in einem gesonderten Verfahren bescheiden (vgl zu den Fällen einer bereits vor und einer erst
nach der Pflichtversicherung auf Antrag bestehenden Mitgliedschaft in einer berufsständischen
Versorgungseinrichtung BSG – Urteile vom 28. April 1982, Die Beiträge 1982, Seite 376 und vom 9. Dezember 1982,
Die Sozialgerichtsbarkeit 1983, Seite 285 sowie zusammenfassend Koch/Hartmann aaO).
Die erstmals im Schriftsatz vom 30. August 1999 erklärte Anfechtung führt nicht zur Unwirksamkeit des
Pflichtversicherungsverhältnisses (was darüber hinaus Bedingung für ein möglicherweise an dessen Stelle tretendes
freiwilliges Versicherungsverhältnis wäre). Das SG hat bereits zutreffend ausgeführt, dass der für die rechtliche
Beurteilung relevante Irrtum allein die Rechtsfolgen des Antrages, nicht jedoch den Inhalt der Erklärung betrifft. Der
Irrtumslehre des BGB folgend (zur Anwendbarkeit Heinrichs in: Palandt aaO § 119 BGB Rdnr 6) wird zwischen dem
Irrtum in der Erklärungshandlung, dem Irrtum über den Erklärungsinhalt sowie dem Irrtum über die Rechtsfolgen der
Erklärung unterschieden. Ein Irrtum in der Erklärungshandlung liegt vor, wenn schon der äußere Erklärungstatbestand
nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Beispiele sind das Versprechen, Verschreiben oder sich Vergreifen.
Beim Inhaltsirrtum (Bedeutungsirrtum) misst der Erklärende dem Erklärungstatbestand einen anderen Sinn bei als ihm
objektiv zukommt. Das ist zB anzunehmen, wenn der Erklärende Worte verwendet, die nach objektiver Auslegung
einen eindeutigen, dem Erklärenden aber nicht bekannten Sinn haben. Abzugrenzen sind diese – oft in fließenden
Übergängen vorkommenden – Fälle des (beachtlichen) Erklärungs- oder Inhaltsirrtums von denjenigen eines
unbeachtlichen einseitigen Rechtsfolgen – oder Motivirrtums. Ein solcher liegt vor, wenn sich die Willensbildung auf
Erwartungen, Vorüberlegungen oder Gründe bezieht, die den Erklärenden zur Abgabe seiner Willenserklärung
veranlasst haben (vgl zum Ganzen Palm aaO § 119 BGB Rdnrn 33, 34, 50 und 51; Heinrichs aaO Rdnrn 10 ff).
Ein zur Anfechtung berechtigender und damit hier bedeutsamer Erklärungs- bzw Inhaltsirrtum müsste damit begründet
werden, die Klägerin habe angenommen, im Januar 1983 einen Antrag auf freiwillige Versicherung gestellt zu haben.
Die – innerlich gebliebenen – Gedankenvorgänge sind zwar nicht mehr eruierbar, so dass grundsätzlich eine
Unterstellung zu Gunsten der Klägerin denkbar erschiene. Da die Beklagte den Vortrag der Klägerin jedoch –
zumindest sinngemäß – bestreitet, musste entsprechend der Feststellungslast gegen das Vorliegen eines relevanten
Irrtums entschieden werden. Die Feststellungslast liegt auf Seiten der Klägerin als der Anfechtenden (vgl dazu
wiederum Palm aaO § 119 BGB Rdnr 56).
Bei einer Gesamtbetrachtung des zwischen den Beteiligten abgewickelten Rechtsverhältnisses sprechen die
Umstände ganz wesentlich gegen einen Irrtum über das Vorliegen von Versicherungspflicht und ganz wesentlich für
einen – unbeachtlichen – Irrtum über die Beitragslast (Rechtsfolge). So hat die Klägerin in den an die Beklagte
gerichteten Schriftsätzen das Rechtsverhältnis vorwiegend als "freiwillige Pflichtversicherung” bezeichnet. Das
Attribut "freiwillig” ist in diesem Zusammenhang dahin zu werten, dass es ausdrückt, das Versicherungsverhältnis aus
freien Stücken und nicht gezwungener Maßen eingegangen zu sein. Das ist baei der Versicherungspflicht auf Antrag
der Fall. Darüber hinaus hat die Klägerin insbesondere in ihrem Schriftsatz vom 5. Januar 1999 an die Beklagte
deutlich gemacht, es sei ihr bei der Antragstellung – ua – darum gegangen, für den Fall der Berufs- bzw
Erwerbsunfähigkeit abgesichert zu sein. Dieser differenzierte Vortrag passt aber gerade in die bewusste Wahl der
Pflichtversicherung, wie sie eindeutig in dem an die Beklagte gesandten Formular getroffen wurde.
