Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.04.2003

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 30.04.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 20 SB 253/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 13 B 36/02 SB
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 17. April 2002 wird
zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Streitig ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die 1. Instanz. Die Klägerin wendet sich in der
Hauptsache gegen einen Bescheid der Beklagten vom 14. März 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 4. Juli 2000, mit denen bei ihr aufgrund einer geistigen Entwicklungsstörung und einer Wirbelsäulenverformung
ein Grad der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) bzw. Sozialgesetzbuch Neuntes Buch
(SGB IX) von 70 ab 1987 festgestellt worden ist. Die Klägerin begehrt die Feststellung eines GdB von 100
rückwirkend ab dem Zeitpunkt ihrer Geburt (1980).
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses vom 17. April 2002
(unter I.) Bezug genommen. Nach Beiziehung eines Befundberichts des behandelnden Internisten, eines für das
Amtsgericht (AG) Bremerhaven erstellten nervenärztlichen Gutachtens und der Protokolle über eine im
Zentralkrankenhaus (ZKH) St.-Jürgen-Straße, Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, durchgeführte
Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten der Klägerin hat das SG die Gewährung von PKH und Beiordnung von
Rechtsanwältin F. für die Zeit bis zur Beendigung des Mandats abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die
Klage biete keine Aussicht auf Erfolg. Soweit die Feststellung eines GdB auch für die Zeit vom 15. Oktober 1980 bis
einschließlich 1986 geltend gemacht werde, sei die Klage mangels eines erkennbaren Rechtsschutzbedürfnisses
unzulässig. Die Klägerin habe weder dargelegt noch sei sonst erkennbar, dass für die Zeit vor 1987 z. B.
Steuervergünstigungen oder Leistungen wegen Pflegebedürftigkeit mit Erfolg geltend gemacht werden könnten. Soweit
die Klägerin die Feststellung eines höheren GdB geltend mache, sei die Klage zwar zulässig, allerdings unbegründet.
Nach Auswertung sämtlicher vorliegender Unterlagen sei nicht erkennbar, dass die bei ihr bestehende partielle
Trisomie 21 zu Funktionsbeeinträchtigungen führe, die den Ansatz eines höheren GdB als 70 rechtfertigten.
Insbesondere könne nicht davon ausgegangen werden, dass bei der Klägerin ein schwerer Intelligenzmangel mit stark
eingeengter Bildungsfähigkeit, erheblichen Mängeln im Spracherwerb bzw. einem Intelligenzrückstand entsprechend
einen IQ unter 60 gegeben sei. Dieses sei allerdings Voraussetzung für die Feststellung eines Einzel-GdB von 80
oder 90. Ebenso wenig sei den vorliegenden Befundunterlagen zu entnehmen, dass das bei der Klägerin bestehende
Wirbelsäulenleiden einen höheren Einzel-GdB als 10 bedinge oder die Schilddrüsenunterfunktion den Ansatz eines
Einzel-GdB von mindestens 10 rechtfertige.
Der PKH-Beschluss ist der Klägerin am 26. April 2002 zugestellt worden. Nachdem ihr das SG mit Verfügung vom 6.
Juni 2002 mitgeteilt hatte, dass eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid beabsichtigt sei, ist ein Schriftsatz der
Klägerin vom 20. Juni 2002 eingegangen. Darin heißt es bezugnehmend auf eine Beschwerde vom 13. Mai 2002,
dass eine weitere Begründung erst nach Gewährung von Akteneinsicht möglich sei. Auf Hinweis des Gerichts hat die
Klägerin sodann einen Beschwerdeschriftsatz vom 13. Mai 2002 vorgelegt und mitgeteilt, dass sie diesen am 14. Mai
2002 mit »normaler« Post an das Gericht gesandt habe.
Das SG hat der Beschwerde nicht abgeholfen, da diese verfristet sei und Wiedereinsetzungsgründe nicht vorlägen.
