Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 15.06.2005

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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urteil vom 15.06.2005 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bremen S 16 KR 74/01
Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen L 4/16 KR 8/02
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Rechtsstreit betrifft die Abtretung eines Kostenerstattungsanspruches nach § 13 Abs. 3 Fünftes
Sozialgesetzbuch in der bis zum 30. Juni 2001 geltenden Fassung (SGB V) wegen Durchführung einer
Verhaltenstherapie.
Der Kläger ist Diplompsychologe und zur vertragstherapeutischen Versorgung im Richtlinienverfahren der
Verhaltenstherapie zugelassen. Die im Jahre 1957 geborene Beigeladene ist bei der Beklagten versichert.
Die Beigeladene beantragte im November 2000 bei der Beklagten die Feststellung der Leistungspflicht für die
Fortführung der Anfang 1999 begonnenen Verhaltenstherapie bei dem Kläger. Die Beklagte holte eine gutachtliche
Stellungnahme des Nervenarztes und Facharztes für Psychotherapeutische Medizin Dr. D. vom 29. November 2000
ein und lehnte mit Bescheid vom 5. Dezember 2000 gegenüber der Beigeladenen den Antrag ab. Auf den hiergegen
eingelegten Widerspruch des Klägers holte die Beklagte ein Obergutachten von Dr. E., Arzt für Neurologie und
Psychiatrie, Psychoanalyse, Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, vom 22. Januar 2001 ein, der die
beantragte Behandlung ebenfalls nicht befürwortete. Er führte abschließend aus: "Gegebenfalls könnte bei
Nachreichen einer psychiatrischen Stellungnahme, einer Anamnese, einer Würdigung der bisherigen therapeutischen
Interventionen ambulanter und stationärer Art, einer auch die Vorgeschichte umfassenden Verhaltensanalyse sowie
eines hierauf abgestimmten Behandlungsplans eine Befürwortung für Leistungen empfohlen werden, zumal die
Patientin therapiebedürftig ist. Nach derzeitigem Informationsstand ist dies jedoch nicht möglich." Daraufhin lehnte die
Beklagte den Antrag der Beigeladenen dieser gegenüber mit weiterem Bescheid vom 23. Januar 2001 ab.
Hiergegen legte der Kläger am 19. Februar 2001 Widerspruch ein. Die Beklagte bat den Kläger mit Schreiben vom 20.
Februar 2001 um Übersendung folgender Unterlagen: psychiatrische Stellungnahme, Anamnese, Würdigung der
bisherigen therapeutischen Interventionen ambulanter und stationärer Art sowie eine auch die Vorgeschichte
umfassenden Verhaltensanalyse sowie eines abgestimmten Behandlungsplanes. Außerdem holte die Beklagte von
dem Gutachter Dr. E. eine Ergänzung seines Gutachtens vom 29. März 2001 ein. Der Beigeladenen teilte die
Beklagte mit, dass eine Bewilligung der beantragten Psychotherapie nicht erfolgen könne; sie gerne zu einer erneuten
Prüfung des Antrages bereit sei, sobald ihr die Unterlagen des Klägers zugegangen seien (Bescheid vom 4. April
2001). Mit Schreiben vom 14. April 2001 teilte der Kläger der Beklagten mit, ihrem Gutachter lägen alle nötigen
Informationen vor; es sei für ihn nicht nachvollziehbar, welche Informationen fehlten und welche für die weitere
Behandlungsplanung relevanten Fragen offen geblieben seien.
Inzwischen führte der Kläger die Behandlung der Beigeladenen fort. Die Behandlung wurde nach Angaben der
Beigeladenen im Mai 2003 erfolgreich beendet. Nach Auffassung der Beigeladenen steht ihr für die ersten 20 Stunden
der Behandlung ein Kostenerstattungsanspruch gegen die Beklagte zu. Danach war sie Selbstzahlerin. Mit
schriftlicher Abtretungserklärung vom 20. April 2001 trat die Beigeladene einen Kostenerstattungsanspruch gegen die
Beklagte "für gutachterlich nicht bewilligte – aber weiter in Anspruch genommene psychotherapeutische Sitzungen
(Verhaltenstherapie) an den Behandler, Herrn Dr. F., ab."
Der Kläger hat am 31. Mai 2002 Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben mit dem Antrag, die Beklagte unter
Aufhebung ihrer ablehnenden Bescheide zu verurteilen, 1.200,00 DM an ihn zu zahlen. Während des Klageverfahrens
hat die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid an den Kläger vom 18. September 2001
zurückgewiesen. Mit Urteil vom 17. April 2002 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Der
Kläger als Behandler sei durch die Bescheide der Beklagten nicht beschwert. Seine Klagebefugnis ergebe sich auch
nicht aus der Abtretungserklärung. Eine Übertragung von Ansprüchen aus dem Versicherungsverhältnis sei nur in den
engen Grenzen des § 53 Abs. 2 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) zulässig. Die Voraussetzungen lägen eindeutig
nicht vor.
Gegen das ihm am 8. Mai 2002 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. Juni 2002 Berufung eingelegt. Er meint
insbesondere, das SG habe übersehen, von welchem Schutzzweck § 53 SGB I getragen werde. Ziel des § 53 SGB I
sei es, wirtschaftlich durchaus Sozialleistungen dem allgemeinen Rechtsverkehr zugänglich zu machen und
gleichwohl den sozialen Schutz des Berechtigten angemessen zu berücksichtigen. Es gehe in erster Linie zwar um
Schuldnerschutz. Eines besonderen Schuldnerschutzes bedürfe es aber nicht, wenn der Berechtigte die
Naturalleistung vorweg finanziert habe und nun über einen entsprechenden Kostenerstattungsanspruch verfüge. Die
Verfügung über den Kostenerstattungsanspruch führe weder zu einer Inhaltsänderung des Anspruchs noch dazu, dass
die Beklagte Einwendungen gegen den Kostenerstattungsanspruch verliere.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 17. April 2002 und die Bescheide der Beklagten vom 5. Dezember 2000,
23. Januar 2001 und 4. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. September 2001 aufzuheben
und 2. die Beklagte zu verurteilen, 613,55 Euro nebst Verzugszinsen ab Rechtshängigkeit an ihn zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Verwaltungsakten der Beklagten haben mit den Prozessakten der ersten und zweiten Instanz vorgelegen und sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der
Beteiligten wird hierauf verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Senat vermag sich nicht der Ansicht des SG anzuschließen, wonach die Klage wegen fehlender Klagebefugnis
des Klägers bereits unzulässig ist.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Kläger klagebefugt.
Der Kläger hat eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben (sog. unechte Leistungsklage). Denn er
begehrt die Aufhebung der Bescheide der Beklagten vom 5. Dezember 2000 und 4. April 2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 18. September 2001 und die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 613,55 Euro
nebst Verzugszinsen ab Rechtshängigkeit. Die Beklagte hat den Widerspruchsbescheid vom 18. September 2001 "für
Herrn Dr. G." erlassen. Der Widerspruchsbescheid ist an die Prozessbevollmächtigten des Klägers adressiert.
Adressat des Widerspruchsbescheides ist somit nicht die Beigeladene, sondern der Kläger. Als Adressat eines
belastenden Verwaltungsaktes ist der Kläger beschwert und damit klagebefugt.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch aus eigenem oder abgetretenen Recht auf Zahlung des Betrages von 613,55 Euro.
Einen Anspruch aus eigenem Recht macht der Kläger in diesem Verfahren nicht geltend. Ein solcher besteht gegen
die Beklagte auch nicht.
Dem Kläger steht auch kein Anspruch aus abgetretenem Recht zu.
Die Beigeladene hat in ihrer Abtretungserklärung vom 20. April 2001 erklärt, dass sie ihren Kostenerstattungsanspruch
gegen die Beklagte an den Kläger abtrete. Diese Abtretung verstößt gegen § 53 Abs. 1, 2 und 3 SGB I. Sie ist
unzulässig.
Nach § 53 Abs. 1 SGB I können Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen nicht übertragen werden. Ansprüche auf
Geldleistungen können gemäß § 53 Abs. 2 SGB I übertragen werden zur Erfüllung oder zur Sicherung von
Ansprüchen auf Rückzahlung von Darlehn und auf Erstattung von Aufwendungen, die im Vorgriff auf fällig gewordene
Sozialleistungen zu einer angemessenen Lebensführung gegeben oder gemacht worden sind (Nr. 1) oder wenn der
zuständige Leistungsträger feststellt, dass die Übertragung im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt (Nr.
2). Nach Abs. 3 des § 53 SGB I können Ansprüche auf laufende Geldleistungen, die der Sicherung des
Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in anderen Fällen übertragen werden, soweit sie den für das
Arbeitseinkommen geltenden unpfändbaren Betrag übersteigen. § 11 Satz 1 SGB I bestimmt, dass zu den
Sozialleistungen die im SGB I vorgesehenen Dienst-, Sach- und Geldleistungen gehören.
Der Kläger macht einen Kostenerstattungsanspruch wegen medizinischer Behandlung nach § 13 Abs. 3 SGB V
geltend. Ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V, der sich auf eine Dauerleistung bezieht, betrifft
keinen Anspruch auf Geldleistung iSd § 53 Abs. 2 und 3 iVm § 11 Satz 1 SGB I.
In der gesetzlichen Krankenversicherung gilt das Sachleistungsprinzip. Es ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V das
entscheidende Strukturprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung. Demgemäß bestimmt § 13 Abs. 1 SGB V, dass
eine Krankenkasse an Stelle der Sach- und Dienstleistung Kosten nur erstatten darf, soweit es das SGB V oder das
Neunte Sozialgesetzbuch vorsieht. In der gesetzlichen Krankenversicherung besteht ein Kostenerstattungsanspruch
daher nur ausnahmsweise. Eine solche Ausnahme normiert § 13 Abs. 3 SGB V für die Fälle, in denen das
Sachleistungsprinzip versagt. Bei einem Systemversagen kann sich der Versicherte die Sach- und Dienstleistung
ausnahmsweise selbst beschaffen und danach einen Kostenanspruch bei seiner Krankenkasse geltend machen.
Selbstbeschaffung und Erstattungsanspruch sollen dem Versicherten den Zugang zu einer Dienst- oder Sachleistung
ermöglichen, wenn die Krankenkasse die rechtzeitige Gewährung rechtswidrig unterlässt. Demgemäß hängt ein
Kostenerstattungsanspruch stets von dem Sachleistungsanspruch ab. Beide Ansprüche sind untrennbar miteinander
verbunden und lassen sich nicht trennen. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V ist lediglich das
Surrogat für den Sachleistungsanspruch, und zwar grundsätzlich nur in Bezug auf eine einzelne Leistung. Für das
Rechtsverhältnis zwischen Versichertem und Krankenkasse im Übrigen bleibt nach wie vor uneingeschränkt das
Sachleistungsprinzip maßgebend. Der Zweck des § 13 Abs. 3 SGB V besteht somit darin, dass sich der Versicherte
ausnahmsweise eine einzelne Sach- und Dienstleistung selbst beschaffen kann. Der Zugriff eines Dritten auf den
Kostenerstattungsanspruch würde diesen Zweck jedenfalls dann vereiteln, wenn es sich nicht um eine einmalige
Leistung handelt. Das gilt nach Auffassung des Senats auch in dem Fall, in dem der Abtretungsberechtigte – wie hier
- die Sach- und Dienstleistung erbracht hat (vgl. hierzu: Mrozynski, Sozialgesetzbuch, Kommentar, Allgemeiner Teil,
3. Aufl. 2003, § 11 SGB I Rn 18; Seewald in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Dezember 2004,
§ 53 SGB I Rn 4; Baier in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, Stand Januar 2005, § 11
SGB I Rn 8). Denn auch in diesem Falle wird in das vom Sachleistungsprinzip geprägte Rechtsverhältnis zwischen
Versichertem und Krankenkasse eingegriffen. Das wird durch das vorliegende Verfahren anschaulich belegt.
Zwischen den Beteiligten des Rechtsstreits war bereits im Dezember 2000 unstreitig, dass die Beigeladene dringend
behandlungsbedürftig war. Der Streit zwischen den Beteiligten betraf daher nicht den Anspruch der Beigeladenen auf
Behandlung. Streitig war allein die Frage, inwieweit der Kläger als Leistungserbringer gegenüber der Beklagten
verpflichtet war, bestimmte Unterlagen einzureichen. Über den an ihn abgetretenen Kostenerstattungsanspruch der
Beigeladenen gegen die Beklagte will sich der Kläger nun Gewissheit darüber verschaffen, welche Pflichten er als
Leistungserbringer gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen hat. Die Rechte der Beigeladenen, die damals
dringend behandlungsbedürftig war, treten völlig in den Hintergrund. Das widerspricht dem Sinn und Zweck des § 53
Abs. 1 SGB I.
Abgesehen von der Frage, ob der Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V ein Anspruch auf Geldleistung
iSd § 53 Abs. 2 und 3 SGB I ist, sind auch die übrigen Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 und 3 SGB I nicht gegeben.
Nach § 53 Abs. 2 Nr. 1 SGB I kann die Übertragung eines Anspruches auf Geldleistungen nur für Vorleistungen zu
einer angemessenen Lebensführung erfolgen. Die Abtretung vom 20. April 2001 diente der Finanzierung der
medizinischen Leistungen des Klägers. Es ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass die Abtretung zur
Sicherstellung der Lebensführung der Beigeladenen erfolgte.
Die Abtretung ist auch nicht nach § 53 Abs. 2 Nr. 2 SGB I zulässig. Es fehlt die Feststellung der Beklagten, dass die
Übertragung des Anspruches im wohlverstandenen Interesse der Beigeladenen lag.
Die Zulässigkeit der Abtretung ergibt sich auch nicht aus § 53 Abs. 3 SGB I. Der Kostenerstattungsanspruch betrifft
die Kosten für eine medizinische Behandlung und nicht die Sicherung des laufenden Lebensunterhalts der
Beigeladenen.
Der Ansicht des Klägers, dass § 53 SGB I die Zulässigkeit der Abtretung nicht abschließend regele, vermag sich der
Senat nicht anzuschließen. Der Kläger kann sich insoweit weder auf den Wortlaut noch auf den Sinn und Zweck der
Vorschrift stützen.
Da schon die Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 und 3 SGB I nicht vorliegen, kann der Senat die Frage dahinstehen
lassen, ob der abgetretene Anspruch der Beigeladenen gegen die Beklagte nach § 13 Abs. 3 SGB V überhaupt
besteht. Das wäre nur der Fall, wenn der Beigeladenen durch die Behandlung Kosten iSd § 13 Abs. 3 SGB V
entstanden wären. Ob das der Fall ist, ist ungeklärt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Zur Zulassung der Revision besteht kein gesetzlicher Grund (§ 160 Abs. 2 SGG).