Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 10.04.2014

LSG Niedersachsen: versorgung, prothese, behinderung, krankenversicherung, vergleich, wirtschaftlichkeitsgebot, datum, verordnung, optik, messung

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Krankenversicherung
Kostenübernahmeanspruch eines Versicherten der GKV auf Versorgung mit
einer Prothese unter Verwendung eines Genium Kniegelenks gem. § 33 Abs.
1 SGB V nach Hinweis auf Rechtskraft des Urteils.
SG Hannover 2. Kammer, Urteil vom 10.04.2014, S 2 KR 525/13
§ 33 Abs 1 SGB 5
Tenor
1. Der Bescheid vom 13.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
01.07.2013 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger mit einer
Knieex- Prothese mit Genium- Kniegelenk zu versorgen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendigen außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Versorgung mit einer Oberschenkelprothese unter
Verwendung eines Genium- Kniegelenks der G..
Der am H. geborene Kläger leidet an einem Zustand nach einer
Knieexamputation rechts. Aktuell ist der Kläger mit einem C-Leg der G.
versorgt. Mit entsprechender Verordnung vom 28.08.2012 und
Kostenvoranschlag der I. vom 31.08.2012 über die Versorgung mit einer
Prothese unter Verwendung eines Genium- Kniegelenks zum Preis von
43.570,54 Euro beantragte der Kläger die Versorgung bei der Beklagten. Bei
dem Genium- Kniegelenk handelt es sich nach Mitteilung des Herstellers um
ein elektronisches, hydraulisches und monoaxiales Kniegelenk, welches über
Sensoren im Gelenk bzw. im Rohradapter und einer mikroprozessorgeregelten
Hydraulik arbeitet. Im Gegensatz zu dem C-Leg arbeitet das Genium-
Kniegelenk statt mit 3 Sensorsignalen mit 9 Sensorsignalen. Während das C-
Leg zudem lediglich das Knöchelmoment auswertet, findet beim Genium-
Kniegelenk zudem eine Messung des Kniemoments statt. Darüber hinaus
werden im Genium- Kniegelenk nicht nur Kraftsensoren sondern auch
Beschleunigungssensoren, ein Gyroskop und ein Winkelsensor zur Messung
von Lage, Geschwindigkeit und Winkeln genutzt. Die Beklagte lehnte die
beantragte Versorgung mit Bescheid vom 13.09.2012 ab und begründete dies
mit der mangelnden Wirtschaftlichkeit der Versorgung, da eventuelle
Gebrauchsvorteile der beantragten Knieversorgung in keinem Verhältnis zu
den erheblichen Mehrkosten im Vergleich zum C-Leg stünden. Gegen diese
Entscheidung wandte sich der Kläger mit seinem bei der Beklagten am
12.10.2012 eingegangenen Widerspruch. Mit Datum vom 14.12.2012 wurde
eine Dokumentation nebst Filmmaterial über eine Testversorgung mit dem
Genium- Kniegelenk bei der Beklagten eingereicht. Mit Datum vom 11.02.2012
erstellte der MDK ein Gutachten nach persönlicher Untersuchung des Klägers
und unter Beteiligung eines Orthopädietechnikers. Der MDK wertete den
Testbericht aus, ohne die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Klägers
zur Nutzung des Genium- Kniegelenkes anzuzweifeln und gelangte zu dem
Ergebnis, dass überzeugende deutliche Gebrauchsvorteile im Alltagsleben
durch die Genium- Testversorgung nicht zu erkennen und auch nicht zu
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erwarten seien; aus medizinischer Sicht bestehe keine zwingende Indikation
für eine Umversorgung; mit der derzeitigen Versorgung sei der Kläger
angemessen und zweckmäßig versorgt; Mit Bescheid vom 01.07.2013 wies
die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Diese Entscheidung
begründete die Beklagte damit, dass der Anspruch auf Versorgung mit dem
Genium- Kniegelenk am Umstand einer Doppelversorgung scheitere; der
Kläger sei mit dem C- Leg ausreichend und zweckmäßig versorgt, eine
Mehrausstattung sei nicht notwendig; die Ermöglichung alternierenden
Treppaufgehens und die Möglichkeit rückwärts zu gehen, würden keine
wesentlichen Gebrauchsvorteile darstellen. Gegen diese Entscheidung
wandte sich der Kläger mit seiner bei Gericht am 25.07.2013 eingegangenen
Klage.
Der Kläger ist der Ansicht, in seinem Falle bestehe ein Anspruch auf
Versorgung; es bestünden Gebrauchsvorteile in Form von Möglichkeit
alternierenden Treppaufgehens, Möglichkeit mit der Prothese auf
Bodenerhöhungen zu treten, sichereres Stehen, sichereres Treppabgehen
sowie Hinauf- und Herabgehen von Schrägen, Möglichkeit Hindernisse zu
übersteigen, Möglichkeit Rückwärtsschritte zu machen, längeres Stehen auf
Schrägen und unebenem Untergrund, bessere Möglichkeiten der
Schrittlängenanpassung, Möglichkeit von Trippelschritten,
belastungsunabhängiges Auslösen der Schwungphase, physiologischeres
Gangbild mit der Folge belastungsfreieren Laufens und weniger Folgeschäden
an Rücken und Hüfte, die einen Versorgungsanspruch begründen; die
Nutzung der Genium- Prothese erfolge intuitiver und einfacher als die Nutzung
des C-Leg; das Wirtschaftlichkeitsgebot stehe einer Versorgung nicht
entgegen, da ein günstigeres Hilfsmittel, welches die Behinderung in gleicher
Weise ausgleiche nicht erhältlich sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 13.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn mit einer Knie Ex-
Prothese mit Genium Kniegelenk zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte vertieft ihr Vorbringen aus dem Vorverfahren und meint weiterhin,
dass die begehrte Versorgung unwirtschaftlich sei.
Das Gericht hat den Sachverhalt weiter aufgeklärt und bei dem J. eine
vergleichende Betrachtung von C- Leg und Genium- Kniegelenk angefordert
(Schreiben vom 11.02.2014 nebst Anlagen). Zudem hat die Kammer im Wege
des Augenscheins eine Videodokumentation (erstellt durch ein Sanitätshaus)
über die vergleichende Nutzung des Klägers im Hinblick auf ein C-Leg und
einer Genium- Prothese zur Entscheidungsfindung herangezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Verwaltungs- und die Gerichtsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist auch begründet. Der Kläger ist durch die
Entscheidungen der Beklagten beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Entscheidungen der Beklagten sind
rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Versorgung einer Oberschenkelprothese
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unter Nutzung eines Genium- Kniegelenks zu. Der Anspruch ergibt sich aus §
33 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V).
Die Vorschrift lautet: Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit
Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die
im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu
sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung
auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine
Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34
Abs. 4 ausgeschlossen sind. Die Voraussetzungen dieses
Versorgungsanspruchs sind erfüllt.
Der Versorgungsanspruch des Klägers wird wesentlich dadurch bestimmt, ob
ein unmittelbarer oder mittelbarer Behinderungsausgleich in Rede steht.
Ein unmittelbarer Behinderungsausgleich ist gegeben, wenn der Ausgleich der
ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion selbst erfolgt oder erfolgen
soll. Dies ist insbesondere bei Prothesen, Hörgeräten oder Sehhilfen der Fall.
Im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs gilt das Gebot eines
möglichst weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter
Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen und technischen
Fortschritts (vgl. mit weiteren Verweisen auf die ständige Rechtsprechung des
BSG: Beck in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 33 SGB V, Rn. 33).
Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten
Folgen der Behinderung auszugleichen (sog. mittelbarer
Behinderungsausgleich). In diesem Fall hat die gesetzliche
Krankenversicherung nur für den Basisausgleich einzustehen; es geht dabei
nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit den
letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nicht behinderten Menschen. Ein
Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist von der GKV daher nur
zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten
täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines
Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (stRspr, vgl. zuletzt etwa: BSG,
Urt. v. 03.11.2011, B 3 KR 4/11 R).
