Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 02.08.2002

LSG Nsb: persönliches erscheinen, stau, entschuldigung, anschluss, niedersachsen, verfügung, abgabe, datum, klagerücknahme, vertreter

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 02.08.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 22 U 157/01
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 3 B 182/02 U
Der Ordnungsgeldbeschluss des Sozialgerichts Hannover vom 18. April 2002 (abgefasst am 26. April 2002) wird
aufgehoben. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Landeskasse auferlegt.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Auferlegung eines Ordnungsgelds.
Im Hauptsacheverfahren hat er gegen die Heranziehung zur Zahlung von Beiträgen als Bauherr im Rahmen der
gesetzlichen Unfallversicherung geklagt, wobei die Einhaltung der Klagefrist (§ 87 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz
–SGG-) umstritten gewesen ist. Nachdem eine prozessleitende Verfügung des Kammervorsitzenden, in der dieser auf
die Unzulässigkeit der Klage hingewiesen hatte, ohne Antwort geblieben war, ist der Kläger form- und fristgerecht zur
mündlichen Verhandlung am 18. April 2002 – 12.00 Uhr - geladen worden; außerdem ist sein persönliches Erscheinen
angeordnet worden. In der mündlichen Verhandlung am 18. April 2002, die von 12.55 Uhr bis 13.10 Uhr gedauert hat,
ist er nicht erschienen. Sein Prozessbevollmächtigter hat mitgeteilt, der Kläger habe sich von der Autobahn aus
einem Stau gemeldet und mitgeteilt, er könne nicht pünktlich erscheinen und habe außerdem bereits um 13.00 Uhr
einen Notartermin. Daraufhin ist am Ende des Sitzungstags ein klageabweisendes Urteil verkündet worden. Im
Anschluss hieran ist ausweislich des Sitzungsprotokolls außerdem beschlossen und verkündet worden, dass gegen
den nicht erschienenen Kläger ein Ordnungsgeld in Höhe von 200,- EUR festgesetzt werde.
Mit Datum vom 26. April 2002 hat der Kammervorsitzende einen Beschluss erlassen, in dem ein Ordnungsgeld in
Höhe von 200,- EUR festgesetzt worden ist. Zur Begründung hat er ausgeführt, der Kläger habe sich persönlich
gegenüber dem Gericht nicht hinreichend entschuldigt. Der Hinweis, dass er im Stau stünde und außerdem um 13.00
Uhr einen Notartermin habe, werde nicht für ausreichend gehalten, um ohne Entscheidung des Gerichts dem Termin
fernzubleiben.
Gegen den den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 14. Mai 2002 und dem Kläger am 15. Mai 2002 zugestellten
Beschluss hat dieser am 14. Juni 2002 Beschwerde eingelegt. Er habe sich am Verhandlungstag telefonisch aus dem
Auto bei seinem Rechtsanwalt gemeldet und mitgeteilt, dass er im Stau stehe und aller Voraussicht nach den Termin
nicht mehr schaffen werde. Mehr habe in einer solchen Situation von ihm nicht erwartet werden können.
Das Sozialgericht (SG) hat der Beschwerde durch Verfügung des stellvertretenden Kammervorsitzenden vom 20. Juni
2002 nicht abgeholfen und die Akten dem Landessozialgericht (LSG ) zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Gegenstand des Verfahrens ist der nach der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2002 verkündete
Ordnungsgeldbeschluss. Gemäß §§ 142 Abs 1, 132 SGG werden Beschlüsse, die aufgrund mündlicher Verhandlung
verkündet werden, mit der Verkündung wirksam; damit ist die Festsetzung eines Ordnungsgelds bereits am 18. April
2002 existent geworden. Der Kammervorsitzende hat zwar im Anschluss hieran unter dem gesonderten Datum " 26.
April” nochmals die Festsetzung eines Ordnungsgelds in Höhe von 200,- EUR beschlossen. Aus dem
Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, dass hiermit kein zusätzlicher Beschluss gefasst werden, sondern nur der
bereits verkündete Ordnungsgeldbeschluss schriftlich abgefasst und begründet werden sollte. Die "gegen den
Ordnungsgeldbeschluss vom 26. April 2002” eingelegte Beschwerde vom 14. Juni 2002 ist demzufolge in der Weise
auszulegen, dass sie sich gegen den am 18. April erlassenen und am 26. April abgefassten Beschluss richtet.
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172 Abs 1, 173 SGG) und begründet. Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen
den Kläger erfolgte zu Unrecht.
