Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 01.09.2003

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 01.09.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 23 V 92/94
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 5 V 45/00
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
In dem Berufungsverfahren geht es um die Bewertung körperlicher Schäden nach einer Erkrankung, die der Klägers
als Soldat im Zusammenhang mit dem 2. Weltkrieg erlitten hat.
Mit Umanerkennungsbescheid vom 10. Mai 1951 stellte das Versorgungsamt (VA) bei dem am F. geborenen Kläger
im Sinne der Entstehung aufgetretene Schädigungsfolgen mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H.
fest. Die Bezeichnung der Schädigungsfolgen lautete zuletzt (Bescheid vom 9. Februar 1984):
Restlähmung beider Beine und der rechten Hand nach überstandener Nervenwurzel- und Nervenentzündung (Radiculo-
Polyneuropathie).
Zugrunde lag ein nervenärztliches Untersuchungsgutachten der Prof. Dres. G. vom 12. Februar 1982, welches für das
Sozialgericht (SG) Hildesheim in einem Rechtsstreit des Klägers erstattet worden war, nebst einer Stellungnahme des
Neurologen und Psychiaters Dr. H. vom 28. November 1983.
Nachdem ein Neufeststellungsantrag des Klägers auf der Grundlage eines Untersuchungsgutachtens des Neurologen
und Psychiaters Dr. I. vom 10. April 1985 mit Ergänzung vom 20. Januar 1986 erfolglos geblieben war (Bescheid vom
7. Mai 1985/Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 1986), lehnte das VA auch einen Neufeststellungsantrag vom 22.
Januar 1992 nach Untersuchungsgutachten der Internistin und Versorgungsamtsärztin Dr. J. vom 25. August 1992 mit
Zusatzgutachten des Chirurgen K. vom 20. August 1982 ab (Bescheid vom 6. Oktober 1992).
Der Kläger beantragte am 25. Februar 1993/7. Mai 1993 die Neufeststellung seines Beschädigtenstatus. Die
anerkannten Schädigungsfolgen hätten zu einer Schiefstellung der Wirbelsäule geführt und zu einem starken
Dauerschmerz im Rücken sowie Durchblutungsstörungen in den Beinen, zu Schmerzen im linken Fuß und Bein. Ein
normales Gehen und Stehen sei ihm nicht möglich. Nach Untersuchungsgutachten der Vertragsärztlin L. vom 16. Juli
1993 und des Chirurgen und Versorgungsamtsarztes K. vom 30. Dezember 1993 lehnte das VA den Antrag ab
(Bescheid vom 17. Januar 1994). Der Widerspruch blieb nach versorgungsärztlichem Untersuchungsgutachten des
Neurologen M. vom 10. Juni 1994 erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 1994).
Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 5. August 1994 beim SG Hannover eingegangenen Klage gewandt. Er hat
ausgeführt, die im Krieg erlittene Nervenlähmung habe sich verschlimmert. Die schädigungsbedingte einseitige
Belastung des rechten Beines habe zu den jetzt feststellbaren Funktionsstörungen im Bein, an der Wirbelsäule und in
der Hüfte geführt. Seines eingeschränkten Gehvermögens wegen habe er einen Gehstock dauerhaft benutzen
müssen, was zu Schmerzen im Bereich des Schultergelenks geführt habe. Der Kläger hat sein Vorbringen auf einen
Bericht des Hautarztes Dr. N., einen Arztbrief der Orthopädischen Klinik der O. sowie eine ärztliche Bescheinigung
der Kurklinik ”P.” gestützt.
Das SG hat Beweis erhoben auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch
Untersuchungsgutachten des Orthopäden Prof. Dr. Q. vom 17. Dezember 1998 und des Orthopäden Dr. R. vom 26.
Dezember 1999. Den Gutachten folgend hat es durch Urteil vom 7. Juli 2000 die Klage abgewiesen. In den
Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, beide Sachverständige hätten in den Schädigungsfolgen keinerlei
Veränderungen feststellen können. Dies stimme in vollem Umfang mit den bereits zuvor eingeholten Gutachten der
Dr. J. sowie der Herren M. und K. überein.
Gegen das am 17. August 2000 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 6. September 2000
eingegangenen Berufung. Er stützt sie auf Äußerungen seines behandelnden Orthopäden Dr. S., wonach die
Veränderungen am Stütz- und Bewegungsapparat zum größten Teil auf die Schädigungsfolgen zurückzuführen seien.
Dies gelte auch für die als Folge der statischen Veränderungen eingetretene Überlastung des rechtsseitigen
Schulterbereichs. Der Kläger stützt sich weiter auf den Abschlussbericht der Reha-Klinik T. vom 16. Dezember 1999
sowie auf ein Attest der Ärztin für Allgemeinmedizin U. vom 10. Januar 2002.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
1. das Urteil des SG Hannover vom 7. Juli 2000 und den Bescheid vom 17. Januar 1994 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 1994 aufzuheben,
2. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Versorgung nach einer MdE um 80 v.H. seit Februar 1993 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Abs. 1 SGG durch Untersuchungsgutachten des
Neurologen Dr. V. vom 4. Dezember 2002, der eine Änderung der Schädigungsfolgen nicht festgestellt hat.
Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die den Kläger betreffenden Beschädigten-Akten (GrundlistenNr.
W.) mit den Beiheften HuK sowie die Schwerbehinderten-Akten (Az.: X.) des VA Hannover vorgelegen und sind
Gegenstand der Entscheidung gewesen.
II.
Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er einstimmig
die Berufung für nicht begründet und eine mündliche Verhandlung für entbehrlich hält.
Die nach § 143 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Eine wesentliche Änderung der anerkannten
Schädigungsfolgen mit dem Ergebnis, dass eine MdE um mehr als 50 v.H. festzustellen wäre, ist nicht eingetreten.
Prüfungsmaßstab ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch Sozialverwaltungsverfahren und
Sozialdatenschutz (SGB X). Ein mit Dauerwirkung ausgestatteter Verwaltungsakt ist mit Wirkung für die Zukunft
aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine
wesentliche Änderung eintritt. Diese Voraussetzungen lassen sich nicht feststellen, denn gegenüber dem Bescheid
vom 9. Februar 1984, in dem die Schädigungsfolgen unter Beibehaltung der bisher schon festgestellten MdE um 50
v.H. neu bezeichnet wurden, hat sich eine wesentliche Änderung nicht ergeben. Übereinstimmend haben die den
Kläger untersuchenden Neurologen Dr. V., Herr M. und schon in dem Gutachten vom 10. April 1985 Dr. I. festgestellt,
dass die als Schädigungsfolge anerkannte Erkrankung des Klägers prinzipiell und nach medizinisch-neurologischer
Erfahrung ein einmaliges Ereignis darstellt, nach dessen Abklingen ein Restzustand verbleibt, der sich in der Folge
nicht mehr wesentlich ändert. Die von Dr. I. mitgeteilte Erkenntnis ist nirgends angegriffen worden, dass sowohl die
Nervenwurzelreizung vom aufsteigenden Typ als auch eine Polyneuritis streng auf das Rückenmark, seine Höhen und
Nervenwurzeln beschränkte Krankheiten darstellen, die auf den Tonus der Gefäßwände an den unteren Extremitäten
ohne Einfluss bleiben. Für die Tonisierung der Gefäßmuskulatur ist ein außerhalb der Wirbelsäule und des
Spinalkanals liegendes nervöses Organ verantwortlich, nicht die motorischen und sensiblen Wurzeln des
Rückenmarks. Demzufolge hat der Sachverständige Dr. I. damals schon überzeugend abgeleitet, dass auf die
Schädigungsfolgen weder die Durchblutungsstörungen des Klägers in den Beinen zurückzuführen sind noch die sich
über die ganze Wirbelsäule erstreckenden Veränderungen, die degenerativer Natur sind. Auch kann nach den
überzeugenden Ausführungen der erstinstanzlich gehörten Sachverständigen Prof. Dres. Q. und R. in
Übereinstimmung mit den Ausführungen des Dr. V. ein Schädigungszusammenhang mit dem Hüftschaden oder mit
der von dem Kläger auf die Gehstockbenutzung zurückgeführten Schulterbelastung nicht hergestellt werden. Deshalb
könnte, selbst wenn der Kläger die Feststellung weiterer Schädigungsfolgen ausdrücklich beantragt hätte, eine solche
Feststellung, die ggfs. mit dem Ausspruch einer MdE um mehr als 50 v.H. verbunden wäre, nicht getroffen werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.