Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 31.10.2000
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 31.10.2000 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 7 V 30/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 5/9 VS 5/00
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, die Anerkennung verschiedener Gesundheitsstörungen als Wehrdienstbe-schädigungsfolgen und die
Gewährung einer Beschädigtenrente nach dem Soldaten-versorgungsgesetz (SVG).
Der Kläger leistete vom 2. Januar 1974 bis 31. März 1975 als Wehrpflichtiger im Dienst-grad eines Gefreiten Dienst in
der Bundeswehr. Am 31. März 1974 gegen 15.30 Uhr wollte der Kläger von seiner Wohnung in Duderstadt zu seinem
Standort H. fahren, um dort am nächsten Morgen um 07.00 Uhr seinen Dienst anzutreten. Dabei fuhr er über
Hardegsen, um dort seine Schwester abzusetzen, deren Kraftfahrzeug er sich für die Rückfahrt geliehen hatte. Auf
dem Rückweg von Hardegsen zur Autobahn Kassel-Hannover (A 7) verunglückte der Kläger und zog sich eine offene
Olecranonfraktur rechts sowie eine Hautabschürfung im Gesichtsbereich zu.
Mit Schreiben vom 21. März 1975 teilte das Wehrbereichsgebührnisamt III – Abschnitt Versorgung – dem Kläger mit,
dass ihm ein Ausgleich nach § 85 SVG für die Folgen der am 31. März 1974 erlittenen gesundheitlichen Schädigung
nicht gewährt werde, da die Gesundheitsstörung für die Dauer von 6 Monaten keine Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) um 25 vH. oder mehr bedingt habe.
Im Januar 1998 stellte der Kläger einen Antrag auf Versorgung. Zur Begründung berief er sich auf zunehmende durch
den Unfall vom 31. März 1974 ausgelöste Beschwerden (Schmerzen im Nacken, Kopf und Schulter; Schmerzen,
Taubheit und Kribbelgefühle im rechten Arm).
Mit Bescheid vom 4. Mai 1998 wies das Versorgungsamt Braunschweig – Außenstelle Hildesheim – den Antrag
zurück. Eine Wehrdienstbeschädigung liege nicht vor. Der Kläger habe den direkten Weg von der Familienwohnung in
Duderstadt zur I. unterbro-chen, als er seine Schwester nach Hardegsen gefahren habe. Auf dem Weg von Har-
degsen zur A 7 habe sich der Verkehrsunfall ereignet. Durch den Umweg nach Hardeg-sen sei der rechtlich
wesentliche Zusammenhang mit dem Dienst unterbrochen worden. Während des Unfalls sei daher kein Wehrdienst im
Sinne des § 81 SVG ausgeübt wor-den und ein Anspruch auf Versorgung nach dem SVG nicht entstanden.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 1998 als
unbegründet zurück.
Am 27. August 1998 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hildesheim erho-ben. Der Kläger hat die Ansicht
vertreten, es liege der Nachweis einer indirekten Fahrt vor.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. Januar 2000 unter Zulassung der Berufung im Wesentlichen aus
den Gründen der Verwaltungsentscheidungen abgewie-sen.
Gegen die erstinstanzliche Entscheidung – per Einschreibebrief am 19. Januar 2000 zur Post gegeben – hat der
Kläger am 15. Februar 2000 Berufung vor dem Landessozialge-richt (LSG) Niedersachsen eingelegt. Zur Begründung
beruft er sich auf sein erstin-stanzliches Vorbringen und überreicht zum Nachweis seines gesundheitlichen Zustan-
des den Arztbrief der Fachärztin für innere Medizin, Rheumatologie, physikalische The-rapie J. aus Göttingen vom 28.
Januar 2000.
Der Kläger beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des SG Hildesheim vom 10. Januar 2000 und den Be-scheid vom 4. Mai 1998 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 5. August 1998 aufzuheben,
2. festzustellen, dass die Gesundheitsstörungen "Zustand nach Olecranonfraktur rechts, Schmerzen in Nacken, Kopf
und Schulter" Folgen einer Schädigung im Sinne des SVG sind,
3. den Beklagten zu verurteilen, ab dem 1. Januar 1998 Versorgungsrente nach einer MdE um mindestens 30 vH. zu
gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der
Prozessakte, der den Kläger betreffenden SVG-Akten sowie die Gerichtsakte des SG Hildesheim/LSG Niedersachsen
– Az.: S 14 SB 6/97; L 10 SB 246/97 – ergänzend Bezug genommen. Die Akten haben vorgelegen und sind Gegen-
stand des Verfahrens gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß § 105 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 143 f SGG statthafte Berufung ist form-
sowie fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
Ein Anspruch auf Beschädigtenrente setzt gemäß § 80 Satz 1 SVG voraus, dass der Soldat eine
Wehrdienstbeschädigung erlitten hat. Eine Wehrdienstbeschädigung ist ge-mäß § 81 Abs 1 SVG eine gesundheitliche
Schädigung, die durch eine Wehrdienstver-richtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen
Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Zum Wehrdienst gehört
gemäß § 81 Abs 4 Satz 1 Nr 2 SVG ebenfalls das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden
Weges nach und von der Dienststelle. Dies gilt gemäß § 81 Abs 4 Satz 3 SVG auch für den Weg von und nach der
ständigen Fami-lienwohnung, wenn der Soldat wegen deren Entfernung vom Dienstort oder wegen der
Kasernierungspflicht am Dienstort oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat.
Der Kläger hat keine Wehrdienstbeschädigung erlitten. Der Unfall am 31. März 1974 hat sich nicht auf der Fahrt von
der Familienwohnung des Klägers zu seiner Dienststelle ereignet.
Die ständige Familienwohnung des Klägers hat sich seinerzeit in Duderstadt befunden. Die bei den Akten befindliche
Straßenkarte macht deutlich, dass der direkte Weg von Duderstadt zum Standort des Klägers in Lüneburg über die B
446 und ab der Bundes-autobahnauffahrt Nörten-Hardenberg über die A 7 in Richtung Hannover führte. Der Kläger hat
diese direkte Strecke verlassen, als er nicht bei der Bundesautobahnauffahrt Nörten-Hardenberg auf die A 7 auffuhr,
sondern vielmehr die B 446 weiter in Richtung Hardegsen fuhr. Ausweislich der Straßenkarte handelt es sich bei der
Weiterfahrt über die B 446 nach Hardegsen um eine Fahrtroute, die mit der eigentlichen Zielrichtung nach Lüneburg
nichts zu tun hat. Der Unfall des Klägers hat sich auf dieser Route er-eignet, nämlich bei der Rückfahrt von
Hardegsen zur Autobahnauffahrt Nörten-Hardenberg.
Dieser Weg gehörte nicht zu der Fahrtstrecke von der Familienwohnung des Klägers zu seiner Dienststelle. Da die
Zielrichtung zum Standort Lüneburg nicht beibehalten wor-den ist, handelt es sich vielmehr um einen in die eigentliche
Fahrtstrecke eingeschobe-nen zusätzlichen Weg. Auf einem solchen besteht Versorgungsschutz nur, wenn er aus
Gründen, die mit dem Wehrdienst in einem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang stehen, gewählt worden ist
(BSG, Urteil vom 5. März 1980 – 9 RV 40/78 – in: Der Ver-sorgungsbeamte 1980, S. 95). Dies ist hier nicht der Fall
gewesen.
Der Kläger ist nach seinem eigenen Vorbringen aus privaten Gründen, nämlich um sei-ne Schwester nach Hause zu
bringen, von seinem Weg zur Dienststelle abgewichen. Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich auch nicht deswegen,
weil der Kläger die Rückfahrt zu seinem Standort mit dem Kraftfahrzeug seiner Schwester zurücklegen wollte und
diese daher zuvor nach Hause bringen musste. Hierbei handelt es sich um Umstände, die zumindest im Wesentlichen
dem persönlichen Bereich des Klägers zu-zuordnen und nicht dienstlich veranlasst sind. Schließlich hätte er auch mit
einem ande-ren Verkehrsmittel die Rückfahrt zu seinem Standort antreten können.
Ein für den Kläger günstigeres Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Nr. 81.4.6 SVG-
Verwaltungsvorschrift (VwV) zu § 81, die nach Nr 81.4.12 SVG-VwV zu § 81 auf § 81 Abs 4 Satz 3 sinngemäß
anzuwenden ist.
Abgesehen davon, dass diese Verwaltungsvorschriften keine Rechtsansprüche des Klägers begründen können, weil
ihnen mangels eines eigenen Gestaltungsspielraums der Verwaltung bei Anwendung des § 81 Abs 4 Satz 3 SVG
keine rechtliche Außenwir-kung zukommt (vgl hierzu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Auflage 1999 § 24
RdNr 27 ff S. 613 ff), liegen auch deren Voraussetzungen nicht vor.
Nach Nr 81.4.6 wird der rechtlich wesentliche Zusammenhang mit dem Dienst durch einen Umweg grundsätzlich
unterbrochen. Dies gilt nicht bei einer geringfügigen Abwei-chung von der kürzesten Wegeverbindung. Durch einen
größeren Umweg tritt eine Lö-sung des rechtlich wesentlichen Zusammenhangs mit dem Dienst nur dann nicht ein,
wenn eine dienstliche Veranlassung wesentliche Ursache für den Umweg ist, der ge-genüber andere, dem
persönlichen Bereich zugeordnete Gründe in den Hintergrund treten, oder wenn der Umweg sich bei der
Berücksichtigung aller nach der Verkehrsan-schauung maßgeblichen Umstände als notwendig, zweckmäßig oder
sogar vorteilhaft für ein möglichst schnelles und sicheres Erreichen der Dienststelle oder der Wohnung erweist.
Eine geringfügige Abweichung von der kürzesten Wegeverbindung liegt nicht vor. Der Kläger ist nicht von der
Wegeverbindung abgewichen, sondern hat diese durch Befah-ren eines außerhalb seiner Zielrichtung liegenden Weges
verlassen. Dieser zusätzliche Weg war – wie bereits oben dargelegt – nicht dienstlich veranlasst. Ebenso wenig liegt
ein sonstiger Ausnahmetatbestand im Sinne der Verwaltungsvorschrift vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden (§ 160 Abs 2 SGG).