Der Senat konnte in der Sache entscheiden, auch wenn es an einer ordnungsgemäßen Nichtabhilfeentscheidung des
SG fehlt. Der angefochtene Beschluss ist ausweislich der Sitzungsniederschrift am 18. April 2002 in mündlicher
Verhandlung verkündet worden und damit unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter ergangen. Dies entspricht der
bei Entscheidungen aufgrund mündlicher Verhandlungen zu beachtenden Rechtslage (Thüringer LSG, E-LSG B-127;
LSG Nordrhein-Westfalen, Breithaupt 1997, 921 f; LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1991, 789, 791); der
wiederholende "Beschluss” des Vorsitzenden vom 26. April hat demgegenüber – wie ausgeführt – keine eigenständige
Bedeutung. Damit war aber auch die gemäß § 174 SGG erforderliche Abhilfeentscheidung von der gesamten Kammer
unter Einschluss der ehrenamtlichen Richter zu treffen (Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl, § 174 Rdnr 3 mwN a.d. Rspr.),
nicht aber nur vom (stellvertretenden) Vorsitzenden. In einem derartigen Fall wird teilweise vertreten (BVerwGE 46,
102; Meyer-Ladewig aaO § 174 Rdnr 4), dass es überhaupt an einer Abhilfeentscheidung fehle, so dass das
Beschwerdegericht die Sache zu deren Nachholung an das SG zurückgeben müsse. Dem kann vorliegend jedoch
nicht gefolgt werden, denn der Umstand, dass eine Entscheidung verfahrensfehlerhaft ergangen ist, führt
grundsätzlich nicht zu ihrer Unbeachtlichkeit, sondern macht sie nur aufhebbar. So bleibt beispielsweise auch ein
Ordnungsgeldbeschluss, der nach mündlicher Verhandlung nur durch den Vorsitzenden erlassen worden ist, existent,
kann aber allein deswegen auf Beschwerde des Betroffenen aufgehoben werden (LSG Baden-Württemberg aa0). Für
das Festhalten an einem solchen Beschluss durch Ablehnung der Abhilfe kann nichts anderes gelten, so dass eine
Rückgabe an das erstinstanzliche Gericht nicht zu erfolgen hatte (ebenso: LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1984,
919; Peters/ Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, § 174 Rdnr 7).
Die somit in der Sache durchzuführende rechtliche Prüfung ergibt, dass der Ordnungsgeldbeschluss rechtswidrig ist.
Gemäß § 111 Abs 1 Satz 1 SGG kann der Vorsitzende das persönliche Erscheinen eines Beteiligten zur mündlichen
Verhandlung anordnen. Bleibt der Beteiligte im Termin aus, so kann gegen ihn ein Ordnungsgeld wie gegen einen im
Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden (§ 202 SGG in Verbindung mit § 141 Abs 3 Satz 1
Zivilprozessordnung –ZPO-).
Dies gilt nach § 141 Abs 3 Satz 2 zwar nicht, wenn der Beteiligte zur Verhandlung einen Vertreter entsendet, der zur
Aufklärung des Tatbestandes in der Lage und zur Abgabe der gebotenen Erklärungen, insbesondere zu einem
Vergleichsabschluss ermächtigt ist. Es spricht aber viel dafür, dass der in der mündlichen Verhandlung aufgetretene
Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht zur Abgabe der gebotenen Prozesserklärung – nach dem gerichtlichen
Hinweis vom 9. November 2001 und dem Inhalt des Urteils vom 18. April 2002: Klagerücknahme, § 102 SGG –
berechtigt gewesen ist.
Die Rechtmäßigkeit der Verhängung eines Ordnungsgeldes hängt damit maßgeblich davon ab, ob das Ausbleiben des
Klägers rechtzeitig genügend entschuldigt worden ist, § 202 SGG in Verbindung mit § 381 Abs 1 Satz 1 ZPO. Die
Anforderungen hieran dürfen nicht überspitzt werden. Denn es entspricht allgemeiner Auffassung (LSG Sachsen, E-
LSG, B 155; LSG Baden-Württemberg, Breithaupt 1994, 166, 167f; Meyer-Ladewig aaO, § 111 Rdnr 6a; Hartmann, in:
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 141 Rdnr 30), dass das Gericht Ordnungsgeld im Fall des
§ 141 Abs 3 Satz 1 ohnehin nur zurückhaltend verhängen soll. Sein Sinn liegt – zumindest grundsätzlich - nicht in der
Ahndung einer Missachtung des Gerichts, sondern im Bestreben, das Verfahren zu fördern (LSG Baden-Württemberg
aaO, Seite 167 f; Hartmann aaO Rdnr 37); eine Verfahrensverzögerung ist aber nicht eingetreten, wenn der Prozess –
wie hier – auch ohne Erscheinen des Klägers abgeschlossen werden konnte (LSG Baden-Württemberg aaO).
Der Kläger hat sein Nichterscheinen durch seinen Prozessbevollmächtigten damit entschuldigen lassen, dass er sich
auf der Autobahn im Stau befinde und bereits um 13.00 Uhr einen Notartermin habe. Diese Erklärung ist als
Entschuldigung des Nichterscheinens im Termin grundsätzlich ausreichend. Es entspricht allgemeiner
Lebenserfahrung, dass das Auftreten von Verkehrsstörungen, die häufig unvorhersehbar sind, das pünktliche
Einhalten von Terminen unmöglich machen. Warum das SG diese Entschuldigung gleichwohl nicht für ausreichend
gehalten hat, ist dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen. Zweifel an deren Glaubhaftigkeit sind weder im
Beschluss dargelegt worden noch nach dem Akteninhalt ohne Weiteres ersichtlich. Eine frühere Entschuldigung ist
beim Auftreten plötzlicher Staus auch nicht möglich. Damit bestanden keine ausreichenden Gründe, das Ausbleiben
des Klägers durch die Verhängung eines Ordnungsgeldes zu ahnden.
Da die Beschwerdeentscheidung nach der Entscheidung in der Hauptsache ergeht, war die gesonderte Entscheidung
über die Tragung der außergerichtlichen Kosten erforderlich (Meyer-Ladewig aaO, § 176 Rdnr 5). Diese ist in
entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG dahingehend zu treffen, dass die außergerichtlichen Kosten des
Klägers der Staatskasse aufzuerlegen sind (LSG Nordrhein-Westfalen, Breithaupt 1997, 921).
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.