Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 25.04.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 25.04.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 4 U 226/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 46/01
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 16. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt die Zahlung von Verletztenrente. Streitig ist, ob ein Bandscheibenvorfall im unteren Bereich der
Lendenwirbelsäule (LWS) wahrscheinlich Folge eines Arbeitsunfalls ist.
Bei dem 1938 geborenen Kläger besteht ungefähr seit 1993 ein Wirbelsäulenleiden mit
Bandscheibenmassenverschiebungen im unteren Bereich der LWS und neurologischen Ausfallerscheinungen (vgl. die
anamnestischen Angaben im neurochirurgischen Befundbericht des Prof. Dr. C. vom 3. März 1998, S. 1 f.;
Krankheitsbericht des Dr. D. vom 16. Mai 1997; Auskunft der AOK vom 16. April 1997). 1994 wurde während eines
Kuraufenthalts ein Bandscheibenvorfall festgestellt (Angabe des Klägers gegenüber Dr. E., S. 4 oben des
orthopädischen Gutachtens vom 2. Juni 1998). Am Nachmittag des 21. Februar 1997 suchte der Kläger zunächst den
Facharzt für Innere Medizin Dr. D. auf, der ihn an den Durchgangsarzt überwies. Der Kläger gab an, am 20. Februar
1997 gegen 13.15 Uhr beim Absteigen von einem Radlader abgerutscht zu sein. Bei dem Versuch, sich mit den
Händen festzuhalten, habe er sich den Rücken verdreht. Danach habe er weiter gearbeitet (vgl. auch die Angaben des
Klägers in der Anlage zu seinem Schreiben vom 26. Januar 1998). Im Durchgangsarztbericht vom selben Tag sind
eine Schmerzangabe rechts neben der LWS und die Vorbehandlung wegen eines Bandscheibenvorfalls festgehalten.
Des Weiteren ist vermerkt, dass keine sichtbaren Verletzungszeichen und keine Nervenausfälle vorlagen. Dr. F.
diagnostizierte eine Lendenzerrung rechts, verwies zur Behandlung auf die analgetische Versorgung durch Dr. D. und
attestierte Arbeitsunfähigkeit für voraussichtlich 10 Tage. Nachdem die konservative Therapie zu keiner wesentlichen
Besserung der Symptomatik geführt hatte, wurde der Kläger in der Neurochirurgischen Klinik des G., in der der Kläger
seit Oktober 1995 behandelt wird, stationär aufgenommen. Im Krankenbericht vom 14. März 1997 vermerkte Prof. Dr.
C., dass in Anbetracht des Mehretagenbefundes und der diskreten klinischen Symptomatik ein konservativer
Therapieversuch indiziert sei. Unter dieser Behandlung gab der Kläger eine deutliche Rückbildung der Beschwerden
an und wurde am 15. März 1997 in die ambulante Behandlung entlassen. Nachdem er über zunehmende Schmerzen
berichtet hatte, erfolgte am 29. April 1997 ein operativer Eingriff in Höhe L4/5 (Krankenbericht vom 5. Mai 1997). Im
neurochirurgischen Befundbericht vom 3. März 1998 teilte Prof. Dr. C. mit, dass es bei der Verdrehung des Rumpfes
am 20. Februar 1997 zu einem Einriss des hinteren Längsbandes mit Bandscheibenvorfall gekommen sei, der zu
einer Schädigung der Nervenwurzel L4 geführt habe. Nach dem Unfallmechanismus sei davon auszugehen, dass sich
dadurch das bekannte Wirbelsäulenleiden richtungweisend verschlimmert habe. Zur Klärung des Zusammenhangs der
Wirbelsäulenbeschwerden mit dem Arbeitsunfall veranlasste die Beklagte das orthopädische Gutachten des Dr. E.
vom 2. Juni 1998. Der Gutachter hob hervor, dass bei dem Kläger bereits vor dem Arbeitsunfall eine klinisch
manifeste Bandscheibenerkrankung mit chronisch wiederkehrenden Schmerzattacken bestanden habe, die zu einer
mehrmonatigen Arbeitsunfähigkeitsphase unter der Diagnose eines Reizsyndroms geführt habe. Im
neurochirurgischen Befundbericht vom 3. März 1998 habe Prof. Dr. C. ausdrücklich mitgeteilt, dass im September
1996 die Beschwerden zwar gebessert, jedoch nicht beseitigt gewesen seien. Eine richtunggebende Veränderung des
Krankheitsbildes vermochte Dr. E. nicht zu begründen, zumal bei dem Arbeitsunfall die Energieeinwirkung auf die
LWS nur gering gewesen sei. Stärker belastet seien die Gelenke der unteren Extremitäten gewesen. Der Umstand,
dass an diesen keine Verletzungen und keine Beschwerden bestanden hätten, belege, dass es sich insgesamt um
eine begrenzte Energieaufnahme gehandelt habe. Daraufhin lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen ab
(Bescheid vom 17. Juli 1998). Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 1999).
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die am 5. Juli 1999 erhobene Klage durch Urteil vom 16. Januar 2001
abgewiesen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 12. Februar 2001 eingelegten Berufung. Unter Hinweis auf die Wertung
des Prof. Dr. C. hält er an seiner Auffassung fest, dass der operierte Bandscheibenvorfall Folge des Arbeitsunfalls sei
und beantragt,
1. das Urteil des SG Hannover vom 16. Januar 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Juli 1998 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 1999 aufzuheben,
2. den Bandscheibenvorfall als Folge des Arbeitsunfalls vom 20. Februar 1997 festzustellen,
3. die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vom Hundert der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hannover vom 16. Januar 2001 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügung des Berichterstatters vom 6. März 2002 darauf hingewiesen, dass er
beabsichtige, über die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden. Ihnen ist
Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Unfallakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der
Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der
Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg. Der Senat hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen (§ 153 Abs. 4 SGG). Das SG hat die -
hinsichtlich des Feststellungsantrags gemäß § 55 Abs. 1 Ziffer 3 SGG - zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Der
Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Denn der Bandscheibenvorfall kann nicht mit der im Recht der gesetzlichen
Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit als Folge des Arbeitsunfalls, den der Kläger am 20. Februar 1997
erlitt, festgestellt werden. Deshalb hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente (§ 56
Sozialgesetzbuch VII).
Der erkennende Senat stützt seine Entscheidung auf das überzeugende orthopädische Gutachten des Dr. E. vom 2.
Juni 1998, das urkundenbeweislich (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung) zu würdigen ist
(BSG, Urteil vom 8. Dezember 1988 - 2/9b RU 66/87). Entscheidend ist danach, dass eine klinisch manifeste
Bandscheibenerkrankung bereits vor dem Arbeitsunfall bestand und dass nach dem Arbeitsunfall vom 20. Februar
1997 keine neurologischen Ausfälle vorlagen, die auf einen bei diesem Ereignis verursachten, traumatischen
Bandscheibenvorfall hinweisen würden. Der Vortrag der Berufung, der Kläger habe unmittelbar nach dem Unfall
bemerkt, "dass er in die Hose uriniert hatte”, vermag die ärztliche Feststellung neurologischer Ausfallerscheinungen
nicht zu ersetzen. Vielmehr haben sowohl Dr. D. als auch Dr. F. am 21. Februar 1997 bis auf einen Klopf- und
Druckschmerz keine pathologischen Befunde erhoben und in ihren Berichten vom 21. Februar und 16. Mai 1997
ausdrücklich festgehalten, dass der neurologische Befund unauffällig war. Damit stimmt überein, dass sich die
Beschwerden des Klägers unter konservativer Therapie besserten (Krankenbericht vom 14. März 1997). Erhebliche
neurologische Ausfallerscheinungen bestanden im Übrigen schon vor dem Arbeitsunfall und waren nicht behoben,
wenn auch Prof. Dr. C. im neurochirurgischen Befundbericht vom 3. März 1998 eine deutliche Besserung im
September 1996 mitteilt. Eine deutliche Rückbildung der Beschwerdesymptomatik konnte auch durch den stationären
Aufenthalt in der ersten Hälfte des Monats März 1997 erzielt werden. Des Weiteren hat Dr. E. gut nachvollziehbar
hervorgehoben, dass die bei dem Arbeitsunfall auf die LWS einwirkende Energie nur gering war. Bei diesem
Sachverhalt vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass der Arbeitsunfall wahrscheinlich zu einer
strukturellen Verletzung, insbesondere zu einem Bandscheibenvorfall führte und damit das Beschwerdebild
richtunggebend verschlimmert hat. Vielmehr überzeugt die Wertung des Dr. E., dass der Arbeitsunfall keinen
wesentlichen Einfluss auf die Erkrankung des Klägers gehabt hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.