Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 27.03.2001

LSG Nsb: niedersachsen, orthopädie, rheuma, beruf, zustand, anerkennung, erwerbsunfähigkeit, arbeitsunfähigkeit, senkung, wurzel

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 27.03.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Aurich S 4a SB 102/98
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 5/9 SB 238/99
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) des Klä-gers nach dem
Schwerbehindertengesetz (SchwbG).
Der im Jahre 1950 geborene Kläger stellte im Januar 1998 beim Versorgungsamt (VA) Oldenburg einen Antrag nach
dem SchwbG. Zur Begründung verwies er auf Bänderrisse am linken und rechten Sprunggelenk, rechts mit
Kapselsplitterung, eine Quetschung des linken Oberarms und ein Wirbelsäulenleiden. Das VA Oldenburg holte
daraufhin bei dem Arzt für Orthopädie H. die Arztbriefe des I. vom 23. April 1997, 21. Juli 1997, 12. November 1997,
26. November 1997 und 4. Februar 1998 ein. Nach Auswertung der Unterlagen durch den Medizinischen Dienst
(gutachtliche Stellungnahme vom 3. März 1998) stellte das VA Oldenburg mit Bescheid vom 23. März 1998 einen
GdB von 20 fest. Die bei dem Kläger vorliegenden Behinderun-gen wurden wie folgt bezeichnet:
1. Minderbelastbarkeit der Wirbelsäule, ausstrahlende Beschwerden (20), 2. Funktionseinschränkung der Fuß- und
Sprunggelenke (10).
Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung der gut-achtlichen Stellungnahme des
Ärztlichen Dienstes vom 4. Juni 1998 mit Wider-spruchsbescheid vom 23. Juli 1998 zurück.
Mit seiner hiergegen am 19. August 1998 vor dem Sozialgericht (SG) Aurich erhobe-nen Klage hat der Kläger
ursprünglich die Feststellung eines GdB von mindestens 50 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens f3Gf3 begehrt.
Hinsichtlich des Merkzei-chens f3Gf3 hat er die Klage in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Aurich am 14.
Oktober 1999 nicht weiter verfolgt. Zur Begründung der übrigen Klage hat sich der Kläger im Wesentlichen auf
schmerzhafte Beschwerden im Fuß-, Knie- und Rü-ckenbereich sowie auf eine Quetschung im linken Oberarm mit
Muskelschäden be-rufen und verschiedene Röntgenaufnahmen vorgelegt.
Das SG Aurich hat den Befundbericht des H. vom 28. Dezember 1998 nebst Anlagen (Arztbriefe der Gemeinschafts-
Röntgenpraxis J. und K. vom 27./28. Juli 1998, 5./6. Mai 1997, 6./9. Mai 1997, 12./18. August 1997, 3. November
1997, 26./27. August 1997 und 19./25. August 1997) sowie den Befundbericht des Ober-arztes L. – Klinik für
Neurochirurgie – Wirbelsäulenchirurgie am M. – vom 26. Juli 1999 nebst dem Arztbrief der Gemeinschafts-
Röntgenpraxis J. und K. vom 28./29. Juni 1999 eingeholt und im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14. Oktober
1999 den Arzt für Orthopädie N. als medizinischen Sachverständigen angehört. Dieser ist zu dem Ergebnis gelangt,
dass die bei dem Kläger vorliegenden Behinderungen an der Wirbelsäule und den Fuß- und Sprunggelenken
insgesamt einen GdB von 20 bedingten. Die zusätzlich vom Kläger geltend gemachten Ge-sundheitsstörungen seien
ärztlich nicht belegt.
Das SG Aurich hat daraufhin mit Urteil vom 14. Oktober 1999 die Klage abgewiesen.
Gegen die ihm am 3. November 1999 zugestellte erstinstanzliche Entscheidung hat der Kläger am 30. November
1999 bei dem Landessozialgericht Niedersachsen Be-rufung eingelegt. Zur Begründung macht er im Wesentlichen
Folgendes geltend: Mit einem GdB von 20 sei seinen Rücken-, Fuß- und Armbeschwerden nicht ausrei-chend
Rechnung getragen. Seine Fuß- und Kniegelenke seien mittags bereits so angeschwollen, dass er kaum noch stehen
könne. Er könne überhaupt nur arbeiten, weil er Stützstrümpfe trage. Er habe so erhebliche Schmerzen in den Beinen,
dass er sich oft abends zu Hause gar nicht mehr zu bewegen wage. Außerdem habe er gro-ße Schmerzen im Bereich
der Nackenwirbel. Diese Schmerzen würden dadurch her-vorgerufen, dass ein Muskelschwund im Oberarm durch
Schnittverletzungen einge-treten sei. Er entlaste diesen Arm, so dass die Halswirbelsäule übermäßig mehr be-lastet
werde. Hierdurch sei es zu schweren Haltungsschäden gekommen. Außerdem habe er 1968 einen Arbeitsunfall
gehabt, bei dem sein linker Oberarm gequetscht worden sei. Zudem habe er Schnittverletzungen am linken Unterarm
und am linken Schulterblatt durch den Überfall eines Messerstechers im Jahre 1974 davongetra-gen. An den Folgen
dieser Unfälle habe er immer noch zu tragen. Außerdem sei sei-ne Arbeitsfähigkeit ganz erheblich durch die bei ihm
vorliegenden Gesundheitsstö-rungen eingeschränkt. Im Arztbrief des O. - P. - vom 4. Februar 1998 sei beispiels-
weise über die Möglichkeit einer Arbeit mit halber Stundenzahl ohne schweres He-ben, Tragen und ähnliche
Belastungen gesprochen worden. Ferner rügt der Kläger die Unvollständigkeit des Befundberichts des Oberarztes L. in
verschiedenen Punk-ten. Zur Stützung seines Begehrens hat der Kläger die Arztbriefe des O. vom 23. April 1997 und
4. Februar 1998 sowie den Befundbericht des H. vom 2. Mai 2000 vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 14. Oktober 1999 aufzuheben und den Bescheid vom 23. Mai 1998 in der
Gestalt des Widerspruchsbeschei-des vom 23. Juli 1998 zu ändern,
2. den Beklagten zu verurteilen, einen GdB von mehr als 20 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat den Befundbericht der Ärzte Q. und R. vom 27. Juni 2000 nebst Anla-gen (Arztbriefe des I. vom 18.
Juni 1997 und 26. November 1997 sowie Entlas-sungsbericht der Fachklinik für Rheuma und Reha S. vom 16.
Oktober 1997) einge-holt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Betei-ligten wird auf den Inhalt der
Prozessakte und der den Kläger betreffenden Schwer-behinderten-Akten des VA Oldenburg ergänzend Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 143 f Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und
auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht be-gründet.
Das SG Aurich hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtmäßig.
Die bei dem Kläger vorliegenden Behinderungen bedingen nach §§ 3,4 SchwbG in Verbindung mit den Anhaltspunkten
für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP)
1996 keinen höheren GdB als 20.
Bei dem Kläger wurde aufgrund eines Wirbelgleitens im August 1997 eine Verstei-fung des unteren
Lendenwirbelsäulen-Segmentes vorgenommen. Nach den Fest-stellungen des Sachverständigen N. besteht nunmehr
nur noch eine endgradige Be-wegungseinschränkung ohne neurologische Ausfälle und ohne Hinweis für Wurzel-
reizsymptome. Dies entspricht den insoweit vom Kläger nicht angegriffenen Fest-stellungen des L. im Befundbericht
vom 26. Juli 1999. Danach ist die Inklination der Wirbelsäule endgradig schmerzhaft bewegungseingeschränkt.
Lähmungserschei-nungen im Bereich der unteren Extremitäten sowie Ausfälle der Sensibilität sind nicht vorhanden.
Über diese Feststellungen hinausgehende Funktionseinschränkungen der Lendenwirbelsäule des Klägers werden auch
im Befundbericht des H. vom 2. Mai 2000 nicht erwähnt. Bei einem derartigen Beschwerdebild kommt ein höherer
GdB als 20 nach den AHP 1996, die das Gericht als antizipierte Sachverständigengut-achten seiner Entscheidung
zugrunde zu legen hat, nicht in Betracht. Danach setzt ein höherer GdB als 20 voraus, dass schwere funktionelle
Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt – wie beispielsweise eine Bewegungseinschränkung schwe-ren Grades
oder häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbel-säulensyndrome – bestehen. Derartige
Störungen sind beim Kläger nicht belegt. Ei-ne andere Beurteilung rechtfertigt sich entgegen seiner Ansicht auch nicht
deswe-gen, weil der Arzt für Orthopädie H. im Befundbericht vom 2. Mai 2000 degenerative Veränderungen der
Lendenwirbelsäule erwähnt hat. Festgestellte Veränderungen u.a. degenerativer Art rechtfertigen für sich allein
genommen noch nicht die Annah-me eines GdB (AHP 1996 RdNr 26.18, S. 134). Die Festsetzung eines GdB kommt
nur in Betracht, wenn eine festgestellte Veränderung Funktionseinschränkungen o-der sonstige Störungen verursacht.
Derartige Befunde hat H. jedoch nicht benannt.
Der Kläger leidet des weiteren an einer Funktionseinschränkung der Fuß- und Sprunggelenke. Nach dem
Befundbericht des H. vom 2. Mai 2000 gelingt die Fußhe-bung rechts bis 5 Grad, links bis 10 Grad, die Senkung je 40
Grad. Außerdem wer-den deutliche Knick-Senkfüße und eine Konturvergröberung beider Sprunggelenke erwähnt.
Ferner wird rechtsseitig ein Talusvorschub als Ausdruck antero-lateraler Instabilität beschrieben. Diese Störungen
bedingen nach den AHP 1996 RdNr 26.18 S. 152 f keinen höheren GdB als 10. Eine andere Bewertung rechtfertigt
sich auch nicht aufgrund der vom Kläger geltend gemachten Schmerzen. Die in den AHP an-gegebenen Werte
schließen nämlich die üblicherweise vorhandenen Schmerzen mit ein und berücksichtigen ebenso erfahrungsgemäß
besonders schmerzhafte Zustän-de (AHP 1996 RdNr 18 S. 33).
Bei dem Kläger besteht nach dem Befundbericht des H. vom 2. Mai 2000 außerdem ein Zustand nach
Radialisverletzung des linken Oberarmes mit deutlicher Schwäche bei der Hand- und Fingerstreckung. Diese Störung
kann unter Berücksichtigung der AHP 1996 RdNr 26.18 S. 147 keinen höheren GdB als 10 begründen. Insoweit ist zu
bedenken, dass der vollständige Ausfall des gesamten Nervus radialis einen GdB um 30 und ein vollständiger
Nervenausfall im mittleren Bereich oder distal einen GdB von 20 bedingt. Teilausfälle der genannten Nerven sind
geringer zu bewerten (AHP 1996 RdNr 26.18 S. 147 f). Bei dem Kläger besteht nur eine Radialisverletzung mit
verbliebener Kraftminderung bei einer bestimmten Finger- und Handbewegung.
Sonstige Behinderungen sind ärztlich nicht belegt. Weder der Sachverständige N. noch H. haben Funktionsstörungen
der Kniegelenke oder der Halswirbelsäule ange-geben. Im Entlassungsbericht der Fachklinik für Rheuma und Reha S.
vom 16. Oktober 1997 wird ausgeführt, dass die HWS-Beweglichkeit in allen Ebenen frei sei. Ferner werden dort beide
Kniegelenke als frei beweglich beschrieben und die gesamte Muskulatur der Beine als gut entwickelt bezeichnet.
Ebensowenig werden Beschwerden des Klägers am linken Unterarm oder am linken Schulterblatt ärztlich bestätigt.
Vielmehr hebt H. in seinem Befundbericht vom 2. Mai 2000 hervor, dass die Schulter nicht gravierend in ihrer Funktion
eingeschränkt sei.
Dass der Kläger aufgrund seines Wirbelsäulenleidens teilweise arbeitsunfähig war bzw ihm nur eine beschränkte
Stundenarbeitszahl zugemutet werden konnte und er weitere Einschränkungen im Berufsleben zu beachten hatte, ist
für die Festsetzung des GdB unerheblich. Der GdB ist im Schwerbehindertenrecht unabhängig vom aus-geübten Beruf
zu beurteilen. Dementsprechend erlauben die Anerkennung von Be-rufs- oder Erwerbsunfähigkeit durch einen
Rentenversicherungsträger oder die Fest-stellung einer Arbeitsunfähigkeit keine Rückschlüsse auf den GdB (AHP
1996 RdNr 18 S. 29).
Liegen – wie bei dem Kläger – mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor, sind bei der Festsetzung des Gesamt-GdB
die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeein-trächtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer
wechselseitigen Be-ziehungen zueinander maßgebend. Zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB
von 10 bedingen, führen dabei nicht zu einer Zunahme des Ausma-ßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der
Gesamtbeurteilung berücksichtigt wer-den könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte
Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen (AHP 1996 RdNr 19 S. 33 ff). Unter Berücksichtigung die-ser Kriterien
kommt ein höherer Gesamt-GdB als 20 beim Kläger nicht in Betracht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden.