Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 06.03.2002

LSG Nsb: behinderung, niedersachsen, zustand, steigerung, ausgabe, anhörung, form, sachprüfung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschluss vom 06.03.2002 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Hannover S 19 SB 713/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 10/9 SB 77/01
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 22. Februar 2001 wird zurückgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
I.
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und insgesamt zulässig. Sie hat jedoch in der Sache
keinen Erfolg. Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für
erforderlich. Die Entscheidung über die Berufung konnte deshalb gemäß § 153 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes
(SGG) durch Beschluss ergehen.
II.
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der 1956 geborenen Klägerin die Voraussetzungen für die Herabsetzung des
Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz auf weniger als 50 vorliegen.
Der Beklagte hatte bei der Klägerin zuletzt mit Bescheid vom 20. September 1993 einen GdB von 60 wegen der
Funktionsstörung Erkrankung der rechten Brustdrüse - im Stadium der Heilungsbewährung festgestellt. Im Frühjahr
1998 leitete das Versorgungsamt (VA) Hannover eine Überprüfung von Amts wegen ein. Nach Beiziehung von
Befundberichten der behandelnden Ärzte der Klägerin und Anhörung der Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid
vom 24. September 1998 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 1. Dezember 1999 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1998 mit Wirkung ab dem 1. Oktober 1998 einen GdB von 30 wegen der
Funktionsstörung Erkrankung der rechten Brustdrüse fest. Nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit seit der GdB nur
noch nach den tatsächlich bestehenden funktionellen Beeinträchtigungen zu bemessen.
Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig Klage zum Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und die Feststellung eines GdB
von mindestens 50 begehrt. Nach erneuter Sachprüfung hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 6. Juli 1999, ausgeführt
mit Bescheid vom 8. Mai 2001, mit Wirkung ab dem 1. Oktober 1998 einen GdB von 40 anerkannt. Das SG hat ein
Gutachten auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet von Dr. F. eingeholt und insbesondere unter Bezugnahme
auf das Ergebnis der Beweisaufnahme die Klage mit Urteil vom 22. Februar 2001 abgewiesen. Über den 1. Oktober
1998 hinaus habe neben der Erkrankung der rechten Brustdrüse noch eine längerdauernde Anpassungsstörung als
gemischte Reaktion aus Angst und Depressivität bestanden. Hierfür habe der Sachverständige Dr. F. Teil-GdB von 20
für die Brustdrüsenentfernung und von 40 für die Anpassungsstörung für angemessen gehalten. Insgesamt sei der
GdB mit 40 richtig eingeschätzt.
Gegen das ihr am 5. April 2001 zugestellte Urteil wendet sich die vorliegende am 3. Mai 2001 bei dem
Landessozialgericht eingegangene Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Zur
Begründung führt sie insbesondere aus, der Zustand nach Brustdrüsenentfernung könne bei der Bildung des Gesamt-
GdB nicht außer Betracht bleiben.
Nach dem schriftlichen Vorbringen der Klägerin beantragt sie sinngemäß,
1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 22. Februar 2001 aufzuheben und den Bescheid des
Versorgungsamtes Hannover vom 24. September 1998 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 1. Dezember
1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes Niedersachsen vom 11. Dezember
1998 in der Fassung des Bescheides vom 8. Mai 2001 zu ändern, 2. den Beklagten zu verurteilen, bei der Klägerin
über den 30. September 1998 hinaus einen Grad der Behinderung von wenigstens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil und die angegriffenen Bescheide für zutreffend und sieht sich in dieser Auffassung
durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils, den
sonstigen Aktenhalt sowie auf den Inhalt der Schwerbehindertenakten des Versorgungsamtes Hannover,
Aktenzeichen 31 182 87-6637 1, Bezug genommen. Die genannten Akten haben der Entscheidungsfindung zugrunde
gelegen.
Die Beteiligten ist die Gelegenheit gegeben worden, zu der beabsichtigten Entscheidung des Senates durch
Beschluss Stellung zu nehmen.
III.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind in der Gestalt, die sie
durch den Bescheid vom 8. Mai 2001 gefunden haben, nicht rechtswidrig. Das SG hat zutreffend erkannt, dass der
Klägerin ein höherer GdB als 40 nicht zusteht. Es ist hierbei von den richtigen rechtlichen und tatsächlichen
Grundlagen ausgegangen und hat mit nachvollziehbaren Erwägungen und zutreffend seine Entscheidung begründet.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 22. Februar 2001 Bezug
genommen, § 153 Abs. 2 SGG. Zu weitergehenden Ausführungen sieht der Senat auch im Hinblick darauf keinen
Anlass, dass der Beurteilung anstelle des inzwischen aufgehobenen Schwerbehindertengesetzes, Art 63 des Neunten
Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) die - soweit hier erheblich inhaltsgleichen - Vorschriften des am 1. Juli
2001 in Kraft getretenen SGB IX zugrunde zu legen sind, Art. 68 Abs. 1 SGB IX.
Ergänzend ist jedoch darauf hinzuweisen, dass das SG zu Recht den Gesamt-GdB mit 40 eingeschätzt hat. Insoweit
ist zunächst unerheblich, dass das SG die im Ergebnis unzutreffende Auffassung vertreten hat, Dr. F. habe den
Zustand nach Brustdrüsenentfernung mit einem Einzel-GdB von nur 20 eingeschätzt. Auch unter Berücksichtigung
eines Einzel-GdB von 30 für den Zustand nach Brustdrüsenentfernung ergibt sich kein höherer Gesamt-GdB als 40.
Insoweit weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass bei der Bildung des Gesamt-GdB gemäß RandNr. 19 Abs. 3 der
"Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertengesetz", Ausgabe 1996 (AHP 1996) von der höchstbewerteten Funktionsbeeinträchtigung
auszugehen und im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen ist, ob und inwieweit durch sie
das Ausmaß der Behinderung größer wird. Einzuräumen ist der Klägerin auch, dass bei dem Hinzutreten einer
weiteren Funktionsstörung mit einem Einzel-GdB von 30 regelmäßig eine Steigerung des Gesamt-GdB wenigstens
möglich ist, vgl. auch RandNr. 19 Abs. 4 AHP 1996. Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass in dem
Einzel-GdB von 30, den RandNr. 26.14 AHP 1996 für den Verlust einer Brust vorsieht, bereits die nicht
außergewöhnlichen psychoreaktiven Störungen enthalten sind. Denn nur die außergewöhnlichen psychoreaktiven
Störungen sind noch zusätzlich zu berücksichtigen. Erreichen die psychoreaktiven Störungen - wie im Fall der
Klägerin - ein solches Ausmaß, dass sie bei der Bewertung des Gesamt-GdB im Fordergrund stehen, so müssen sie
bei der Prüfung der zusätzlichen Auswirkungen des Verlustes der Brust "herausgerechnet" werden. Eine Steigerung
des Ausmaßes der Behinderung kommt im vorliegenden Fall also nur in Betracht, wenn und soweit die
nichtpsychischen, will also sagen die körperlichen Folgewirkungen ein erhebliches Ausmaß erreichen. Davon ist nach
dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme nicht auszugehen. Nach der Einschätzung des
Dr. F., denen die Klägerin insoweit auch nicht widersprochen hat, spielt die körperliche Seite bei der Klägerin keine
wesentliche Rolle mehr. Dies stimmt auch mit seinen tatsächlichen Feststellungen des Sachverständigen überein. Als
einzige körperliche Folgewirkung besteht bei der Klägerin die - nur zu einer geringen Funktionsbeeinträchtigung
führende - Schmerzhaftigkeit im Rücken-Schulter-Bereich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG.