Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 23.09.2003

LSG Nsb: niedersachsen, erwerbsfähigkeit, wahrscheinlichkeit, versorgung, minderung, gemeinde, anschluss, disposition, hallenbad, tätlichkeit

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 23.09.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Braunschweig S 12 VG 38/00 WA
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 5 VG 8/01
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Der Rechtsstreit betrifft Entschädigungsansprüche der Klägerin nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die am F. geborene Klägerin wurde am 30. Oktober 1991 tätlich angegriffen. Während sie in Ausübung ihres Berufs
als Badefrau im Aufsichtsdienst bei den Versorgungsbetrieben G. im Hallenbad H. vor einem Geldwechsler kniete,
erhielt sie einen Schlag in die Lendenwirbelgegend und klagte in der Folgezeit über heftige Rückenschmerzen. Die
genauen Umstände der Tat konnten nicht vollständig aufgeklärt werden. Das Amtsgericht G. verurteilte den Täter
wegen vorsätzlicher Körperverletzung durch rechtskräftigen Strafbefehl vom 31. Juli 1992 zu einer Geldstrafe von 30
Tagessätzen.
Am 4. Februar 1992 beantragte die Klägerin Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Das Versorgungsamt (VA) zog
die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Braunschweig (I.), den Arztbrief der chirurgischen Abteilung des
Krankenhauses G. vom 12. Dezember 1991, den Entlassungsbericht dieser Abteilung vom 8. Januar 1992 und der
Klinik J. vom 1. April 1992 bei. Ferner veranlasste es ein Untersuchungsgutachten durch den Chirurgen Dr. K. vom
25. April 1993. Dem Gutachten folgend stellte es als Schädigungsfolgen
"Rückenprellung”
fest, die folgenlos abgeheilt sei. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ergebe sich nicht (Bescheid vom 25. Mai
1993). Im Vorverfahren zog das VA das Untersuchungsgutachten des Chirurgen Dr. L. vom 22. März 1995 bei,
welches für den Gemeinde-Unfallversicherungsverband erstattet worden war. Auf dieser Grundlage blieb der
Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom ”31”. November 1995).
Den am 5. Dezember 1995 abgesandten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin mit der am 27. Dezember 1995 bei
dem Sozialgericht (SG) Braunschweig eingegangenen Klage angegriffen. Sie hat darauf hingewiesen,
tätlichkeitsbedingt sei sie auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen.
Das SG hat einen Befundbericht des Arztes für Allgemeinmedizin M. vom 20. Mai 1996 (mit Arztbriefen der Poliklinik
der Universität N. vom 16. März 1995, der neurologisch/psychiatrischen Abteilung der O., vom 15. Januar 1996 und 9.
Februar 1996) und des Orthopäden Dr. P. vom 28. Mai 1996 (mit Entlassungsbericht der Q. vom 4. April 1996 und
Arztbrief des Radiologen Dr. R. vom 7. Mai 1996) eingeholt. Durch Urteil vom 28. Juni 2001 hat das SG die Klage
abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf deren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, die
Klägerin sei zwar Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG geworden. Es fehle allerdings nach dem
Ergebnis der medizinischen Ermittlungen an der erforderlichen Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs
zwischen den von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsstörungen im Bereich der Lenden- und Halswirbelsäule
und der Schädigung. Die von Dr. K. festgestellten lumbalen Blockierungen bei Entwicklungsstörung im Bereich L5/S1
und insbesondere im Bereich der Syndesmosenfuge zwischen Kreuzbein und Darmbein links mit chronifiziertem
Schmerzsyndrom seien eindeutig schädigungsunabhängig. Dr. L. habe in seinem Gutachten darauf hingewiesen, die
Klägerin leide wahrscheinlich an einer strukturellen Schwäche im lumbosacralen Übergangsbereich, die durch eine
myostatische Insuffizienz bei etwas weicher Bandstruktur, nicht jedoch durch die am 30. Oktober 1991 erfolgte
Schädigung verursacht worden sei. Prof. Dr. S. habe in dem für das SG erstatteten Gutachten in dem Rechtsstreit der
Klägerin gegen den Gemeinde-Unfallversicherungsverband der Beurteilung durch Dr. L. in vollem Umfang zugestimmt.
Offensichtlich liege bei der Klägerin eine psychische Überlagerung vor. Sie habe bei der Untersuchung durch Prof. Dr.
S. Beschwerden in allen Wirbelsäulenabschnitten angegeben und nicht nur an der Verletzungsstelle von 1991. Die
Beweglichkeit praktisch aller Wirbelsäulenabschnitte sei schmerzhaft eingeschränkt gewesen. Bis auf ein
umschriebenes Areal mit einer Gefühlsstörung im Bereich des rechten großen Rollhügels hätten neurologische
Ausfälle nicht vorgelegen. Radiologisch seien in allen Wirbelsäulenabschnitten leicht- bis mittelgradige
Verschleißveränderungen nachweisbar gewesen, daneben eine leichte Dysplasie-Fehlform beider Hüften. Unmittelbar
im Anschluss an die Schädigung der Klägerin habe das Städtische Krankenhaus G. lediglich eine Rückenprellung
festgestellt; der dort behandelnde Arzt habe bereits damals mit einem Dauerschaden nicht gerechnet. Die von der
Klägerin eingereichten Bescheinigungen des Krankengymnasten seien keine fachärztlichen Äußerungen und
enthielten darüber hinaus keinerlei Aussagen zur entscheidungserheblichen Frage der Ursächlichkeit der bestehenden
Beschwerden.
Gegen das am 13. August 2001 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 10. September 2001
eingegangenen Berufung. Sie weist darauf hin, vor dem 30. Oktober 1991 habe sie keine Beschwerden gehabt.
Gerade wenn eine teilweise negative Disposition der Wirbelsäule vorgelegen habe, habe der gegen den Rücken
geführte Schlag die Beschwerden der Klägerin in besonderem Maße herbeiführen können.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
1. das Urteil des SG Braunschweig vom 28. Juni 2001 und den Bescheid vom 25. Mai 1993 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30. November 1995 aufzuheben,
2. "Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und Halswirbelsäule” als Schädigungsfolgen festzustellen,
3. den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin ab 1. Oktober 1991 Versorgung nach einer Minderung der
Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 25 v.H. zu gewähren.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die die Klägerin betreffenden Beschädigtenakten des VA
Braunschweig (Antragsl.-Nr. T.) und die Akten S 6 U 8/96 SG Braunschweig = L 3 U 55/00 Landessozialgericht
Niedersachsen vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
II.
Der Senat entscheidet gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach Anhörung der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung durch Beschluss, weil er einstimmig die Berufung für nicht begründet und eine mündliche
Verhandlung für nicht erforderlich hält. An dieser Entscheidungsform ist der Senat nicht dadurch gehindert, dass die
Klägerin mündliche Verhandlung erbeten hat. Die Begründung der Berufung weicht in tatsächlicher oder medizinischer
Hinsicht vom Vorbringen in der ersten Instanz nicht ab.
Die gemäß § 143 SGG zulässige Berufung ist nicht begründet. Zutreffend hat das SG mit dem angefochtenen Urteil
einen Anspruch der Klägerin verneint.
Nach § 1 Abs. 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag in entsprechender
Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) Versorgung, wer infolge eines vorsätzlichen
rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine
gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgungsrente hängt gemäß §§ 30, 31 Abs. 1, Abs. 2 Halbsatz 2 BVG
davon ab, dass als Folge einer gesundheitlichen Schädigung eine MdE um mindestens 25 v.H. besteht. Diese
Voraussetzungen liegen nicht vor:
Zwar steht seit dem Bescheid vom 25. Mai 1993 fest, dass die Klägerin Opfer einer Gewalttat am 30. Oktober 1991
geworden ist. Auch ist anerkannt, dass sie hierbei eine Rückenprellung erlitten hat. Diese ist indes folgenlos
abgeheilt. Die von der Klägerin geltend gemachten weitergehenden Beschwerden im Bereich der Lenden- und der
Halswirbelsäule, sogar für den Bereich der gesamten Wirbelsäule sind keine Schädigungsfolgen. Denn insoweit fehlt
es an der erforderlichen überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs mit der an der Klägerin am
30. Oktober 1991 verübten Tätlichkeit.
Zutreffend hat das SG das Ergebnis der medizinischen Ermittlungen gewürdigt, die bereits mit dem Arztbrief des
Krankenhauses G. vom 12. Dezember 1991 beginnen und sich über die Entlassungsberichte des Städtischen
Krankenhauses G. vom 8. Januar 1992 und der Klinik J. vom 1. April 1992 über das Untersuchungsgutachten des
Chirurgen Dr. K. vom 25. März 1993 bis zu den Untersuchungsgutachten des Chirurgen Dr. L. vom 22. März 1995 und
des Chirurgen Prof. Dr. S. vom 13. April 1999 erstrecken. In keiner dieser Untersuchungen ist ein Ansatz für einen
Zusammenhang zwischen der von der Klägerin erlittenen Gewalttat und den jetzigen Beschwerden auch nur als
Möglichkeit angenommen worden. Sämtliche Sachverständige stimmen darin überein, dass Ursache für die
Beschwerden der Klägerin eine strukturelle Schwäche im lumbosacralen Übergangsbereich der Klägerin ist und die
Beschwerden auf myostatische Insuffizienz bei etwas weicher Bandstruktur zurückzuführen sind. Zur Vermeidung
überflüssiger Wiederholungen nimmt der Senat auf die Ausführungen des SG Braunschweig Bezug, § 153 Abs. 2
SGG.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.