Die Klägerin beanstandet, dass der angefochtene Beschluss erlassen worden sei, ohne dass ihr rechtliches Gehör
gewährt worden sei. Noch im Januar 2002 sei mitgeteilt worden, dass eine mündliche Verhandlung anberaumt werden
solle. Hinsichtlich der versäumten Beschwerdefrist beantragt die Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Sie legt eidesstattliche Versicherungen ihres Prozessbevollmächtigten und dessen Ehefrau vom 18. September 2002
und 30. März 2003 vor, wonach die Beschwerdeschrift am 14. Mai 2002 beim Postamt 1 in Bremerhaven eingeworfen
worden ist.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
den Beschluss des SG Bremen vom 17. April 2002 aufzuheben und ihr PKH unter Beiordnung von Rechts- anwältin F.
für die Zeit bis zur Mandatsbe- endigung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Prozessakte – L 13 SB 36/02 (S 20 SB 253/00) – und die
Schwerbehindertenakte der Beklagten - Antr.List.Nr. 16120366 - Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.
Soweit die Beschwerde gegen den Beschluss vom 17. April 2002 nicht innerhalb der Monatsfrist des § 173 Abs. 1
Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bei Gericht eingegangen ist, ist der Klägerin nach § 67 Abs. 1 SGG
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn sie hat glaubhaft gemacht, dass die Beschwerdeschrift
am 14. Mai 2002 – und damit rechtzeitig – beim Postamt 1 in Bremerhaven eingeworfen worden ist. Da der Brief
offenbar verloren gegangen ist, hat die Klägerin die Beschwerdefrist ohne ihr Verschulden versäumt.
Die Beschwerde ist allerdings in der Sache nicht begründet. Das SG hat nach durchgeführter Sachverhaltsaufklärung
(§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 118 Abs. 2 Satz 2 Zivilprozessordnung – ZPO –) die Gewährung von PKH zu Recht
abgelehnt, da die Klage keine Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO). Zur
Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird in entsprechender Anwendung des § 153 Abs. 2 SGG auf die zutreffenden
Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss (unter II.) Bezug genommen, zumal die Klägerin gegen diese keine
konkreten Einwände erhoben hat. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die vom SG genannten Voraussetzungen
für die begehrte Feststellung eines höheren GdB sich aus den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im
sozialen Entschädigungsrecht und nach dem SchwbG, Ausgabe 1996, ergeben und diese sowohl von den
Versorgungsämtern als auch von den Gerichten bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen sind.
Soweit die Klägerin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend macht, ist im Hinblick auf ihr diesbezügliches
Vorbringen zur Klarstellung darauf hinzuweisen, dass mit dem angefochtenen Beschluss nach summarischer Prüfung
der Erfolgsaussichten die Gewährung von PKH für die beabsichtigte Rechtsverfolgung abgelehnt worden ist. Über den
in der Hauptsache geltend gemachten Anspruch ist noch nicht entschieden worden. Eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs im Zusammenhang mit dem Erlass des PKH-Beschlusses vom 17. April 2002 ist nicht erkennbar.
Entscheidungen im Verfahren über die PKH ergehen ohne mündliche Verhandlung (§ 73a Abs. 1. S. 1 SGG i.V.m. §
127 Abs. 1 S. 1 ZPO). Die Klägerin hatte vor Erlass des Beschlusses Gelegenheit, sich zu allen für die Entscheidung
erheblichen Tatsachen zu äußern. Insbesondere sind ihrer damaligen Prozessbevollmächtigten, deren Handeln die
Klägerin sich zurechnen lassen muss (§ 73 Abs. 4 SGG i.V.m. § 85 Abs. 1 S. 1 ZPO), die im Gerichtsverfahren
beigezogenen medizinischen Unterlagen und die hierzu von der Beklagten vorgelegte versorgungsärztliche
Stellungnahme vom 9. November 2001 zur Kenntnis- und Stellungnahme übersandt worden.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).