Hingegen kann im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleichs die
Versorgung mit einem fortschrittlichen, technisch weiterentwickelten Hilfsmittel
nicht mit der Begründung abgelehnt werden kann, der bisher erreichte
Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der
Behinderung nicht vollständig im Sinne des Gleichziehens mit einem nicht
behinderten Menschen erreicht ist (vgl. BSG, Urt. v. 16.09.2004, B 3 KR 20/04
R).
Vorliegend steht die Versorgung des Klägers mit einer Oberschenkelprothese
unter Verwendung eines neuartigen sensorgesteuerten Kniegelenks des Typs
Genium im Streit. Mit dieser Versorgung sollen die ausgefallenen Funktionen
des verlorenen Beines, insbesondere das Gehen, Laufen und Stehen
ausgeglichen werden, mithin ein unmittelbarer Behinderungsausgleich
geleistet werden.
Dieser im Rahmen des unmittelbaren Behinderungsausgleichs im weiteren
Umfange geschuldete Versorgungsanspruch wird allerdings nicht
schrankenlos gewährt. Vielmehr besteht sowohl beim mittelbaren als auch
beim unmittelbaren Behinderungsausgleich ein Anspruch auf die im Einzelfall
ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung, nicht aber auf
eine Optimalversorgung (statt vieler: BSG, Urt. v. 21.03.2013, B 3 KR 3/12 R).
Die Kammer ist davon überzeugt, dass im Falle des Klägers lediglich die
Versorgung einer Oberschenkelprothese mit einem Genium- Kniegelenk eine
ausreichende und zweckmäßige Versorgung sicherstellt, die auch im Einklang
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mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot steht.
In der Rechtsprechung wurden diesbezüglich in der Vergangenheit Grenzen
des Leistungsanspruchs herausgearbeitet, die im vorliegenden Einzelfall nicht
überschritten sind.
Eine Leistungspflicht der Krankenversicherung ist für solche Innovationen
ausgeschlossen, die nicht die Funktionalität, sondern in erster Linie die
Bequemlichkeit und den Komfort bei der Nutzung des Hilfsmittels betreffen
(BSG, Urt. v. 06.06.2002, B 3 KR 68/01 R). So liegt der Fall hier aber nicht.
Vorliegend sind mit der Nutzung der Oberschenkelprothese unter Verwendung
des Genium- Kniegelenks nicht nur eine Verbesserung der Optik und der
Bequemlichkeit. verbunden.
Die Kammer hat im Falle des Klägers vielmehr wesentliche Gebrauchsvorteile
festgestellt, die durch die Nutzung der Oberschenkelprothese mit Genium-
Kniegelenk ermöglicht werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der
Gebrauchsvorteil immer maßgebend von den körperlichen und geistigen
Voraussetzungen des Prothesenträgers und seiner persönlichen
Lebensgestaltung abhängt (vgl. BSG, Urt. v. 06.06.2002, B 3 KR 68/01 R).
Wesentlich sind die Gebrauchsvorteile des neuartigen Hilfsmittels, wenn sich
die Gebrauchsvorteile allgemein im Alltagsleben auswirken, sich also nicht auf
einen bloß besseren Komfort im Gebrauch oder eine bessere Optik
beschränken (BSG, aaO).
Im Hinblick auf den Kläger hat die Kammer keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass
dieser aus geistigen oder körperlichen Gründen nicht in der Lage ist, die
begehrten Genium- Prothese zu verwenden und anforderungsgemäß zu
nutzen. Die Kammer hat den Kläger zur Fähigkeit der Nutzung des begehrten
Hilfsmittels und zu der stattgehabten Probeversorgung angehört. Darüber
hinaus ergibt sich durch Inaugenscheinnahme der Videodokumentation über
die Probeversorgung ein unmittelbarer Eindruck der Nutzung durch den
Kläger. Der Umstand der Fähigkeit zur Nutzung des begehrten Hilfsmittels wird
im Übrigen auch weder durch die Beklagte noch durch den von ihr
beauftragten MDK in Zweifel gezogen. Vor diesem Hintergrund bedarf es
keiner weiteren Sachverhaltsermittlungen durch die Kammer. Die juristische
Wertung, ob wesentliche Gebrauchsvorteile mit der Nutzung des begehrten
Hilfsmittels verbunden sind, hat einzig die Kammer anzustellen, ohne dass
diese Frage einem Beweismittel zugänglich wäre.
Hinsichtlich seiner persönlichen Lebensgestaltung ergibt sich für die Kammer
das Bild eines körperlich aktiven jungen Menschen, der sich in der Freizeit und
auch beruflich viel körperlich bewegt. So gibt der Kläger an, dass er Strecken
bis zu 4.000 m pro Tag zu Fuß zurücklegt und eine tägliche
Prothesennutzungsdauer von ca. 12 Stunden gegeben ist.
Mit der Nutzung einer Oberschenkelprothese unter Verwendung eines
Genium- Kniegelenks sind nach Überzeugung der Kammer unter
Berücksichtigung der Videodokumentation der vergleichenden Untersuchung
zwischen C-Leg und Genium- Kniegelenk folgende Gebrauchsvorteile
verbunden:
Zunächst ergibt sich eine deutliche Verbesserung des gesamten
Bewegungsablaufs des Klägers. Insbesondere beim schnellen Gehen ist
erkennbar, dass ein weitestgehend natürliches Gangbild erreicht wird,
während bei Nutzung des Vorgängermodells ein Nachziehen der Prothese
erkennbar ist.
Von entscheidender Bedeutung ist für die Kammer des Weiteren, dass das
begehrten Genium- Kniegelenk ein Rückwärtsgehen ermöglicht, welches sich
ganz erheblich an das natürliche Rückwärtsbewegen anlehnt. Die
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vergleichende Videodokumentation macht deutlich, dass das Vorgängermodell
C-Leg lediglich ein „Zurückschleifen“ der Prothese zulässt, während das
Genium- Kniegelenk einen natürlichen rückwärtsgerichteten Abrollvorgang
ermöglicht. Durch das Genium- Kniegelenk wird bewirkt, dass der gesamte
Prothesenfuß angehoben wird und dann zunächst der vordere Bereich des
Prothesenfußes abgesetzt wird und im Anschluss ein
Abrollen bis hin zum Aufsetzen des Fersenbereichs erfolgt. Anders hingegen
das C-Leg. Bei diesem erfolgt kein Anheben des Prothesenfußes mit
anschließendem Absetzen des Fußbereichs, sondern der Fersenbereich bleibt
in unmittelbarer Bodennähe und wird lediglich horizontal nach hinten bewegt.
Es ist ersichtlich, dass damit ein nicht unerhebliches Sturzrisiko vor dem
Hintergrund verbunden ist, dass der Prothesenfuß bei der
Rückwärtsbewegung -auch bereits an niedrigen Kanten- hängenbleiben kann.
Dieses Sturzrisiko wird durch den beschriebenen Bewegungsablaufs des
Genium- Gelenkes wesentlich gemindert. Der Umstand, dass das C-Leg diese
Funktion des Genium- Gelenkes technisch nicht ermöglichen kann, wird
bestätigt durch die medizintechnischen Ausführungen der G. im Schreiben
vom 11.02.2014.
Weitergehend sind Verbesserungen beim Abwärtslaufen auf schrägem
Untergrund erkennbar. Von wesentlicher Bedeutung ist auch in diesem
Zusammenhang, dass das Genium- Kniegelenk eine weitergehende Funktion
im Vergleich zum C-Leg ermöglicht. Das C-Leg bietet keine Standfestigkeit
beim Stehen auf der Prothese auf einer Schräge. Ausweislich der
Videodokumentation „knickt“ das C-Leg bei Durchführung dieser
Nutzungsanforderung ein, während das Genium- Kniegelenk ein Stehen auf
der Prothese auf schrägem Untergrund ermöglicht. Auch mit dieser Funktion
wird ein deutliches Mehr an Sicherheit für den Kläger erreicht. Gerade auch vor
dem Hintergrund der Nutzung der Prothese in seinem beruflichen Umfeld als
Bauhelfer und der damit verbundenen immensen Anforderungen an die
Standsicherheit im Allgemeinen und einer Prothese im Besonderen. Der
Umstand der Ermöglichung des Stehens auf schrägem Untergrund wird auch
durch die Herstellerfirma bestätigt.
