Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 03.09.2009

LSG Nsb: aufschiebende wirkung, aufschub, niedersachsen, beiladung, gesetzeslücke, versicherungsträger, sozialhilfe, unterlassen, verzicht, zivilprozessordnung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 03.09.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 47 AS 2033/09
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 7 AS 919/09 B
Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 24. Juli 2009 abgeändert:
Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2 des angegriffenen Beschlusses wird auf 500,00 EUR herabgesetzt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger im Beschwerdeverfahren zu tragen.
Den Klägern wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F.,
G., bewilligt.
Gründe:
I.
Die Beklagte wendet sich gegen die Vollstreckung des Urteils des Sozialgerichts SG Hannover vom 26. März 2009
(Az.: S 47 AS 2495/07).
Mit diesem Urteil hat das SG Hannover die Beklagte verurteilt, den Klägern für die Zeit vom 03. Juni 2005 bis zum 30.
April 2009 Kosten der Unterkunft einschließlich nachgewiesener Neben- und Heizkosten in tatsächlicher Höhe unter
Anrechnung bereits gezahlter Beträge zu gewähren. Zwar seien die Kosten der Unterkunft der Kläger unangemessen.
Ein Umzug in eine angemessene Unterkunft sei jedoch nicht möglich bzw. nicht zumutbar. Da die Kläger
eidesstattliche Versicherungen abgegeben hätten und negative Schufa-Eintragungen über sie bestünden, sei es ihnen
bislang nicht gelungen, eine andere Unterkunft im maßgeblichen räumlichen Bereich in H. zu finden. Das darüber
hinaus gehende Klagebegehren hat das SG abgewiesen (Sozialgeld für den Kläger zu 1) statt der Regelleistung für
erwerbsfähige Hilfebedürftige; keine Verfassungswidrigkeit der Regelleistung bzw. des Sozialgelds; keine
Versicherungspauschale bei dem minderjährigen Kläger zu 3); keine Fahrtkosten zur Krankenbehandlung vom Träger
der Grundsicherung). Gegen das ihr am 07. April 2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21. April 2009 beim
Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen Berufung eingelegt (Az.: L 7 AS 472/09).
Unter dem 15. Mai 2009 haben die Kläger beim SG Hannover beantragt, eine Vollstreckung des Urteils vom 26. März
2009 einzuleiten und gegen die Beklagte ein Zwangsgeld festzusetzen. Zur Begründung haben sie angegeben, dass
die Beklagte trotz schriftlicher Aufforderung ihrer Verpflichtung aus dem Urteil nicht nachgekommen sei und eine
Neubescheidung im Hinblick auf die Kosten der Unterkunft und eine Auszahlung des Differenzbetrages noch nicht
vorgenommen habe. Vielmehr habe die Beklagte schriftlich erklärt, gegen das Urteil Berufung einlegen zu wollen und
sich auf den Standpunkt gestellt, dass dieses Rechtsmittel Aufschub bewirke.
Mit Beschluss vom 24. Juli 2009 hat das SG Hannover der Beklagten aufgegeben, bis zum 31. Juli 2009 der
Verpflichtung aus dem Urteil vom 26. März 2009 nachzukommen und für den Fall der Zuwiderhandlung die
Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 EUR angedroht.
Die Beklagte hat dagegen am 27. Juli 2009 Beschwerde erhoben.
Sie ist der Ansicht, dass ihre Berufung in entsprechender Anwendung des § 154 Abs. 2 SGG Aufschub bewirke,
soweit sie verpflichtet worden sei, Beträge für die Zeit vor Erlass des angefochtenen Urteils zu zahlen. Zwar wären in
dieser Vorschrift Grundsicherungsträger insoweit nicht als Begünstigte benannt. Es bestehe jedoch eine
Regelungslücke, die eine entsprechende Anwendung gebiete. Eine Vollstreckung sei daher nicht möglich. Hinsichtlich
der Unterkunftskosten für den Zeitraum vom 26. März bis zum 30. April 2009, also nach Erlass des angegriffenen
Urteils, habe sie bereits eine Nachzahlung veranlasst.
Die Kläger treten dem Beschwerdebegehren entgegen und beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Gerichtsakten zum
Verfahren L 7 AS 472/09 nebst Beiakten Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Beklagte ist nach Maßgabe der §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG - statthaft und zulässig.
Sie hat in der Sache keinen Erfolg, soweit sich die Beklagte gegen die Vollstreckung an sich wendet (a). Im Hinblick
auf die Höhe der Zwangsgeldandrohung ist sie begründet (b).
a) Die Voraussetzungen für eine Vollstreckung des Urteils des SG Hannover vom 26. März 2009 nach Maßgabe des §
201 SGG sind gegeben. Dieses Urteil ist ein Vollstreckungstitel im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Zwar hat das
SG die Beklagte nicht zu einer Leistung in einer bestimmten Höhe verurteilt. Da seine Entscheidung jedoch auf eine
kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ergangenen ist (vgl. § 54 Abs. 4 SGG), handelt es sich um ein
Grundurteil im Sinne des § 130 SGG (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 130 Rdnr. 4a). Die Beklagte muss
zur Umsetzung des Urteils, d.h. zur Festlegung der Höhe der zu erbringenden Leistungen, einen Verwaltungsakt
erlassen. Die Vollstreckung einer derartigen Entscheidung erfolgt entsprechend der für die Verpflichtungsklage
geltenden Vorschrift des § 201 SGG (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O., Rdnr. 4b; BSG, Beschluss vom 06.08.1999 - B 4
RA 25/98 B -, SozR 3-1500 § 201 Nr. 1).
Das Urteil vom 26. März 2009 ist auch vollstreckbar. Keiner der im SGG abschließend aufgeführten Fälle für einen
Vollstreckungsaufschub ist gegeben. Ein durch die Berufung bedingter Aufschub nach § 154 Abs. 1 SGG kommt
nicht in Betracht. Diese Vorschrift erfasst nach ihrem Wortlaut nur die aufschiebende Wirkung der Berufung gegen
isolierte Anfechtungsklagen, bei denen nach § 86a SGG aufschiebende Wirkung besteht. Im Grundsatz geht es dabei
um die Verteidigung gegen Eingriffsakte der öffentlichen Hand (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O., § 86a Rdnr. 1).
Die Berufung der Beklagten erzeugt auch keinen Aufschub nach Maßgabe des § 154 Abs. 2 SGG. Nach dem Wortlaut
dieser Vorschrift bewirken nur die Berufung und die Nichtzulassungsbeschwerde eines Versicherungsträgers oder in
der Kriegsopferversorgung eines Landes Aufschub, soweit es sich um Beträge handelt, die für die Zeit vor Erlass des
angefochtenen Urteils nachgezahlt werden sollen. Bei der Beklagten handelt es sich jedoch nicht um einen
Versicherungsträger oder ein Land, das in der Kriegsopferversorgung tätig geworden ist. Diese Vorschrift kann auch
nicht entsprechend auf die Beklagte als Grundsicherungsträger angewendet werden (so: Meyer-Ladewig, a. a. O., §
154 Rdnr. 3, m. w. N.; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22.06.2007 - L 18 B 970/07 AS ER -). Zwar hat der
Gesetzgeber durch Art. 9 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 06. Juli
2006 (BGBl. I, S. 1706) im Bereich der Beiladung eine Änderung des SGG vorgenommen und in § 75 Abs. 5 SGG
neben den bereits zuvor aufgeführten Versicherungsträgern ausdrücklich die Träger der Grundsicherung für
Arbeitsuchende und die Träger der Sozialhilfe aufgenommen, so dass diese nunmehr nach Beiladung verurteilt werden
können. Insoweit hatte ein ungewollte Gesetzeslücke bestanden (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 14/06 R
-). Wenn der Gesetzgeber jedoch eine entsprechende Erweiterung des § 154 Abs. 2 SGG unterlassen hat, obwohl §
51 Abs. 1 Nr. 4a SGG seit dem 01. Januar 2005 die Zuständigkeit der Sozialgerichte auch in Angelegenheiten der
Grundsicherung für Arbeitsuchende gegeben ist, kann gerade nicht mehr von einer ungewollten Gesetzeslücke
ausgegangen werden (so aber LSG Berlin-Brandenburg, a. a. O.). Eine analoge Anwendung des § 154 Abs. 2 SGG
auf die Träger auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende ist daher ausgeschlossen (vgl. LSG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 12.09.2006 - L 8 AS 300/06 ER -; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.01.2006 - L
13 AS 5365/05 ER -). Dies muss um so mehr gelten, als nach dem System des SGG grundsätzlich von einer
Vollstreckbarkeit gerichtlicher Entscheidungen ausgegangen wird (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O., § 154 Rdnr. 1; § 199
Rdnr. 3a). Nur in abschließend aufgezählten Fällen entfaltet ein Rechtsmittel bzw. ein Rechtsbehelf aufschiebende
Wirkung (vgl. für die Berufung § 154 i. V. m. § 86a SGG, für die Revision § 165 i. V. m. § 154 SGG und für die
Beschwerde § 175 SGG). Im Übrigen erschließt sich nicht, warum eine vergleichbare Interessenlage wie bei der
Verurteilung eines Versicherungsträgers bestehen soll (so ohne nähere Begründung LSG Berlin-Brandenburg, a. a.
O.).
Da somit durch die Berufung ein Aufschub nicht bewirkt wird, war die Beklagte verpflichtet, das Urteil des SG
Hannover vom 26. März 2009 unverzüglich umzusetzen. Da sie dieser Pflicht nicht nachgekommen ist, konnte das
SG Hannover auf Antrag Vollstreckungsmaßnahmen nach Maßgabe des § 201 Abs. 1 SGG ergreifen.
b) Der Senat hat die Zwangsgeldandrohung auf 500,00 EUR herabgesetzt. Bei einer erstmaligen
Zwangsgeldandrohung erscheint eine vollständige Ausschöpfung der Obergrenze nach Maßgabe des § 201 Abs. 1
SGG nicht angezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 SGG. Angesichts des
geringfügigen Obsiegens der Beklagten bestand jedoch keine Veranlassung, sie von außergerichtlichen Kosten der
Kläger im Beschwerdeverfahren zu entlasten.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) erfolgt nach Maßgabe des § 73a SGG i. V. m. §§ 114, 119 Abs. 1 Satz
2 Zivilprozessordnung (ZPO); die Entscheidung über die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten folgt aus § 121
Abs. 2 ZPO, der Verzicht auf Ratenzahlungen beruht auf § 120 Abs. 1 ZPO.
Dieser Beschluss ist nach Maßgabe des § 177 SGG unanfechtbar.-