Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 18.05.2009

LSG Nsb: leistungsbezug, darlehen, eigentumswohnung, niedersachsen, unterkunftskosten, firma, senkung, erwerb, link, zustand

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 18.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 37 AS 504/09 ER
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 9 AS 529/09 B ER
Der Beschluss des Sozialgerichtes Hildesheim vom 15. April 2009 wird geändert.
Die Beschwerdegegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Beschwerdeführer existenz-
sichernde Leistungen für den Zeitraum von März 2009 bis einschließlich November 2009 unter Berücksichtigung von
notwendigen Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 595,28 Euro zu bewilligen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im einstweiligen Anordnungsverfahren um die Höhe der zu berücksichtigenden Kosten der
Unterkunft bei der Berechnung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen
nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) -.
Der 1957 geborene Beschwerdeführer, der ausgebildeter Kfz-Mechaniker ist, steht seit September 2005 wiederholt im
- teilweise ergänzenden - Bezug von Grundsicherungsleistungen bei der Beschwerdegegnerin. Er bewohnt eine
Eigentumswohnung im C. Weg 39 in D. im Landkreis E ... Für den Erwerb und die Renovierung dieser Wohnung hat
der Beschwerdeführer zwei Darlehen bei der Sparkasse D. zu bedienen (Kto.: sowie Kto.:).
Im Verlauf des Hilfefalls bezog der Beschwerdeführer immer wieder ergänzendes Einkommen bzw. schied aus dem
Hilfebezug aus, da er bei der Firma F. -Autokrane in G. beschäftigt war. Zuletzt schied er zum Ende des Monats Juli
2007 aus dem Leistungsbezug aus.
Mit Schreiben vom 30. Januar 2007 wies die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer darauf hin, seine Kosten der
Unterkunft (KdU) seien unangemessen hoch. Sie gab ihm auf, sich um eine Senkung der Unterkunftskosten zu
bemühen und ihr diese Bemühungen nachzuweisen. Für den Fall, dass dies nicht geschehe kündigte die
Beschwerdegegnerin an, sie werde nur noch die angemessenen KdU als notwendig anerkennen.
Am 24. Februar 2009 beantragte der Beschwerdeführer, ihm wieder Leistungen nach dem SGB II zu bewilligen. Seine
Tätigkeit bei der Firma F. -Autokrane hatte erneut mit Ende Januar 2009 geendet. Da er im Jahr 2008 bereits
Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III) - bezogen hatte, stand ihm nach
Ende seiner Tätigkeit kein erneuter Anspruch auf Arbeitslosengeld I (ALG I) mehr zu (Bescheid der Bundesagentur für
Arbeit vom 20. März 2008 ist = Bl. 276 des Verwaltungsvorgangs sowie Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom
11. Februar 2009 ist = Bl. 274 des Verwaltungsvorgangs).
Die Beschwerdegegnerin bewilligte dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 26. Februar 2009 für die Zeit von März
bis August 2009 monatliche Grundsicherungsleistungen in Höhe von 713,87 Euro. Dabei ging sie davon aus, es seien
KdU in Höhe von 357,87 Euro monatlich zu berücksichtigen. Zur Begründung wies sie darauf hin, der
Beschwerdeführer sei bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen worden, dass lediglich angemessene KdU zu
übernehmen seien. Daher seien nunmehr nicht mehr seine tatsächlichen KdU, sondern nur noch die von der
Beschwerdegegnerin für angemessen gehaltenen KdU als grundsicherungsrechtlicher Bedarf zu berücksichtigen.
Den Widerspruch des Beschwerdeführers wies die Beschwerdegegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 05. März
2009 zurück.
Der Beschwerdeführer hat am 23. März 2009 bei dem Sozialgericht (SG) Hildesheim die Gewährung einstweiligen
Rechtsschutzes beantragt und Klage erhoben. Das SG hat die Beschwerdegegnerin mit Beschluss vom 15. April
2009 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, für den Zeitraum von März bis August 2009 bei der
Berechnung des Anspruchs des Beschwerdeführers KdU in Höhe von monatlich 445,02 Euro zu berücksichtigen. Zur
Begründung hat das SG im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass nicht die tatsächlichen KdU zu berücksichtigen
seien. Vielmehr sei für die Zwecke des einstweiligen Anordnungsverfahrens von den angemessenen Kosten, wie sie
sich aus der Heranziehung der Wohngeldtabelle ergäben, auszugehen. Der Beschwerdeführer sei zutreffend von der
Beschwerdegegnerin auf die Unangemessenheit seiner KdU hingewiesen worden und habe keinerlei Bemühungen zur
Senkung seiner KdU nachgewiesen. Daher sei die Beschwerdegegnerin berechtigt gewesen, auf die angemessenen
Kosten zu reduzieren, was diese nach Auffassung des SG indessen nicht ganz zutreffend getan habe.
Gegen den am 17. April 2009 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 28. April 2009 Beschwerde
eingelegt. Er ist nach wie vor der Auffassung, es seien die tatsächlich anfallenden KdU in voller Höhe zu übernehmen,
da diese für ihn nicht vermeidbar seien.
Die Beschwerdegegnerin ist dem entgegengetreten.
II.
Die Beschwerde ist in Anwendung von § 172 Abs. 3 Nr. 1 iVm § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, da der
Unterschiedsbetrag zwischen den vom Beschwerdeführer geltend gemachten KdU und dem vom SG zugesprochenen
Wert über einen zugrunde zu legenden Zeitraum von 6 Monaten die Beschwerdesumme von 750,- Euro überschreitet.
Die Beschwerde ist auch begründet. Der Beschwerdeführer hat einen über den Ausspruch des SG hinausgehenden
Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Anwendung von § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG glaubhaft gemacht.
Im Hinblick auf den glaubhaft zu machenden Anordnungsgrund (die Eilbedürftigkeit der Sache) nimmt der Senat zur
Vermeidung von Wiederholungen in Anwendung von § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug auf die zutreffenden und nicht
ergänzungsbedürftigen Ausführungen des SG in seinem angefochtenen Beschluss vom 15. April 2009.
Im Hinblick auf den vom Beschwerdeführer glaubhaft zu machenden Anordnungsanspruch kommt der Senat nach der
im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung zu dem Ergebnis, dass der
Beschwerdeführer einen Anspruch auf Berücksichtigung der derzeit anfallenden tatsächlichen KdU nach § 22 Abs. 1
Satz 1 SGB II glaubhaft gemacht hat. Auch insoweit nimmt der Senat zunächst Bezug auf die grundsätzlich
zutreffenden, ausführlichen Erwägungen des SG in seinem angefochtenen Beschluss vom 15. April 2009. Das SG hat
darin die höchstrichterliche Rechtssprechung zu der Frage, ab wann nur noch die angemessenen KdU zu
berücksichtigen sind, zutreffend zitiert.
In der vorliegenden Konstellation ist indessen weiter zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer vor seinem
erneuten Antrag auf Grundsicherungsleistungen vom 24. Februar 2009 mehr als ein Jahr nicht im Bezug von
Grundsicherungsleistungen gestanden hat. Der Senat geht in seiner ständigen Rechtssprechung aber davon aus,
dass in einem derartigen Fall dem Leistungsempfänger nicht die Wirkung einer mehr als ein Jahr in der Vergangenheit
liegenden Kostensenkungsaufforderung im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II entgegen gehalten werden kann. Der
Senat hat hierzu in seinem Beschluss vom 18. April 2007 (Az: L 9 AS 141/07 ER;) ausgeführt, § 22 Abs. 1 Satz 3
SGB II enthalte keine Fristenregelung, sondern lediglich eine Zumutbarkeitsregelung, die verhindern solle, dass der
Leistungsberechtigte gegebenenfalls bei der Eintritt der Hilfebedürftigkeit gezwungen sei, seine bisherige Wohnung
aufzugeben. Schutzbedürftig seien insoweit insbesondere Personen, die beim erstmaligen Eintritt der
Hilfebedürftigkeit bereits in einer unangemessenen Wohnung leben bzw. bei denen die Unterkunftskosten während des
Leistungsbezuges - z. B. durch eine Mieterhöhung unangemessen werden würden. Sei ein Leistungsbezieher bereits
bei vorangegangenem nahtlosen Bezug von Sozialhilfe durch den früheren Sozialleistungsträger auf die
unangemessen Kosten aufmerksam gemacht wurden, so sei damit dem Schutzzweck des § 22 Abs. 1 Satz 3 genüge
getan. Eine erneute "Schonfrist" entspreche dann nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, worauf auch das SG
bereits zutreffend hingewiesen hat (vgl. auch erneut BSG, Urteil vom 7. November 2006, B 7 b 10/06 R = SozR 4-
4200, § 22 Nr 2 Rn 23; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 22 Rn 60a).
