Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26.06.2001

LSG Nsb: stationäre behandlung, verschlechterung des gesundheitszustandes, badekur, heilbehandlung, form, niedersachsen, arbeitsunfähigkeit, fraktur, pflegebedürftigkeit, ermessensfehlgebrauch

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 26.06.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Lüneburg S 11 VS 34/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 5/9 VS 3/00
Die Berufung wird zurückgewiesen und die Klage abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob dem Kläger ein Anspruch auf Gewährung einer stationären Behand-lung in einer Kureinrichtung
(Badekur) nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG)
zusteht.
Der am G. geborene Kläger erlitt am 11. Januar 1977 als Soldat auf Zeit einen dienstlichen Unfall, bei dem er sich
einen Unterschenkelbruch rechts zuzog. Mit Be-scheid vom 26. Januar 1978 erkannte das Versorgungsamt (VA)
Hannover als Wehrdienstbeschädigungsfolge (WDB-Folge)
"Bewegungsbehinderung im rechten Knie- und Fußgelenk nach Unterschen-kelbruch"
an und bewilligte dem Kläger Beschädigtenversorgung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H.
Mit Bescheid vom 28. August 1980 hob das VA Hannover den Bescheid vom 26. Januar 1978 auf und stellte fest,
dass Folgen der Schädigung nicht mehr vorlägen. Im Juni 1996 stellte der Kläger einen Neufeststel-lungsantrag
insbesondere wegen einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung des rechten Knie- und Fußgelenkes, einer
Wassereinlagerung sowie eines Überlas-tungsschmerzes im linken Fußgelenk und legte hierzu das Attest des Arztes
für All-gemeinmedizin Dr. H. vom 18. Juni 1996 vor. Nach Einholung des Gutachtens des Arztes für Chirurgie Dr. I.
vom 20. November 1996 und der versorgungsärztlichen Stellungnahme des Arztes für Chirurgie J. vom 21. Januar
1997 hob das VA Hanno-ver den Bescheid vom 28. August 1980 teilweise nach § 44 Zehntes Sozialgesetz-buch
(SGB X) auf. Zur Begründung wies es darauf hin, dass der Bescheid vom 28. August 1980 insoweit rechtswidrig sei,
als eine
"mäßige Verbiegung des rechten Unterschenkels"
nicht als WDB-Folge anerkannt geblieben sei. Die übrigen geklagten Beschwerden stünden in keinem ursächlichen
Zusammenhang mit der Schädigung vom 11. Januar 1977. Da die anerkannten WDB-Folgen keine
rentenberechtigende MdE um min-destens 25 v.H. bedingten, könne eine Rente nicht gewährt werden. Die
anerkannten WDB-Folgen begründeten jedoch einen Anspruch auf Heilbehandlung ab dem 1. Januar 1992 (Bescheid
vom 4. Juni 1997). Der Kläger machte gegen den Be-scheid keine Rechtsbehelfe geltend.
Mit Schreiben vom 19. August 1997 stellte Dr. H. unter Hinweis auf den Bescheid vom 4. Juni 1997 für den Kläger
einen Antrag auf Heilbehandlung in Form einer Ba-dekur. Nach Einholung des Gutachtens des Internisten Dr. K. vom
23. Oktober 1997 lehnte der Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 18. November 1997). Bei der Prüfung der
Voraussetzungen für die Bewilligung einer stationären Badekur nach § 11 Abs 2 BVG in Verbindung mit dem SVG
könne nur die anerkannte Schädi-gungsfolge berücksichtigt werden. Für diese bestehe jedoch nach dem Ergebnis der
eingeholten ärztlichen Stellungnahmen kein Behandlungsbedarf im Rahmen einer stationären Maßnahme. Ambulante
Behandlungsmaßnahmen am Wohnort seien ausreichend. Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit
Widerspruchsbe-scheid vom 5. Juni 1998 – per Einschreiben am 9. Juni 1998 zur Post gegeben – als unbegründet
zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 8. Juli 1998 bei dem Sozialgericht (SG) Lüneburg An-fechtungs- und Bescheidungsklage
erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass er als Folge der Wehrdienstbeschädigung
an einem Knö-chelödem, einer Exortose sowie Hüftgelenksschmerzen leide. Zur Behebung und Linderung dieser
Folgen der Wehrdienstbeschädigung sei eine Badekur medizinisch indiziert.
