Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 14.11.2002

LSG Nsb: rente, psychiatrisches gutachten, psychose, aufenthalt, firma, verkäuferin, arbeitslosigkeit, therapie, niedersachsen, entlassung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 14.11.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 14 RA 190/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 1 RA 246/01
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise we-gen Berufsunfähigkeit (BU), für die
Zeit ab Juni 1999. Dabei geht es zunächst um die Frage, ob die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt
sind.
Die 1948 geborene Klägerin durchlief von April 1963 bis März 1966 eine Ausbil-dung zur Einzelhandelskauffrau.
Anschließend arbeitete sie als Verkäuferin in verschiedenen Arbeitsverhältnissen, zuletzt von Juli 1981 bis Oktober
1992 in Vollzeit bei der Firma I ... In diesem Monat wurde die Klägerin arbeitsunfähig (au) geschrieben und bezog
anschließend bis Februar 1994 Krankengeld, ab März 1994 – nach Arbeitslosmeldung – Arbeitslosengeld.
Am 28. Februar 1994 hatte die Klägerin einen ersten Antrag auf Rente wegen EU bzw BU gestellt. Ärztlicherseits
hatte die Beklagte die Diagnosen:
Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule ohne gravierende Funktions-ausfälle und
Übergewicht
festgestellt. Mit ihrem Bescheid vom 30. März 1995 hatte die Beklagte den Antrag abgelehnt, da das
Leistungsvermögen ausreichend gewesen war, um im bisheri-gen Beruf der Verkäuferin erwerbstätig zu sein. Dem
Bescheid hatte die Beklagte ein Hinweisblatt beigefügt, aus dem die Voraussetzungen hervorgingen, unter de-nen die
Anwartschaft auf eine Rente wegen EU/BU erhalten werden konnte. Der Bescheid vom 30. März 1995 wurde
bestandskräftig.
Bereits parallel zu dem im April 1995 endenden Leistungsbezug seitens der Bun-desanstalt für Arbeit (BA) hatte die
Klägerin im Juli 1994 eine Nebentätigkeit als selbständige Handelsvertreterin für den Allgemeinen Wirtschaftsdienst
(AWD) aufgenommen. Abgesehen von entsprechenden Schulungen bestand die Aufgabe der Klägerin darin,
Versicherungsverträge zu vermitteln.
Im März 1998 war die Klägerin nach einem Autounfall vorübergehend wegen einer Stauchung der Halswirbelsäule und
wegen eines Hörsturzes arbeitsunfähig.
Im September 1998 war die Klägerin in Behandlung in der Sozialpsychiatrischen Poliklinik der Medizinischen
Hochschule J. (MHH). In der späteren ärztlichen Stellungnahme des Dr. K. und der Frau Dr. L. vom 3. September
1999 hieß es, es sei im Jahre 1998 erstmals zur Manifestation einer schizoaffektiven Psychose mit manischer
Auslenkung gekommen. Die Therapie erfolge medikamentös sowie mit stützenden psychotherapeutischen
Gesprächen. In der Zeit vom 22. Oktober bis zum 15. Dezember 1998 wurde die Klägerin in der MHH stationär
behandelt. Auf Anraten der behandelnden Ärzte wurde die Klägerin durch den Beschluss des Amtsgerichts J. vom 29.
Januar 1999 für die Aufgabenkreise "Sorge für die Ge-sundheit” sowie "Vermögenssorge” unter Betreuung gestellt.
Am 4. Juni 1999 stellte die Klägerin bei der Beklagten den zu diesem Verfahren führenden Antrag, ihr Rente wegen
EU, hilfsweise wegen BU zu gewähren. In der Anlage zum Antrag hieß es, EU bzw. BU bestehe seit Oktober 1998 im
Zusam-menhang mit dem beginnenden Aufenthalt in der MHH.
Die Beklagte ließ ein psychiatrisches Gutachten durch Dr. M. erstellen. Der Sach-verständige führte unter dem 4.
Oktober 1999 aus, bei der Untersuchung – am 13. September 1999 – seien psychopathologische Symptome einer
leichten I-deenflucht und einer erheblichen Beeinträchtigung der Konzentration, Auffas-sungsgabe und Merkfähigkeit
festzustellen gewesen. Bei einem nicht immer situ-ationsadäquaten Verhalten, erheblich eingeschränkter
Kritikfähigkeit, flüchtiger und sprunghafter Sprache, einem "noch gepflegten” äußeren Erscheinungsbild und
eingeschränkter sozialer Kontaktfähigkeit sei die psychische Belastbarkeit der Klägerin wesentlich verringert. Es
bestehe ein Zustand nach der in der MHH im Oktober 1998 erstmalig offenbar gewordenen schizo-affektiven
Psychose. Die Klägerin sei gegenwärtig – und auch schon ab der Manifestation in der MHH – nicht in der Lage, einen
Arbeitsplatz auszufüllen. Das werde auch daran deutlich, dass der Alltag der Klägerin seit der Vorstellung in der MHH
nur durch die engma-schige Anbindung an die sozialpsychiatrische Beratungsstelle und durch die Ein-richtung der
Betreuung habe geregelt werden können. Der Beratungsarzt Dr. N. bestätigte daraufhin am 7. Oktober 1999 für die
Beklagte, seit Oktober 1998 bzw seit der von der MHH bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (stationärer Aufenthalt ab
dem 22. Oktober 1998, dauernde Arbeitsunfähigkeitsschreibung ab dem Tag nach der Entlassung, dem 16. Dezember
1998) sei die Klägerin für keine berufliche Tä-tigkeit mehr leistungsfähig.
Die Beklagte knüpfte an diese Feststellungen an und erklärte im Bescheid vom 28. Oktober 1999, die Klägerin sei seit
dem 22. Oktober 1998 eu. Sie lehnte es gleichwohl ab, der Klägerin Rente zu gewähren, weil die letzten fünf Jahre vor
Eintritt des Leistungsfalles, nämlich die Zeit vom 22. Oktober 1993 bis zum 21. Oktober 1998, mit Pflichtbeiträgen für
lediglich 19 Monate – statt der gesetzlich geforderten 36 Monate – belegt waren.
Für die Klägerin erhob deren durch Beschluss des Amtsgerichts (AG) J. vom 29. Januar 1999 bestellter Betreuer (mit
dem Aufgabenkreis Sorge für die Ge-sundheit und Vermögenssorge) Widerspruch und begründete diesen zum Einen
damit, die im Wege des Versorgungsausgleichs übertragenen Rentenanwart-schaften (nach der durch Urteil des AG
O. vom 7. April 1999 geschiedenen Ehe) seien einzubeziehen, zum Anderen seien die Einkünfte in den Jahren 1995
bis 1998 so gering gewesen, dass die Klägerin vor allem wegen Unterstützungsleis-tungen ihrer Eltern Schulden in
Höhe von ca. 26.000,- DM gemacht habe. Die Beklagte wies den Widerspruch durch den Widerspruchsbescheid vom
10. März 2000 zurück. Rentenanwartschaften aus einem Versorgungsausgleich seien keine Zeiten, mit denen die
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen EU oder BU erfüllt werden könnten. Die finanzielle
Situation in den Jahren 1995 bis 1998 spiele keine Rolle.
In dem anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Hannover sind der Bericht der MHH vom 21.
Dezember 1998 über die Erstvorstellung der Kläge-rin am 11. September 1998 und über den stationären Aufenthalt
vom 22. Oktober bis zum 15. Dezember 1998, Auskünfte und das Zeugnis der Firma I., also des Arbeitgebers bis
Februar 1994, die Schwerbehinderten-Akten des Versorgungs-amtes J. sowie – auszugsweise – die Akte des AG J.
über die Betreuerbestellung ebenso beigezogen worden wie der frühere Rentenablehnungsbescheid der Be-klagten
vom 30. März 1995. Weitere Auskünfte erteilten die für die Klägerin zu-ständige Krankenkasse sowie das zuständige
Arbeitsamt.
