Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 04.07.2014

LSG Niedersachsen: energie, anteil, mieter, sachleistung, verfügung, übergangsregelung, unterbringung, existenzminimum, heizung, niedersachsen

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Streitigkeiten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
Zur Zulässigkeit der Kürzung der Geldleistungen
nach § 3 AsylbLG um den Anteil für Haushaltsstrom
bei Bedarfsdeckung über die Unterbringung in einem
Flüchtlingswohnheim
1. Erhält der hilfebedürftige Ausländer durch die Unterbringung in einem
Flüchtlingswohnheim Strom als Sachleistungen, so ist der Leistungsträger
zur Vermeidung von Doppelleistungen zu einer Kürzung der Geldleistungen
um den in den Regelleistungen enthaltenen Stromanteil berechtigt.
2. Eine Kürzung der Geldleistungen für die Jahre 2012 und 2013 um
monatlich 28,12 EUR verletzt den hilfebedürftigen Ausländer nicht in
subjektiven Rechten.
SG Hannover 53. Kammer, Urteil vom 04.07.2014, S 53 AY 75/13
§ 3 AsylbLG, § 27a Abs 4 SGB 12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von höheren Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) für den Zeitraum von August 2012 bis
März 2013.
Die aus Haiti stammende Klägerin reiste im März 2011 in das Bundesgebiet
ein und bezieht von der Beklagten seit November 2011 Leistungen nach § 3
AsylbLG. Sie betreibt ein Asylverfahren und ist im Besitz einer
Aufenthaltsgestattung. Sie ist einer in Unterkunft für Asylbewerber
untergebracht. Die Kosten hierfür trägt die Beklagte. In dieser Unterkunft wird
der Klägerin auch kostenfrei Strom zur Verfügung gestellt.
Mit Bescheid vom 11.02.2013 berechnete die Beklagte den
Leistungsanspruch der Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts neu und gewährte monatliche Leistungen in Höhe
von 317,88 EUR für die Monate August 2012 bis Dezember 2012 und in Höhe
von 325,88 EUR für die Monate Januar und Februar 2013. In dem Bescheid
heißt es unter anderem: „Da Sie in einer vom Sachgebiet „Stadterneuerung
und Wohnen“ zur Verfügung gestellten Unterkunft wohnen und in dieser
Unterkunft bereits Strom durch Sachleistung erhalten, ist der hierfür in Ihrem
Grundleistungen enthaltene Betrag von Ihrem Bedarf in Abzug zu bringen.“
Der Berechnungsbogen wies eine Kürzung der Leistungen in Höhe von 28,12
EUR aus. Mit Bescheid vom 08.03.2013 gewährte die Beklagte der Klägerin
Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 325,88 EUR für den Monat März
2013.
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Gegen die Bescheide vom 11.02.2013 und 08.03.2013 ließ die Klägerin am
12.03.2013 Widerspruch erheben. Der Abzug „Eigenanteil Strom RS 1“ sei
nicht nachvollziehbar. Die Widersprüche wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 23.08.2013 als unbegründet zurück. Bei der
Kürzung der Grundleistungen handele es sich um den sogenannten
Gesamtenergiekostenanteil, da die Klägerin in einer Gemeinschaftsunterkunft
untergebracht sei. In dem zu gewährenden Regelsatz sei ein Bedarf für
Energie bereits enthalten. Da die Klägerin ihren Energiebedarf allerdings
unmittelbar in der Gemeinschaftsunterkunft als Sachleistung erhalte, wäre sie
gegenüber sonstigen Leistungsberechtigten, die in Privatwohnungen leben,
bevorteilt.
Gegen diese Entscheidung ließ die Klägerin am 30.09.2013 Klage erheben.
Es sei nicht ersichtlich, wieso der Gesamtenergiekostenanteil bei 28,12 EUR
liege.
Die Klägerin sinngemäß,
die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide vom 11.02.2013 und
08.03.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2013
zu verurteilen, weitere Leistungen nach dem AsylbLG zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin erhalte einen Regelbedarf der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von
346 EUR für 2012 bzw. in Höhe von 354 EUR für 2013. Zusätzlich sei die
Klägerin in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht, für die die Beklagte
die Kosten übernehme. Die Beklagte stelle der Klägerin insoweit nicht nur
Räumlichkeiten, sondern auch Möblierung und Ausstattung, Heizung und
Warmwasser sowie Strom unentgeltlich als Sachleistung zur Verfügung. Wenn
der Bedarf der Klägerin jedoch durch Sachleistungen gedeckt werde, dann sei
der Beklagte zu einer Kürzung der insoweit nicht benötigten Barmittel
berechtigt. Dies habe das BSG im anderem Zusammenhang bereits
entschieden (BSG, Urt. v. 11.12.2007 – B 8/9b SO 21/06 R). Nach der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bemessen sich die
Regelbedarfe in entsprechender Anwendung der §§ 5-7
Regelbedarfsermittlungsgesetz nach den Verbrauchsausgaben für die
Abteilungen 1 (Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke), 3 (Bekleidung und
Schuhe), 4 (Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung) und 6
(Gesundheitspflege). In den Regelbedarfen seien unter Berücksichtigung der
Einkommens- und Verbrauchstichprobe 2008 Kosten für Haushaltsenergie,
hier in Form von Strom für Haushaltsgeräte und Kochenergie ohne
Warmwasser und Heizung, enthalten. Die Bedarfe der Abteilung 4 (Wohnung,
Energie und Wohnungsinstandhaltung) würden nach § 5 RBEG für 2011 mit
30,24 EUR veranschlagt und gliedern sich in folgende Bedarfsgruppen:
Ausgaben für Instandhaltung und Schönheitsreparaturen –Material (Mieter),
Ausgaben für Instandhaltung und Schönheitsreparaturen – Material
(Eigentümer, Ausgaben für Instandhaltung und Schönheitsreparaturen –
Handwerker (Mieter), Ausgaben für Instandhaltung und Schönheitsreparaturen
– Handwerker (Eigentümer), Strom (auch Solarenergie) – Miethaushalte und
Storm (auch Solarenergie) – Eigentümerhaushalte. Keine dieser Bedarfe falle
für die Klägerin an. Um Übrigen nehme man Bezug auf die Berechnung von
Schwabe (ZfF 05/2011, Seite 99), der einen regelbedarfsrelevanten Anteil für
Strom von 29,29 EUR errechnet. Auch dieser Wert liege unter dem hier in
Abzug gebrachten Wert. Der hier in Abzug gebrachte Wert in Höhe von 28,12
EUR beruhe auf einer Vereinbarung der Bundesländer und sei in
Niedersachsen durch entsprechende Erlasse des Ministeriums für Inneres und
Sport vorgegeben.
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Die Beteiligten haben auf Nachfrage des Gerichts auf die Durchführung einer
mündlichen Verhandlung verzichtet. Zum weiteren Sach- und Streitstand wird
auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten und den Inhalt der Gerichtsakte
ergänzend Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der
Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Das Gericht konnte hier im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Leistungen nach dem AsylbLG.
Insbesondere ist die von ihr beanstandete Kürzung der Regelleistungen um
einen Anteil für Strom in Höhe von monatlich 28,12 EUR nicht zu beanstanden.
Das Gericht geht davon aus, dass die Beklagte grundsätzlich zur
Herausrechnung des Stromanteils berechtigt ist. Zwar hat das
Bundessozialgericht im Fall der sogenannten Inklusivmiete zur Kürzung der
Regelleistungen nach dem SGB II bereits entschieden, dass eine
Herausrechnung des Stromanteils aus den Regelbedarfen trotz
Bedarfsdeckung über die Kosten der Unterkunft ausscheidet (dazu: BSG, Urt.
v. 24.11.2011 – B 14 AS 151/10 R). Das BSG stützt diese Entscheidung
jedoch maßgeblich auf das Regelungssystem des SGB II, wonach eine
individuelle Bedarfsermittlung gesetzlich gerade nicht vorgesehen sei. Daraus
kann für den vorliegenden Fall jedoch nicht zwingend geschlossen werden,
dass es im AsylbLG einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung zur
Vermeidung von Doppelleistungen vergleichbar dem § 27 a Abs. 4 Satz 1 SGB
XII (bisher: § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII) bedarf. Denn die derzeit geltende
Rechtslage im AsylbLG aufgrund der Übergangsregelung des
Bundesverfassungsgerichts begründet gerade keinen dem § 27 SGB XII i.V.m.
der Anlage zu § 28 SGB XII vergleichbaren Anspruch auf einen bestimmten
monatlichen Geldbetrag. Es obliegt vielmehr der Entscheidung des
Leistungsträgers, wie er den Anspruch des Leistungsberechtigten auf ein
menschenwürdiges Existenzminimum erfüllt und damit auch, ob er Leistungen
als Geldbetrag oder auf sonstige Weise gewährt (BVerfG, Ent. v. 18.07.2012 -
1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, Rn. 109). Entscheidend nach der
Regelungssystematik des AsylbLG ist damit alleine, dass das
menschenwürdige Existenzminimum durch Geldleistungen oder auf sonstige
Weise sichergestellt wird. Nur konsequent ist es dann, dass das
Bundesverfassungsgericht in seiner Übergangsregelung selbst einzelne
Abteilung aus dem Regelbedarfsermittlungsgesetz von der entsprechenden
Anwendung im AsylbLG ausgenommen hat. Wenn jedoch bereits die hier zum
Anwendung kommende Übergangsregelung von dem Prinzip der konkreten
Bedarfsdeckung und nicht der pauschalierten Abgeltung ausgeht, dann ist ein
Herausrechnen von ansonsten doppelt gewährten Bedarfen nicht zu
beanstanden (dazu auch: Frerichs in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 3
AsylbLG, Rn. 144 f. m.w.N.; Hohm, GK-AsylbLG, 52. EL. § 3, Rn. 148 m.w.N.).
Auch die Höhe der Kürzung verletzt die Klägerin nicht in subjektiven Rechten.
Das Regelbedarfsermittlungsgesetz sieht in § 5 unter der Abteilung 4
(Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung) einen Betrag von 30,24
EUR für das Jahr 2011 und einen daraus folgenden Regelsatz in Höhe von
361,81 EUR vor. Dieser Betrag beruht auf einer Auswertung bzw.
Hochrechnung der damaligen Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008
(EVS 2008) und setzt sich wie folgt zusammen: Ausgaben für Instandhaltung
und Schönheitsreparaturen Material (Mieter) = 0,99 EUR, Ausgaben für
Instandhaltung und Schönheitsreparaturen Handwerker (Mieter) = 0,93 EUR,
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Strom (auch Solarenergie), Mieterhaushalte = 26,80 EUR und Strom (auch
Solarenergie), Eigentümerhaushalte = 1,32 EUR (BT-Drucksache 17/3404, S.
55). Der dann tatsächlich aufgrund der Anlage 1 zu § 28 SGB XII festgelegte
Regelsatz in Höhe von 364 EUR beruht auf einer insoweit anteiligen
Berücksichtigung von Strom für Miethaushalte in Höhe von 26,96 EUR und
Strom für Eigentümerhaushalte in Höhe von 1,33 EUR, mithin also in Höhe von
insgesamt 28,29 EUR (dazu: Schwabe, ZfF 2011, Bl. 99 ff.). Damit liegt bereits
der für das Jahr 2011 ermittelte Stromanteil unter dem hier in Abzug
gebrachten Betrag. Für das Jahr 2012 ist der Regelsatz, und damit auch der
Anteil der darin enthaltenen Stromkosten nach § 40 SGB XII i.V.m. mit der
Verordnung zur Bestimmung des für die Fortschreibung der
Regelbedarfsstufen nach § 28a des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch
maßgeblichen Prozentsatzes sowie zur Ergänzung der Anlage zu § 28 des
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch für das Jahr 2012 (Regelbedarfsstufen-
Fortschreibungsverordnung 2012 – RBSFV 2012), um die dort
festgeschriebene Veränderungsrate des Mischindexes von 1,99 von Hundert
gestiegen. Der berücksichtigte Bedarf für Strom betrug 2012 daher insgesamt
29,06 EUR (Schwabe, ZfF 2012, 1 ff.) Für das ebenfalls hier zu beurteilende
Jahr 2013 erfolgte nach der RBSFV 2013 eine weitere Erhöhung der
Regelbedarfsstufe 1 zum Vorjahr um 2,26 von Hundert, was einem Stromanteil
von 29,69 EUR entspricht (Schwabe, ZfF 2013, 1 ff.). Festzustellen bleibt
daher, dass für den hier zu beurteilenden Zeitraum noch nicht einmal der
vollständige Stromkostenanteil in Abzug gebracht wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.