Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 11.12.2008

LSG Nsb: grundsatz der perpetuatio fori, örtliche zuständigkeit, niedersachsen, bindungswirkung, prozessökonomie, gleichstellung, bezirk, behinderter, krankenkasse, gerichtsverfassungsgesetz

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 11.12.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 6 KR 79/07
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 B 54/08 KR
Es wird bestimmt, dass das Sozialgericht Oldenburg das zuständige Gericht ist.
Gründe:
I.
Der Beschluss betrifft die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Klägerin betreibt ein Klinikum. Sie begehrt von der Beklagten die Vergütung für die Behandlung einer Versicherten
der Beklagten.
Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2007 – eingegangen am 19. Februar 2007 - hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht
(SG) Oldenburg erhoben. Das SG Oldenburg hat sich mit Beschluss vom 2. Juli 2008 für örtlich unzuständig erklärt
und den Rechtsstreit an das SG Hannover verwiesen. Dieses hält sich ebenfalls für örtlich unzuständig und hat das
Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen zur Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts angerufen
(Beschluss des SG Hannover vom 1. September 2008).
II.
Die Anrufung des LSG Niedersachsen-Bremen zur Bestimmung des für den Rechtsstreit örtlich zuständigen SG ist
nach § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG zulässig. Die Voraussetzungen des § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGG liegen vor.
Zuständiges Gericht ist das SG Oldenburg.
Die Klage ist am 19. Februar 2007 beim SG Oldenburg anhängig geworden. Sie betrifft einen Anspruch auf
Krankenhausvergütung. Die örtliche Zuständigkeit für diese Verfahren richtet sich nach § 57 Abs. 1 Satz 1 SGG (vgl.
Beschluss des erkennenden Senats vom 10. Januar 2005 - L 4 B 31/04 KR -). Denn entgegen der Ansicht des SG
Oldenburg ist die örtliche Zuständigkeit für Krankenhausvergütungsverfahren, die bis zum 31. März 2008 anhängig
geworden sind (d.h. für sog. Altfälle), nicht durch Art. 1 Nr. 12 des Gesetzes zur Änderung des SGG und des
Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008, BGBl. I S. 444 (SGGArbGGÄndG) geändert worden.
Das SGGArbGGÄndG hat die Vorschrift des § 57a SGG neu gefasst (nF). § 57a SGG nF ist am 1. April 2008 in Kraft
getreten (Art. 5 SGGArbGÄndG). Das SGGArbGGÄndG enthält keine spezielle Regelung für Altverfahren,
insbesondere keine Übergangsregelung. Zwar betonen die Gesetzesmaterialien, dass die Änderung des § 57a SGG
nur eine "redaktionelle Überarbeitung" sei; sie sei notwendig geworden, weil in Rechtsprechung und Literatur
Uneinigkeit über die Auslegung der Vorschrift bestehe (BR-Drucks. 820/07 S. 20 zu Nr. 12). Gleichwohl hat es der
Gesetzgeber unterlassen, die örtliche Zuständigkeit für die Altfälle ausdrücklich zu regeln. Es bleibt daher für Altfälle
bei der bisherigen örtlichen Zuständigkeit.
Das zuständige SG Oldenburg hat den Rechtsstreit an das SG Hannover verwiesen. Dieser Verweisungsbeschluss
entfaltet gegenüber dem SG Hannover keine Bindungswirkung.
Nach § 98 SGG iVm § 17a Abs. 2 und 3 Gerichtsverfassungsgesetz ist ein Verweisungsbeschluss wegen örtlicher
oder sachlicher Unzuständigkeit für das Gericht bindend, an das verwiesen wird. § 98 SGG ist Ausdruck des
Grundsatzes der perpetuatio fori. Er dient der Prozessökonomie und dem Rechtsfrieden und besagt, dass die
nachträgliche Veränderung von Umständen, auf denen die örtliche Zuständigkeit des ursprünglich angerufenen
Gerichts beruht, grundsätzlich unerheblich ist (vgl. hierzu: BSG, Beschluss vom 8. Mai 2007 – B 12 SF 3/07 S -).
Daraus folgt, dass die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses nur durchbrochen wird, wenn der
Verweisungsbeschluss willkürlich bzw. grob verfahrensfehlerhaft ist oder wenn er gegen den Sinn und Zweck des
Grundsatzes der perpetuatio fori verstößt (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 98 Rdnr. 9 ff.
mwN).
Der Verweisungsbeschluss des SG Oldenburg ist weder willkürlich noch grob verfahrensfehlerhaft (vgl. Beschluss des
erkennenden Senats vom 8. August 2008 – L 4 B 37/08 KR -). Er verstößt aber gegen den Grundsatz der perpetuatio
fori und entfaltet deshalb keine Bindungswirkung für das SG Hannover.
In der Rechtsprechung war die örtliche Zuständigkeit für Krankenhausvergütungsverfahren lange Zeit umstritten. Das
führte zu wiederholten Veränderungen der örtlichen Zuständigkeit der ersten Instanz in Niedersachsen.
Zu der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung des § 57a SGG (Art. 2 Nrn. 1, 2 und 3 GKV-
Finanzstärkungsgesetz vom 24. März 1998, BGBl. I S. 5269) entschied der Senat mit Beschluss vom 18. September
2000 (L 4 B 205/00 KR in E-LSG B-200), dass das SG Hannover in allen niedersächsischen Angelegenheiten
zuständig ist, die den Vergütungsanspruch eines zugelassenen Krankenhauses gegen eine gesetzliche Krankenkasse
betreffen. Demzufolge lag in der anschließenden Zeit die ausschließliche örtliche Zuständigkeit für
Krankenhausvergütungsverfahren in Niedersachsen beim SG Hannover. Mit Wirkung ab 2. Januar 2002 wurde § 57a
SGG geändert (Art. 1 Nr. 25 des Sechsten Gesetzes zur Änderung des SGG vom 17. August 2001, BGBl. I S. 2147
und Art. 33 Nr. 2 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen und zur Änderung anderer Gesetze vom 27.
April 2002, BGBl. I S. 1467). Nach Ansicht des erkennenden Senats ließ diese neue Fassung des § 57a SGG die
Zuständigkeit des SG Hannover für Krankenhausvergütungsverfahren unberührt (Beschluss vom 6. November 2002 -
L 4 B 297/02 KR - in NdsRpfl. 2003, 163 f.)
Hierzu äußerte sich das Bundessozialgericht (BSG) in einem obiter dictum mit Beschluss vom 27. Mai 2004 (B 7 SF
6/04 S in SozR 4–1500 § 57a Nr. 2) und verneinte die ausschließliche Zuständigkeit des SG Hannover für
Krankenhausvergütungsverfahren. Daraufhin gab der erkennende Senat mit Beschluss vom 10. Januar 2005 (L 4 B
31/04 KR) seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich auf, und zwar im Interesse des Rechtsfriedens und einer
einheitlichen Anwendung des § 57a Abs. 1 Satz 1 SGG im gesamten Bundesgebiet. Fortan richtete sich in
Niedersachsen die örtliche Zuständigkeit in Krankenhausvergütungsverfahren nicht mehr nach § 57a SGG, sondern
nach § 57 SGG. Örtlich zuständig für diese Streitigkeiten war nun jeweils wieder das SG, in dessen Bezirk das
Krankenhaus seinen Sitz hatte. Eine ausschließliche Zuständigkeit des SG Hannover gab es nicht mehr.
Diese Sachlage war dem Gesetzgeber bei Erlass des SGGArbGGÄndG bekannt. Wenn er gleichwohl keine
Übergangsregelung zur Neuregelung der örtlichen Zuständigkeit für Altfälle getroffen hat, ist daraus der Schluss zu
ziehen, dass er es insoweit bei dem Grundsatz der perpetuatio fori belassen wollte. Dieser Grundsatz aber verbietet
es, § 57a Abs. 1 Nr. 3 SGG nF auf Altfälle anzuwenden, von denen es bei den Sozialgerichten in Niedersachsen noch
mehrere hundert Verfahren gibt. Der Grundsatz der perpetuatio fori dient dem Rechtsfrieden und der
Prozessökonomie. Die Verweisung von Streitigkeiten, die schon monate- wenn nicht jahrelang bei einem SG anhängig
sind, trägt aber weder zum Rechtsfrieden bei den Verfahrensbeteiligten bei, noch dient sie der Prozessökonomie.
Verweisungen würden in sämtlichen Verfahren unweigerlich zu Prozessverzögerungen führen.
Da der Verweisungsbeschluss den Grundsatz der perpetuatio fori verletzt, entfaltet er für das SG Hannover keine
Bindungswirkung. Zuständig bleibt das SG Oldenburg.
Kosten sind im Verfahren vor dem LSG nicht zu erstatten (§ 197a SGG iVm § 4 Abs. 2 Gerichtskostengesetz
analog).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).