Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 28.02.2003

LSG Nsb: arbeitsunfähigkeit, kausalzusammenhang, gutachter, arthrose, niedersachsen, wahrscheinlichkeit, transport, unfallfolgen, distorsion, gerichtsakte

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 28.02.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Oldenburg S 7 U 221/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 210/01
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 25. April 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind
nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt Verletztenrente.
Der im März 1946 geborene Kläger verdrehte sich am 17. Februar 1997 beim Transport eines schweren Metallträgers
das rechte Handgelenk. Nach seinen ersten Angaben rutschte er ab und schlug mit dem Handgelenk gegen den
Metallträger (Angaben des Klägers gegenüber Prof. Dr. C., Berichte vom 18. und 26. Februar 1997). Später gab der
Kläger an, beim Transport des Metallträgers zusammen mit einem Kollegen gestolpert zu sein. Dabei habe sich der
Träger verdreht und seine Hand überstreckt. Er habe den Träger aber nicht fallengelassen, weil sonst sein Kollege
Schaden genommen hätte (Angaben des Klägers vom 15. Februar 1999). Der Durchgangsarzt Prof. Dr. C. fand eine
starke Schwellung und eine schmerzhafte Beweglichkeit im Bereich des rechten Handgelenkes und diagnostizierte
eine schwere Handgelenksdistorsion. Auf den Röntgenaufnahmen fanden sich keine frischen knöchernen
Verletzungen, aber eine ausgeprägte Arthrose. In den folgenden Monaten besserten sich die Beschwerden (Berichte
des Prof. Dr. C. vom 18. April 1997 und 17. Juni 1997). Nach einer Arbeitserprobung war der Kläger zunächst ab 16.
September 1997 wieder arbeitsfähig. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte Prof. Dr. C. mit unter 10 vH
ein (Stellungnahme vom 1. Oktober 1997). Da der Kläger wegen seiner fortbestehenden Handgelenksbeschwerden
seine alte Tätigkeit als KFZ-Schlosser nicht mehr verrichten konnte, meldete er sich am 5. Januar 1999 arbeitslos.
Dres. D. vermochten in ihrem auf Veranlassung der Beklagten erstatteten Gutachten vom 27. März 1998 keine
Unfallfolgen festzustellen. Die ausgeprägte Radiocarpalarthrose in beiden Handgelenken sowie eine
Ulnaminusvariante mit Deformität des distalen Radioulnargelenkes (deutliche Verkürzung der Elle gegenüber der
Speiche) beidseits führten die Gutachter auf einen unfallunabhängigen und lange vor dem 17. Februar 1997 sich
entwickelnden Prozess zurück. Der Unfall habe lediglich die Handgelenksarthrose aktiviert, was die heftigen
Schmerzen erkläre. Es sei eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit von 6 Wochen anzunehmen, eine MdE sei nicht
verblieben. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 27. April 1998 die Gewährung einer Rente ab.
Im Widerspruchsverfahren übersandte die AOK das Gutachten nach Aktenlage des Dr. E., MDKN, vom 4. Mai 1998,
der eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit zumindest bis zum 16. September 1997 bejahte. Da wegen der
arthrotischen Veränderungen vor dem Unfall keine Beschwerden bestanden hätten, komme dem Vorschaden nur die
Bedeutung einer Gelegenheitsursache zu. Prof. Dr. F., stellten in ihrem Gutachten vom 19. August 1998 als
Unfallfolgen eine schmerzhafte Beweglichkeitseinschränkung des rechten Handgelenkes und eine Kraftminderung
sowie eine deutliche Einschränkung der Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand fest. Die MdE bewerteten sie mit 20 vH.
Die Chirurgin Dr. G. widersprach dieser Einschätzung in ihrer gutachtlichen Stellungnahme vom 4. Januar 1999. Wenn
ein arthrotisches Handgelenk von einer erheblichen Krafteinwirkung betroffen werde, so könne eine unfallbedingte
vorübergehende Verschlimmerung angenommen werden. Eine dauerhafte richtungsgebende Verschlimmerung setze
eine nachhaltige weitere Schädigung der den Knorpel indirekt ernährenden Gelenkinnenhaut durch einen Bluterguss
voraus, die zu einer Zunahme der Arthrose führe. Diese richtunggebende Verschlimmerung sei hier aber nicht
festzustellen. Ein Strukturschaden sei nicht nachgewiesen, und die Arthrose habe nicht zugenommen. Hier sei durch
die Gipsruhigstellung von einer verzögerten Rekonvaleszenz und damit von einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit
von 3 Monaten auszugehen. Ein unfallbedingter Dauerschaden aber sei nicht verblieben. Unter Berücksichtigung des
Ergebnisses der weiteren Ermittlungen der Beklagten zum Unfallhergang blieb Dr. G. in ihrer zweiten Stellungnahme
vom 10. Juni 1999 bei ihrer Einschätzung. Nunmehr stehe fest, dass es bei dem Unfall nicht zu einem direkten
Trauma mit Anschlagmoment gekommen sei, weshalb auch eine schwere direkte Prellung nicht vorgelegen habe.
Daraufhin gab die Beklagte dem Widerspruch teilweise statt, indem sie eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis zum
31. Mai 1997 anerkannte. Im Übrigen aber wies sie den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 20. August
1999).
Hiergegen hat der Kläger am 20. September 1999 Klage erhoben. Er hat vorgetragen, die Beschwerden in seinem
rechten Handgelenk seien erstmals nach dem 17. Februar 1997 aufgetreten und deshalb Unfallfolge. Er stütze sich
dabei auf das Gutachten des Prof. Dr. H. u.a. Mit Urteil vom 25. April 2001 hat das Sozialgericht (SG) Oldenburg die
Klage abgewiesen. Es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen Prof. Dr. H. die Beschwerden des Klägers nicht auf
den unfallunabhängigen Vorschaden, sondern auf das Unfallereignis zurückführe. Aber selbst wenn der
Kausalzusammenhang zugunsten des Klägers unterstellt werde, rechtfertigten die von ihm mitgeteilten Befunde unter
Berücksichtigung der unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätze keine MdE in rentenberechtigendem Grade. Auffällig
sei auch, dass sich an der rechten Extremität des Klägers, der Rechtshänder sei, keine Schonungszeichen fänden.
Gegen dieses ihm am 2. Mai 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. Mai 2001 Berufung eingelegt. Er macht
geltend, das SG habe sich nicht ausreichend mit dem Gutachten des Prof. Dr. H. u.a. auseinandergesetzt. Zumindest
hätte eine ergänzende Stellungnahme dieses Arztes eingeholt werden müssen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des SG Oldenburg vom 25. April 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 27. April 1998 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 20. August 1999 aufzuheben,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von 20 vH der Vollrente zu zahlen. Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Oldenburg vom 25. April 2001 zurückzuweisen.
Sie hält eine weitere Aufklärung nicht für erforderlich. Auch bei Zugrundelegung der von Prof. Dr. H. u.a. mitgeteilten
funktionellen Einschränkungen sei eine MdE von 20 vH nicht erreicht.
Der Senat hat eine Auskunft der den Kläger bis September 1996 behandelnden Hausärztin Dr. I. vom 6. August 2001
eingeholt.
Mit Verfügung der Berichterstatterin vom 13. Januar 2003 wurden die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Senat
beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine
mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die
Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der Beratung waren.
II.
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen
Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verletztenrente nach § 56
Sozialgesetzbuch 7. Buch (SGB VII).
Der Unfall vom 17. Februar 1997 hat lediglich zu einer Distorsion des rechten Handgelenkes des Klägers geführt, die
üblicherweise binnen weniger Wochen folgenlos ausheilt. Wegen der vorbestehenden, aber unfallunabhängigen
arthrotischen Umformungen sowie der längeren Gipsruhigstellung ist es beim Kläger zwar zu einem verzögerten
Heilungsverlauf gekommen, dieser rechtfertigt aber die Annahme einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit von
allenfalls drei Monaten bis zum 31. Mai 1997 (gutachtliche Stellungnahmen der Dr. G. vom 4. Januar und 10. Juni
1999). Demgegenüber ist nicht erwiesen, dass der Unfall zu einer strukturellen Verletzung im rechten Handgelenk des
Klägers geführt hat. Knöcherne Verletzungszeichen sind am Unfalltage ausgeschlossen worden und auch in der
Folgezeit nicht festgestellt worden. Auch weitere Schädigungen - die nicht im Zusammenhang mit den erheblichen,
unfallunabhängigen Gelenkveränderungen in beiden Handgelenken und Unterarmen des Klägers stehen - sind von den
drei Gutachtern nicht ermittelt worden.
Deshalb lässt sich auch nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen hinreichenden
Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die Beschwerden des Klägers in seinem rechten Handgelenk durch den Unfall
vom 17. Februar 1997 verursacht worden sind. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass nach der
geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen Zusammenhang spricht und ernste
Zweifel hinsichtlich einer anderen Verursachung ausscheiden. Bei einer vernünftigen Abwägung aller Umstände
müssen die auf eine unfallbedingte Verursachung hinweisenden Faktoren so stark überwiegen, dass hierauf die
Entscheidung gestützt werden kann (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl.
1998, S. 117). Nicht ausreichend ist die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs. Ebenso wenig reicht für die
Annahme des Kausalzusammenhangs das bloße zeitnahe Auftreten von Beschwerden nach einem Unfall aus. Zweifel
an dem Kausalzusammenhang bestehen hier aufgrund des fehlenden strukturellen Schadens im Handgelenk des
Klägers (Gutachten des Dr. J. u.a., Stellungnahmen der Dr. G.). Auch eine richtunggebende Verschlimmerung der
vorbestehenden Handgelenksarthrose ist nicht anzunehmen, da diese seit dem Unfall vom 17. Februar 1997 nicht
zugenommen hat (Stellungnahmen der Dr. G.). Deshalb vermochte sich der Senat auch nicht der anderslautenden
Einschätzung des Prof. Dr. H. u.a. anzuschließen. Diese Gutachter haben den radiologischen Befund als unverändert
im Vergleich zu den Voruntersuchungen bezeichnet und ihre Annahme des Kausalzusammenhangs nicht begründet.
Insbesondere haben sie keine gesundheitlichen Veränderungen im rechten Handgelenk des Klägers mitgeteilt, die nur
auf den Unfall zurückgeführt werden können.
Aber auch wenn zugunsten des Klägers der Kausalzusammenhang seiner Beschwerden mit dem Unfall angenommen
wird, rechtfertigen die bei ihm bestehenden funktionellen Bewegungseinschränkungen im Bereich des rechten
Handgelenkes - und nur diese sind für die MdE-Einschätzung maßgeblich - keine MdE in rentenberechtigendem
Grade, worauf bereits das SG zutreffend hingewiesen hat. Denn nach den unfallmedizinischen Erfahrungsgrundsätzen
kommt eine MdE von 20 vH bei einer Versteifung des Handgelenkes in Nullstellung (0-0-0 Grad oder 10-10-0 Grad)
oder bei Falschgelenkbildungen am Kahnbein oder bei Mondbeintod in Betracht (Mehrhoff/Muhr, Unfallbegutachtung,
10. Auflage 1999, S. 148). Funktionseinschränkungen derartigen Ausmaßes aber liegen beim Kläger nicht vor. Die
Gutachter haben Bewegungseinschränkungen im rechten Handgelenk des Klägers ermittelt, die nicht einer
Versteifung des Handgelenkes entsprechen. Dr. J. u.a. fand eine Beweglichkeit handrücken-/hohlhandwärts von 40-0-
55 Grad (links: 70-0-70) und ellen-/speichenwärts von 30-10-0 (links: 25-0-5) Grad. Prof. Dr. H. u.a. hat demgegenüber
bereits bessere Beweglichkeiten - handrücken-/hohlhandwärts von 10-0-30 (links: 40-0-35) sowie ellen-/speichen-wärts
von 35-0-5 (links: 20-0-10) Grad - mitgeteilt.
Zudem belegt die Tatsache, dass Dr. J. u.a. eine seitengleiche Beschwielung beider Hände festgestellt haben
(Gutachten S. 4), dass eine wesentliche Schonung der rechten Hand nicht erforderlich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen ( § 160 Abs 2 SGG).