Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.11.2003

LSG Nsb: grobe fahrlässigkeit, wechsel, merkblatt, mitteilungspflicht, arbeitslosigkeit, niedersachsen, nebeneinkommen, versicherungsprinzip, beratung, rechtfertigung

Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 13.11.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 22 AL 88/01
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 15 AL 35/02
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 21. August 2002 und der Bescheid
der Beklagten vom 18. Januar 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2001 aufgehoben. Die
Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird
zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist eine rückwirkende teilweise Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) und dessen Erstattung
nach Bekanntwerden eines Lohnsteuerklassenwechsels.
Der 1946 geborene Kläger war langjährig als Modelltischler in der Modellwerkstatt seines Vaters tätig. Das
Arbeitsverhältnis endete wegen Konkurses zum 30. Juni 1998. Vom 21. Februar 1996 bis 19. Juni 1998 hatte der
Kläger Krankengeld bezogen. In der Lohnsteuerkarte 1998 war zunächst die Steuerklasse I eingetragen. Am 5. Mai
1998 wurde die Steuerklasse IV, gültig ab 13. März 1998, eingetragen, am 10. Juli 1998 wurde zusätzlich ein
Kinderfreibetrag von 0,5, gültig ab 1. Januar 1998, eingetragen.
Am 14. Juli 1998 meldete der Kläger sich arbeitslos und beantragte Alg, das ihm aufgrund einer Verfügung vom 7.
August 1998 auf der Grundlage der Leistungsgruppe A (Lohnsteuerklasse IV) und eines tariflichen Arbeitsentgelts in
Höhe von DM 976,80 wöchentlich mit einem wöchentlichen Leistungssatz von DM 381,50 (DM 54,50 kalendertäglich)
gewährt - in der Folgezeit entsprechend den gesetzlichen Vorschriften angepasst - wurde.
Im September 2000 legte der Kläger im Zusammenhang mit dem Antrag auf Anschlussarbeitslosenhilfe (Anschluss-
Alhi) die Lohnsteuerkarte 1999 vor, die durch Eintragung vom 15. Dezember 1998 von der Steuerklasse IV auf
Steuerklasse V geändert worden war. Gleichzeitig wurde vermerkt, dass die Lohnsteuerkarte für 2000 ebenfalls auf
Steuerklasse V abgeändert worden war.
Nach Anhörung des Klägers hob die Beklagte die Bewilligung von Alg mit Bescheid vom 18. Januar 2001 für die Zeit
vom 1. Januar 1999 bis 9. September 2000 teilweise - in Höhe von DM 9.498,90 - auf und verlangte Erstattung. Der
Kläger sei seiner Anzeigepflicht nicht richtig nachgekommen.
Im Widerspruchsverfahren erläuterte die Beklagte mit Schreiben vom 15. Februar 2001 im Einzelnen, welche
Bescheide mit welchem Inhalt über das Alg in der fraglichen Zeit insgesamt ergangen sind und wie sich die
Überzahlung berechnet (Differenz zwischen Leistungsgruppe A - Lohnsteuerklasse IV und Leistungsgruppe D -
Lohnsteuerklasse V). Nachdem der Kläger weiterhin die Auffassung vertreten hatte, dass die Feststellung einer
Überzahlung aufgrund einer Änderung der Lohnsteuerklasse nicht gerechtfertigt sei, wies die Beklagte den
Widerspruch mit Bescheid vom 5. März 2001 zurück.
Am 9. März 2001 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Bremen Klage erhoben und weiterhin geltend gemacht, ein
niedrigeres Alg aufgrund einer Änderung der Steuerklasse sei nicht gerechtfertigt. In der mündlichen Verhandlung vor
dem SG am 21. August 2002 hat er erklärt, vor dem Eintritt in die Alhi habe er sich keine Gedanken gemacht, dass er
Angaben über seine Lohnsteuerklasse machen müsse und daher die Lohnsteuerkarte auch nicht vorgelegt. Er habe
auch nicht gewusst, dass sich seine Lohnsteuerklasse ändere, wenn seine Frau eine andere Lohnsteuerklasse wähle
und dass die Lohnsteuerklasse Einfluss auf den Leistungsbezug habe. Das Merkblatt für Arbeitslose habe er bei
seiner Arbeitslosmeldung bekommen und es auch durchgelesen.
