Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26.09.2001
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 26.09.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 24 KA 8/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 3/5 KA 81/00
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 29. März 2000 und der Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 1997 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 1997 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, über
den Antrag des Klägers auf Befreiung von dem Teilbudget "Verbände, Injektionen, Punktionen und Anästhesien zur
Schmerztherapie" unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates erneut zu entscheiden. Die Beklagte trägt die
notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers aus beiden Rechtszügen. Im Übrigen sind Kosten nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt eine Befreiung vom Teilbudget "Verbände, Injektionen, Punktionen und Anästhesien zur
Schmerztherapie" (Allgemeine Bestimmungen A I Ziff. 5.7.1 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes – EBM – in der
zum 01. Juli 1996 in Kraft getretenen Fassung) und zwar für die Quartale III/1996 – II/1997.
Der Kläger ist als Facharzt für Orthopädie mit dem Schwerpunkt Rheumatologie und der Zusatzbezeichnung
Physikalische Therapie in I. niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen.
Im Quartal III/96 rechnete er insgesamt 2.284.828,9 Punkte ab, von denen auf die dem vorstehend genannten
Teilbudget unterfallenden Leistungen insgesamt 774.880 Punkte entsprechend 33,91 % der abgerechneten
Gesamtpunktzahl, entfielen. Von diesen teilbudgetrelevanten abgerechneten Punkten von insgesamt 774.880 konnten
unter Berücksichtigung der Teilbudgetregelungen lediglich 222.750 vergütet werden.
Den im Mai 1997 vom Kläger gestellten Antrag auf Befreiung von der Teilbudget-regelung lehnte die Beklagte mit
Bescheid vom 23. Juni 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 1997 mit der
Begründung ab, dass es an dem erforderlichen Sicherstellungsbedürfnis fehle. Im Planungsbereich sei die Versorgung
der Patienten mit den vom Teilbudget 5.7.1 erfassten Leistungen sowohl quantitativ als auch qualitativ
flächendeckend sichergestellt.
Mit der am 06. Januar 1998 erhobenen Klage hat der Kläger insbesondere geltend gemacht, dass unter
Zugrundelegung der Argumentation der Beklagten in ganz Niedersachsen kein Raum für die Annahme eines
Sicherstellungsbedürfnisses und damit für eine Ausnahme von den Teilbudgetvorschriften anzunehmen sei, da sich
letztlich überall noch ein anderer Arzt feststellen lasse, der die fraglichen Leistungen erbringen könne.
Mit Urteil vom 29. März 2000, dem Kläger zugestellt am 15. Mai 2000, hat das Sozialgericht Hannover die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es dargelegt, dass der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Befreiung von dem
Teilbudget 5.7.1 habe. Zwar sei bei ihm der erforderliche Versorgungsschwerpunkt zu bejahen, es fehle jedoch an der
weiter erforderlichen Voraussetzung eines Sicherstellungs-bedarfes. Diesbezüglich seien nach den
Verwaltungsrichtlinien der Beklagten die Kriterien heranzuziehen, die auch bei der Prüfung einer Ermächtigung
maßgeblich seien. In der Stadt Oldenburg gebe es jedoch eine Vielzahl weiterer Orthopäden, die die vom Kläger
erbrachten Leistungen ebenfalls abrechnen würden.
