Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 11.11.2009
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 11.11.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 44 KR 1219/04
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4 KR 17/08
Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch
aus dem Berufungsverfahren.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die Versorgung der Klägerin mit einem sog. "Einkaufsfuchs". Dabei handelt es sich um einen
elektronischen Barcodeleser mit digitaler Sprachausgabe.
Die im Mai 1959 geborene Klägerin ist seit ihrer Geburt in ihrer Sehfähigkeit gemindert. Die Erkrankung unterliegt einer
fortschreitenden Verschlechterung. Bereits in einem Pflegebedürftigkeitsgutachten vom 12. April 2001 hieß es, dass
die mit ihrem Ehemann zusammen wohnende Klägerin ein Mobilisationstraining zur Verbesserung ihrer
Eigenständigkeit benötige.
Mit Datum vom 15. September 2003 verordnete die Ärztin für Augenheilkunde Dr C. für die Klägerin einen
Einkaufsfuchs. Die Beklagte legte den Vorgang dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen
(MDKN) zur Begutachtung vor. Der Gutachter D. erläuterte in dem Gutachten vom 14. Oktober 2003, dass die
Klägerin von der Beklagten bisher mit einem Blindenlangstock sowie mit einem Blindenvorlesesystem mit Braillezeile
und Farberkennungssystem versorgt sei. Zu dem Einkaufsfuchs führte der Gutachter aus, dass dieser der Klägerin
nur in besonderen Lebenssituationen helfe, die Sehfähigkeit zu ersetzen. Die mit der Anschaffung des
Einkaufsfuchses verbundenen Kosten von ca 2.500,- Euro ständen nicht in einem angemessenen Verhältnis zu
dessen Nutzen. Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 15. Oktober 2003 die Übernahme der Kosten für den
Einkaufsfuchs ab. Auf den Widerspruch der Klägerin vom 27. Oktober 2003 legte die Beklagte den Vorgang erneut
dem MDKN vor. Dr E. gab in dem Gutachten vom 3. November 2003 an, dass es sich bei dem Einkaufsfuchs um
einen Barcodeleser handele, der als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens zu betrachten sei. Daraufhin lehnte
die Beklagte die Bewilligung des beantragten Hilfsmittels mit Bescheid vom 12. November 2003 erneut ab. Die
Klägerin legte am 26. November 2003 auch gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Die Beklagte wies die
Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 2004 mit der Begründung zurück, die Informationsbedürfnisse
in Bezug auf den Einkauf von Lebensmitteln oder anderen Gegenständen könne die Klägerin auch auf andere Weise
befriedigen.
Mit ihrer am 29. September 2004 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Sie benötige den
Einkaufsfuchs, um im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung selbständig Einkäufe tätigen zu können und bei
der Vorratshaltung erkennen zu können, welche Lebensmittel nun zum Verbrauch anständen.
Das Sozialgericht Hannover hat der Klage durch Urteil vom 4. Dezember 2007 stattgegeben, die Bescheide der
Beklagten aufgehoben und diese zur Sachleistung eines Einkaufsfuchses verurteilt. Zur Begründung hat es
ausgeführt, dass der Einkaufsfuchs es der Klägerin ermögliche, selbständig die hauswirtschaftliche Versorgung beim
Einkaufen bzw bei der Orientierung in ihrem Haushalt zu bewerkstelligen. Dabei handele es sich um ein
Grundbedürfnis, das mit Hilfe des Einkaufsfuchses abgedeckt werde. Damit lägen die Voraussetzungen für eine
Bewilligung des Hilfsmittels vor.
Gegen dieses ihr am 12. Dezember 2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 9. Januar 2008 Berufung eingelegt
und geltend gemacht, dass der Einkaufsfuchs als Hilfsmittel unwirtschaftlich sei. Die mit der Anschaffung
verbundenen Kosten ständen in keinem Verhältnis zu dem damit verbundenen Nutzen. Unter Beachtung des
Wirtschaftlichkeitsgebotes könne sie deshalb nicht verpflichtet werden, die Klägerin mit diesem Hilfsmittel zu
versorgen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 4. Dezember 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den Inhalt der beigefügten Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der
Entscheidungsfindung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 143 und § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und
fristgerecht eingelegt, mithin zulässig.
Sie ist jedoch unbegründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf die Versorgung mit einem Einkaufsfuchs. Das hat das Sozialgericht in dem
angefochtenen Urteil zu Recht entschieden. Das Urteil ist daher nicht aufzuheben.
Nach § 33 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Seh- und Hörhilfen,
Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der
Krankenbehandlung zu sichern (1. Alternative) oder eine Behinderung auszugleichen (2. Alternative), soweit die
Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs 4 SGB
V ausgeschlossen sind.
Bei dem Einkaufsfuchs handelt es sich nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Denn Personen,
die nicht an einer Sehminderung leiden, können sich die für einen Einkauf oder die Orientierung im Haushalt
notwendigen Informationen über die in diesem Zusammenhang anzuschaffenden bzw zu gebrauchenden Produkte
ohne den Einkaufsfuchs beschaffen.
Der Einkaufsfuchs ist auch nicht durch Rechtsverordnung nach § 34 Abs 4 SGB V ausgeschlossen.
Die Beklagte macht zu Unrecht geltend, dass die Versorgung der Klägerin mit dem Einkaufsfuchs dem aus § 12 Abs
1 SGB V folgenden Wirtschaftlichkeitsgebot widerspreche. Hilfsmittel, die wie der Einkaufsfuchs nicht unmittelbar an
der Behinderung ansetzen, sondern den durch die Krankheit verursachten Funktionsausfall anderweitig ausgleichen
oder mildern, sollen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur dann in die Leistungspflicht der gesetzlichen
Krankenversicherung fallen, wenn sie die Wahrnehmung von Grundbedürfnissen ermöglichen (vgl BSG in SozR 3-
2500, § 33, Nr 44). Diese Voraussetzung trifft auf den Einkaufsfuchs zu. Denn er ermöglicht es der Klägerin, im
Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung das Einkaufen bzw das Orientieren im eigenen Haushalt selbständig
auszuführen. Dabei handelt es sich um ein allgemeines Grundbedürfnis.
Das Bundessozialgericht hat zu der Frage der erheblichen Mehrkosten für die Anschaffung eines Hilfsmittels darauf
hingewiesen, dass zwar zwischen den Kosten und dem Gebrauchsvorteil eines Hilfsmittels eine begründbare Relation
bestehen müsse. Dabei sei aber keine zusätzliche Kosten-Nutzen-Erwägung gemeint, die zusätzlich zum Erfordernis
der umfassenden Einsetzbarkeit des Hilfsmittels bzw des Gebrauchsvorteils bei einem Grundbedürfnis anzustellen
sei. Eine solche Erwägung könne allenfalls dann geboten sein, wenn der zusätzliche Gebrauchsvorteil des Hilfsmittels
im Alltagsleben eher gering, die dafür anfallenden Kosten im Vergleich zu einem bisher als ausreichend angesehenen
Versorgungsstandard als unverhältnismäßig hoch einzuschätzen seien (vgl BSG aaO).
Vorliegend ist die Klägerin zwar mit einigen Hilfsmitteln zum Ausgleich ihrer Sehbehinderung versorgt worden. Das
Vorlesesystem mit Braillezeile und Farberkennungssystem ist aber keine Versorgung, die der Klägerin das
selbständige Einkaufen oder Orientieren im Haushalt ermöglicht. Daher muss davon ausgegangen werden, dass der
Einkaufsfuchs es der Klägerin überhaupt erst ermöglicht, dieses Grundbedürfnis zu befriedigen. Der Senat teilt die
Auffassung des Sozialgerichtes, dass insoweit ein Grundbedürfnis betroffen ist, das von der Beklagten durch die
Verschaffung des Hilfsmittels zu befriedigen ist.
Die Berufung der Beklagten kann deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.