Mit Urteil vom 21. August 2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Entscheidung der Beklagten sei zu Recht
ergangen, da der Kläger den Lohnsteuerklassenwechsel nicht angezeigt habe und eine wesentliche Änderung i. S. des
§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) vorgelegen habe. Die
Mitteilungspflicht über für den Leistungsbezug erhebliche Umstände ergebe sich aus § 60 Sozialgesetzbuch Erstes
Buch - Allgemeine Vorschriften - (SGB I). Die Lohnsteuerklasse sei nach § 137 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch
Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) erheblich, nach § 137 Abs. 3 Satz 2 und 3 würden spätere Änderungen
berücksichtigt. Nach Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 werde die Änderung berücksichtigt, wenn das Alg nach der geänderten
Steuerklasse niedriger sei, wie es hier der Fall sei. Gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift bestünden keine
Bedenken. Die im SGB III erfolgte Regelung, dass eine Überprüfung der Zweckmäßigkeit nicht mehr stattfinde, wenn
das Alg danach geringer sei, diene der Verwaltungsvereinfachung.
Gegen dieses ihm am 21. November 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 23. Dezember 2002 (einem Montag)
Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Er macht (weiterhin) geltend, maßgeblich sei nach dem Gesetz
allein die Lohnsteuerklasse, die ein Arbeitnehmer bei Eintritt der Arbeitslosigkeit gehabt habe. Nach der
Grundbestimmung des § 129 SGB III betrage das Alg in seinem Fall 67% des pauschalierten monatlichen
Nettoeinkommens. Nach der mit der Rückforderung zugrundegelegten Berechnung betrage es nur noch etwa 49%.
Ausnahmeregelungen zu der Grundsatznorm des § 129 SGB III seien im Gesetz nicht oder nicht hinreichend deutlich
getroffen worden. Denn in § 137 SGB III gehe es ausschließlich um einen Wechsel der Lohnsteuerklasse innerhalb
des Bemessungszeitraums vor Beginn des Leistungsbezuges. Die nachträgliche Änderung der Lohnsteuerklasse sei
keine wesentliche Änderung, da sie für den Arbeitslosen ohne jede Auswirkung auf seine realen Verhältnisse sei.
Dementsprechend gebe es auch keine Mitteilungspflicht und keine Verletzung dieser Pflicht. Es habe auch keine
Änderung der Lohnsteuerklasse stattgefunden. Er - der Kläger - habe vielmehr als Arbeitsloser überhaupt keine
Lohnsteuerklasse gehabt. Diese sei nach dem Einkommenssteuergesetz (EStG) nur für Arbeitnehmer, nicht für
Arbeitslose vorgesehen. Lediglich die Lohnsteuerklasse seiner Ehefrau sei auf die Mitteilung, dass er arbeitslos sei,
vom Einwohnermeldeamt ohne Antrag zutreffend in die Lohnsteuerklasse III geändert worden. Eine gesetzliche
Bestimmung im EStG, dass der Ehegatte dann eine bestimmte andere Lohnsteuerklasse erhalten solle, gebe es
nicht. Das Arbeitsamt (AA) dürfe solche fiktiven Lohnsteuerklassen auch nach dem SGB III nicht erfinden. Der
Eintrag auf der Lohnsteuerkarte 1999 und 2000 (Änderung in die Steuerklasse V) ändere daran nichts. Anderenfalls
müsste eine solche Regelung ausnahmslos alle Arbeitslosen mit lohnabhängig erwerbstätigen Ehepartnern treffen,
sobald der Partner nur die Lohnsteuerklasse III bekomme. Das wäre aber ungerecht, willkürlich und ein Verstoß gegen
Art. 3 und auch gegen Art. 6 Grundgesetz (GG), weil von einem solchen Nachteil nur Eheleute betroffen sein könnten.
Außerdem könne nicht angenommen werden, dass ein von seinem - des Klägers - Willen abhängiger Wechsel der
Lohnsteuerklasse vorliege, da die Änderung auf seine Ehefrau zurückgehe. Mit derartigen Auswirkungen wie in den
angefochtenen Bescheiden könne das Gesetz nicht gewollt sein. Es sei für einen nicht einschlägig vorgebildeten
Arbeitslosen außerordentlich schwer zu begreifen, dass er eine Lohnsteuerklasse haben solle und diese sich ändern
solle, wenn die des Ehegatten sich am Jahresanfang ändere.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 21. August 2002 und den Bescheid der Be- klagten vom 18. Januar 2001 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die ihrer Auffassung nach zutreffenden Ausführungen des SG. Im Hinblick auf die Entscheidung
des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. August 2002 - B 11 AL 31/02 R - verweist sie darauf, dass das Merkblatt
1998 eine Beratung vor einem Lohnsteuerklassenwechsel empfehle, wie in diesem Urteil gefordert.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte sowie die Leistungsakte
der Beklagten. Diese Unterlagen haben dem Gericht vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Entgegen der Auffassung des SG ist der angefochtene Bescheid aufzuheben,
da er rechtswidrig ist.
Nach § 48 Abs. 1 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung vom
Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn eine der in Satz 2 Nr. 1 bis 4 genannten weiteren
Voraussetzungen erfüllt ist. Gemäß § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist diese Regelung im Bereich des SGB III
zwingend. Hier kommt insbesondere das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X in
Betracht, sofern der Kläger einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn
nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Diese
Voraussetzung ist hier aber im Ergebnis zu verneinen.
Zwar ist - nach dem Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften - von einer wesentlichen für den Kläger nachteiligen
Änderung der tatsächlichen Verhältnisse auszugehen. Denn entgegen der Auffassung des Klägers, hatte er für die
Jahre 1999 und 2000 die Lohnsteuerklasse V, was schon dadurch belegt wird, dass ihm laut Kopie in der
Leistungsakte eine Lohnsteuerkarte ausgestellt worden ist, in der die ursprünglich eingetragene Lohnsteuerklasse IV
durch gesonderte Eintragung in Lohnsteuerklasse V geändert worden ist. Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg
geltend machen, diese Änderung sei ohne sein Wissen und Wollen geschehen. Der Änderungsantrag ist durch die
Ehegatten unter Vorlage beider Lohnsteuerkarten gemeinsam zu stellen (vgl. § 38b Satz 2 Nr. 5 EStG). Dabei kann
die Gemeinde ggf. einen gemeinsamen Antrag beider Ehegatten auch bei mündlichem Antrag nur eines Ehegatten
unterstellen, wenn beide Lohnsteuerkarten vorgelegt werden. Offenbar hat die Lohnsteuerkarte des Klägers für 1999
am 15. Dezember 1998 beim Ortsamt Burglesum zur Änderung vorgelegen. Der Kläger hat auf persönliche Befragung
auch nicht bestritten, dass er die Änderung der Lohnsteuerklasse hat vornehmen lassen. Er konnte sich daran
lediglich, ebenso wie seine als Zeugin vernommene Ehefrau, nicht mehr erinnern. Jedenfalls muss der Kläger sich
danach die Änderung der Lohnsteuerkarte zurechnen lassen, zumal er auch gegen diese Änderung nichts
unternommen hat und auch die Lohnsteuerkarte für das Jahr 2000 die Eintragung der Lohnsteuerklasse V erhielt.
Die Änderung der Lohnsteuerklasse ist auch grundsätzlich im laufenden Bezug des Alg zu berücksichtigen. Das ergibt
sich mit hinreichender Deutlichkeit aus § 137 Abs. 3 SGB III. Heißt es in dessen Abs. 1, dass die Zuordnung zu einer
Leistungsgruppe sich nach der Lohnsteuerklasse richtet, die zu Beginn des Kalenderjahres, in dem der Anspruch
entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte eingetragen war, so regelt Satz 2, dass spätere Änderungen der
eingetragenen Lohnsteuerklasse mit Wirkung des Tages berücksichtigt werden, an dem erstmals die
Voraussetzungen für die Änderung vorlagen. Nach Satz 3 gilt das Gleiche, wenn auf der für spätere Kalenderjahre
ausgestellten Lohnsteuerkarte eine andere Lohnsteuerklasse eingetragen wird. Abs. 4 Satz 1 entspricht für den
Wechsel der Steuerklassen durch Ehegatten der Regelung des Abs. 3 Satz 2, knüpft die Berücksichtigung der
Neueintragungen allerdings - worauf noch einzugehen sein wird - an zwei alternative Voraussetzungen. Nach Abs. 4
Satz 3 ist Abs. 3 Satz 3 entsprechend anzuwenden. Aus diesen Regelungen ergibt sich mit hinreichender Klarheit und
Eindeutigkeit, dass die Höhe des Alg sich im Grundsatz nach der jeweils aktuellen Steuerklasse richten soll. Diese
Regelung ist auch gerechtfertigt, weil etwa Arbeitslose, die heiraten oder Vater/Mutter eines Kindes werden, nicht an
der ungünstigeren Einstufung festgehalten werden, sondern das Alg als Lohnersatzleistung entsprechend dem
aktuellen Status erhalten sollen. Das Gleiche gilt bei ungünstigen Veränderungen.
Hier kommt, da die neu eingetragenen Lohnsteuerklassen - bei höherem Arbeitsentgelt des Klägers - dem Verhältnis
der Arbeitsentgelte beider Ehegatten nicht im Sinne des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB III entsprechen, nur die
Regelung der Nr. 2 der Vorschrift in Betracht. Diese beinhaltet, dass bei einem Wechsel der Lohnsteuerklassen unter
Ehegatten die neu eingetragene Lohnsteuerklasse zu berücksichtigen ist, wenn sich danach ein Alg ergibt, das
geringer ist als das Alg, das sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen ergäbe. Der Tatbestand dieser Regelung
ist nach ihrem Wortlaut erfüllt. Denn der Kläger hat aufgrund der für die beiden Jahre neu eingetragenen
Lohnsteuerklasse V einen geringeren Leistungsanspruch, als er sich ohne den Wechsel der Lohnsteuerklassen
ergäbe.
Fraglich ist jedoch, ob § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III der Entscheidung im vorliegenden Fall zugrunde gelegt
werden kann oder ob eine einschränkende Auslegung oder Nichtanwendung aus verfassungsrechtlichen Überlegungen
in Betracht kommt.
Auf verfassungsrechtliche Bedenken weist das BSG in seiner Entscheidung vom 29. August 2002 (SozR 3-4300 §
137 Nr. 3) hin (ebenso Pilz in Gagel, SGB III § 137 Rn 62, Sartorius info also 2003, 99; a.A. LSG Baden Württemberg
vom 27.2.2003 - L 12 AL 3653/02 -, der 7. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26.2.2003 - L 7 AL 523/01 -).
Denn Folge der Regelung ist eine erhebliche Minderung des mit Eigentumsschutz ausgestatteten sozialrechtlichen
Anspruchs aus eigenen Versicherungsbeiträgen, ohne dass dem ein entsprechender Vorteil in einem anderen Bereich
oder ein zu vermeidender Nachteil in Bezug auf die Versichertengemeinschaft gegenüber steht, der eine derartige
Reduzierung rechtfertigt.
Als Vorteil kommt lediglich ein höheres Nettoentgelt des anderen Ehegatten aufgrund der für diesen günstigeren
Steuerklasse in Betracht. Dieser Vorteil ist jedoch nur vorübergehend bis zur Feststellung der Jahreslohnsteuer der
Ehegatten in einem Lohnsteuerjahresausgleich oder einer Einkommensteuererklärung und besteht daher im
Wesentlichen in der Vermeidung eines Zinsnachteils für ca. 1 Jahr. Dagegen ist der Verlust durch die Reduzierung
des Alg endgültig. Daraus ergibt sich, dass ein Wechsel der Lohnsteuerklassen, der zu einem niedrigeren Alg führt,
sich in aller Regel nicht empfiehlt, sondern dessen Vornahme lediglich auf Unwissenheit, mangelndem Überblick über
das Zusammenwirken zweier komplizierter Rechtsbereiche und Fehleinschätzung der mittelfristigen Konsequenzen,
allenfalls auf ganz akuter Geldnot, beruht. In keinem der Fälle scheint eine derartige gesetzliche Regelung
gerechtfertigt, die objektiv diese Lage eines von der Arbeitslosigkeit eines Ehegatten betroffenen Ehepaares ausnutzt.
Der Nachteil ist auch erheblich, wie sich nicht nur aus dem vorliegenden Fall und den aus der Rechtsprechung
bekannten Beispielen ergibt, sondern auch durchweg an der Differenz der Entgelte zwischen Leistungsgruppe A bzw.
C und Leistungsgruppe D laut Tabelle abgelesen werden kann. Je weniger das Verhältnis der Entgelte der gewählten
steuerlichen Lösung entspricht und je mehr daher das Familieneinkommen durch die Arbeitslosigkeit des bisherigen
Hauptverdieners betroffen ist, desto größer sind die dauerhaften Nachteile. Andere Wechsel von Lohnsteuerklassen
zwischen Ehegatten, die zu einem niedrigeren Alg führen, als der auch hier vorliegende Wechsel des Arbeitslosen von
der Steuerklasse IV zur Steuerklasse V (entsprechend von Leistungsgruppe A zu Leistungsgruppe D) oder der unter
Umständen noch nachteiliger wirkende Wechsel von Steuerklasse III zu Steuerklasse V (Leistungsgruppe C zu D)
sind nicht denkbar, so dass sich in jedem Fall, der unter die Nr. 2 fällt, ein entsprechender Nachteil für den
Arbeitslosen realisiert. Dieser steht völlig außer Verhältnis zu dem kurzfristigen Vorteil eines höheren
Nettoeinkommens des Ehegatten.
Ebenfalls im Bereich der Geringfügigkeit bleibt ein potenzieller Vorteil, der dann entstehen kann, wenn der Arbeitslose,
weil er geringeres Alg bezogen hat, in der gemeinsameren Besteuerung für das Einkommen des Ehegatten (aufgrund
des Progressionsvorbehalts) eine günstigere Besteuerung erreicht oder wenn er Nebeneinkommen erzielt und dieses
nach Berücksichtigung eines Freibetrages unter Abzug u. a. der - aufgrund der Lohnsteuerklassenwahl höheren -
Steuern auf das Alg angerechnet wird (§ 141 SGB III). Abgesehen davon, dass die Erzielung von anzurechnendem
Nebeneinkommen nicht die Regel sein wird, bleibt der dadurch erreichbare Vorteil schon aufgrund der gesetzlich
beschränkten Möglichkeiten der Erzielung von Nebeneinkommen und der Beschränkung der Anrechnung deutlich
hinter dem Nachteil der Reduzierung des Alg durch die Zuordnung zu einer anderen Leistungsgruppe zurück.
Ein gesetzgeberischer Zweck, der dennoch die Reduzierung des Alg bei - arbeitslosengeldrechtlich - ungünstiger,
nicht dem Verhältnis der Entgelte entsprechender Wahl der Steuerklasse rechtfertigen könnte, ist fraglich: Nach den
Gesetzesmaterialien besteht der Zweck der Regelung des § 137 Abs. 4 SGB III darin, stärker als die frühere
Regelung »Manipulationen zu Lasten der Arbeitslosenversicherung zu verhindern« (BT-Drucks. 13/4941 S. 179 zu §
137). Diesen Zweck erfüllt die Regelung nur zum Teil, nämlich soweit sie in Satz 1 Nr. 1 die Berücksichtigung der neu
eingetragenen Lohnsteuerklassen bestimmt, wenn diese dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider
Ehegatten entsprechen. Die hier fragliche Regelung in Nr. 2 dient diesem Zweck ersichtlich nicht, sondern stellt sich -
objektiv betrachtet - eher als eine »Manipulation« des Gesetzgebers zu Lasten des Arbeitslosen dar. Der vom SG
genannte Zweck der Verwaltungsvereinfachung rechtfertigt eine derart weitgehende Regelung, die den materiellen
Anspruch dauerhaft erheblich reduziert, ebenfalls nicht. Ausreichend wäre insoweit eine Regelung gewesen, dass im
Falle, dass sich ein niedrigerer Anspruch auf Alg ergibt, (zunächst) nicht geprüft wird, ob die neu eingetragenen
Lohnsteuerklassen dem Verhältnis der monatlichen Arbeitsentgelte beider Ehegatten entsprechen (wobei hier
dahingestellt sei, ob in diesem Sinne ein Ansatzpunkt für eine dem Zweck entsprechende Reduzierung der Auslegung
des Begriffs »berücksichtigt« gefunden werden könnte). Das hätte zwar spätere Nachforderungen nicht
ausgeschlossen. Der dadurch entstehende Verwaltungsaufwand dürfte aber nicht größer sein als jener, der bei der
jetzigen Regelung durch Nachberechnung und Rückforderung bei später bekannt gewordenem
Lohnsteuerklassenwechsel entsteht. Darüber hinaus erscheint zweifelhaft, ob der bloße Gesichtspunkt der
Verwaltungsvereinfachung zu so erheblichen Nachteilen zu Lasten einer bestimmten Gruppe innerhalb der
Versichertengemeinschaft führen kann. Der Gesichtpunkt der Praktikabilität kann zwar zulässigerweise zu einer
Pauschalierung, nicht aber zu systematischen erheblichen Benachteiligung einer ganzen Gruppe von Betroffenen
führen.
Ein bloßer Einsparvorteil als Gesetzeszweck kann nicht unterstellt werden, zumal es hier nicht um den Fiskus,
sondern um die Finanzen einer auf dem Versicherungsprinzip beruhenden Solidargemeinschaft geht, zu denen der
Arbeitslose auch durch eigene Zahlungen beigetragen hat. Zwar käme die Einsparung der Solidargemeinschaft
zugute. Eine ohne innere Rechtfertigung gesetzgeberisch verfügte Einsparung zu Lasten eines bestimmten
Personenkreises könnte aber dem auf Solidarität angelegten Versicherungsprinzip widersprechen und gegen den
Eigentumsschutz nach Art. 14 GG und den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG verstoßen. Denn in der
vorgeschriebenen Berücksichtigung der ungünstigen Lohnsteuerklasse könnt unter diesen Umständen eine
Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte ohne hinreichenden Grund zu sehen sein. Da von der Regelung
nur Ehepartner betroffen sind, könnte auch Art. 6 GG berührt sein.
Ob die Vorschrift somit verfassungswidrig ist (oder in ihrer Bedeutung zweckentsprechend reduziert ausgelegt werden
könnte - sog. teleologische Reduktion), kann aber für den vorliegenden Fall letztlich dahingestellt bleiben. Denn der
angefochtene Bescheid ist jedenfalls deshalb aufzuheben, weil keine mindestens grob fahrlässige Verletzung einer
Mitteilungspflicht festgestellt werden kann. Die zusammenwirkenden Regelungen enthalten nämlich einen
»Wertungswiderspruch« (BSG a. a. O.), der dazu führt, dass jedenfalls ein nicht einschlägig vorgebildeter oder im
Einzelfall konkret darauf aufmerksam gemachter Arbeitsloser sich nicht i. S des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X grob
fahrlässig verhält, wenn er die Relevanz dieser Änderung nicht erkennt und nicht entsprechend handelt.
Der Wertungswiderspruch ergibt sich daraus, dass des einerseits im Bereich des Steuerrechts zweckmäßig und
sachgerecht ist und den Intentionen des Gesetzgebers und offiziell gegebene Empfehlungen entspricht, dass die
Steuerpflichtigen die Lohnsteuerklasse so wählen, dass sich der Abzug der Lohnsteuer auf als laufende Belastung
des Bürgers relativ nah an der tatsächlichen, endgültigen Steuerbelastung hält. Das rechtfertigt in der Regel die Wahl
der günstigsten Steuerklasse für den Ehegatten, der Erwerbseinkommen erzielt, was wiederum zu der ungünstigeren
Klasse für den Arbeitslosen führen muss. Abgesehen davon liegt es für die Familie, deren Nettoeinkommen durch den
Eintritt von Arbeitslosigkeit eines Ehegatten - insbesondere des Hauptverdieners - deutlich reduziert ist, nahe und
erscheint in jeder Hinsicht legitim, die steuerliche Gestaltungsmöglichkeit so zu wählen, dass der Verlust von laufend
zur Verfügung stehendem Nettoeinkommen durch den Abzug von Steuern vom verbliebenen Erwerbseinkommen
relativ gering gehalten wird. Dem stehen andererseits die beschriebenen negativen Folgen im Arbeitslosengeldrecht
bei Wahl der entsprechenden Steuerklasse gegenüber. Diese gewisse Widersprüchlichkeit ist geeignet, die Regelung
in § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III gegenüber den geläufigen steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten als eine
Art »überraschende Klausel« erscheinen zu lassen. Daran ändert der Umstand, dass es sich beim
Lohnsteuerklassenwechsel um eine freiwillige Handlung des Arbeitslosen (zusammen mit seinem Ehegatten) handelt,
nichts.
Hinzu kommt, dass die anzuwendende Regelung des § 137 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SGB III - selbst wenn man sie für
verfassungsrechtlich zulässig hielte - jedenfalls als am Rande des unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten und nach
dem der Arbeitslosenversicherung zugrunde liegenden Solidarprinzip eben noch Zulässigen liegen dürfte, und auch
von daher eine solche Rechtsfolge vom betroffenen Arbeitslosen nicht unbedingt zu erwarten ist.
Aus der mangelnden Konkordanz der Vorschrift mit dem Steuerrecht und dem Versicherungsprinzip der
Arbeitslosenversicherung folgt, dass der Arbeitslose in der Regel mit einer seinen Anspruch auf Alg mindernden Folge
des Lohnsteuerklassenwechsels nicht in der Weise zu rechnen braucht, dass ihm bei Meidung grober Fahrlässigkeit
klar sein muss, dass negative Auswirkungen auf seinen Anspruch auf Alg damit verbunden sind und
dementsprechend eine Mitteilungspflicht gegenüber dem AA besteht.
Zwar ist aufgrund der Gesetzeslage ohne Zweifel eine Mitteilungspflicht gegeben. Diese musste dem Kläger beim
Studium des Merkblattes auch bekannt sein. Er hat sie deshalb möglicherweise (leicht) fahrlässig verletzt, der
Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, der Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße, kann ihm
aber nicht gemacht werden. Es ist zwar zutreffend, dass das Merkblatt auf die Zusammenhänge zwischen
Leistungshöhe und Steuerklasse hinweist und auch eine Hinweis enthält, dass vor einem Steuerklassenwechsel
Beratung in Anspruch genommen werden sollte. Allein daraus kann aber grobe Fahrlässigkeit bei Unterlassen einer
Mitteilung an die Beklagte nicht abgeleitet werden. Die generelle Annahme, dass grobe Fahrlässigkeit immer vorliege,
wenn Mitteilungspflichten verletzt werden, auf die in einem Merkblatt klar und unmissverständlich hingewiesen worden
ist, wenn das Merkblatt - wie hier - ausgehändigt und durch eine Unterschrift dessen Kenntnisnahme bestätigt worden
ist, kann nicht nur durch konkrete Umstände des Einzelfalles, sondern auch durch eine vom Regelfall abweichende
typische Fallkonstellation widerlegt werden. Diese ist hier aufgrund der aufgeführten verfassungsrechtliche
Problematik und des dargelegten Wertungswiderspruchs anzunehmen. Die Annahme grober Fahrlässigkeit bei
Missachtung von Hinweisen, die in einem viele Seiten umfassenden und zahlreiche verschiedene Konstellationen
betreffenden Merkblatt enthalten sind, gewinnt ihre Rechtfertigung nur im Zusammenhang damit, dass es sich um
Pflichten handelt, die auch ohne entsprechende Hinweise nahe liegen, weil ihr innerer Zusammenhang und ihre innere
Rechtfertigung im Rahmen des Bezugs einer Sozialleistung sich bei vernünftigen, einfachen Überlegungen dem
rechtstreuen Bürger auch ohnedies erschließen. Wird dann obendrein auf solche Pflichten auch noch in einem
Merkblatt hingewiesen, liegt der Vorwurf einer besonderen Nachlässigkeit bei Nichtbeachtung nahe. Das ist aber bei
»überraschenden« Regelungen von in ein einem anderen Rechtsgebiet vom Gesetzgeber anders bewerteten
Sachverhalten nicht der Fall. Grobe Fahrlässigkeit ist nur zu bejahen, wenn der Arbeitslose einfachste, ganz
naheliegende Überlegungen nicht anstellt, wenn er nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten
müssen (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 39). Bei einer grob fahrlässigen Verletzung der Pflicht des Betroffenen zur
Mitteilung »wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse« (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X) muss der
Schuldvorwurf alle Elemente des Tatbestandes umfassen. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit müssen den Eintritt der
Änderung, deren Nachteiligkeit und die Mitteilungspflicht umfassen (Gesamtkommentar Sozialversicherung SGB X §
48 Anm. 86f.). Ein Irrtum schließt die Schuld aus, sofern er nicht selbst auf grober Fahrlässigkeit beruht (Freischmidt
in Hauck SGB X § 48 Rn 17). Nur die Wesentlichkeit, die Rechtserheblichkeit im Einzelfall (etwa das Ausmaß
gesundheitlicher Änderungen), soll nicht vom Vorsatz bzw. der groben Fahrlässigkeit umfasst sein müssen
(Gesamtkommentar a. a. O.). Der Kläger beruft sich hier unwiderlegt auf die fehlende Kenntnis, den Irrtum über die
Nachteiligkeit eines Lohnsteuerklassenwechsels, so dass ihm unter den gegebenen Umständen der Vorwurf der grobe
Fahrlässigkeit nicht zu machen ist. Ein Schuldvorwurf, der nur an eine vom ihrem Inhalt losgelöste, formale
Mitteilungspflicht anknüpft, ist weder dem Gesetz zu entnehmen noch lässt er sich mit dem Konzept eines mündigen
Bürgers vereinbaren, der im demokratischen Staat Pflichten gegenüber der öffentlichen Verwaltung möglichst
aufgrund von Einsicht, nicht aufgrund bloßer formaler Anordnung erfüllen soll. Somit ist die Frage, ob ein Arbeitsloser
damit rechnen muss, dass der Lohnsteuerklassenwechsel negative Auswirkungen auf den Leistungsanspruch hat,
auch im Rahmen des § 48 Abs. 2 Nr. 2 SGB X und nicht nur im Rahmen der Nr. 4 zu beachten (anders der 7. Senat
des LSG Niedersachsen-Bremen a. a. O.).
Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Kläger individuell aufgrund seiner Vorbildung oder besonderer Belehrung von
Seiten der Beklagten ausnahmsweise über Kenntnisse verfügte, die ihn - trotz der dargestellten Problematik der
Regelung - bei Meidung grober Fahrlässigkeit die Bedeutung der Änderung der Lohnsteuerklasse hätte erkennen
lassen müssen. Vertiefte Kenntnisse des Steuerrechts und des Arbeitslosenrechts können bei ihm nicht
vorausgesetzt werden. Besondere Hinweise, sind ihm von der Beklagten nicht gegeben worden. Die allgemeinen
Hinweise im Merkblatt reichen dazu keinesfalls aus. Es ist zwar zutreffend, dass das dem Kläger ausgehändigte
Merkblatt auch den Hinweis enthält: »Ein Lohnsteuerklassenwechsel kann in der Regel nur einmal jährlich
vorgenommen werden. Bitte holen Sie deshalb vorher Rat ein.« Diese Klausel ist jedoch unzureichend. Abgesehen
davon, dass sie auch die Möglichkeit der Beratung durch andere Stellen - z. B. ausschließlich unter steuerlichen
Aspekten - offen lässt, warnt sie nicht vor den bestehenden Gefahren für erhebliche Teile des Anspruchs auf Alg, die
im Falle eines Lohnsteuerklassenwechsels eintreten können. Der Zusammenhang des Hinweises legt vielmehr
lediglich nahe, Rat deshalb einzuholen, weil der Lohnsteuerklassenwechsel in der Regel nur einmal jährlich
vorgenommen werden kann. Das macht kein Beratungsbedarf deutlich für diejenigen, die entschlossen sind, die
Lohnsteuerklasse im Hinblick auf steuerrechtliche Vorteile nur ein einziges Mal zu wechseln (ebenso im Ergebnis
LSG Baden-Württemberg vom 27.2.2003 - L 12 AL 3653/02 - und vom 19.3.2003 - L 5 AL 4877/02 -; LSG Rheinland-
Pfalz vom 23.5.2003 - L 1 AL 154/01 -, jeweils Leitsätze veröffentlicht in JURIS-Datenbank).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Obwohl die Entscheidung der zitierten Entscheidung des BSG vom 29. August 2002 folgt, ist die Revision im Hinblick
auf divergierende nachfolgende Entscheidungen der Landessozialgerichte zugelassen worden.