Das SG hat die Klage durch sein Urteil vom 31. August 2001 abgewiesen. Es hat in den Entscheidungsgründen
ausgeführt, der Leistungsfall sei frühestens im Jah-re 1998 eingetreten, also erst zu einem Zeitpunkt, in dem die
versicherungsrecht-lichen Voraussetzungen für eine vorzeitige Berentung nicht mehr erfüllt gewesen seien.
Medizinischerseits sei für den Leistungsfall an die erstmalige Vorstellung der Klägerin in der sozialpsychiatrischen
Abteilung der MHH im September 1998 anzuknüpfen. Bestätigt werde dies durch die
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und die eigenen Einschätzungen der Klägerin.
Gegen das am 11. Oktober 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 19. Oktober 2001 eingegangene Berufung. Zu
deren Begründung trägt die Klägerin vor, sie sei bereits seit dem Ende der tatsächlichen Beschäftigung bei der Firma
I. ununter-brochen au und damit auch bu bzw eu gewesen. In diesem Sinne habe der Medi-zinische Dienst der
Krankenversicherung (MDK) in seinem Gutachten vom 10. September 1993 erklärt, angesichts der Resistenz
gegenüber den Therapie-versuchen bei der rechtsseitigen Lumboischialgie sei eine "Berentung auf Zeit zu
diskutieren”. Aus der vom 19. Juli bis zum 23. August 1994 durchgeführten Reha-Maßnahme in den P. sei sie
ebenfalls als weiterhin au entlassen worden. Schließ-lich habe es das SG u.a. unterlassen, den bereits seit 1983
behandelnden Haus-arzt Q. zu hören.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 31. August 2001 so-wie den Bescheid der Beklagten vom 28. Oktober
1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2000 aufzuheben und
2. die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, auf der
Grundlage eines spätestens im Mai 1997 eingetretenen Leistungsfalles für die Zeit ab dem 1. Juni 1999 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat den Sachverhalt weiter aufgeklärt und Befundberichte des Dr. R. vom 11. Juli 2002 und des Hausarztes
Q. vom 23. Juli 2002 eingeholt – letzteren nebst Anlagen über Arzt- und Krankenhauskontakte seit Januar 1992. Der
AWD hat Übersichten über die von der Klägerin als Handelsvertreterin vermittelten Ver-sicherungsverträge und über
die Provisionszahlungen an die Klägerin zu den Ak-ten gereicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Pro-zessakten, die Rentenakten der
Beklagten, die Schwerbehinderten-Akten des Versorgungsamtes J. und die Auszüge aus der Akte des Amtsgerichts
J. über die Betreuerbestellung verwiesen. Die Akten haben dem Senat vorgelegen und sind Gegenstand der
mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143 f Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden
und somit zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.
Die Beklagte und das SG haben zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen EU bzw
wegen BU hat, weil der Leistungsfall nicht bis Mai 1997 – sondern erst später – eingetreten ist und weil für diesen
späteren Leistungsfall die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
Das SG ist zutreffend von den Regelungen der §§ 43, 44 Sozialgesetzbuch (SGB) VI in der zur Zeit der
Antragstellung und bis zum 31. Dezember 2000 gülti-gen Fassung ausgegangen. Es hat das Tatbestandsmerkmal der
sogenannten Drei-Fünftel-Belegung (besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung) richtig als nicht erfüllt
angesehen. Der Leistungsfall hätte deshalb spätestens im Mai 1997 eingetreten sein müssen, weil nur dann noch drei
Jahre mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit, wozu auch die im Falle der Klä-gerin bis
April 1995 reichende Zeit der Arbeitslosigkeit mit Leistungsbezug zählt, §§ 3 Satz 1 Nr 3, 55 Abs 2 Nr 3 SGB VI, in
dem maßgeblichen Zeitraum der letz-ten fünf Jahre liegen. Die Klägerin hat es versäumt, ihr nur bis April 1995
belegtes Versicherungskonto durch Zahlung freiwilliger Beiträge aufzufüllen und so die An-wartschaft auf
Versichertenrente aufrecht zu erhalten.
Der Senat kann nicht mit der für eine Verurteilung der Beklagten erforderlichen Sicherheit feststellen, dass die
Klägerin spätestens im Mai 1997 bu oder eu ge-wesen ist. Dabei war das Anforderungsprofil einer leichten
körperlichen Arbeit im Wechsel der Haltungsarten zu Grunde zu legen. Denn die Klägerin musste sich als gelernte
Einzelhandelskauffrau und langjährig berufstätige Verkäuferin auf die Tätigkeit der Kassiererin an einer Sammelkasse
verweisen lassen (vgl dazu Urteil des Senats vom 28. April 1994, Az: L 1 An 144/93, bestätigt durch BSG SozR 3-
2600 § 43 SGB VI Nr 13, sowie Urteil des Senats vom 13. Dezember 2001, Az: L 1 RA 144/01). Da auch im
sozialgerichtlichen Verfahren der Grundsatz der objek-tiven Beweislast gilt, hat die Klägerin als Anspruchstellerin den
Nachteil daraus zu tragen, dass sich der Senat keine hinreichende Überzeugung davon bilden konn-te, dass der
sozialmedizinische Tatbestand bereits im Mai 1997 erfüllt war (vgl zur Beweis- und Feststellungslast sowie zu den
Anforderungen an die Überzeu-gungsbildung des Gerichts: Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 7. Auflage, § 128
SGG Rdnr 3 mwN).
Der Senat schließt sich auch in der Würdigung der Krankheitsgeschichte der Klä-gerin und der Zuordnung zur
biographischen Entwicklung den Ausführungen des SG an. Zur Vermeidung nicht gebotener Wiederholungen verweist
er darauf und sieht von einer eigenen Darstellung ab, § 153 Abs 2 SGG. Nur ergänzend und unter Einbeziehung der im
Berufungsverfahren angestellten Ermittlungen ist auf folgendes hinzuweisen:
Die Klägerin kann nicht mit Erfolg geltend machen, bereits seit Ende der Tätigkeit für die Firma I. durchgehend au
gewesen zu sein. Zunächst bezieht sich die Au lediglich auf den letzten Arbeitsplatz bzw Berufsbereich und bezieht
nicht die Ver-weisungsbreite der BU mit ein. Darüber hinaus muss es sich bei der BU bzw EU jeweils um einen
Dauerzustand handeln. Gerade dies ist für die Zeit seit Erlass des Bescheides vom 30. März 1995 völlig ungewiss.
So hieß es bereits im Entlas-sungsbericht vom 27. September 1994 nach dem Reha-Aufenthalt in den S., die Klägerin
sei in der Lage, leichte Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über 15
kg sowie ohne häufiges Bücken vollschichtig auszuüben. Die Dauer der gegenwärtig bestehenden AU sei vom Befund
der Lendenwirbelsäule abhängig. Diesbezüglich werde empfohlen, ambu-lante Behandlungen sowie stabilisierende und
mobilisierende Krankengymnastik fortzuführen und das Gewicht weiter zu reduzieren (damals 90 kg bei einer Kör-
pergröße von 168 cm). Die Aufnahmediagnose der S. und die Leistungsbeurtei-lung bei Entlassung stellen sich dabei
als vorläufiger Abschluss des Krankheits-geschehens dar, das mit der AU-Schreibung im Jahre 1992 und den
nachfolgen-den Aufenthalten im Kreiskrankenhaus T. vom 9. Oktober bis zum 20. November 1992 (Bericht vom 18.
Dezember 1992) und vom 22. Februar bis zum 2. April 1993 im Neuro-Orthopädischen Krankenhaus im Reha-Zentrum
O. (Bericht vom 3. Mai 1993) begonnen hatte.
Ausgehend von dem durch die S. festgestellten vollschichtigen Leistungsvermö-gen ist für die Folgezeit bis Mai 1997
keine Verschlechterung des Gesundheitszu-standes erkennbar, die zur Rentenberechtigung hätte führen können.
Vielmehr ist vor allem aus den Befundberichten und gutachtlichen Stellungnahmen, die zu den Schwerbehinderten-
Akten gelangten, zu entnehmen, dass der 1992 bis 1994 ma-nifestierte Leidenszustand mit dem eindeutigen
Schwerpunkt auf orthopädischem Gebiet bis einschließlich 1997 im wesentlichen unverändert fortbestand. Für die Zeit
seit dem 29. August 1992, dem Zeitpunkt, für den die Klägerin erstmals "nach dem Bücken plötzliche starke
Schmerzen im Lumbalbereich mit Ausstrahlung und Kribbelgefühl im Bereich des dorso-lateralen Oberschenkels,
Unterschenkels und der Fußaußenkante” angab (Bericht des Kreiskrankenhauses (Winsen) vom 18. Dezember 1992),
erkannte das Versorgungsamt U. einen Gesamt-Grad der Behinderung (GdB) von 30 zu. Die Behinderungen wurden
mit "Minderbelastbar-keit der Wirbelsäule” sowie "Bandscheibenschaden” bezeichnet. Die von der Klä-gerin im Übrigen
geltend gemachten Leiden (HWS-Schaden sowie Taubheit rechtes Ohr) bedingten demgegenüber keinen messbaren
GdB. In den gutachtli-chen Stellungnahmen vom 31. Juli 1995, vom 12. Dezember 1997 sowie vom 7. Januar 1998
wurde der GdB von 30 fortgeschrieben, jeweils aufgrund der identi-schen Diagnosen Minderbelastbarkeit der
Wirbelsäule und Bandscheibenscha-den. Es hieß jeweils, im Krankheitsbild sei keine wesentliche Änderung eingetre-
ten. So hatte es auch der behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin Q. in seinen Befundberichten vom 6. Juli 1995 und
vom 8. Dezember 1997 gesehen.
Für die grundsätzlich zur Erwerbsminderungsrente berechtigende Leistungsbe-einträchtigung war erst die im Jahre
1998 einsetzende psychotische Entwicklung verantwortlich – zu einer Zeit , in der die versicherungsrechtlichen
Voraussetzun-gen nicht mehr erfüllt waren. Da es auf das leistungseinschränkende Ausmaß der schizoaffektiven
Psychose ankam, war es nicht von Bedeutung, dass die Ent-wicklung bereits mit einer sexuellen Traumatisierung
durch den Vater in der Kind-heit angelegt war (so der Gutachter Dr. M.). In der ärztlichen Stellungnahme der MHH vom
3. September 1999 ist ausdrücklich angesprochen, die Psychose sei erst 1998 manifest geworden. Das Gutachten
des Dr. M. vom 4. Oktober 1999 stimmt mit dieser Beurteilung überein. Dr. M. erwähnte als lebensgeschichtlichen
Aspekt und Mitauslöser für das psychische Geschehen die seit Februar 1998 er-folgte Trennung vom Ehemann. Dass
die Psychose später ein Ausmaß erreichte, mit dem die Klägerin unter Betreuung gestellt wurde, besagt nichts
darüber, wie sich die Entwicklung bis Mai 1997 darstellte.
Mittelbar spricht auch die Krankschreibung durch Dr. V. im April 1998 nach Auto-unfall mit HWS-Schleudertrauma
sowie Hör- und Gleichgewichtsstörungen gegen die Annahme eines früher liegenden Eintritts der psychotischen
Entwicklung nebst entsprechender rentenberechtigender Leistungseinschränkung. Denn Dr. V. schrieb die Klägerin
lediglich bis zum 9. April 1998 arbeitsunfähig krank und er-wähnte keinen psychischen Befund.
Bei alledem kam es nicht mehr darauf an, dass die geschilderte medizinische Entwicklung auch in den ersten –
unvoreingenommenen – eigenen Angaben der Klägerin Bestätigung fand. Die Klägerin hielt sich im (zweiten)
Rentenantrag vom 4. Juni 1999 für – erst – aufgrund der am 22. Oktober 1998 eingetretenen Ar-beitsunfähigkeit eu
bzw bu. Diese Einschätzung wurde nochmals durch den ge-richtlich bestellten Betreuer am 7. Dezember 2000
bekräftigt. Die ärztlichen Be-handlungen, die die Klägerin in ihrem Rentenantrag vom 6. Juni 1999 als grundle-gend für
ihre Leistungseinschränkungen nannte, reichen ebenfalls nur bis März/April 1998 zurück. In diesen Monaten kam es
zu dem – bereits erwähnten – Autounfall (am 3. März 1998) mit HWS-Stauchung und Hörsturz sowie der Viel-zahl von
Vorstellungen bei Dr. V. (vgl ärztliche Bescheinigung vom 10. April 2000).
Das berufliche Leistungsvermögen ist bei alledem ohne Rücksicht auf die selb-ständige Tätigkeit der Klägerin für den
AWD in den Jahren 1994 bis 1999 beurteilt worden. Unerheblich war deshalb auch, dass die Klägerin ihre Tätigkeit
nicht als Indiz für ihre Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt oder in der Verweisungstätigkeit einer
Kassiererin an einer Sammelkasse gewertet wissen will. Nur ergänzend war allerdings aus den Ermittlungen des
Senats darauf hinzu-weisen, dass die selbständige Tätigkeit nicht – wie im Schriftsatz vom 28. Mai 2002 vorgetragen
– bereits Mitte 1995 eingestellt wurde. Vielmehr bestätigte der AWD unter dem 29. Oktober 2002, die Klägerin habe in
den Jahren 1996 bis 1998 noch 40,35 bzw 7 Geschäfte vermittelt.
Nicht weiter eingegangen ist der Senat auf den der Berufung möglicherweise zu-sätzlich entgegenstehenden
Umstand, dass der erste Rentenanlehnungsbescheid vom 30. März 1995 – bis zu einer wesentlichen Änderung der
Verhältnisse – Be-standskraft entfaltete.
Schließlich verspricht der Rechtsstreit auch unter dem Gesichtspunkt des sozial-rechtlichen Herstellungsanspruchs
keinen Erfolg zugunsten der Klägerin. Soweit die Klägerin darauf abstellt, mit dem Ende ihrer Arbeitslosigkeit am 29.
April 1995 und dem Ende ihres Kontaktes zu dem Arbeitsamt W. habe sie darauf hingewie-sen werden müssen,
freiwillige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten, sind die Ermittlungen des SG bei der
Arbeitsverwaltung fruchtlos geb-leiben. Abgesehen davon muss sich die Klägerin jedoch die Information der Be-
klagten im Ablehnungsbescheid vom 30. März 1995 entgegenhalten lassen, wo-nach "wegen der
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine EU- bzw. BU-Rente” auf das dem Bescheid beigefügte
Hinweisblatt verwiesen wurde.
Die Klägerin kann nicht mit Erfolg geltend machen (so aber im Schriftsatz vom 18. Februar 2002), die behandelnden
Ärzte Q., Dr. V. sowie Dr. R. seien nicht ge-hört worden. Das Gegenteil ist der Fall. Die in den Schwerbehinderten-
Akten ent-haltenen Befundberichte des Arztes für Allgemeinmedizin Q. aus den Jahren 1993 bis 1998 sind bereits
zitiert worden. Von Dr. V. finden sich in den Schwerbehin-derten-Akten Bescheinigungen vom 2. April 1993 sowie vom
8. Januar 1999, au-ßerdem der Befundbericht vom 15. Juni 1999. Auch Dr. R. äußerte sich mit sei-nem Bericht vom
15. Februar 1993 bereits im Schwerbehinderten-Verfahren. Sei-ne Angabe über ein chronisches Schmerzsyndrom bei
im Vordergrund stehenden LWS-Beschwerden fügt sich in den Rahmen der oben erörterten und im wesentli-chen über
den Zeitraum von 1992 an unverändert gebliebenen orthopädischen Beeinträchtigungen. Schließlich hat der Senat von
den Ärzten Q. und Dr. R. nochmals Befundberichte und medizinische Unterlagen erhalten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat kein gesetzlicher Grund vorgelegen, die Revision zuzulassen, § 160 Abs 2 SGG.