Einer solchen Warnfunktion kann dieser vorherige Hinweis indessen nicht genügen, wenn - wie hier - ein ganz
beträchtlicher Zeitraum - länger als ein Jahr bei unbefristetem Arbeitsverhältnis - zwischen dem Ausscheiden aus dem
Leistungsbezug und dem erneuten Eintritt in den Leistungsbezug liegt. Wenn Leistungsbezieher - wie hier - bis
unmittelbar vor Eintritt in den Leistungsbezug gearbeitet haben und von den Erträgen aus ihrer Arbeit auch die -wie
hier- unangemessen hohen KdU bestreiten konnten, so ist ihnen daher ein erneuter Zeitraum einzuräumen, um ihre
unangemessenen KdU abzusenken. In der Zeit, in der sie nicht im Leistungsbezug standen, waren sie nämlich nicht
(mehr) veranlasst, ihre KdU zu senken. Für den dann anschließenden Zeitraum ist dann in Anwendung der Grundregel
in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II erneut der tatsächliche Bedarf an KdU in Ansatz zu bringen (neben dem bereits
erwähnten Senatsbeschluss vgl. auch Beschluss vom 9. Oktober 2007, L 9 AS 461/07; zustimmend Lauterbach in
Gagel, Kommentar zum SGB III und zum SGB II, § 22 SGB II Rn 57; Frank in Hohm (Hrsg.), GK SGB II, § 22 Rn
51).
Hierbei waren indessen - worauf auch das SG bereits zutreffend hingewiesen hat - die Tilgungsleistungen für die
Darlehen in Bezug auf Eigentumswohnung des Beschwerdeführers in Abzug zu bringen. Hieraus errechnet sich der im
Tenor ausgewiesene Betrag für monatliche KdU.
Soweit die Beschwerdegegnerin im Schriftsatz vom 11. Mai 2009 darauf hingewiesen hat, es sei unklar, ob die
Darlehen, die der Beschwerdeführer zu bedienen habe, tatsächlich im Zusammenhang mit dem Erwerb des Eigentums
an der Wohnung stehen, wird dies im Hauptsacheverfahren aufzuklären sein. Der Beschwerdeführer hat dem
Berichterstatter fernmündlich mitgeteilt, das zweite Darlehen sei zur Renovierung der im schlechten Zustand
befindlichen Wohnung aufgenommen worden. Dies wird der Beschwerdeführer im durchzuführenden
Hauptsacheverfahren nachzuweisen haben.
Der Senat sieht sich allerdings angesichts des Vortrags des Beschwerdeführers veranlasst, in aller Deutlichkeit darauf
hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer nach Ablauf der ihm vom Senat eingeräumten Frist zur Absenkung seiner
KdU keinen Anspruch mehr auf die Übernahme seiner tatsächlichen KdU haben wird, wenn er nicht nachweist, dass
es ihm nicht gelungen sei, seine KdU zu senken - gegebenenfalls auch durch den Verkauf seiner Eigentumswohnung.
Die dem Beschwerdeführer dann zu gewährenden KdU werden - wie das SG ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - auf
das angemessene Niveau zurückzuführen sein. Auch der Senat geht für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
nach wie vor von der Anwendung der Wohngeldtabelle - in Zukunft allerdings von der Anwendung des neuen
Wohngeldrechts - aus (§ 12 Wohngeldgesetz in der Fassung des Gesetzes vom 24. September 2008, BGBl I 1856
iVm der Anlage zu § 1 Abs. 3 der Wohngeldverordnung im Stand der Änderungsverordnung vom 15. Dezember 2008,
BGBL I 2486). Danach ist D. nunmehr der Mietenstufe II zuzuordnen, was für Ein-Personen-Haushalte - wie den des
Beschwerdeführers - zur Folge hat, dass lediglich 308,- Euro KdU zuzüglich der Heizkosten in Ansatz zu bringen sein
werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 SGG.
Der Beschluss ist in Anwendung von § 177 SGG unanfechtbar.