Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 20.08.2002

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 20.08.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hildesheim S 5 RI 72/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 10 RI 344/01
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. Oktober 2001 wird
zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Witwenrente der Klägerin aus der ge-setzlichen Rentenversicherung. Streitig
ist in diesem Zusammenhang insbeson-dere, in welcher Weise die der Klägerin gewährte Witwenrente aus der
gesetzli-chen Unfallversicherung anzurechnen ist.
Die Klägerin ist die Witwe des am 11. Mai 1933 geborenen und am 25. Oktober 1999 verstorbenen Versicherten I.
(Versicherter). Die Beklagte hatte die dem Versicherten gewährte Rente mit Bescheid vom 1. Juni 1999 auf monatlich
1.524,21 DM netto festgesetzt. Mit Bescheid vom 7. September 1999 hatte die Bau-Berufsgenossenschaft Hannover
die Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen der bei dem Versicherten bestehenden Berufskrankheit mit Wirkung ab
August 1999 von 80 v.H. auf 100 v.H. heraufgesetzt und die Rentenhöhe auf 2.995,74 DM monatlich festgesetzt.
Wegen der Änderung Rente wegen der Be-rufskrankheit erteilte die Beklagte dem Versicherten unter dem 13.
September 1999 einen Bescheid, mit dem sie die Höhe der von ihr gewährten Rente ab No-vember auf 1.259,74 DM
monatlich netto festsetzte.
Am 1. November 1999 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung. Mit Bescheid vom 16. November 1999 gewährte die Bau-Berufsgenossenschaft
Hannover der Klä-gerin Hinterbliebenenrente, und zwar für die Zeit bis Januar 2000 in Höhe von 2.995,74 DM
monatlich, für die Zeit seit Februar 2000 in Höhe von 1.797,44 DM monatlich. Daraufhin bewilligte die Beklagte der
Klägerin mit Bescheid vom 23. November 1999 Witwenrente ab November 1999. Die Rentenhöhe stellte die Beklagte
für die Zeit seit November 1999 mit monatlich 1.994,58 DM fest, wovon nach Anrechnung der Witwenrente aus der
gesetzlichen Unfallversicherung und Abzug der Pflichtversicherungsbeiträge 137,96 DM monatlich netto an die Kläge-
rin zur Auszahlung gelangten. Für die Zeit seit Februar 2000 setzte die Beklagte die Witwenrente auf 1.196,75 DM
monatlich fest, wovon nach Anrechnung der Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung und Abzug der
Pflichtversi-cherungsbeiträge 82,79 DM monatlich netto an die Klägerin zur Auszahlung ge-langten. In der Zeit bis
Januar 2000 sei es zu einer Überzahlung der Witwenrente in Höhe von 4.158,75 DM gekommen.
Mit dem dagegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, die Wit-wenrente müsse ihr für das
"Sterbevierteljahr" in voller Höhe zustehen. Bei der Berechnung des Grenzbetrages der Höhe beider Renten habe die
Beklagte fälschlicherweise die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auch in Höhe der Grundrente
nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Ansatz gebracht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2000 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die von ihr
vorgenommene Bewilligung der Witwenrente entspreche § 93 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB
VI). Eine die Witwe begünstigende Sondervorschrift für das "Sterbevierteljahr" wie die frü-here Vorschrift des § 1279
Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) gebe es seit dem Inkrafttreten des SGB VI nicht mehr. Auch rechtfertige
die Vorschrift des § 93 SGB VI den Abzug eines Grundrentenbetrages nach dem BVG nicht mehr, denn der
Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung liege ein Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht zu
Grunde.
Dagegen hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben, mit der sie sich gegen die Rückzahlung
der ihr für das "Sterbevierteljahr" ge-währte Rente gewandt hat. Nach ihrer Auffassung müsse ihr für das "Sterbevier-
teljahr" mindestens die Nettorente des Versicherten gewährt werden. Insoweit seien jedenfalls
Vertrauensschutzgesichtspunkte zu berücksichtigen. Durch den Postrentendienst sei ihr für das "Sterbevierteljahr" die
zuletzt gewährte Nettorente weitergezahlt worden. Für die Zeit seit Februar 2000 hat die Klägerin Rente in Höhe von
60 v.H. der zuletzt dem Versicherten gewährte Bruttorente begehrt. Dem stehe auch § 93 Abs. 2 SGB VI nicht
entgegen. Die Anwendung dieser Vor-schrift für Hinterbliebenenrenten sei nicht ausdrücklich ausgeschlossen.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Oktober 2001 hat das SG die Klage als unbegrün-det abgewiesen. Die Beklagte habe
die Rentenhöhe richtig berechnet. Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB VI finde im "Sterbevierteljahr" eine
Einkommensanrech-nung nicht statt, jedoch sei der Rentenberechnung der Rentenfaktor 1,0 zu Grun-de zu legen.
Weil bei der Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversi-cherung keine Minderung der Erwerbsfähigkeit zu
Grunde gelegt werde, könne der entsprechende Freibetrag nach § 93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI nicht in Ansatz gebracht
werden.
Gegen den ihr am 17. Oktober 2001 zugestellten Gerichtsbescheid wendet sich die am 15. November 2001 bei dem
Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin. Sie hält darin fest, dass die Anwendung der Vorschrift des §
93 Abs. 2 Nr. 2a SGB VI nicht ausdrücklich ausgeschlossen sei. Die Witwenrente aus der gesetzlichen
Unfallversicherung müsse daher in Höhe des Grundrenten-betrages unberücksichtigt bleiben. Das müsse erst recht für
das "Sterbeviertel-jahr" gelten.
Die Klägerin beantragt,
1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hildesheim vom 15. Oktober 2001 aufzuheben und den Bescheid der
Beklagten vom 23. November 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. März 2000 zu ändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit von No-vember 1999 bis Januar 2000 Witwenrente ohne
Anrechnung der Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren und im Übrigen bei der
Berechnung des Grenzbetrages die Grundrente nach dem BVG in Ansatz zu bringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozial-gerichts Hildesheim vom 15. Oktober 2001
zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und die mit ihm überprüften Be-scheide für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Die genannten Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das SG hat zu Recht festgestellt, dass der Klägerin ein Anspruch auf Witwen-rente nur in demjenigen Umfang
zusteht, wie er in dem Bescheid der Beklagten vom 23. November 1999 bewilligt worden ist.
Insbesondere hat die Beklagte zutreffend sowohl für das "Sterbevierteljahr" als auch für die Zeit danach von dem
rechnerischen Witwenrentenbetrag denjenigen Betrag in Abzug gebracht, um den die Summe der Witwenrente aus der
gesetzli-chen Rentenversicherung und der Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversi-cherung den Grenzbetrag
übersteigen. Hierbei hat die Beklagte auch zu Recht die Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung in voller
Höhe, also nicht etwa um einen der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz ent-sprechenden Betrag
gemindert, in Ansatz gebracht. Die Beklagte hat hierbei § 93 SGB VI zutreffend angewandt. Die günstigere Regelung
des § 93 Abs 2 Nr. 2 Buchst. a) SGB VI findet hingegen keine Anwendung.
Dagegen kann die Klägerin nicht mit Erfolg einwenden, die Anwendung des § 93 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI sei für den
vorliegenden Fall nicht ausdrücklich ausge-schlossen. § 93 Abs. 1 SGB VI unterscheidet von seinem Wortlaut her
deutlich zwischen Verletztenrente aus der Unfallversicherung einerseits (Nr. 1) und Hin-terbliebenenrente aus der
Unfallversicherung andererseits (Nr. 2). Wenn in § 93 Abs. 2 Nr. 2 ausdrücklich wiederum die Formulierung
"Verletztenrente aus der Unfallversicherung” auftaucht, so hat der Senat keinen Zweifel daran, dass damit nur diese
Rente, nicht aber etwa die Hinterbliebenenrente aus der Unfallversiche-rung gemeint ist.
Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Begründung zum Gesetzent-wurf berufen. Abs. 2 der
Erläuterungen zu § 92 in der Bundestagsdrucksa-che 11/4124 beschäftigt sich mit der hier zu prüfenden Vorschrift
des § 93 Abs. 2 SGB VI. Satz 4 des genannten Absatzes mag aus sich selbst heraus missver-ständlich dahin zu
deuten sein, dass eine dem bisherigen (Rentenversicherungs-)Recht entsprechende Regelung getroffen werden sollte.
Bei näherem Hinsehen wird aber deutlich, dass eine dem bisher bereits geltenden § 18a Abs. 3 SGB IV
entsprechende Regelung getroffen werden sollte. § 18a Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB IV beschäftigt sich mit der Frage, in
welchem Umfang eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (!) bei einer Hinterbliebenenrente zu
be-rücksichtigen ist. Zweifelsfrei handelt es sich insoweit um die – eigene - Verletz-tenrente des Hinterbliebenen. Eine
dem vorliegenden Fall vergleichbare Konstel-lation - Zusammentreffen einer Unfall-Hinterbliebenenrente mit einer
Hinterblie-benenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung - ist in § 18a Abs. 3 SGB IV nicht geregelt.
Unabhängig davon sollte die im SGB VI neu zu schaffende Rege-lung entsprechend derjenigen des § 18a Abs. 3 SGB
IV ausfallen. Eine Bezug-nahme auf das früher geltende Rentenversicherungsrecht, insbesondere etwa auf § 1279
Abs. 3 RVO lässt sich damit nicht begründen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung der §§ 183, 193 des Sozial-gerichtsgesetzes (SGG).
Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs 2 SGG.