Das SG Lüneburg hat den Befundbericht des Arztes Dr. H. vom 17. November 1998 eingeholt und mit Urteil vom 13.
Dezember 1999 die Klage abgewiesen. Der Kläger könne allein für die anerkannte Schädigungsfolge, also die mäßige
Verbiegung des rechten Unterschenkels, Heilbehandlung beanspruchen. Es sei nicht ersichtlich, weshalb für diese
Gesundheitsstörung eine Badekur erforderlich sei. Dies habe auch Dr. K. festgestellt. Zwar habe der behandelnde Arzt
Dr. H. eine Badekur befürwortet. Dies rechtfertige sich aber nur aufgrund der von ihm aufgeführten nicht anerkannten
Gesundheitsstörungen, nämlich der Fußgelenksarthrose mit Exortose, dem Knöchel-ödem und den
Hüftgelenksschmerzen, wobei dahingestellt bleiben könne, ob hier nicht ebenfalls ambulante Maßnahmen
ausreichten. Die Entscheidung des Beklagten stehe in seinem Ermessen. Ein Ermessensfehlgebrauch oder -
missbrauch sei nicht erkennbar.
Gegen die dem Kläger am 23. Dezember 1999 zugestellte erstinstanzliche Entschei-dung hat er am 21. Januar 2000
Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Nie-dersachsen eingelegt. Zur Begründung des Rechtsmittels macht er
Folgendes gel-tend: Die im Befundbericht des Arztes Dr. H. vom 17. November 1998 aufgeführten Beschwerden seien
Folgeerkrankungen der Fraktur. Dies ergebe sich auch aus der Bescheinigung des Arztes Dr. H. vom 10. Januar
2000, die der Berufungsschrift bei-gefügt ist. Sämtliche schulmedizinischen Behandlungsmethoden, die ambulant
durchgeführt werden könnten, seien bei ihm bereits angewandt worden. Es bleibe nunmehr nur noch die stationäre
Behandlung im Krankenhaus bzw als geringeres Mittel eine stationäre Behandlung in Form einer Badekur. Entgegen
der Rechtsauf-fassung des SG Lüneburg liege ein Ermessensfehlgebrauch vor. Dem Beklagten stehe ein Ermessen
nicht mehr zur Seite. Da als mögliche Behandlungsmaßnahme allein der stationäre Aufenthalt zur Durchführung einer
Badekur in Betracht komme, liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor, so dass der Beklagte die beantragte
Badekur bewilligen müsse.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des SG Lüneburg vom 13. Dezember 1999 und den Bescheid des Beklagten vom 18. November 1997 in
der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 5. Juni 1998 aufzuheben,
2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger eine stationäre Behandlung in einer Kureinrichtung (Badekur) zu
bewilligen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.
Er hält das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis für zutreffend. Ergänzend weist er dar-auf hin, dass sich die Frage einer
rechtmäßigen Ermessensausübung nicht stelle, weil bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung
einer Badekur nicht vorlägen.
Der Senat hat den Befundbericht des Arztes Dr. H. vom 3. Januar 2001 nebst sei-nem Attest vom 18. Juni 1996
eingeholt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Prozessakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergän-zend Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und
sind Gegenstand des Verfah-rens gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 f Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- sowie fristgerecht eingelegt worden und
auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht be-gründet.
Ebensowenig ist der zweitinstanzlich erstmalig gestellte Verpflichtungsantrag erfolg-reich, über den der Senat als
Klage zu entscheiden hat. Die insoweit zulässig erwei-terte Klage (§ 99 Abs 3 Nr 2 SGG) ist gleichfalls unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Gewährung einer Badekur zu.
