Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 06.08.2002

LSG Nsb: ärztliche behandlung, erwerbsfähigkeit, niedersachsen, latenz, behinderung, belastung, embolie, psychiater, bursitis, widerspruchsverfahren

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 06.08.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 36 U 291/01
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 368/01
Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt eine Verletztenrente aufgrund einer anerkannten Berufskrankheit (BK). Der Kläger ist als
selbstständiger Zimmermeister bei der Beklagten versichert. Im Februar 1982 wurde wegen einer chronischen Bursitis
präpatellaris eine Operation durchgeführt, postoperativ trat eine Lungenembolie auf.
Am 15. August 1996 erlitt der Kläger in Ausübung einer versicherten Tätigkeit einen schweren Verkehrsunfall.
Aufgrund dieses Arbeitsunfalls bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Mai 2000 Rente auf unbestimmte Zeit in
Höhe von 50 v.H. der Vollrente. Als Folgen des Arbeitsunfalls erkannte sie u.a. an: "Mäßiggradiges, hirnorganisches
Psychosyndrom bei relativ guter Restitution der intellektuellen Fähigkeiten mit jedoch deutlichen Einbußen im Bereich
von Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit, Reaktionsfähigkeit, Aufmerksamkeit, verbaler Merkfähigkeit und
kognitiver Flexibilität, gestörte Erlebniswahrnehmung und leichten Störungen des Affektes, diskretes Restdefizit nach
contusionell bedingter Halbseitenlähmung nach schwerer Schädelverletzung mit Schädigung der Hirnsubstanz.”
Am 04. Januar 2000 wandte sich der Kläger an die Beklagte und machte geltend, die damaligen Lungenbeschwerden
seien ihm als psychische Belastung im Unterbewusstsein erhalten geblieben. Seitdem habe er einengende
Situationen (z.B. Anlegen von Gurten oder Fahren in engen Fahrstühlen) vermieden. Durch den Unfall sei die
psychische Belastung aus der Latenz gehoben worden.
Die Beklagte zog u.a. das in dem Verwaltungsverfahren wegen des Arbeitsunfalls vom 15. August 1996 eingeholte
Gutachten von Dr. B. vom 24. August 1999 bei. Anlässlich der Untersuchung hatte der Kläger angegeben, seit der
Embolie habe er einengende Situationen vermieden. Eine nervenärztliche Behandlung habe jedoch nicht
stattgefunden. Nach der Beurteilung von Dr. B. führt die Abneigung gegenüber beengenden Kleidungsstücken oder
Gurten im Thoraxbereich nicht zu einer manifesten Beeinträchtigung. Außerdem holte die Beklagte das chirurgische
Gutachten von Prof. Dr. C. vom 13. Dezember 2000 sowie das internistische Zusatzgutachten von Dr. D. vom 23.
Januar 2001 ein. Gegenüber Dr. E. gab der Kläger an, die Platzangst habe sich im Anschluss an den Unfall von 1996
verschlimmert. Dr. D. kam zu dem Ergebnis, dass das postthrombotische Syndrom des linken Unterschenkels keine
messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bedinge. Die stattgehabte Lungenembolie habe keine
Funktionseinschränkung der Lunge oder des Herzens hinterlassen. Ein eindeutiger Zusammenhang zu der
geschilderten Platzangstsymptomatik könne nicht hergeleitet werden. Außerdem sei trotz erheblicher Platzangst
sogar eine bodyplethysmographische Untersuchung möglich gewesen. Mit Bescheid vom 19. März 2001 erkannte die
Beklagte eine BK 2105 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV (chronische Erkrankungen der
Schleimbeutel durch ständigen Druck) an. Als Folgen des Versicherungsfalls erkannte sie an: "Reizlose
Narbenbildung nach operativer Entfernung des Schleimbeutels am linken Knie mit nachfolgender Lungenembolie”. Die
Anerkennung von Angst- und Beklemmungsgefühlen als Folgen der BK lehnte sie ab. Außerdem lehnte sie die
Zahlung einer Rente mit der Begründung ab, die Erkrankung habe keine rentenberechtigende MdE zur Folge. Im
Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er habe die bei der Lungenembolie empfundene Todesangst seitdem
immer unbewusst bei sich getragen, durch die Embolie sei eine psychische Behinderung (Platzangst) aufgetreten.
Durch unfallbedingte Gehirnverletzung sei diese psychische Behinderung aus der Latenz gehoben worden. Den
Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. Juli 2001 zurück. Im anschließenden
Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Hannover hat der Kläger vorgetragen, Dr. D. habe ihm gegenüber
geäußert, dass die MdE aufgrund beider Versicherungsfälle mit 100 v.H. zu bewerten sei. Dies müsse jedoch ein
Psychiater beurteilen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 17. September 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
zum einen habe Dr. D. keinen Zusammenhang mit der von dem Kläger geschilderten Platzangstsymptomatik
erkennen können. Zum anderen seien bereits als Folge des Arbeitsunfalls erhebliche psychische Beeinträchtigungen
festgestellt worden. Gegen diesen am 19. September 2001 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 08.
Oktober 2001 Berufung eingelegt und am 19. Juni 2002 Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
II.
Gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann PKH
nur gewährt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist im
vorliegenden Verfahren jedoch zu verneinen. Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 56 Abs. 1
Satz 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VII nur gewährt, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge eines
Versicherungsfalls (hier: BK) über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist.
Sofern die MdE des Versicherten - wie hier - wegen eines anderen Arbeitsunfalls um mindestens 10 v.H. gemindert
ist, führt auch eine MdE von mindestens 10 v.H. zur Zahlung einer so genannten Stützrente (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 und
3).
Letztere Voraussetzung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt. Denn auch der Senat vermag nicht festzustellen,
dass die von der Beklagten anerkannte BK 2105 der Anlage zur BKV Folgen hinterlassen hat, die zu einer MdE um
mindestens 10 v.H. führt. Aufgrund der vorliegenden Gutachten steht fest, dass die Lungenembolie zu keiner
organischen Schädigung und insbesondere zu keinen Funktionseinschränkungen der Lunge oder des Herzens geführt
hat. Entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich auch kein Zusammenhang zwischen der von ihm angegebenen
Platzangst und der Lungenembolie wahrscheinlich machen. Die dahingehende Beurteilung durch Dr. D. hält der Senat
für plausibel. Sie wird auch dadurch gestützt, dass der Kläger sich wegen der von ihm geltend gemachten
psychischen Beeinträchtigung nicht in ärztliche Behandlung begeben und die mit einer Beengung verbundene
bodyplethysmographische Untersuchung durch Dr. D. toleriert hat. Das steht im Einklang mit dem Gutachten des Dr.
B ... Dieser spricht zwar von einer "Lungenembolie mit ängstlich gefärbter Verarbeitung dieses Geschehens”. Er
macht aber zugleich deutlich, dass die vom Kläger berichtete Abneigung gegenüber beengenden Kleidungsstücken
oder Gurten im Thoraxbereich zu keinerlei manifesten Beeinträchtigungen führt. Schließlich hat das SG zutreffend
darauf hingewiesen, dass das psychische Krankheitsbild in seiner Gesamtheit als Folge des Arbeitsunfalls vom 15.
August 1996 angemessen entschädigt wird. Das wiederum entspricht der Angabe des Klägers bei der Untersuchung
durch Dr. B., dass er sich seit dem Unfall im Jahr 1996 insgesamt ängstlicher erlebe.
Soweit der Kläger Dr. D. dahingehend verstanden hat, dass eine messbare MdE nur deshalb nicht bestimmt werden
könne, weil seine Erwerbsfähigkeit bereits um 100 v.H. gemindert ist, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Denn
eine solche Folgerung ergibt sich aus dem schriftlichen Gutachten nicht. Vielmehr begründet der Gutachter die nicht
messbare MdE - nachvollziehbar - damit, dass die Lungenembolie, wie bereits erwähnt, keine
Funktionseinschränkung der Lunge oder des Herzens hinterlassen hat und dass sich ein Zusammenhang mit der
geschilderten Platzangstsymptomatik nicht finden lasse.