Mit seiner am 15. Juni 2000 eingelegten Berufung hebt der Kläger hervor, dass es sich bei dem Merkmal des
Sicherstellungsbedarfes um einen unbestimmten Rechtsbegriff handele, bei dessen Prüfung der Beklagten ein
Beurteilungs-spielraum zukomme. Die Beklagte habe namentlich eine nähere Prüfung unterlassen, ob bei den
weiteren in Betracht kommenden orthopädischen Praxen in I. überhaupt hinreichend große freie
Behandlungskapazitäten für eine Übernahme der vom Kläger versorgten Patienten vorhanden seien.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 29. März 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 1997 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04. Dezember 1997 aufzuheben und
2. die Beklagte zu verurteilen, über seinen Antrag auf Befreiung von dem Teilbudget "Verbände, Injektionen,
Punktionen und Anästhesien zur Schmerztherapie" unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates erneut zu
entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte interpretiert das Urteil des Bundessozialgerichts vom 06. September 2000 (B 6 KA 40/99 R SozR 3-2500
§ 87 SGB V Nr. 26), dahingehend, dass bei der Prüfung des Vorliegens eines Versorgungsschwerpunktes und der aus
ihrer Sicht weiter erforderlichen deutlichen Abweichung von der Typik der Fachgruppe jeweils die
Abrechnungshäufigkeiten der einzelnen Leistungen in einer wertenden Gesamtschau zu berücksichtigen seien. Diese
Gesamtschau ergebe im vorliegenden Fall, dass der Kläger nur bei einzelnen im Abschnitt D I des EBM erfassten
Leistungen die Abrechnungshäufigkeiten der verfeinerten Vergleichsgruppe nachhaltig überschritten habe, wohingegen
bei anderen Leistungen Unterschreitungen festzustellen seien. Vor diesem Hintergrund lasse sich der erforderliche
Versorgungsschwerpunkt nicht feststellen.
Ergänzend hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass der Kläger nicht bezüglich aller
streitigen Quartale die Antragsfrist eingehalten habe. Die Antragsfrist habe sie in Ziffer 5 ihrer Verwaltungsrichtlinien
vorgesehen, auf eine höherrangige Ermächtigungsgrundlage könne sie sich dabei allerdings nicht berufen.
Die beigeladene Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die keinen Antrag stellt, geht demgegenüber davon aus,
dass die klägerische Praxis den erforderlichen Versorgungsschwerpunkt aufweist. Gleichwohl könne die begehrte
Befreiung von dem Teilbudget nicht gewährt werden, da dies nicht zur Sicherstellung der vertrags-ärztlichen
Versorgung erforderlich sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Befreiung von dem
Teilbudget 5.7.1 ("Verbände, Injektionen, Punktionen und Anästhesien zur Schmerztherapie") für die streitigen
Quartale III/96 bis II/97.
In der Zeit vom 01. Juli 1996 bis zum 30. Juni 1997 waren auf die Honorierung der vertragsärztlichen Leistungen die
Regelungen in Abschnitt A I der Allgemeinen Bestimmungen des EBM anzuwenden. Nach Nr. 5 galt unter anderem
für die unter Nr. 5.7.1 genannten Leistungen (Verbände, Injektionen, Punktionen und Anästhesien zur
Schmerztherapie) ein fallzahlabhängiges arztgruppenbezogenes Teilbudget. Nach Nr. 5.1 ergab sich die Höhe der
jeweiligen rechnerischen Teilbudgets aus dem Produkt der arztgruppenbezogenen Fallpunktzahl für die im Teilbudget
aufgeführten Leistungen und der Zahl der kurativ-ambulanten Fälle. Nach Satz 2 der Präambel zu Kapitel C des EBM
betrug die Fallpunktzahl dieses Teilbudgets für Chirurgen, Orthopäden sowie für Ärzte für physikalische und
rehabilitative Medizin bzw. für Physiotherapie 150 Punkte und für alle übrigen Arztgruppen 25 Punkte. Die sich aus
dem Produkt von Fallpunktzahl und der kurativ-ambulanten Fälle einer Praxis für das jeweilige Teilbudget ergebende
Gesamtpunktzahl bildete für die Honorierung die Obergrenze. Eine vom Arzt angeforderte darüber hinausgehende
Punktmenge wurde nicht vergütet.
Die ab dem 01. Juli 1996 (bis zum 30. Juni 1997) geltenden Budgetierungs-regelungen im EBM sind durch § 87 Abs. 2
a Sätze 1 und 2 Sozialgesetzbuch Buch V Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V in der Fassung des
Gesundheits-strukturgesetzes – GSG – vom 21. Dezember 1992, BGBl. I S. 2266) gedeckt. Namentlich bestehen
keine Bedenken gegen die Ausgestaltung des Teilbudgets für Verbände etc. sowie gegen die Höhe der Fallpunktzahl
für Orthopäden (vgl. dazu BSG, Urteil vom 06. September 2000, a.a.O. S. 133).