Gemäß § 80 Abs 1 Satz 1 SVG in Verbindung mit § 11 Abs 2 Satz 1 BVG in entspre-chender Anwendung kann
Beschädigten unter den Voraussetzungen des § 10 Abs 1, 2, 7 und 8 BVG stationäre Behandlung in einer
Kureinrichtung (Badekur) gewährt werden, wenn sie notwendig ist, um den Heilerfolg zu sichern oder um einer in ab-
sehbarer Zeit zu erwartenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes, einer Pflegebedürftigkeit oder einer
Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen. Gemäß § 10 Abs 1 Satz 1 1. Alternative BVG wird Beschädigten Heilbehandlung für
Gesundheitsstörun-gen gewährt, die als Folge einer Schädigung anerkannt sind; nach der 2. Alternative der
vorgenannten Norm erhalten Beschädigte darüber hinaus Heilbehandlung für solche Gesundheitsstörungen, die durch
anerkannte Schädigungsfolgen verursacht, aber – noch – nicht als mittelbare Schädigungsfolgen anerkannt sind (Fehl
in: Wilke, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Auflage 1992, § 10 BVG RdNr 3; siehe auch § 10 Abs 8 BVG und BSG
Breithaupt 1979, S. 154, 155). Gemäß § 10 Abs 2 BVG wird Schwerbeschädigten Heilbehandlung auch für
Gesundheitsstörungen gewährt, die nicht als Folge einer Schädigung anerkannt sind. (§ 10 Abs 7 BVG ist hier nicht
maßgeblich.)
Diese Voraussetzungen erfüllt der Kläger nicht.
1. Als Schädigungsfolge ist bei dem Kläger eine mäßige Verbiegung des rechten Un-terschenkels anerkannt. Hierzu
hat Dr. L. in seinem Gutachten ausgeführt, dass nicht ersichtlich sei, welche Art der Heilbehandlung für diese
Gesundheitsstörung durch-geführt werden sollte. Dieser Beurteilung schließt sich der Senat an.
2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch für die von Dr. H. im Attest vom 18. Juni 1996 aufgeführten
Gesundheitsstörungen "Knöchelödem, schmerzhafte Bewegungsein-schränkung des rechten Fußes, Exortose des
linken Fußes durch die ausgleichende Linksüberlastung und Rechtsschonung, Hüftgelenksschmerz rechts im Sinne
einer orthostatischen Fehlhaltung" zu.
Ein Anspruch nach §§ 11 Abs 2 Satz 1, 10 Abs 1 Satz 1 1. Alternative BVG besteht nicht. Zwar sind diese
Gesundheitsstörungen nach Ansicht des Dr. H. Folgen der im Wehrdienst erlittenen Fraktur (siehe Attest vom 10.
Januar 2000). Allein entschei-dend im Rahmen der 1. Alternative des § 10 Abs 1 Satz 1 BVG ist jedoch, ob eine
Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge anerkannt ist. Dies ist im Hinblick auf die von Dr. H. attestierten
Gesundheitsstörungen jedoch nicht der Fall, so dass der An-spruch schon hieran scheitert.
Dem Kläger steht hierfür auch kein Anspruch auf Heilbehandlung nach §§ 11 Abs 2 Satz 1, 10 Abs 1 Satz 1 2.
Alternative BVG zu.
Ob bei dem Kläger die von Dr. H. bescheinigten Gesundheitsstörungen Knöchel-ödem, Bewegungseinschränkung des
rechten Fußes, Exortose des linken Fußes und orthostatische Fehlhaltung im Hinblick auf das rechte Hüftgelenk
wirklich vorliegen, erscheint dem Senat unter Berücksichtigung der Gutachten des Dr. I. vom 20. November 1996 und
des Dr. K. vom 23. Oktober 1997 zweifelhaft.
Dr. I. hat das Vorhandensein von Ödemen verneint und die Gelenke der unteren Ex-tremitäten als frei beweglich
beschrieben. Ebensowenig hat er pathologische Verän-derungen des linken Fußes oder eine Fehlhaltung der rechten
unteren Extremität erwähnt. Nach den Feststellungen des Dr. I. ist der Gang des Klägers zu ebener Er-de unauffällig,
werden die Füße regulär abgerollt und sind die Achsen der Beine e-benfalls regulär ausgebildet. Die angefertigten
Röntgenbilder des Beckens, der rechten Hüfte axial, des rechten Kniegelenkes und des rechten oberen Sprunggelen-
kes lassen krankhafte Veränderungen nicht erkennen. Insgesamt attestiert Dr. I. dem Kläger von Kopf bis Fuß
altersentsprechende Befunde und beschreibt lediglich Be-wegungsschmerzen in den Gelenken der unteren
Extremitäten. Auch Dr. K. hat die oben angeführten von Dr. H. erhobenen Befunde nicht bestätigt. Nach seinen Fest-
stellungen ist lediglich im (rechten) Sprunggelenk des Klägers die Pro- und Supinati-on geringfügig gestört.
Ob die oben genannten von Dr. H. beschriebenen Gesundheitsstörungen bestehen oder nicht, kann jedoch letztlich
dahinstehen. Der geltend gemachte Anspruch des Klägers scheitert insoweit zumindest an der erforderlichen
ursächlichen Verknüpfung der Gesundheitsstörungen mit der anerkannten Schädigungsfolge (siehe hierzu BSG
Breithaupt 1979, S. 154, 155) bzw der Notwendigkeit einer Badekur im Sinne des § 11 Abs 2 Satz 1 BVG. Aus
denselben Gründen rechtfertigen auch die von den Gutachtern Dr. M. bestätigten Gesundheitsstörungen die begehrte
Heilbehandlung nicht.
Die Bewegungsschmerzen des Klägers in den Gelenken der unteren Extremitäten sind nicht durch die
Schädigungsfolge "mäßige Verbiegung des rechten Unterschen-kels" verursacht worden; vielmehr handelt es sich
hierbei nach der Beurteilung des Dr. I. um gewichtsbedingte Beschwerden des Klägers, der seinerzeit bei einer Kör-
pergröße von 182 cm 100 kg wog. Diese Einschätzung hält der erkennende Senat angesichts der nur leichten
Restschädigung des rechten Unterschenkels für über-zeugend. Insbesondere scheidet ein Überlastungsschaden bzw
Überlastungs-schmerz am linken Fuß aus. Die Annahme von Schäden an unversehrten Gliedma-ßen infolge eines
Schadens an der paarigen Gliedmaße rechtfertigt sich allenfalls dann, wenn die vorhandene Schädigung zu einer lang
dauernden und sehr ausge-prägten Fehlbelastung geführt hat, wie es beispielsweise bei Beinamputierten ohne
Möglichkeit, eine Prothese zu tragen, oder bei einer prothetisch nicht ausgleichbaren Hüftkontraktur der Fall sein kann
(Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertengesetz 1996 RdNr 129 S. 302). Derartige Verhältnisse bestehen bei dem Kläger nicht.
Die sonstigen an den unteren Extremitäten beschriebenen Gesundheitsstörungen – Knöchelödem,
Bewegungseinschränkung des rechten Fußes bzw geringfügige Stö-rung der Pro- und Supination im rechten
Sprunggelenk – rechtfertigen keine Badekur gemäß § 11 Abs 2 Satz 1 BVG.
Es ist nicht erkennbar, dass eine derartige Behandlung erforderlich ist, um die Ziele der Norm (Sicherung des
Heilerfolges oder Vorbeugung einer in absehbarer Zeit zu erwartenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes,
einer Pflegebedürftigkeit oder einer Arbeitsunfähigkeit) zu erreichen. Auf eine entsprechende Anfrage des Se-nats hat
Dr. H. im Attest vom 3. Januar 2001 lediglich darauf verwiesen, dass eine ambulante Maßnahme nicht ausreichend
sei. Substantiierte Gründe hierfür hat er nicht genannt. Sie sind für den Senat auch nicht ersichtlich.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch ebensowenig unter den Voraus-setzungen des § 10 Abs 2 BVG zu.
Er ist nicht Schwerbeschädigter im Sinne der Norm. Schwerbeschädigter ist gemäß § 31 Abs 3 BVG, wer in seiner
Erwerbsfähig-keit um mindestens 50 v.H. beeinträchtigt ist. Dies trifft auf den Kläger nicht zu. Durch die anerkannte
Schädigungsfolge wird keine MdE begründet.
Da die Tatbestandsvoraussetzungen der Normen nicht vorliegen, kommt ein An-spruch auf die begehrte Leistung
schon deswegen nicht in Betracht. Einer Rechtsfol-genentscheidung, und damit einer Ausübung des Ermessens
bedurfte es insoweit nicht mehr.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es bestand kein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen.