Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 12.09.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 12.09.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Stade S 7 U 221/99
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 6 U 346/01
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 14. August 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Streitig ist Verletztenrente.
Der 1957 geborene Kläger hat den Beruf des Stahlbetonbauers erlernt und in diesem Beruf bis 1981 gearbeitet.
Danach übte er verschiedene selbstständige Tätigkeiten aus. Im Mai 1993 meldete er den "Einbau von Türen,
Sanierungs- und Modernisierungsarbeiten, Bauausführungen” als selbstständiges Gewerbe beim Gewerbeamt der
Stadt C. an. Seit dem 14. Januar 1994 ist der Kläger bei der Beklagten als Unternehmer freiwillig unfallversichert.
Am 17. März 1994 suchte er Dr. D. auf und teilte diesem mit, er habe sich im Februar 1994 auf einer Baustelle in E.
beim Tragen einer Panzertür die rechte Schulter verdreht und habe seitdem Schmerzen in diesem Bereich. Beim
Transportieren der Tür sei er ins Stolpern gekommen. Es sei zu einer plötzlichen Verzerrung der Muskulatur
gekommen (s. zum Unfallhergang und zu der Frage, ob sich der Kläger bereits am 18. Februar 1994 bei dem Arzt für
Allgemeinmedizin Dr. F. vorgestellte hatte, den Ermittlungsbericht vom 24. März 1995 und den Krankenbericht des Dr.
F. vom 29. März 1995). Dr. D. beschrieb im Durchgangsarztbericht vom 17. März 1994 äußerlich völlig unauffällige
Konturen der rechten Schulter. Außerdem führte er aus: Die Innenrotation sowie der Verlauf der Bizepssehne seien
schmerzhaft gewesen. Die röntgenologische Untersuchung habe einen unauffälligen Befund ("normale Rundung des
Oberarmkopfes, gute Stellung in der Pfanne”) ergeben. Dr. D. diagnostizierte eine "Zerrung der Rotatorenmanschette
rechts”, behandelte den Kläger medikamentös und bescheinigte Arbeitsunfähigkeit "über drei Tage”. Nach
konservativer Behandlung kam es zu einer Besserung, so dass der Kläger am 8. Mai 1994 auf eigenen Wunsch
wieder arbeitsfähig geschrieben wurde.
Am 16. Juni 1994 suchte er erneut Dr. D. auf und berichtete über belastungsabhängige Beschwerden und
Ruheschmerzen. Dr. D. äußerte den Verdacht auf ein subacromiales Impingement und empfahl eine Arthroskopie
(Nachschaubericht vom 16. Juni 1994), die im November 1994 im Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus E.
durchgeführt wurde. Zuvor ergab eine neurologische Untersuchung Hinweise auf eine Teilschädigung im Bereich
verschiedener Nerven. Dr. G. hielt diesen Befund in seinem Bericht vom 5. Oktober 1994 hinsichtlich
zugrundeliegender Ursachen für unspezifisch und stufte die Prognose als günstig ein. Die ebenfalls vor der
Arthroskopie durchgeführte Doppelkontrastarthrographie des rechten Schultergelenks ergab keinen Anhalt für einen
Defekt im Bereich der Rotatorenmanschette. Bis auf einen kleinen Knochendefekt am Tuberculum majus im
Ansatzgebiet der Rotatorenmanschette mit den Zeichen einer Ansatztendinitis zeigte auch die durchgeführte
Kernspintomographie keinen auffälligen Befund (Krankenberichte vom 7. und 30. Dezember 1994). Arthroskopisch
wurden geringe degenerative Veränderungen und eine vermehrte Zottenbildung im Bereich der Rotatorenmanschette
und im Bereich des Ansatzes der Bizepssehne gefunden. Die Bizepssehne wurde resiziert und wurde das
Ligamentum coraco-acromiale durchtrennt, weil es den subacromialen Raum einengte (s. im Einzelnen den
Operationsbericht vom 29. November 1994). Der histologische Befund war "insgesamt diagnostisch
uncharakteristisch” (Bericht vom 24. November 1994). Im ersten Quartal des Jahres 1995 befand sich der Kläger im
Reha-Zentrum des Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhauses E. in Therapie. Im Rahmen der
Abschlussuntersuchung gab er an, "praktisch überhaupt keine Änderung seiner Beschwerdesymptomatik” erreicht zu
haben. Im Befundbericht vom 23. März 1993 hielt Dr. H. fest, der Kläger sei im Untersuchungszeitpunkt "sehr
muskelkräftig” gewesen. Seitendifferenzen in der Muskelwirkung des Schultergürtels seien ebenso wenig erkennbar
gewesen wie Seitendifferenzen in der Beschwielung. Dr. H. hielt keine weiteren Maßnahmen mehr für erforderlich und
schloss das Heilverfahren ab. In der folgenden Zeit erhielt der Kläger - im Zusammenhang mit einer beabsichtigten
beruflichen Rehabilitation - Verletztengeld bis zum 15. Juni 1997 (s. hierzu im Einzelnen das Urteil des erkennenden
Senats in dem Rechtsstreit der Beteiligten zu dem Az. L 6 U 204/99 vom 17. Mai 2001).
Zur Feststellung der Verletztenrente holte die Beklagte das Gutachten des Dr. H. vom 5. Juni 1998 ein. Dr. H.
beschrieb eine Bewegungseinschränkung des rechten Arms im Schultergelenk, die durch die klinischen Befunde,
insbesondere den muskulären Zustand nicht eindeutig zu erklären sei. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
schätzte er auf 20 vom Hundert (vH). Nachdem Frau Dr. I. im unfallchirurgischen Gutachten vom 15. Februar 1999
vermerkt hatte, dass sich bei der Prüfung der Schultergelenksbeweglichkeit rechts "kaum reproduzierbare
Bewegungsausschläge” messen ließen”, weil der Kläger bei "allen aktiven und geführten Bewegungsausschlägen
massiv” gegenspanne, holte die Beklagte die ergänzende Stellungnahme des Dr. H. vom 16. April 1999 ein. Dr. H.
führte aus, dass das anlässlich der Untersuchung bei ihm dargestellte Bewegungsmaß offensichtlich nicht dem
wirklichen Bewegungsausmaß im Bereich des Schultergelenks entspreche. Daraufhin ließ die Beklagte den Kläger
erneut durch Dr. J. untersuchen. Im Gutachten vom 19. Mai 1999 gelangte dieser zunächst zu dem Ergebnis, die
Distorsion und Prellung des rechten Schultergelenks habe das Bandgefüge am Schultereckgelenk geschädigt und zu
posttraumatischen Umbauvorgängen und nachfolgender Schultersteife geführt. Die MdE betrage 20 vH.
Demgegenüber führte er in der ergänzenden Stellungnahme vom 7. Juni 1999 aus, bei Abwägung der demonstrierten
Bewegungsausmaße und der Ausbildung der Muskulatur könne man zu dem Schluss kommen, dass der Kläger
simuliere. Anschließend lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 1999 die Zahlung von Verletztenrente ab. Der
Widerspruch wurde nach Einholung der weiteren Stellungnahmen der Dres. J. und H. vom 18. und 21. Oktober 1999
zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 1999).
Auf die noch im selben Monat vor dem Sozialgericht (SG) Stade erhobene Klage ist auf Antrag des Klägers Dr. K.
gutachtlich gehört worden. Der Sachverständige sah zunächst im orthopädischen Gutachten vom 12. September 2000
eine "schmerzhafte Teileinsteifung der rechten Schulter mit deutlicher Gebrauchsminderung des rechten Armes” als
Folge des Arbeitsunfalls vom 17. Februar 1994 und schätzte die MdE auf 20 vH. Nachdem die Beklagte die
gutachtliche Stellungnahme des Dr. H. vom 28. März 2001 vorgelegt hatte, hat der Sachverständige seine Wertung
eingeschränkt (Stellungnahme vom 15. Mai 2001). Schließlich hat das SG die Stellungnahme des Facharztes für
Chirurgie Dr. L. vom 20. Juli 2001 eingeholt, die dieser Sachverständige in der mündlichen Verhandlung vom 14.
August 2001 erläutert hat. Das SG hat durch Urteil vom selben Tag die Klage abgewiesen.
Gegen das ihm am 24. August 2001 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. September 2001 Berufung eingelegt. Er
hält an seiner Auffassung fest, dass ihm Verletztenrente zustehe, und beantragt,
1. das Urteil des SG Stade vom 14. August 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 1999 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 1999 aufzuheben,
2. festzustellen, dass "Auswirkungen einer Distorsion und Prellung des rechten Schultergelenkes mit Schädigung des
Bandgefüges am Schultereckgelenk, posttraumatische Umbauvorgänge und nachfolgende Schultersteife rechts”
Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Februar 1994 sind,
3. die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 vH der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Stade vom 14. August 2001 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügung des Berichterstatters vom 31. Juli 2002 darauf hingewiesen, dass er
beabsichtige, gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu verfahren. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme
gegeben worden.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Unfallakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der
Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf
den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen
Erfolg. Der Senat hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen (§ 153 Abs. 4 SGG).
Das SG hat die - hinsichtlich des Feststellungsantrags gemäß § 55 Abs. 1 Ziff. 3 SGG - zulässige Klage zu Recht
abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von
Verletztenrente (§ 551 der auf den vorliegenden Sachverhalt noch anzuwendenden - vgl. Art. 36 Unfallversicherungs-
Einordnungsgesetz, § 212 Sozialgesetzbuch VII - Reichsversicherungsordnung).
Dabei kann die Frage, ob bei dem Kläger überhaupt Gesundheitsstörungen in einem die Zahlung von Verletztenrente
rechtfertigenden Grad (20 vH) vorliegen, unbeantwortet bleiben. Erhebliche Zweifel an der vom Kläger demonstrierten
Funktionseinschränkung des rechten Schultergelenks bestehen trotz seiner Erklärungsversuche in der
Berufungsschrift vom 21. September 2001. Denn das vom Kläger angegebene "intensive Hanteltraining” würde bei
einem Rotatorenmanschettenschaden den Muskelverfall im Schultergürtelbereich nicht aufhalten (S. 6 der
gutachtlichen Stellungnahme des Dr. H. vom 28. März 2001). Zwar hat der Sachverständige Dr. K. eine
"verschmächtigte Schultergürtelmuskulatur rechts” beschrieben (S. 5 des orthopädischen Gutachtens vom 12.
September 2000). Diese war jedoch bei der Untersuchung durch Dr. J. (15. Mai 1999) nicht vorhanden. Daraus hat Dr.
J. den nachvollziehbaren Schluss gezogen, dass der rechte Arm durchaus gebraucht wird. Damit steht im Einklang,
dass die von der Beklagten beauftragten Ärzte die vom Kläger demonstrierte Funktionseinschränkung der rechten
Schulter insgesamt nicht nachzuvollziehen vermochten (Gutachten des Dr. H. vom 5. Juni 1998, S. 4 Ziff. 4;
chirurgisches Gutachten der Frau Dr. I. vom 15. Februar 1999, S. 6 f.; ergänzende Stellungnahme des Dr. J. vom 7.
Juni 1999). Diesen Zweifeln an einer wesentlichen Funktionseinschränkung der rechten Schulter muss der erkennende
Senat jedoch nicht weiter nachgehen. Denn entscheidend ist, dass sich Gesundheitsstörungen im Bereich des
rechten Schultergelenks nicht mit der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen Wahrscheinlichkeit
auf den vom Kläger angegebenen Arbeitsunfall vom 17. Februar 1994 zurückführen lassen.
Diese Wertung stützt der erkennende Senat auf die gutachtliche Stellungnahme des Dr. H. vom 28. März 2001, die er
- als von besonderer Sachkunde getragenen, qualifizierten Beteiligtenvortrag - zu würdigen hat (BSG, Urteil vom 8.
Dezember 1988, 2/9b RU 66/87) und der sich im Ergebnis auch der vom Kläger benannte Sachverständige Dr. K. in
der ergänzenden Stellungnahme vom 15. Mai 2001 angeschlossen hat. Dr. H. hat darauf aufmerksam gemacht, dass
die im Jahr 1994 durchgeführten Untersuchungen - Kernspintomographie, Arthrographie und Arthroskopie - keine
Hinweise für eine Schädigung der Rotatorenmanschette ergaben (S. 5 der gutachtlichen Stellungnahme vom 28. März
2001). Damit fehlt die Grundlage, um mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit einen ursächlichen Zusammenhang der
heute bestehenden Beschwerden im Bereich der rechten Schulter mit dem vom Kläger angegebenen Unfall im Jahr
1994 festzustellen. Darauf ist der Kläger in der Verfügung des Senats vom 31. Juli 2002 hingewiesen worden. Schon
deshalb sind die vom Kläger begehrte Feststellung und ein Anspruch auf Verletztenrente nicht begründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.