Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 30.01.2002
LSG Nsb: vermietung, freibetrag, verpachtung, einkünfte, einkommensgrenze, krankheit, niedersachsen, familie, eltern, leistungsanspruch
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 30.01.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 32 EG 1/00
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 2 EG 6/00
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Höhe von Erziehungsgeld (EG) für einen Zeitraum im 1. Lebensjahr eines Kindes.
Die am 2. Juni 1967 geborene Klägerin ist Buchhändlerin und seit dem 10. Oktober 1995 mit dem Diplom-
Verwaltungswirt I. verheiratet. Aus der Ehe ist der am 30. September 1998 geborene J. (J) hervorgegangen. Ein
weiteres Kind wurde am 14. Dezember 2000 geboren.
Am 30. November 1998 stellte die Klägerin einen EG-Antrag. Im Antrags-jahr erzielten die Eheleute Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit, wäh-rend ihr Ehemann daneben noch Einnahmen aus Vermietung und Ver-pachtung hatte.
Mit Bescheid vom 8. Februar 1999 bewilligte die Beklagte für J EG für die ersten sechs Monate unter Anrechnung des
Mutterschaftsgeldes und lehnte die Weitergewährung ab Beginn des 7. Lebensmonats des Kindes ab. Unter
Berücksichtigung der vorgelegten Nachweise ergebe sich ein anzurechnendes Einkommen in Höhe von 47.565,19
DM. Damit sei der Freibetrag von 29.400,00 DM um 18.165,19 DM überschritten und minde-re das fiktive EG
monatlich um ein Dreißigstel, also 605,51 DM. Damit sei der Höchstbetrag von 600,00 DM überschritten, sodass ab
30. März 1999 kein Leistungsanspruch mehr bestünde.
Mit ihrem Widerspruch vom 8. März 1999 machte die Klägerin u.a. gel-tend, für J sei ein Behindertenpauschbetrag
abzusetzen. Im Übrigen wer-de der Freibetrag von 29.400,00 DM verfassungsrechtlich beanstandet und bei der
Anrechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung müsse ein Verlustausgleich zugelassen werden.
Mit Bescheid vom 28. September 1999 half die Beklagte dem Wider-spruch teilweise ab. Sie berücksichtigte den
gesetzlichen Behinderten-pauschbetrag und stellte fest, dass das anzurechnende Einkommen den Freibetrag nur
noch um 16.425,19 DM überschreite, wodurch sich eine monatliche Minderung von 547,51 DM ergebe. Der Klägerin
stehe ab 30. März 1999 ein monatliches EG von 52,00 DM zu. Im Übrigen müsse der Widerspruch erfolglos bleiben
(Widerspruchsbescheid vom 7. Januar 2000).
Mit ihrer hiergegen am 3. Februar 2000 vor dem Sozialgericht (SG) Han-nover erhobenen Klage vertiefte die Klägerin
ihr Vorbringen. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) das Verbot des Verlustausgleiches zwischen positiven und
negativen Einkünften bestätigt habe, träfen die dazu ange-stellten Erwägungen auf sie nicht zu. Das Verhältnis der
Freibeträge bei der Einkommensanrechnung für Verheiratete und Alleinstehende verstoße gegen den
verfassungsrechtlich verankerten Schutz von Ehe und Familie.
Mit Urteil vom 10. Oktober 2000 hat das SG Hannover die Klage abgewie-sen. Die angefochtenen Bescheide seien
nicht zu beanstanden. Die vor-gebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken würden nicht geteilt.
Mit ihrer hiergegen am 8. November 2000 eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin den geltend gemachten Anspruch
weiter. Soweit das Verbot des Verlustausgleiches im Kindergeldrecht bestätigt worden sei, lasse sich dies auf das
Erziehungsgeldrecht nicht übertragen. Wenn schon Ein-nahmen aus Vermietung und Verpachtung bei der Prüfung des
Leistungs-anspruches berücksichtigt würden, dürften Verluste aus dieser Einnah-mequelle nicht ohne Ansatz bleiben.
Ferner verstießen die unterschiedli-chen Einkommensgrenzen für Verheiratete und Alleinerziehende gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz. Im Übrigen sei die Einkommensgrenze von 29.400,00 DM für Verheiratete
unverhältnismäßig niedrig im Vergleich zu der für Alleinerziehende festgelegten Einkommensgrenze von 23.700,00
DM. Der Betrag von 23.700,00 DM verteile sich auf einen El-ternteil und ein Kind, während der Betrag von 29.400,00
DM auf drei Per-sonen, nämlich zwei Eltern und ein Kind bezogen werde. Dementspre-chend müsse sich der
Freibetrag für Verheiratete auf 35.500,00 DM erhö-hen (23.700,00: 2 = 11.850,00 x 3 = 35.500,00).
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. Oktober 2000 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 8.
Februar und 28. September 1999 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 7. Januar 2000 abzuändern,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihr höheres Erziehungsgeld für die Zeit vom 30. März 1999 bis 29. September 1999 für
das Kind J. zu gewähren,
3. hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem Bundes-verfassungsgericht zur Vorabentscheidung die Frage
vorzu-legen, ob die Vorschriften der §§ 5 Abs 2 Satz 2 und § 6 Abs 1 BErzGG in der Fassung des Gesetzes vom 20.
Dezember 1996 mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
Außer der Gerichtsakte hat die Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen und war Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und somit
zulässig.
In der Sache ist sie unbegründet.
Die angefochtenen Bescheide und das Urteil des Sozialgerichts Hannover sind nicht zu beanstanden. Die Klägerin
kann für den Zeitraum vom 30. März bis 29. September 1999 kein höheres Erziehungsgeld in An-spruch nehmen. Die
Berechnung des EG für den streitigen Zeitraum ist anhand der von der Klägerin gemachten Angaben zutreffend. Die
Klägerin beanstandet sie als solche auch nicht. Sie beschränkt sich darauf, die Wirksamkeit ei-niger hier
anzuwendenden Bestimmungen des BErzGG zu bezweifeln. Ihre verfassungsrechtlichen Einwände greifen indessen
nicht durch.
Soweit die Klägerin geltend macht, die unterschiedlichen Freibeträge für Verheiratete und Alleinerziehende in § 5 Abs.
2 Satz 2 BErzGG in der hier maßgebenden Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 1996 (BGBl I, 2110)
widersprächen dem Gleichheitssatz, macht sie im Kern einen soge-nannten originären Leistungsanspruch geltend, der
sich aber weder aus Artikel 3 GG noch aus Artikel 20 GG begründen lässt. Der Gleichheitssatz schränkt die
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Wahl zwischen Einführung, Beseitigung, Ausdehnung oder neuer
Abgrenzung von Leis-tungstatbeständen regelmäßig nicht ein (vgl. dazu auch Osterloh in Sachs, Grundgesetz, 2.
Auflage 1999, Rdnr. 55 ff zu Artikel 3 GG und BVerfGE 60, 42 f). Allerdings darf der Gesetzgeber verschiedene Grup-
pen von Leistungsempfängern nur dann unterschiedlich behandeln, wenn er hierfür ein sachliches
Differenzierungskriterium hat.
Eine Typisierung zur Festlegung unterschiedlicher Freibeträge ist im sozi-alen Leistungsrecht aber gängig und
regelmäßig zulässig. Dafür lassen sich etwa die Motive zu § 1 Kindergeldkassengesetz vom 18.07.1961 (BGBl. I,
1001 – KGKG) anführen, der die Anspruchsvoraussetzungen für das als Zweitkindergeld bezeichnete Kindergeld für
zweite Kinder regelte und in seinem zweiten Absatz bestimmte, dass bei Ehegatten mit Wahl-recht zwischen
getrennter und gemeinsamer Veranlagung zur Einkom-menssteuer die Summe ihrer Einkommen als Einkommen des
Berechtig-ten galt. Dazu hieß es im KGKG-Entwurf:
Die Vorschrift geht von dem Regelfall aus, dass die Kinder in dem gemeinsamen Haushalt der Eltern aufwachsen und
von beiden El-tern unterhalten werden. Die Frage, ob bei Einzelpersonen eine niedrigere Einkommensgrenze als bei
Ehegatten festgesetzt wer-den sollte, ist geprüft worden. Eine solche Differenzierung erscheint jedoch im Hinblick auf
die schwierige Lage, in der sich nach den Lebenserfahrungen alleinstehende Personen mit zwei Kindern auch dann
befinden, wenn sie über das gleiche Einkommen wie E-hegatten mit zwei Kindern verfügen, nicht gerechtfertigt
(Bundes-tagsdrucks. 3/2648, Seite 12).
Diese Erwägungen, die den Gesetzgeber veranlassten, Alleinerziehende gegenüber Verheirateten in noch größerem
Umfang als hier beanstandet zu privilegieren, hielten sich im Rahmen des gesetzgeberischen Ermes-sensspielraumes
und müssen gleichermaßen als sachlicher Grund die Ungleichbehandlung dieser beiden Gruppen im BErzGG
anerkannt wer-den. Alleinerziehende als solche sind wirtschaftlich schlechter gestellt. Ihre im Verhältnis zu Familien
relativ höheren Lebenshaltungskosten rechtfertigen es, diesen Nachteil beim EG-Bezug über die Einführung ei-nes
relativ höheren Freibetrages auszugleichen. Die schlechtere wirt-schaftliche Position von Alleinerziehenden gegenüber
Familien zeigt sich darin, dass sie im täglichen Leben unvermeidbar höhere Aufwendungen haben, als dies bei
Familien der Fall ist. Kinderbetreuungskosten haben sie allein zu tragen. Hinzu kommen Kosten, die unverhofft, z.B.
durch Krankheit, entstehen. Demgegenüber werden die Kinderbetreuungskosten in Familien auf zwei Schultern
verteilt; bei unverhofft notwendiger Kinder-betreuung kann zunächst der Ehepartner aushelfen, ohne dass die
Krankheit des Erziehenden weitere Kosten nach sich ziehen muss. Ent-stehen solche, verteilen sie sich wiederum auf
zwei Personen. Positionen der allgemeinen Lebenshaltung wie zum Beispiel die Kosten für eine Wohnung oder ein
Kraftfahrzeug hat ein Alleinerziehender alleine zu tra-gen, während Verheiratete hierfür auch zu zweit aufkommen
können. Darüber hinaus sind nach allgemeiner Lebenserfahrung kleinere Woh-nungen, wie sie Alleinerziehende
benötigen, relativ teurer als größere Wohnungen. Grundgebühren, die mit dem Wohnen verbunden sind, wie z.B. für
Gas, Strom, Wasser oder Telefon, hat der Alleinerziehende allein zu tragen, während Familien diese Kosten teilen
können. Darüber hinaus gewähren Anbieter dieser Dienstleistungen heute häufig Haushalten mit höherem Verbrauch
Rabatte, die Alleinerziehende wiederum nicht bean-spruchen können. Sämtliche Gebrauchsgegenstände des täglichen
Be-darfs, wie beispielsweise Haushaltsgeräte (Herd, Kühlschrank, Spülma-schine, Kleingeräte oder
Waschmaschine/Trockner) hat der Alleinerzie-hende zu beschaffen und warten zu lassen, ohne dass sich die Aufwen-
dungen hierfür wie bei Familien auf zwei Schultern verteilen ließen. Auch im Freizeitbereich stehen Verheiratete auf
Grund von Familiensparange-boten finanziell regelmäßig besser da als Alleinerziehende. Aufgrund der aufgezeigten
finanziellen Benachteiligungen von Alleinerziehenden im täglichen Leben hat auch Gesetzgeber des Jahres 1985 nicht
ermes-sensfehlerhaft gehandelt, als er anordnete, dass für den Bezug von EG derartige Benachteiligungen über einen
höheren Freibetrag für Alleiner-ziehende auszugleichen sind. Ebenso wenig kann darin ein Verstoß ge-gen den in
Artikel 6 GG gebotenen Schutz von Ehe und Familie erblickt werden.
Die Zulassung des von der Klägerin reklamierten Verlustausgleichs in Form des sogenannten echten vertikalen
Verlustausgleichs bei der Fest-stellung des nach dem BErzGG maßgebenden anrechenbaren Einkom-mens ist
verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zwingend geboten. Im Ge-gensatz zum sogenannten horizontalen
Verlustausgleich, der den Steuer-pflichtigen berechtigt, Gewinn und Verlust innerhalb einer Einkunftsart miteinander
zu verrechnen und auch im Erziehungsgeldrecht zulässig ist, soll mit dem vertikalen Verlustausgleich im Steuerrecht
eine Verrechnung zwischen verschiedenen Einkunftsarten ermöglicht werden, was hier zwi-schen negativen
Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einerseits und Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit andererseits
angestrebt wird. Diesen vertikalen Verlustausgleich hat der Gesetzgeber im Erzie-hungsgeldrecht ausgeschlossen,
indem er in § 6 BErzGG expressis verbis das anrechenbare Einkommen als die nicht um Verluste in einzelnen Ein-
kommensarten zu vermindernde Summe der positiven Einkünfte im Sinne des § 2 Abs. 1 und 2 des
Einkommenssteuergesetzes (EStG) definiert. Bei der Prüfung dieser Legaldefinition auf ihre Vereinbarkeit mit Artikel 3
GG hat der Senat zwar nicht verkannt, dass der Gesetzgeber sach- und realitätsgerecht typisieren muss und sich
insbesondere am typischen und nicht am atypischen Fall zu orientieren hat (BVerfGE 27, 142, 150; 39, 316, 329).
Aber das Gros der Familien mit Ansprüchen nach dem BErzGG bestreitet seinen Lebensunterhalt nun mal aus
Einkünften aus nichtselb-ständiger Arbeit, ohne in der Lage zu sein, sich zusätzlich Einnahmen aus anderen
Einkunftsquellen zu erschließen und damit Verluste zu erzielen, die das zu versteuernde Einkommen mindern
können. Demgegenüber gehören die Klägerin bzw. ihr Ehemann, die Verluste aus Vermietung und Verpachtung
geltend machen wollen, zu einer Personengruppe, die unter den Beziehern von Erziehungsgeld die Ausnahme darstellt
und damit ü-berschaubar ist. Die Klägerin durfte nach alledem von dem Leistungsbe-zug über den 6. Lebensmonat
des J hinaus ausgenommen werden. Das Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts zu § 11 Abs. 1 Satz 2 BKGG in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 1982, der sich das
BSG für die hier einschlägige Vor-schrift des § 6 Abs. 1 BErzGG mit der Begründung angeschlossen hat, dass
insoweit keine maßgeblichen Unterschiede zwischen dem Kinder-geldrecht und dem Erziehungsgeldrecht bestünden
(BSG, SozR 3-7833 § 6 Nr. 4). Dem folgt auch der Senat, zumal die vom Gesetzgeber vorge-nommene Typisierung
auch aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung gerechtfertigt ist (vgl. dazu auch BVerfG a.a.O und 84, 348, 360 und
BSG a.a.O.).
Da die von der Klägerin angegriffenen Regelungen des BErzGG hiernach verfassungskonform sind, sieht der Senat
keinen Anlass, das Verfahren gemäß Artikel 100 GG auszusetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es liegt kein gesetzlicher Grund vor, die Revision zuzulassen.