Die Beklagte hat den Antrag auf Befreiung von dem vorstehend erläuterten Teilbudget zu Recht auf der Grundlage der
Nr. 4 der Vereinbarung der Spitzenverbände der Krankenkassen und der KBV zur "Weiterentwicklung der Reform des
EBM" vom 07. August 1996 (DÄ A 2815 f., im Folgenden: Weiter-entwicklungs-vereinbarung) beurteilt. Danach sind
die Kassenärztlichen Vereinigungen berechtigt, aus Gründen der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung im
Einvernehmen mit den Krankenkassenverbänden auf Antrag des Arztes im Einzelfall Ausnahmen von der
Teilbudgetierung nach den folgenden Nummern des Punktes 5 der Allgemeinen Bestimmungen A I zuzulassen, soweit
der Arzt einen entsprechenden Versorgungsschwerpunkt für seine Praxis nachweist. Dies betrifft insbesondere auch
das Teilbudget Nr. 5.7.1. In der Protokollnotiz zu dieser Regelung ist bestimmt: " ... Das Einvernehmen zwischen der
KÄV und den Verbänden der Krankenkassen ist auch dann hergestellt, wenn eine Übereinstimmung darüber erzielt
wird, auf welche Sachverhalte sich eine Ausnahme-regelung beziehen soll. Dabei kann auch für andere als in
Abschnitt 4 genannte Sachverhalte eine solche Ausnahmeregelung erfolgen".
Bei solchen Vereinbarungen zur Umsetzung und Anwendung des EBM handelt es sich nicht um eine Änderung des
EBM. Sie betreffen nicht den Inhalt der abrechen-baren Leistungen und auch nicht ihr wertmäßiges in Punkten
ausgedrücktes Verhältnis zueinander, was festzulegen dem Bewertungsausschuss vorbehalten ist. Sie geben
vielmehr den Kassenärztlichen Vereinigungen ein Instrument an die Hand, anhand dessen diese eigenverantwortlich
Ausnahmen von bestimmten Regelungen des EBM zulassen können. Damit werden durch Vereinbarung der KBV mit
den Spitzenverbänden der Krankenkassen im Sinne der §§ 72, Abs. 2, 82, Abs. 1 Satz 1 SGB V Regelungen zur
Gewährleistung einer ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung unter Berücksichtigung
medizinischer Erkenntnisse als allgemeiner Inhalt der Gesamtverträge festgelegt. Es handelt sich um Verträge mit
normativer Wirkung, die auch am Vertragsschluss nicht Beteiligte Dritte binden (BSG, a.a.O. S. 134).
Durch die Weiterentwicklungsvereinbarung wird den Kassenärztlichen Vereinigungen die Befugnis übertragen, in
Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe Ausnahmen von der Teilbudgetierung zu machen. Hierbei handelt es sich
nicht um eine unzulässige Delegation der Rechtsetzungskompetenz an den Rechtsanwender. Der Normgeber hat
vielmehr die wesentlichen Bestimmungen selbst getroffen und lediglich die Konkretisierung von Einzelheiten den
jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen überlassen (BSG, a.a.O. S. 135).
Im vorliegenden Fall erfüllt der Kläger die in der Weiterentwicklungsvereinbarung genannten Voraussetzungen für die
begehrte Befreiung von dem Teilbudget 5.7.1. Seine Praxis weist in einem von der Teilbudgetierung erfassten
Leistungsbereich einen so genannten "Versorgungsschwerpunkt" auf, die Erbringung der budgetierten Leistungen liegt
auch im Interesse der Sicherung der vertragsärztlichen Versorgung.
Bei der Prüfung, ob eine Praxis in einem von der Teilbudgetierung erfassten Leistungsbereich den erforderlichen
"Versorgungsschwerpunkt" aufweist, steht der Kassenärztlichen Vereinigung kein Beurteilungsspielraum zu (vgl.
ebenfalls BSG, a.a.O. S. 136). Es besteht kein Erkenntnis– oder Einschätzungsvorrang der Kassenärztlichen
Vereinigung, der diesbezüglich eine Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle der Rechtsanwendung legitimieren könnte.
Das Vorliegen eines Versorgungsschwerpunktes muss sich im Verhältnis zur jeweiligen Fachgruppe ergeben. Anlass
für Ausnahmen für die Budgetierung auf der Grundlage der Nr. 4 der Weiterentwicklungsvereinbarung besteht von
vornherein nur, wenn sich eine einzelne Praxis hinsichtlich des von dem Teilbudget erfassten Leistungsbereiches
deutlich von der Typik der Praxen ihrer Fachgruppen abhebt. Allerdings kann nicht jede vom Durchschnitt der
Arztgruppe abweichende Punktzahlanforderung in einem bestimmten Leistungsbereich einen
"Versorgungsschwerpunkt" begründen. Die Festsetzung der Teilbudgets erfolgt bewusst typisierend und
generalisierend. Die damit verfolgten Regelungszwecke würden verfehlt, wenn jeder geringfügigen Abweichung des
Abrechnungsverhaltens einer Arztpraxis von den rechnerischen Durchschnittswerten ihrer Arztgruppe durch
Ausnahmeregelungen Rechnung getragen werden müsste. Grundsätzlich muss deshalb auf eine als Versorgungs-
schwerpunkt geltend gemachten Leistungsbereich ein Anteil von mindestens 20 % der von der Praxis insgesamt
abgerechneten Gesamtpunktzahl entfallen. Anlass für die Freistellung von einem Teilbudget besteht nur, wenn die für
diesen Versorgungs-schwerpunkt typischen Leistungen gerade von dem Teilbudget erfasst werden, von dem der
betroffene Arzt eine – vollständige oder teilweise – Freistellung erreichen will (vgl. ebenfalls BSG, a.a.O. S. 137).
Die Praxis des Klägers weist einen solchen Versorgungsschwerpunkt im Sinne einer für die Arztgruppe untypischen
Praxisausrichtung und Spezialisierung auf. Der Kläger hat seine Praxis schwerpunktmäßig auf die Erbringung
insbesondere von Leistungen im Sinne der Geb.-Ziffn. 415 und 443 EBM ausgerichtet. Dies belegen die von der
Beklagten vorgelegen Abrechnungsunterlagen. In dem nach den Verwaltungsrichtlinien der Beklagten maßgeblichen
Abrechnungsquartal III/1996 betrug der Anteil der von dem Teilbudget Nr. 5.7.1 erfassten Leistungen an der
abgerechneten Gesamtpunktzahl 33.91 %, wobei allein auf Leistungen nach den Ziffn. 415, 419, 439, 443 und 450
21,37 % der insgesamt abgerechneten Gesamtpunktzahl entfielen. Der Kläger hat das ihm zustehende Teilbudget Nr.
5.7.1 um rund das Dreifache überschritten, obwohl sich die Bemessung dieses Teilbudgets an dem durchschnittlichen
Abrechnungsvolumen der Orthopäden (vor Inkrafttreten der Reform des EBM zum 01. Januar 1996) orientierte.
Bezeichnenderweise rechnete der Kläger des vorliegenden Verfahrens bereits vor Inkrafttreten der Reform des EBM in
dem in der Folgezeit von dem Teilbudget Nr. 5.7.1 erfassten Bereich erheblich mehr Punkte ab, als ihm unter Geltung
des Teilbudgets hätten vergütet werden können (vgl. etwa im Quartal IV/1995: angeforderte Punktzahl der
budgetierten Leistungen: 226.000; vergütungsfähige Punktzahl nach Maßgabe des Teilbudgets: 90.900).
Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten kann das Merkmal eines Versorgungs-schwerpunktes nicht im Hinblick
darauf verneint werden, dass bei einer "wertenden Gesamtschau" die nur unterdurchschnittliche
Abrechnungshäufigkeit bei einzelnen vom Teilbudget erfassten Gebührenziffern (etwa die vom Kläger im Quartal
III/1996 überhaupt nicht abgerechneten Ziffn. 418, 422, 430, 431, 432, 442, 446, 447 und 449) durchschlagen
müssten. Für eine derartige "Gesamtschau", die auch vom BSG in der genannten Entscheidung vom 06. September
2000 nicht gefordert wird, gibt es keine rechtfertigenden Gründe. Die für einen Übergangszeitraum ab dem 01. Juli
1996 vorgesehene Einführung von Teilbudgets diente dem Ziel der Mengen-begrenzung. Sie sollte jedem Arzt in
bestimmten Leistungsbereichen eine verlässliche Kalkulationsgrundlage geben und dazu beitragen, einzelne
Arztgruppen bzw. auch eine große Anzahl von Ärzten vor ernsthaften wirtschaftlichen Schwierigkeiten als Folge eines
sonst zu befürchtenden ungebremsten Punktwerteverfalls zu bewahren. Die unter großem Zeitdruck zustande
gekommenen Vorschriften über die Teilbudgets beinhalteten allerdings auch zugleich zunächst nicht vollständig
überschaubare Vergröberungen und kalkulierten durchaus das Auftreten neuer Härten in einzelnen Fällen ein. Dem
Ziel, gerade diese Wirkungen abzumildern und sonst zu erwartende Härten zu beseitigen, diente Nr. 4 der
Weiterentwicklungs-vereinbarung vom 07. August 1996 (vgl. ebenfalls BSG, a.a.O. S. 135 f.). Die Frage, ob eine
Teilbudgetbefreiung zur Abwehr erheblicher Härten geboten ist, beantwortet sich aber nach dem Ausmaß der
Budgetüberschreitung und ihrer Bedeutung in Relation zu der abgerechneten Gesamtpunktzahl. Bei gleichgewichtiger
Überschreitung ist es hingegen für die Annahme des Vorliegens einer erheblichen Härte ohne Relevanz, ob der
betroffene Arzt alle vom Teilbudget erfassten Leistungen oder jedenfalls alle in einem Unterabschnitt des EBM
geregelten (budgetierten) Leistungen gleichmäßig häufiger als der Fachgruppendurchschnitt abgerechnet hat oder ob
sich die gewichtigen Überschreitungen allein aus der (dann: weit überdurchschnittlich) vermehrten Abrechnung
einzelner Leistungsziffern ergeben.
Nur am Rande sei bei dieser Sachlage darauf hingewiesen, dass sich auch noch dann eine erhebliche Abweichung
von der Vergleichsgruppe zeigt, wenn mit der Beklagten allein die "verfeinerte Vergleichsgruppe" herangezogen wird,
wohingegen das BSG in dem zitierten Urteil vom 06. September 2000 auf einen Vergleich mit der Fachgruppe abstellt,
und wenn allein die Leistungen nach den Geb.-Ziffn. 415 – 450 des EBM zugrundegelegt werden: Auch dann hat der
Kläger mit im Durchschnitt 328,8 Punkten in diesem Leistungssegment je Patient erheblich mehr abgerechnet als die
"verfeinerte Vergleichsgruppe" mit nur 266,2 Punkten je Patient. Dabei ist überdies klarzustellen, dass die "verfeinerte
Vergleichsgruppe" ohnehin kein konkretes Vergleichsobjekt für die von der Beklagten geforderte "Gesamtschau"
bilden kann, weil eine solche Vergleichsgruppe von der Beklagten für jede Gebührenziffer gesondert gebildet wird.
Auch bestehen vielfach erhebliche Differenzen zwischen den Abrechnungswerten der verfeinerten Vergleichsgruppen
und denen der Fachgruppe.
Da damit die Voraussetzungen für einen Versorgungsschwerpunkt im Sinne der Nr. 4 der
Weiterentwicklungsvereinbarung erfüllt sind, muss es weiterhin im Interesse der Sicherstellung der vertragsärztlichen
Versorgung in der betroffenen Arztgruppe liegen, dass die Leistungen, die zu dem Versorgungsschwerpunkt gehören
und ihn prägen, weiterhin erbracht werden können. Dieses Merkmal ist jedoch nicht von Seiten der Kassenärztlichen
Vereinigung in dem Sinne positiv festzustellen, dass etwa in jedem einzelnen Fall einer beantragten Freistellung von
einem Teilbudget geprüft werden müsste, ob die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung im betroffenen
Leistungsbereich auch dann noch gewährleistet wäre, wenn der jeweils antragstellende Arzt die entsprechenden
Leistungen nicht mehr erbringt. Ein solches Vorgehen ist von der Nr. 4 der Weiterentwicklungsvereinbarung nicht
gefordert und auch nicht praktisch umsetzbar. Wenn in einem Planungsbereich mehrere Orthopäden ambulante
Leistungen erbringen und dies im Hinblick auf die Teilbudgetierung bestimmter Begleitleistungen möglicherweise ohne
Aussetzung dieses Teilbudgets in Zukunft nicht mehr täten, könnte bei isolierter Betrachtungs-weise das
Ausscheiden jedes einzelnen Arztes aus diesem Leistungsbereich mit der Begründung hingenommen werden, es
stünden noch die anderen Ärzte zur Erbringung dieser Leistungen bereit, die auch über ausreichende Kapazitäten
verfügen würden. Dem Sicherstellungsaspekt kommt vielmehr nur insofern Bedeutung zu, dass Ärzte die Befreiung
von einem Teilbudget nicht unter Hinweis auf ein spezialisiertes Leistungsangebot erreichen können, das für die
Sicherstellung der ambulanten Versorgung etwa unter medizinischen Gesichtspunkten generell nicht sinnvoll ist.
Ansonsten bietet das Tatbestandsmerkmal der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung im Sinne der Nr. 4
der Weiterentwicklungs-vereinbarung der Beklagten keine Handhabe, durch die Versagung von Teilbudget-
Aussetzungen spezifische Praxisausrichtungen mit dem Hinweis darauf zu blockieren, dass hinsichtlich des
fachgruppenuntypischen spezifischen Leistungs-angebotes der Praxis bereits Überkapazitäten bestehen würden. Die
von vornherein nur für einen sehr kurzen Zeitraum eingeführten Teilbudgets können ihrer Natur nach kein Mittel zu
einer langfristig angelegten Steuerung der Versorgungsstruktur und zur Verlagerung von Behandlungsschwerpunkten
sein.
Im vorliegenden Fall ist kein Raum für die Annahme, dass das vom Kläger erbrachte spezialisierte Leistungsangebot
unter medizinischen Gesichtspunkten nicht sinnvoll sein könnte. Die vom Kläger erbrachten Leistungen entsprechen
vielmehr dem üblichen Standard entsprechend spezialisierter orthopädischer Praxen. Diesbezügliche Bedenken sind
auch von Seiten der übrigen Beteiligten nicht aufgezeigt worden.
Auch an dem Erfordernis einer wirtschaftlichen Härte bestehen im vorliegenden Fall keine Zweifel. In dem nach den
Verwaltungsrichtlinien der Beklagten maßgeblichen Abrechnungsquartal III/96 machten die aufgrund der
Teilbudgetregelung nichtvergüteten 552.130 Punkte knapp 25 % der abgerechneten Gesamtpunktzahl von 2.284.828,9
Punkte aus, so dass die Auswirkungen der Budgetierung auch unter Einbeziehung einer durch sie bewirkten gewissen
Stabilisierung des Punktwertes die wirtschaftliche Ertragslage der Praxis des Klägers nachhaltig beeinträchtigt hat.
Auf die Versäumung einer Antragsfrist kann sich die Beklagte schon deshalb nicht berufen, weil sie nicht ermächtigt
war, eine solche in den von ihr erlassenen Verwaltungsrichtlinien einzuführen. Sie hat damit die ihr zugewiesene
Kompetenz zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe überschritten, da die bundesrechtlichen Vorgaben eine
derartige Frist nicht vorsahen. Überdies konnten viele der betroffenen Ärzte erst nach Erhalt der
Quartalsabrechnungen die Auswirkungen der EBM-Reform und damit gegebenenfalls die Notwendigkeit einer
Antragstellung überblicken. Zudem ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte den Kläger rechtzeitig mit der gebotenen
Deutlichkeit auf den Ablauf der von ihr nunmehr herangezogenen Antragsfrist hingewiesen hat.
Über das Ausmaß der dem Kläger für die Quartale III/96 bis II/97 zu gewährenden Freistellung vom Teilbudget wird
die Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden haben. Dabei wird sie sich insbesondere auch an ihrer
eigenen Verwaltungspraxis orientieren müssen, um den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz – GG – Rechnung
zu tragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG); Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2
SGG), sind nicht gegeben.