Als weiterer elementarer Gebrauchsvorteil ergibt sich für die Kammer, dass
das Genium- Kniegelenk -im Gegensatz zum C-Leg- ein alternierendes
Treppensteigen ermöglicht. Mit diesem Umstand ist eine weitgehende
Angleichung an das natürliche Bewegungsbild verbunden. Außerdem
ermöglicht diese Funktion, dass nicht wie zuvor ein „Heraufwuchten“ der
Prothese im Wege eines einseitig angestrengten unnatürlichen Hüftschwungs
erfolgen muss, sondern eine beidseitige Hüftbewegung erfolgen kann.
Mit diesen Gebrauchsvorteilen geht nicht lediglich die bloße Steigerung des
Gebrauchskomforts einher. Die mit der Nutzung des Genium- Gelenks
verbundenen Vorteile wirken sich vielmehr ganz allgemein im gesamten
Alltagsleben des Klägers aus. Der dem Genium- Kniegelenk innewohnende
medizintechnische Fortschritt ermöglicht auch in der konkreten Anwendung
wesentliche Gebrauchsvorteile für den Kläger.
Auch ergibt sich keine Einschränkung des Leistungsanspruchs des Klägers
vor dem Hintergrund, dass sich der Nutzen des Genium- Kniegelenks lediglich
in Nebenbereichen erschöpfen könnte (siehe zu dieser Einschränkung: BSG,
Urt. v. 24.01.2013, B 3 KR 5/12 R). Nach der genannten Rechtsprechung
kommt die Übernahme eines technisch verbesserten Gerätes dann nicht in
Betracht, wenn sich die Verbesserung lediglich in einzelnen Lebensbereichen
auswirkt, die nicht zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählen (vgl. auch:
BSG, Urt. v. 06.06.2002, B 3 KR 68/01 R). Das begehrte Hilfsmittel hat
vorliegend Auswirkungen auf die gesamte Lebensführung des Klägers, da der
Einsatz der Prothese zum Gehen, Laufen und Stehen erforderlich ist.
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Entgegen der Ansicht der Beklagten ergibt sich eine Einschränkung auch nicht
aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V. Das BSG hat
Einschränkungen des Leistungsanspruchs in Fallgestaltungen für denkbar
gehalten, in denen eine nur geringfügige Verbesserung des
Gebrauchsnutzens einen als unverhältnismäßig einzuschätzenden
Mehraufwand bedeuten würde (BSG, Urt. v. 06.06.2002, B 3 KR 68/01 R). Die
Rechtsprechung will dieses allerdings nur dann gelten lassen, wenn der
zusätzliche Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels im Alltagsleben eher gering, die
dafür anfallenden Kosten im Vergleich zu einem bisher als ausreichend
angesehenen Versorgungsstandard aber als unverhältnismäßig hoch
einzuschätzen sind.
Dieses gilt im vorliegenden Fall gerade nicht. Die Versorgung des Klägers mit
der begehrten Prothese erschöpft sich nicht in nur geringgradigen
Verbesserungen sondern bietet wesentliche Gebrauchsvorteile und bisher
technisch ausgeschlossene Funktionen. Besonderer Berücksichtigung bedarf
zudem, dass im Bereich der hier begehrten Prothesenversorgung der
Kernbereich der mobilitätsbezogenen Lebensführung betroffen ist. Vor diesem
Hintergrund liegt es für die Kammer offen zu Tage, dass die für die Versorgung
des Genium- Kniegelenks aufzuwendenden Mehrkosten bei vergleichender
wertender Betrachtung nicht zu einer Einschränkung des
Versorgungsanspruchs führen können.
Schlussendlich handelt es sich bei der begehrten Oberschenkelprothese
nebst Genium- Kniegelenk weder um einen allgemeinen
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens noch ist diese Versorgung nach
§ 34 Abs. 4 SGB V kraft Verordnung ausgeschlossen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.