Eine vom objektiven Erklärungsinhalt abweichende Vorstellung der Klägerin gerade in Bezug auf die Art des
Versicherungsverhältnisses ist aber auch deshalb nicht festzustellen, weil die Klägerin die Pflichtversicherung
jahrelang durchgeführt und bis April 1986 einkommensgerechte Beiträge gezahlt hat. In diesem Zusammenhang ist
sogar problematisch, ob überhaupt ein Irrtum über die Rechtsfolgen, also über die Frage der Beitragsbelastung, in
Betracht kommt. Wenn die Klägerin nämlich Anfang 1983 angenommen haben will, "freiwillig zum Mindestbeitrag bzw
zum Beitrag in Höhe von 1/10” versichert zu sein, wäre zu erwarten gewesen, dass sie den von der Beklagten nach
ihrem vorausgesagten Einkommen bemessenen Beitrag von zuletzt 312,- DM (ca drei Mal so hoch wie der freiwillige
Mindestbeitrag) beanstandet.
Ohne das es noch darauf ankommt, müsste im Übrigen davon ausgegangen werden, dass die Klägerin ihr
Anfechtungsrecht verwirkt hat. Der Verwirkungstatbestand setzt ein Zeit- und ein Umstandsmoment voraus (vgl BSG-
Urteil vom 31. März 1981, 2 RU 101/79). Das Zeitmoment ist regelmäßig erfüllt, wenn ein Recht weit mehr als 10
Jahre nicht geltend gemacht wird. Hier liegen über 15 Jahre zwischen der Antragstellung und der
Anfechtungserklärung. Darüber hinaus hat die Klägerin bei der Beklagten den Eindruck erweckt, von einem
Anfechtungsrecht keinen Gebrauch zu machen, jedenfalls nicht im Hinblick auf die nachträglich beanstandete
Beitragslast nach erzieltem Einkommen. Die Klägerin hat nämlich – wie bereits erwähnt – von Anfang an tatsächlich
einkommensgerechte Beiträge gezahlt. Ihr geriet dies lediglich deshalb für die Zeit seit Mai 1986 in Vergessenheit,
weil die Beklagte aufgrund des angegebenen, wenn auch nicht nachgewiesenen, niedrigen Einkommens Beiträge
akzeptierte, die in der Höhe den freiwilligen Mindestbeiträgen entsprachen.
Die Klägerin konnte das Versicherungsverhältnis auch nicht im Wege einer Kündigung – mit Wirkung für die Zukunft –
lösen. Dem steht wiederum der vorrangige und oben bereits gewiesene Weg der Befreiung von der
Versicherungspflicht entgegen.
Schließlich kann die Klägerin ihr Ziel, mit Wirkung für die Vergangenheit nicht mehr als Pflichtversicherte (sondern als
freiwillig Versicherte) behandelt zu werden, nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erreichen. Der
Herstellungsanspruch ist auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung desjenigen Zustandes gerichtet, der
bestehen würde, wenn der Versicherungsträger die ihm aus dem Versicherungsverhältnis erwachsende Pflicht,
insbesondere zur Betreuung und Beratung, ordnungsgemäß wahrgenommen hätte (St.Rspr.: vgl BSG SozR 1200 § 14
SGB I Nr 9; BSG SozR 1300 § 44 SGB I Nr 14; BSG SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 7). Hier scheitert ein
Herstellungsanspruch bereits daran, dass keine Pflichtverletzung vorliegt, die sich die Beklagte im Verhältnis zur
Klägerin zurechnen lassen müsste. Denn da die Klägerin das Pflichtversicherungsverhältnis jahrelang durchgeführt
hatte und – wie ebenfalls bereits erwähnt – ein Interesse an der Absicherung gegen das Risiko der Erwerbsminderung
kundgetan hatte, bestanden aus objektiver Sicht keine Anhaltspunkte für eine Fehlversicherung. Darüber hinaus
minderten sich im konkreten Fall die Anforderungen an die Aufklärung im Hinblick auf den Beruf der Klägerin und im
Hinblick auf die erst nachträglich begründete Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte und Notare. Im
Zusammenhang mit dieser Mitgliedschaft konnte die Beklagte erwarten, dass die Klägerin von sich aus einen
Befreiungsantrag stellt. Weitergehende und auf die nachträgliche Umwandlung des gesamten
Versicherungsverhältnisses gerichtete Hinweise konnte die Beklagte schon deshalb nicht geben, weil keine zulässige
Amtshandlung zu diesem Ziel führen konnte.
Bei Eingang des Antrages am 6. Januar 1983 bestand keine Pflicht der Beklagten zur Rückfrage bei der Klägerin. Die
Angaben waren in den entscheidenden Punkten, insbesondere der Wahl des Pflichtversicherungsverhältnisses auf
Antrag, eindeutig. Daran ändert die Tatsache nichts, dass die Streichungen und "Schmierereien” auf eine gewisse
Unsicherheit der Klägerin schließen ließen.
Nach alledem war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung – bezüglich der von der Beklagten nicht anerkannten Kosten - folgt aus § 193 SGG.
Es bestand kein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG).