Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 15.01.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 15.01.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Osnabrück S 5 U 122/96
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 9 U 82/01
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Berufungskläger eine Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach Nr.
2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) zu gewähren ist.
Bei dem 1941 geborenen Berufungskläger hatte die Nordwestliche Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft (BG) mit
Bescheid vom 27. Dezember 1989 als Folgen eines Arbeitsunfalles vom 28. April 1988, bei dem sich der
Berufungskläger einen Knallschaden des rechten Ohres durch einen platzenden Druckluftschlauch zugezogen hatte,
eine Tonhörminderung und Ohrgeräusche festgestellt. Die Gewährung von Verletztenrente hatte die BG mit Hinweis
darauf abgelehnt, die Erwerbsfähigkeit des Berufungsklägers sei durch die Unfallfolgen nur um 15 v.H. gemindert. Die
dagegen erhobene Klage hatte der Berufungskläger zurückgenommen.
Der Berufungskläger trägt wegen Schwerhörigkeit seit 1988 ein Hörgerät rechts und seit 1991 ein Hörgerät links.
Seit 1991 arbeitet der Berufungskläger im Zuständigkeitsbereich der Berufungsbeklagten. An den dem Arbeitsplatz
des Berufungsklägers vergleichbaren Arbeitsplätzen besteht nach der Einschätzung der Berufungsbeklagten ein
Beurteilungspegel von 90 bis 95 dB(A). Dem Berufungskläger steht Gehörschutzmittel zur Verfügung.
Im Dezember 1994 befand sich der Berufungskläger wegen einer akuten linksseitigen Hörminderung 10 Tage in
stationärer Behandlung.
Im Oktober 1995 erstattete der HNO-Arzt Dr. Schmidt eine Berufskrankheitenanzeige wegen der von ihm
festgestellten beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit. Nach Ermittlungen zu dem Umfang der Lärmexposition und zu
der gesundheitlichen Vorgeschichte und nach Beiziehung der Unterlagen der Nordwestlichen Eisen- und Stahl-BG ließ
die Berufungsbeklagte den Berufungskläger durch Dr. F. begutachten, der in dem Gutachten vom 23. Dezember 1995
die Auffassung vertrat, bei dem Berufungskläger liege eine beginnende, noch keine meßbare Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) hinterlassende Schwerhörigkeit vor. Darauf gestützt erkannte die Berufungsbeklagte mit
Bescheid vom 25. Januar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 1996 eine minimale Hochton-
Innenohrschwerhörigkeit beidseits als Berufskrankheit an. Die Gewährung einer Rente lehnte sie jedoch ab.
Das dagegen angerufene Sozialgericht Osnabrück hat den Kläger zunächst von Prof. Dr. G. und sodann auf seinen
Antrag von Prof. Dr. H. begutachten lassen. Während nach Auffassung von Prof. Dr. G. der gesamte Hörschaden
nach den von ihm erhobenen Befunden keine meßbare MdE zur Folge habe, hat Prof. Dr. H. zusammenfassend eine
MdE von 30 v.H. zuzüglich 5 v.H. für den Tinnitus als gerechtfertigt angesehen. Prof. Dr. H. hat sich jedoch außer
Stande gesehen, die jeweils durch den Arbeitsunfall vom 28. April 1988, den Hörsturz von Dezember 1994 und die
berufliche Lärmeinwirkung bedingten Anteile der Schädigung abzuschätzen.
Mit Urteil vom 12. Januar 2001 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Auch nach dem
Gutachten von Prof. Dr. H. sei nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit
nachgewiesen, daß die Lärmschwerhörigkeit eine MdE in meßbarem Grad hinterlassen habe.
Gegen das ihm am 12. Februar 2001 zugestellte Urteil wendet sich die am 12. März 2001 bei dem
Landessozialgericht eingegangene Berufung. Der Berufungskläger verfolgt sein Begehren weiter und sieht sich hierin
durch das Ergebnis des Gutachtens von Prof. Dr. H. bestätigt.
Der Berufungskläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
1. das Urteil des Sozialgerichts Osnabrück vom 12. Januar 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar
1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 1996 abzuändern, 2. die Beklagte zu verurteilen, dem
Kläger seit dem 28. August 1995 wegen der Lärmschwerhörigkeit Verletztenrente nach einer Minderung der
Erwerbsfähigkeit von wenigstens 20 v.H. zu gewähren ...
Die Berufungsbeklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der
Verwaltungsakte der Beklagten, Az.: 295179813D, der Verwaltungsakte der Nordwestlichen Eisen- und Stahl-BG,
Aktenzeichen 3.11427.881 und der Akten des Sozialgerichts Osnabrück Az. S 10a Vs 155/96 und S 5 U 14/90 Bezug
genommen. Die genannten Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
II.
Gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) weist der Senat die Berufung nach Anhörung der Beteiligten
durch Beschluss zurück, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich
hält.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet. Das
Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, daß der Berufungskläger keinen Anspruch auf die Gewährung einer
Verletztenrente wegen der Folgen der bei ihm anerkannten Lärmschwerhörigkeit hat. Das Sozialgericht hat die
rechtlichen Voraussetzungen eines Rentenanspruches richtig dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf
die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 153 Abs. 2 SGG.
Der Senat muß auch der Frage nicht weiter nachgehen, ob etwa eine Stützrentensituation im Sinn von § 581 Abs. 3
der Reichsversicherungsordnung im Hinblick auf die Folgen des Arbeitsunfalles vom 28. April 1988 vorliegt. Denn
jedenfalls bedingt die hier allein zu prüfende Berufskrankheit keine MdE von wenigstens 10 v.H. Es kann daher
dahingestellt bleiben, ob eine - an sich weder erforderliche noch zulässige - bindende Feststellung einer MdE wegen
der Unfallfolgen durch die Nordwestliche Eisen- und Stahl-BG vorliegt. Auch ist eine Beiladung der BG entbehrlich.
Dahingestellt bleiben kann auch, ob der Berufungskläger bei der Ausübung der beruflichen Tätigkeit bei der Fa. I. KG
seit Februar 1991 oder seit Januar 1994 überhaupt einer möglicherweise gehörschädigenden Lärmeinwirkung
ausgesetzt gewesen ist oder ob genau dies durch das Tragen persönlichen Gehörschutzes ausgeschlossen ist.
Selbst soweit der Senat zugunsten des Berufungsklägers von einer möglicherweise gehörschädigenden
Lärmeinwirkung ausgeht, ist ein Zusammenhang zwischen der Lärmeinwirkung und der bei dem Berufungskläger
vorliegenden Hörstörung nicht mit der Folge wahrscheinlich, daß durch die lärmbedingte Hörstörung eine MdE von
wenigstens 10 v.H. bedingt wäre.
Auszugehen ist jedenfalls davon, daß diejenige Hörstörung, die bereits Gegenstand der Feststellung der
Nordwestlichen Eisen- und Stahl-BG gewesen ist, nicht auf eine erst später einsetzende Lärmeinwirkung
zurückzuführen sein kann. Die Feststellung der Nordwestlichen Eisen- und Stahl-BG beruht ihrerseits auf dem
Ergebnis der Begutachtung durch Dr. J. vom 19. September 1989, das in dem Gutachten vom 22. September 1989
festgehalten ist. Denknotwendig kann allenfalls derjenige Anteil der Hörstörung, der über die Feststellungen des Dr. J.
hinausgeht, auf die etwa gehörschädigende Lärmeinwirkung seit Februar 1991 oder ab Januar 1994 zurückzuführen
sein. Selbst soweit der Senat für seine Entscheidung von dem für den geltend gemachten Anspruch günstigsten
Gutachtenergebnis des Prof. Dr. H. ausgeht, ergibt sich aus der Differenz der Befunde jedenfalls keine MdE von
wenigstens 10 v.H ...
Nach der 3-Frequenztabelle von Röser von 1980 für die Beurteilung bei Hochtonverlusten vom Typ
Lärmschwerhörigkeit resultiert aus den von Dr. J. erhobenen Tonschwellenaudiogramm-Befunden ein prozentualer
Hörverlust von 45 rechts und 0 links. Wendet man dieselbe Tabelle auf die entsprechenden Befunde von Prof. Dr. H.
an, so ergibt sich ein prozentualer Hörverlust von 25 rechts und 30 links. Daraus folgt, daß jedenfalls eine meßbare
Verschlechterung des rechtsseitigen Hörvermögens des Berufungsklägers gegenüber 1989 nicht nachgewiesen ist.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem von Prof. Dr. H. abgeleiteten Sprachaudiogramm. Die Auswertung der darin
dokumentierten Befunde nach der Tabelle von Boenninghaus und Röser von 1973 ergibt einen beidseitigen
prozentualen Hörverlust von 100. Dieser Befund weicht aber eklatant von allen anderen bei dem Berufungskläger
erhobenen Sprachaudiogrammen ab und ist auch in keiner Weise mit dem doch deutlich besser ausgefallenen
Tonschwellenaudiogramm vereinbar. Das hat offensichtlich auch Prof. Dr. H. so gesehen und seiner Beurteilung das
Sprachaudiogramm nicht zugrunde gelegt.
Nach der im Unfallversicherungsrecht geltenden Regel, daß eine berufliche Lärmeinwirkung - von extremen, hier nicht
gegebenen Ausnahmefällen abgesehen - beide Ohren in etwa in gleichem Maße schädigt, ist nun die Divergenz
zwischen einerseits dem statischen Verlauf der Hörstörung des rechten Ohres und der doch deutlichen
Verschlechterung des linken Ohres nicht durch berufliche Lärmeinwirkung zu erklären. Vielmehr findet sie zwanglos
Verschlechterung des linken Ohres nicht durch berufliche Lärmeinwirkung zu erklären. Vielmehr findet sie zwanglos
ihre Erklärung in dem linksseitigen Hörsturz von Dezember 1994. Diese Annahme wird insbesondere auch durch die
Beobachtung gestützt, daß die diversen Tonschwellenaudiogramme des Berufungsklägers bis Mitte 1991 ein
annähernd normales linksseitiges Hörvermögen dokumentieren, während die späteren, ab Mitte 1995 geschriebenen
Audiogramme eine Hörstörung auch des linken Ohres belegen.
Ist ein Fortschreiten der Hörstörung durch die berufliche Lärmeinwirkung nicht eingetreten, so bedingen die Lärmfolgen
keine meßbare MdE.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
Anlaß für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.